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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

620-621

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Ruotgerus Coloniensis, Ruotgers Lebensbeschreibung des Erzbischofs Bruno von Köln 1953

Rezensent:

Kusch, H.

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

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nimmt und sie mit unserm heutigen Material und Mitteln fortsetzt
. Sodann bemüht sich der verehrte Herausgeber, uns begreiflich
zu machen, daß und warum er diese Arbeit in seine
wohlbekannte volkskundliche Reihe aufgenommen hat. Er hätte
das einfacher haben können mit einem Hinweis auf Heft 16/17
seiner Reihe: Wallfahrt und Volkstum, Geschichte und Leben,
das er selbst seinerzeit herausgegeben hat. Nun, es ist uns nicht
zweifelhaft, daß dieser Gegenstand in die Forschungen zur Volkskunde
gehört. Wallfahrten und Pilgerwesen haben zu jeder Zeit
ihren wesentlichen und bewußten Zusammenhang mit der Volkskunde
gehabt. Reisewege und Herbergen, sowie das Leben in
ihnen, Votivgaben und Reiseandenken und die Vorgänge in den
Wallfahrten und Heilorten gehören so zur Volkskunde wie die
gewiß große Bedeutung, die dem Pilger jedes Zeitalters als Träger
seines Volkstums und zugleich des religiösen kulturellen
Austausches zukommt. Somit gehört diese tiefgründige und weit
ausgreifende Studie in die Arbeiten zur Volkskunde.

Aber wir sehen mit Schmerzen aus den Worten der Vorrede
, wie stark die nationalsozialistische Wirtschaft und spätere
Hemmnisse die Arbeiten des Herausgebers behindert haben und
namentlich ersehen wir aus dem Erscheinungsort, daß der Herausgeber
den Drucker und Verleger wechseln mußte und daß ihm
auch sonst allerlei Schwierigkeiten bereitet wurden, die man im
Alter schwerer überwindet als in ungeminderter Arbeitskraft.

In seinem Vorwort weist nun der Verfasser darauf hin, daß
er bei Beginn der Quellenuntersuchung zunächst nicht habe übersehen
können, ob er in dem stark zerstörten Münster das unabsehbar
wachsende Quellenmaterial ermitteln und sammeln
könnte. Ein glücklicher Zufall führte ihn nach Heidelberg, wo
die unversehrte Universitätsbibliothek und die guten wissenschaftlichen
Institute ihm das Sammeln und Arbeiten ermöglichten
. Gelegentlich fand er weitere Unterstützung in Freiburg/Brg.,
so daß er mit einer stolzen Literaturliste von 12 Seiten aufwarten
kann. Wie er diese Literatur und ein unabsehbares Quellenmaterial
verarbeiten konnte, ergibt sich aus einem 45 Seiten umfassenden
zweispaltigen Wort- und Sachregister, das geradezu
das Herz jedes Sachkenners aufschließt.

Die Beziehungen zur alten Kultur, die sich an die Namen
Epidaurus und Ephesus anknüpfen, sind in einzigartiger Breite
und Tiefe nach den Quellen dargelegt. Ebenso haben wir über
ägyptische, israelitische und sonstige Wallfahrten in der alten
Welt sorgfältig gesammelte Einzelheiten. Die Hauptsache aber
ist die Ausbreitung und die Auseinandersetzung des Christentums
mit der alten Kultur insbesondere in Kleinasien und Afrika
, die Orte in Palästina, die die Erinnerungsstätten an die
Geburt und an das Leben und den Tod, sowie die Auferstehung
des Herrn wachhalten, haben sehr bald in Rom besondere Stätten
der Verehrung gefunden. In Santa Croce di Gerusaleme fanden
sich alle die Einzelheiten, die uns aus der Geschichte von
Tod und Auferstehung des Herrn bekannt sind, und von da sind
sie in das Mittelalter nach Spanien, Frankreich und Deutschland
hinübergegangen. Auch die große Marienkirche auf dem Esquilin
hat alle die Gegenstände der Erinnerung aus Bethlehem nachgeahmt
, und wir wissen bis heute alle Einzelheiten der Geburtsgeschichte
des Herrn aus den Gegenständen, die hier nachgeahmt
und nachgebaut worden sind. Warum verzichtet der Verfasser
darauf, die grundlegende Arbeit von Georg Schreiber: Mutter
und Kind in der Kultur der Kirche (Freiburg i. B. 1918 vergl.
Theol. Literaturzeitung 1920 Nr. 13/14) hier zu nennen? Schreibers
grundlegende Ausführungen über die Kultur der Kirche
sind auch noch heute von größter Bedeutung und geben den Ausführungen
von Kötting kirchliche Berechtigung und wissenschaftlichen
Wert. Mit jedem Calvarienberg und jedem Kreuzweg werden
die Ausführungen Körtings vielfach belegt.

Berlin Otio Lerche

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

R u o t g e r: Lebensbeschreibung des Erzbischofs Bruno von Köln.

