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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

623-625

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Andrén, Åke

Titel/Untertitel:

Nattvardsberedelsen i reformationstidens svenska kyrkoliv 1953

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

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Andren, Äke: Nattvardsbcrcdelsen i reformationstidcns svenska
kyrkoliv. Skriftermäl och fasta. Mit einer Zusammenfassung in deutscher
Sprache: Abendmahlsvorbereitungen in der schwedischen Kirche
der Reformationszeit. Stockholm: Svenska Kyrkans Diakonistyrclscs
Bokförlag [1952]. LI11, 350 S. m. Abb. gr. 8° = Samlingar och Studier
tili Svenska Kyrkans Historia 27. skr. 24.—.

Man erhält in diesem neuen Buche Andrens zwei bedeutende
Monographien, eine über das Werden der „lutherischen Privatbeichte
" in Schweden, die andere über die Geschichte des lutherischen
Fastens in Schweden. Beide Monographien dienen aber
dem Thema: „Die Abendmahlsvorbereitung im schwedischen
Kirchenleben der Reformationszeit", nämlich die „lutherische
Privatbeichte" (aber auch deren Konkurrentinnen: „Bruderbeichte
" und „allgemeine Beichte") und das lutherische Fasten als
Abendmahlsvorbereitung in Schweden. Und selbstverständlich
wird das Ganze in die christliche Vorwelt und Umwelt eingestellt
, wobei als reformatorisch-christliche Umwelt gerade Deutschland
daran kommt. Die Quellen (dabei zahlreiche Bilder!) und
die Forscher-Urteile werden so eingehend angeführt, daß der Leser
Material zur Bildung eines eigenen Urteils erhält.

Das neue Buch Andrens (über seine Studie zum „Introduc-
torium Theologicum" siehe ThLZ 1951, 527) setzt dort ein, wo
auch im schwedischen vorreformatorischen Katholizismus die
selbstverständliche Übung der Laien bestand, vor dem (immerhin
seltenen) Kommunionempfang zur Einzelbeichte und Einzelabsolution
zu gehen, während „Confiteor" und „Offene Schuld"
(letztere: confessio generalis in vulgari, sc. lingua, lecta, cf. Andren
S. 31 Anmerkung 32) mit ihren Absolutionsgebeten die vorige
sakramentale Einschätzung eingebüßt hatten, aber durdiaus
vorhanden waren — anderseits dort, wo bei Laien und Priestern
die von Augustinus (im Brief an Januarius I, VI, 8) erwähnte
Gewohnheit „der ganzen Kirche, quod a ieiunis Semper accipitur"
(vgl. Tertullian, Ad uxorem II 5) strenge Vorschrift geworden
war, und neben diesem ieiunium naturale (Augustinus an der
zitierten Stelle: „ut in os Christiani prius dominicum corpus
intraret quam ceteri cibi") im Christenleben auch das ieiunium
ecclesiasticum (Sättigungsbeschränkung) und die Abstinenz von
bestimmten Speisen (Fleisch, Laktizinien) eine Rolle spielte. Damals
stand das Abendmahlsbegängnis im Lichte der Transsub-
stantiation und der Kommunionempfang im Lichte der Vereinigung
mit Christus. Über diesen ganzen katholischen Befund kam
nun auch in Sdiweden der große biblisch-reformatorische Gedanke
, und es ist fesselnd, wie Andren diesen Prozeß aufrollt.
Das Abendmahl erhielt den Charakter der Sündenvergebung, und
das wirkte sich auf die Bereitung zum Abendmahlsempfang reformatorisch
aus. Aber auch das macht Andren grell-deutlich, daß
die tatsächliche Weiterentwicklung den Schwung der Reformationswucht
nicht festhielt, sondern in einer Ermattungshalbheit
endete, eben in der Privatbeichte der Orthodoxie und im Abendmahlsfasten
der Orthodoxie. Zwischenhinein kam die „liturgische
Bewegung" König Johanns III. mit ihrer Erneuerung der Abendmahlsauffassung
„Kommunion gleich Vereinigung mit Christus"
und den daraus folgenden Konsequenzen.

Schauen wir zuvörderst auf die lutherische Privatbeiditc.
Schweden hatte Luthers Lob der „heimlichen Beichte" (vgl. Sermon
von der Bereitung zum Sterben 1519; 8. Invocavit-Predigt
1522; Vermahnung zur Beichte 1529; Vermahnung an die Geistlichen
versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg 1530; u. ö.)
doch nur insoweit wichtig genommen, als die „heimlidie Beichte"
ganz am Rande für die besonders ängstlichen Gewissen ein Zugeständnis
sein sollte (ob sie in der Tat geübt wurde?). Das Feld
beherrschte ganz die Herzensbeichte der Sünden vor Gott, und
sie fand ihren gottesdienstlidien Ausdruck in Beicht- und Abso-
lutions-G e b e t e n innerhalb der Messe, sei es an der alten
Stelle des Confiteor, sei es an der Stelle der in Deutschland
„Offene Schuld" genannten Gebete, gelegentlich auch an beiden
Stellen. In schwedischen Quellen heißt diese Bcidite z. B. „Bekenntnis
und Lossprechung, welche das Meßbuch auf schwedisch
enthält" (so Kjöllerström, Svenska förarbeten 62), oder „ein Bekenntnis
oder Beidit" (Andren S. 10324), wie es in der Preußischen
KO. 1525 hieß „Form der offenen Beicht nach der Predigt
". Andren nennt diese Sache „das allgemeine Sündenbekenntnis
", so können wir dafür sagen: „Allgemeine Beichte". Olavus

