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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

618

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hörmann, Karl

Titel/Untertitel:

Leben in Christus 1953

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

618

Sie bilden also eine Konkretisierung des inneren Lebens
(comme une categorie concrete de la vie interieure, S. 42). Dies
soll daran gezeigt werden, wie sich die einzelnen Personen zu
Jesus verhalten, wobei fünf verschiedene Arten unterschieden
werden: suchen, sich nähern, aufnehmen, folgen, in engem Kontakt
mit ihm stehen. Jede dieser Gruppen wird wieder im Anschluß
an bestimmte Sdiriftworte in eine Anzahl von verwandten
Haltungen zerlegt. Zusammengenommen bildet alles une
symbolique des gestes, die uns erschließt l'itineraire de Tarne
(S. 15, 40, 44 u. ö.). Das Äußere stellt also gleichsam eine tra-
duction plastique (S. 40) des seelischen Geschehens dar. Die fünf
Themen stehen untereinander in keinem Abhängigkeitsverhältnis
, aber jedes enthält immer das Ganze der inneren Entwicklung
(S. 49). Diesen Gedanken führt das Buch an Hand der origeni-
stischen Evangelien-Kommentare bis in alle Einzelheiten durch
(S. 49—140), unterstützt durch reichliche Zitate, die in französischer
Übersetzung geboten werden (sie füllen wohl ein Drittel
des Umfanges).

Fraglos kann dieses Vorgehen einen großen Vorzug aufweisen
: es wird deutlich, in wie hohem Maße Origenes seine Gedanken
und Erfahrungen an die Schrift gebunden und in sie eingehüllt
hat. Während alle bisherigen Darstellungen sich bemühen
, jene an sich vorzuführen unter Absehen von allen Zufälligkeiten
jeweiliger allegorischer Deutungen, will Verf. die einzelnen
Erkenntnisse gerade aus den ständig wechselnden, exegetischen
Folgerungen des Origenes gewinnen. —

Aber dieses Verfahren gibt auch zu mannigfachen Bedenken
Anlaß. Gewiß begegnen uns bei Origenes, veranlaßt durch einen
bestimmten Text, Hinweise, denen er aber in der Regel nidit
weiter nachgeht, und die sich daher meist nur an dieser einen
Stelle finden. Kein Abschnitt hat auch alle Nuancen, die Verf.
breit entwickelt, er kombiniert daher mehrere miteinander. Aber
ich zweifle, ob man so vorgehen darf. Ersetzt man damit nicht
das unaufhörliche Schillern und Oscillieren der origenistischen
Bibelauslegung, die Gedanken auftauchen und ebenso plötzlich
verschwinden läßt, wenn es die exegetische Notwendigkeit erfordern
sollte, durch eine künstliche Systematik, die in alles
einen starren Zug hineinbringt? Da jedes dieser fünf Themen im
Grunde die gleichen seelischen Vorgänge darstellt, so muß die
gewählte Behandlungsart zu fortgesetzten Wiederholungen führen
, die sich durch das ganze Buch ziehen, und den Leser in buntem
Wechsel von einem zum anderen führen. Die ständigen,
z. T. sehr umfänglichen Zitate, in denen auch vieles steht, was
mit dem Thema in keine, oder nur sehr lose Berührung zu bringen
ist, tragen das Ihre dazu bei, daß der Gedankengang etwas
Sprunghaftes annimmt, was mit der dem Ganzen zu grundelie-
genden Systematik in einem gewissen Kontrast steht.

Fragt man, welche inhaltliche Bereicherung unsere Kenntnis
der origenistischen Jesus-Mystik erfährt, so wird man zunächst
dem Betonen der experientia zustimmen (S. 46, A. 1, 120,
148 u. ö.). Darüber hinausgehend wird man freilich kaum auf
neue Gedanken stoßen. Wenn Verf. aus den origenistischen Exegesen
folgert, daß das Suchen Christi ein wesentliches Thema
sei (S. 51), daß man Pein und Leiden erdulden müsse (S. 60, 113),
daß man Jesus in der Kirche (S. 63), bzw. im Seelengrund finde
(S. 66), daß das Verhältnis zur Menschheit des Herrn ein sehr
enges und zartes sei (S. 143), so wird niemand etwas dagegen
einwenden, aber darin keine Weiterführung unseres bisherigen
Wissens sehen wollen.

Zu Bedenken gibt ferner die Beschränkung auf die Evangelien
Anlaß. Verf. versichert zwar, daß man hierbei der Entwicklung
der origenistischen Ansichten folgen könne (S. 10),
aber ich bin nirgends derartigen Beobachtungen begegnet, da
alles immer auf einer Fläche aufgetragen wird. Geradezu verhängnisvoll
muß es aber sein, wenn diese freiwillige und unsachliche
Reduzierung des gewiß umfangreichen Quellenmaterials
dazu führt, die Auslegung des Hohenliedes zu ignorieren (Verf.
gibt es selbst zu, S. 15 3, A. 1). Man kann nicht ein Buch über
die Jesus-Mystik des Origenes schreiben, und dabei die für ihn
so charakteristische Braut-Mystik überhaupt nicht erwähnen, und
man kann es umso weniger, wenn man den Vergleich mit Bernhard
v. Clairvaux durchführen will. Alle Einschränkungen, die

Verf. bei der Behandlung des Themas selbst vornimmt (z. B.
S. 9: en partie du moins, S. 121, 153: si imparfaite et si incom-
plete que soit notre etude) können an dieser Tatsache nichts
ändern.

