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Ausgabe:

1953

Spalte:

621-622

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Boethius, Anicius Manlius Severinus

Titel/Untertitel:

Philosophiae consolationis libri quinque 1953

Rezensent:

Stegmüller, Friedrich

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von einer wünschenswerten oder möglichen Einheit von ecclesia
und Imperium (siehe Kamiah a. O. 226), im Gegensatz zu Ori-
genes (Contra Celsum 8, 68), Euscbios, Ambrosius, Hieronymus,
Orosius, den Vertretern der Rom-Theologie. Es ist in diesem
Zusammenhang nicht unwichtig, daß Otto von Freising im Anschluß
an Eusebios und Orosius civitas dei und christianum im-
perium zu einer Einheit verschmolzen und mit einer solchen
Theologie des Imperiums sich gegen Augustin entschieden
hat. — Der Nachweis einzelner augustinischer Begriffe wie pax
und iustitia bei mittelalterlichen Geschichtsschreibern — eine
Methode, die Bernheim eingeführt hat — hilft nicht weiter. Es
ließe sich übrigens zeigen, daß ein großer Teil der pax- und
iustitia-Stellen, die Bernheim anführt, heidnisch-antik ist, bei
Cicero u. a. vorkommt. Darauf kann hier nicht eingegangen
werden, gesagt werden soll nur noch, daß es nicht richtig ist,
wenn Ott bemerkt, die Verwirklichung von pax als Aufgabe der
irdischen civitas dei sei augustinisch. Augustinus kennt um 425,
als er das 19. Buch der Civitas dei mit der berühmten Pax-Be-
trachtung schrieb, pax nur als Zustand des künftigen Lebens;
schon um 417 heißt es in der Exegese des Johannesevangeliums
(In Joann. ev. traef. 34,10), daß es in diesem Leben keinen Frieden
gibt. —

Zu c. 8 schlage ich für den Anmerkungsappar.it eine Ergänzung
vor. Die Stelle Scurrilia et mimica, que in comediis . . . erinnert an
Hrotsvit (cd. Strecker 113,2—3): Sunt etiam alii, sacris inhacrentes
paginis, . . . Auf Grund der Untersuchung von Frenkcn (Neues Archiv
44 1922, 101 ff.) besagt diese Bemerkung Ruotgers, daß Bruno sich
für dramatische Literatur interessierte, aber noch viel mehr. Frenken
fand im Kölner Stadtardiiv eine Handsdirift mit vier Dramen der
Hrotsvit (Gallicanus, Dulcitius, Callimachus, Abraham), die unabhängig
ist von der Münchcn-St. Emmeramer und einen dieser zeitlich vorangehenden
Text bietet. Das Fehlen der Vorreden, Titel und Inhaltsangaben
deutet darauf hin, daß es sich wahrscheinlich um die Abschrift
eines Rezensionsexemplars handelt. Es scheint mir so gut wie sicher,
daß die Äbtissin Gcrberga die Versuche ihrer Nonne ihrem Oheim
Bruno zur Begutachtung geschickt hat. Und es wird Bruno gewesen sein,
dessen stark philosophische und wissenschaftliche Interessen Ruotger
so rühmt, der der Nonne Hrotsvit empfahl, in ihren Dichtungen mehr
die Gelehrsamkeit zu betonen. Diese Zusammenhänge würden verständ-
lidi machen, warum Hrotsvit in den beiden letzten Dramen von ihrer
alten Linie abbiegt und in der Sapientia und im Paphnutius im Gegensatz
zu den vier vorangehenden Dramen weitläufige wissenschaftliche
Erörterungen über Musik und Zahlcntheorie bringt. Diese Zusammenhänge
zeigen aber auch, daß zwischen den Mitgliedern des ottonischen
Hauses auf literarischem Gebiet eine enge Verbindung bestand.
Leipzig H. Kusch

Boethius, Anicius Manlius Scverinus: Philosophiae Consolationis
libri quinque. Hrsg. v. Karl Büchner. Heidelberg: Winter 1947.
120 S. 8° = Editiones Heidelbergenses. Heidelberger Ausgaben zur
Geistes- u. Kulturgeschichte des Abendlandes. H. 10. DM 2.70.
Der lateinische Text der Philosophiae Consolatio ist etwa 85 mal
gedruckt worden. Migne, PL 63, 581—862, enthält den Text der Edition
des Petrus Callyus (Paris 1680). Die besten Ausgaben sind die von
Rudolf Peipcr (Leipzig, Teubner 1871), Adrianus a Forti Scuto (Fortes-
cue) (London 1925), und vor allem von Wilhelm Weinberger (1934;
CSSEL 67). Von den etwa 400 Handsdiriften beschrieb Weinberger 84
und benützte davon 18, darunter 8 aus dem IX. Jahrhundert. Weitere
Textverbesserungcn schlugen vor: K.Prinz (1935), L. Bieler (1936),
F Klingner (1940), K.Büchner (1940), D.S. Robertson (1945). Über
w<-'"tere Handschriften berichteten E. T. Silk (1939), K. Dicnelt (1941
und 1942), E. J. Daly (1950).

Karl Büchner, dem wir auch eine deutsche Übersetzung
der Consolatio, mit Einleitung von Friedrich Klingner,
verdanken (1943), legt in den Heidelberger Ausgaben zum Gebrauch
in akademischen Seminarübungen den lateinischen Text
erneut vor. Sein Text beruht auf Weinbergers Ausgabe, doch ist
er nicht einfach ein Abdruck dieses Textes, sondern, auf Grund
der Weinbergerschen Varianten, mit umsichtiger Sorgfalt neu
durcherwogen und an vielen Stellen durch andere Interpunktion
°dcr Absetzung sinngemäßer interpretiert. Ein Conspectus metro-
rum und ein Verzeichnis der Initia carminum ist beigegeben. Die
Textausgabe von K. Büchner ist auch von E. G o t h e i n: Boethius.
Trost der Philosophie, lateinisch und deutsch (Zürich 1949) berücksichtigt
worden.