Petri übte die Schweden darin ein, in dieser „Allgemeinen
Beichte" innerhalb der Messe die Beichtvorbereitung zum Abendmahlsempfang
zu sehen. Zugleich setzte man in der Messe die
„Vermahnung" vor den Abendmahlsgang und unterstrich das
examen communicantium durch Katechismusrezitation von der
Kanzel und durdi Katechismuspredigten. Vermahnung und Kate-
diismus ersetzten den Examens- und Lehr-Charakter, welchen die
katholische Beichte nebenbei gehabt hatte. Die KO. von 1561
tat dazu auch noch die obligatorische Anmeldung des Abendmahlsganges
beim Pastor. Seit Norman wurde der Examens-Akt
vor der Messe angesetzt und bekam den Namen „Beichte", die
an sich freiwillig war, aber von der obligatorischen Anmeldung
her ihre Freiwilligkeit verlor. Diese freiwillig-unfreiwillige
„Beidite" war es, weldie unter Johann III. die notwendige Abendmahlsvorbereitung
außerhalb der Messe wurde, während die „Allgemeine
Beicht" innerhalb der Messe verschwand. Natürlich setzte
sich das reformatorisch-entschiedene Element in Schweden gegen
diesen „liturgischen" Streich, aber der Erfolg war den „Antilitur-
gikern" versagt, weil nun vom Kontinent her Melanchthons Zuteilung
der Absolutionsgewalt an die potestas iurisdictionis des
Pastors ihren Siegeslauf antrat. Das Resultat war auch in Schweden
, trotz der Einrede Herzog Karls, die lutherische Privatbeichte
der Orthodoxie, d. h. einem „Ungebeiditeten" wird das Abendmahl
nicht gereicht. Das hatte freilich schon Luther gefordert,
aber im Namen der Seelsorge, nicht im Namen einer potestas
iurisdictionis. Doch fühlte man sich nun auch in Schweden Luther
näher als durch des Olavus Petri „Allgemeine Beicht" — und
doch war es ein Mißverständnis.

Was das Fasten anlangt, so hatte die Reformation in Schweden
die sobrietas, also das Maßhalten in allem, speziell im Trinken
und Essen, an die Stelle aller Arten des im Katholizismus
üblichen Fastens gerückt. Besonders war die sobrietas die rechte
Vor- und Nachbereitung des Abcndmahlsempfangcs. Die absli-
nentia ab usu carnium galt nichts mehr, da sie ja mit Völlerei an
Nichtfleischspcisen vereinbar schien. Das ieiunium naturale vor
dem Abendmahlsgang war ganz freiwillig; eine „feine Zucht",
nicht mehr. Das Feld behauptete die sobrietas, und es ist eine
Lust, die hoch-reformatorischen schwedisdien Lobsprüche auf die
sobrietas bei Andren zu lesen. Aber auch hier, in der Sache des
Fr.stens, kam die Ermattung. Gründlich geht Andren diesen Er-
lnattungserscheinungen und ihren Ursachen nach. Kräftig stellten
sich die „Antiliturgikcr", ja die Synode von Upsala 1593 dagegen
— aber seit dem 17. Jhdt. begannen die orthodoxen Gedanken
Platz zu greifen, die das ieiunium naturale für den Abendmahlsempfang
zur Norm machten. (Es hätte noch schlimmer kommen
können, wie die Erneuerung aller Fasten unter Johann III-
zeigt.)

So hat Luthers Lob der „heimlichen Beichte" schließlich die
Privatbeichte der Orthodoxie decken müssen, so Luthers Lob des
Fastens vor dem Abendmahl als „einer feinen Zudit" das Abcnd-
mahls-Jejunlum der Orthodoxie! Es gilt eben nicht nur für die
vorreformatorischc, sondern auch für die reformatorische Entwicklung
: Alles Freiwillige hat die Tendenz, obligatorisch zu
werden, d. h. ein „erzwungenes Freiwilliges". Wieweit dazu die
Keime in der Substanz des Christentums liegen, das ist eine eigene
Studie wert. Hier also: Wieweit ist das christliche Abendmahl
selbst Anlaß zum obligatorischen Beichten und Fasten? Nämlich
nicht bloß als „Vereinigung mit Christus", sondern ebenso als
„Sündenvergebung"? Und das unter dem stärksten reformatorischen
Vorbehalt: Rechtfertigung aus Glauben!

Das überzeugende Buch Andrens gibt dennoch in Randdingcn
Gelegenheit zur Kritik. Vor allem: daß das Christenabendmahl sündenvergebend
sei, das ist doch nicht die These des NT, sondern eine geniale
Neukonzeption Luthers. Sündenvergebend ist im NT Golgatha,
auch nach Mt 26, 28. Natürlich: das Christenabendmahl steht in Beziehung
zu Golgatha — aber in welcher? Hier setzt eben Luther d>e
Sündenvergebung in das Christenabendmahl aus dem Golgatha-Opfer
so ein, wie die vorreformatorische Vergangenheit aus dem Golgathn-
Opfer den Opfercharakter des Christcnabendmahls abgeleitet hatte-
Bloß daß Luther für seine Ableitung eine biblische Brücke hatte:
das „Wort" im Abendmahl! So blieb für Luther und die Lutheraner
die andere Seite: „Vereinigung mit Christus" des Ausbaus fähig. (Wieweit
Christi letztes Mahl auf Golgatha und auf das Christcnabend-
mahl zu beziehen ist. das schließt eine Fülle von Problemen tio)-