Erfüllt so auch das Buch nicht alle Wünsche, so wird man
es doch nicht ohne Gewinn studieren. Es ist nicht nur sorgfältig
gearbeitet (Druckfehler bei griechischen Worten begegnen uns
nur selten, z. B. S. 91, Z. 17; S. 133, Z. 5 v. u.), es ist auch mit
Wärme und großer persönlicher Anteilnahme geschrieben, und
es nimmt in der Origenes-Literatur insofern eine besondere Stellung
ein, als es die frommen Erfahrungen des Kirchenlehrers aus
dessen Exegesen gewinnt, also gerade dessen steten und engen
Kontakt mit der Schrift deutlich hervortreten läßt. Damit ist
ein zentrales Anliegen des Origenes fraglos richtig getroffen.

Mainz Waitlier Völker

Hörmann, Karl: Leben in Christus. Zusammenhänge zwischen
Dogma und Sitte bei den Apostolischen Vätern. Wien: Verl. Herold
[1952]. 348 S. 8°. S 64.—.

Die Anzeige dieses Buches bedeutet für midi eine gewisse
Verlegenheit. Der Verf. hat seine Quellen, wie schon das detaillierte
Register zeigt, mit großem Fleiß gelesen. Ich zweifle
auch nicht, daß er die lange Reihe der einschlägigen Werke kennt,
die das Verzeichnis aufführt und die in den Anmerkungen fortlaufend
genannt werden. Aber er hätte sie samt und sonders
nicht zu lesen brauchen, um dies Buch zu schreiben, und wer
über die Apostolischen Väter arbeiten will, braudit umgekehrt
auch sein Buch nicht zu lesen. Leitend sind hier ausschließlich
bestimmte Gesichtspunkte der gegenwärtigen katholischen Moraltheologie
, besonders nach dem Verhältnis von Dogmatik und
Ethik, die nidit auseinandergerissen werden sollen, von Natur
und Übernatur, „Aszetik" und „Mystik" und dergleichen. Nach
einem festen Schema werden nun Ignatios und Polykarp, die
Klemensbriefe, der Barnabasbrief und Hermas nacheinander
gleichmäßig durdigenommen, und es zeigt sich jedesmal, mit
ganz geringfügigen Abwandlungen, das gewünschte Ergebnis:
die Ethik wurzelt durchaus in den göttlichen Wirklichkeiten der
christlichen Offenbarung, sie ist „vorwiegend nach der Übernatur
orientiert", leitet aus ihr aber auch konkrete Lebensgrundsätze
ab und führt so „zu einem nicht gekünstelten und erzwungenen,
sondern organischen Sittenleben". „Die innere Lebenseinheit
mit Gott, vor allem im mystischen Leib Christi, können wir als
die Grundidee der Sittenlehre der Apostolischen Väter bezeichnen
" (S. 270).

Das sind in gewissem Sinne natürlich unbestreitbare Selbstverständlichkeiten
. Aber die schiefe und gänzlich unhistorische
Formulierung deckt gleichzeitig audi alle Probleme, die in den
Quellen selber stecken, endgültig zu. Was bedeutete der eigentümliche
Begriff der „Nachahmung" für Ignatios selbst? wie unterscheidet
er sich z. B. von der „Gotteskindschaft" der Didache?
was wollte und meinte Hermas mit seiner Bußverkündigung in
seiner Zeit und Welt? All solche, wahrhaftig nicht zum ersten
Mal gestellte Fragen sind für den Gedankengang unseres Buches
ohne jedes Interesse. Die Quellen werden nicht mit dem, was
sie sagen wollen, gehört, sondern sie werden nach einem vorgegebenen
Schema lediglich verhört. Das ist alles. Ich frage midi,
ob dieser seltsame Umweg über die Väter, für das, was der
Verf. moraltheologisch herausbringen wollte, irgendwie nötig
oder nützlidi sein konnte. Als Historiker- kann ich leider nur
feststellen, daß aus diesem Buche wirklich nichts zu lernen ist.

Heidelberg H. v. Campenhausen

K ö 11 i n g, Bernhard: Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike
und das Pilgerwesen in der alten Kirche. Münster: Regensberg
19 50. XXVII, 473 S. gr. 8° = Forschungen zur Volkskunde, hrsg.
von Georg Schreiber. 33/34/35. Lw. DM 14.50.

In der Vorrede des Herausgebers wird darauf hingewiesen,
daß Kötting endlich die von Jakob Gretser von 350 Jahren vorgelegte
Arbeit über diesen Gegenstand (De sacris et religiosis
peregrinationibus libri quatuor, Ingolstadt 1606) wieder auf-