Für eine Neuauflage der dankenswerten Ausgabe wäre vielleicht
2'i wünschen, daß in einer Einleitung dem Studenten etwas mehr Hilfen
geboten würden, etwa durch Hinweise auf die Boethius-Konkordanz

von L. Cooper (1928), auf H. R. Patch, The tradition of Boethius (193 5),
auf K. Burdach, Die humanistischen Wirkungen der Trostschrift im Mittelalter
und der Renaissance (1933). auf A.Becker-Freyseng, Die Vorgeschichte
des philosophischen Terminus „contingens" (1938), auf
H. M. Barrett, Boethius. Somc aspects of his time and work (1940),
sowie auf die mittelalterlichen Kommentare des Remigius von Auxerre,
Johannes Scottus, Wilhelm von Conches, Nicolaus Triveth, Thomas
Anglicus, auf die Übersetzungen der Consolatio von Notker Labeo,
König Alfred, G. Chaucer, Königin Elisabeth von England, Jean de Meun,
Maximos Planudes, kurz auf die Verflechtung der Consolatio mit der
Geistesgeschichte des Abendlandes.

Freiburg i. Br. Friedrieh Siegmüller

KIRCHENGESCHICHTE: REF01MATIONSZE1T

Lau, Franz: Luthers Lehre von den beiden Reichen. Berlin: Lutherisches
Verlagshaus 1953. 96 S. 8° = Luthertum H. 8. DM 3.80.

Der bereits durch seine Untersuchung über „Äußerliche
Ordnung" und „Weltlich Ding" rühmlich bekannte Lutherforscher
nimmt hier das Wort zu einem heute besonders brennenden
und heiß umstrittenen Problem der Lutherdeutung und Lutherwertung
. Die Zweireichelehre hat gelegentlich dazu gedient,
Luther als den Verkünder eines Innerlichkeitschristentums zu
preisen oder zu verdammen, der die irdische Welt der Macht der
säkularen Gewalten überläßt. Dagegen haben andere versucht,
Luther im christokratischen Sinne zu verstehen. Beide Wege
lehnt L. von den Quellen her entschieden ab. L. will zeigen,
daß Luther „dem echten Anliegen derer, die die Verkündigung
vor der Welt nicht schweigen lassen, und derer, die die Herrschaft
Christi nicht verweltlichen wollen, gerecht" (7) wird. Nach
einer lehrreichen Einleitung, die den Stand der Forschung skizziert
, behandelt L. nacheinander „Luthers Begründung seiner
Lehre von den beiden Reichen" (21—27), „Unterschied und Zusammengehörigkeit
der zwei Reiche" (28—63), „Die zwei Reiche
im gefährlichen Widerstreit" (64—81) und einzelne „Probleme
um Luthers Zweireichelehre" (82—96).

Aus der Fülle der Gedanken und Gesichtspunkte sei folgendes
hervorgehoben: L. macht darauf aufmerksam, daß es nicht
gut ist, „die beiden Regimente als einen .Spezialfall des Verhältnisses
von Gesetz und Evangelium' " zu bezeichnen (gegen
R. Seeberg u. a.). Zwar ist das geistliche Reich das Reich des
Evangeliums, aber das weltliche Reich ist nicht einfach das Reidi
des Gesetzes. Denn „das Gesetz als der offenbarte Gotteswille"
ist „noch etwas anderes als die lex naturalis" (43 f.). Die Lehren
von den zwei Reichen und von Gesetz und Evangelium haben
bei aller Verwandtschaft doch je ihre besonderen Probleme.
Ebenso lehnt es L. entschieden ab, auf das weltliche Reich den
Offenbarungsbegriff anzuwenden (gegen Törnvall). Das weltliche
Reich ist zwar auch von Gott, aber Gott offenbart sich in ihm
nicht (40). Wichtig ist ferner die Erkenntnis, daß das Dreihierarchienschema
anders zu bewerten ist als die Zweireichelehre.
Jenes Schema muß im wesentlichen als zeitgeschichtlich bedingt
und daher heute nicht mehr anwendbar angesehen werden, während
die Zweireichelehre bleibende Bedeutung hat (62). Mit vollem
Recht betont L., „daß Luther nicht die hemmungslose Gewalt
preist und nicht der Pancgyriker eines Machthungers ist"
(51). Aber ist es nicht zu eng zu sagen: „Luther kennt für die
Weltordnung ... nur eine Gewalt, die überhaupt keinen Eigenwert
hat, sondern steht im Dienste des Rechtes und im Dienste
der Liebe" (aO)? Sowohl im Blick auf Luthers „Wundermänner"
als auch im Blick auf die Sache überhaupt muß anerkannt werden
, daß der Macht auch ein schöpferisches Moment eignet; sie
schafft unter Zerbrechen des Alten Neues auch neues Recht. Das
Recht ist also nicht schlechthin der Herr, dem die Macht zu dienen
hat, sondern es ist auch Geschöpf der Macht. Und der Wert
der Macht besteht nicht ausschließlich darin, dem Recht zu dienen.

L. will mit seinem Buch der Verständigung dienen, indem
er den extremen Lutherdeutungen den echten Luther entgegenstellt
(7). Seine wohl fundierte und wohl abgewogene Darstellung
und Würdigung Luthers verdient es in der Tat, aufmerksames
Gehör zu finden.

Halle/Saale E. Schott