Hrsg. v. Irene Ott. Weimar: Böhlau 1951. XXX, 69 S. gr. 8° =
Monumenta Germaniac historica. Scriptores rerum Germanicarum.
N. S. Tomus X. DM 5.50.

Die von I. Ott vorgelegte neue Ausgabe der Vita Brunonis
befriedigt ein seit Jahrzehnten bestehendes Bedürfnis. Die Ausgabe
von Pertz in den MG SS 4 1841 mit dem mangelhaften
Abdruck in den SS Rer. Germ, war aus verschiedenen Gründen
längst überholt. Pertz folgte in seiner Textgcstaltung der Wol-
fenbüttler und den beiden Brüssler Handschriften. Nach dem
Ersdieinen der Pertzschen Ausgabe fand B. Simson im Düsseldorfer
Staatsarchiv eine Handschrift, die sich als die älteste erwies
und großenteils zuverlässigere Lesarten zeigte als die Handschriften
, die Pertz seiner Ausgabe zugrundelegte. Weiterhin
hat Pertz längst nicht alle literarischen Entlehnungen Ruotgers
gemerkt. Erst durch Dümmler, Geyer, Manitius, Mittag, Schrörs
u. a. ist die Liste der Anlehnungen an klassische und christliche
Autoren vervollständigt worden.

Ott folgt in ihrer Neuausgabe der Düsseldorfer Handschrift
als der ältesten und zuverlässigsten; philologisch mustergültig
werden Lesarten anderer Handschriften in den Text nur dort
übernommen, wo die Düsseldorfer Handschrift ganz offenbar
Fehler hat. Die Interpunktion ist modernisiert, die Orthographie
der Düss. Hs. beibehalten; die Pertzsche Kapiteleinteilung ist
übernommen. Alle erschienenen Arbeiten über Zitate und Quellen
Ruotgers sind in den Anmerkungen sorgfältig ausgewertet.
Sachliche Erläuterungen ergänzen schön den Kommentar von
Schrörs; die wichtigste neuere historische Literatur ist herangezogen
, um das Verständnis des Textes zu fördern.

S. XII versucht O. die Form der Vita Brunonis zu bestimmen
. Ihre Auseinandersetzung mit Ludwig Zoepfs unhaltbarer
Gliederung des mittelalterlichen Vitenmaterials in Biographie,
Vita und Legende sowie ihre eigne Beschreibung der Form der
Vita Brunonis zeigen, wie notwendig die mittellateinische Philologie
eine literarhistorisch fundierte Eidologie der ma. Vita (aber
auch der Chronik und Annalistik, der beiden anderen Formen
der ma. Geschichtsschreibung) braucht. Abgesehen von anderen
Gründen ist ein Zurückgehen auf das Schema Suetons, wie es
Leo herausgearbeitet hat, nach den bedeutsamen Untersuchuiigon
von W. Steidle über Sueton und die antike Biographie (München
1951) nicht mehr möglich (vgl. Hohl DLZ 72 1951, 198).

In der Einleitung heißt es auf S. XI: „Darin liegt die große
Allgemeinbedcutung der Vita Brunonis: in der Gestalt des Staatsmannes
und Bischofs Bruno und in seinem Zusammenwirken mit
seinem kaiserlichen Bruder verkörpert sich die Idee des sacrum
imperium, der Einheit von Kirche und Welt, die beide der eine
Begriff der ecclesia umschließt. Die Aufgabe dieser civitas Dei
ist in Augustins Sinn die Verwirklichung von pax und iustitia."
Das ist im Anschluß an Mittag, Bernheim und Schrörs gesagt. Die
meisten Historiker pflegen ja in Augustinus den Schöpfer des mittelalterlichen
ecclesia- und civitas dei-Begriffes zu sehen. Hinsichtlich
des ecclcsia-Begriffes berufen sie sich dabei auf Reuter, Har-
nack, Holl u. a., die sagen, daß Augustins Kirchenbegriff gespalten
sei, ecclesia einmal soviel bedeute wie „empirische katholische
Kirche", hierarchische Organisation, Gnadenanstalt, an
anderen Stellen aber congregatio sanetorum. Kamiah hat in
Christentum und Selbstbehauptung, Frankfurt a. M. 1940, 171 f-
(vgl. die 2., neubcarbeitete Auflage: Christentum und Geschichtlichkeit
, Stuttgart 1951, 133) nachgewiesen, daß es diesen doppelten
Kirchenbegriff bei Augustinus nicht gibt. Ecclesia hat bei
Augustinus immer eschatologischen Sinn, nie die Bedeutung sa-
cerdotium wie im Mittelalter; Augustinus kennt nur eine vorläufige
irdische Gemeinde und eine endgültige himmlische Gemeinde
. Die ecclesia ist die civitas dei, die Bürgerschaft Gottes
aus Engeln und Menschen. Ebenso geht der mittelalterliche
Gedanke vom sacrum imperium nicht auf Augustinus zurück
. Wohl ist Augustinus zeitweise in seiner eigenen Kirchenpolitik
auf dem Wege von der verfolgten zur herrschenden Kirche
, aber in seinem Werk De civitate dei spricht er eben nicht