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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

608

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Aus Adolf Schlatters Berner Zeit 1953

Rezensent:

Delling, Gerhard

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607

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

608

den Werke, die neutestamentliche Theologie und die Dogmatik,
stellten sich für Schi, zur Zeit ihrer Abfassung als „Abschluß
meiner theologischen Arbeit" dar (230); den Anstoß dazu empfängt
er durch das memento mori, das ihm der plötzliche Tod
seiner Frau zuruft (1907). Es ist ihm wichtig, „Jesu Wort" in
einem besonderen Band des erstgenannten zweiteiligen Werkes
wiederzugeben als fundamentum; wichtig in der 2. Aufl., es in
seiner Unlösbarkeit von der Tat Jesu sichtbar zu machen — deshalb
erhält der nunmehr selbständig herausgegebene Band den
Titel „Die Geschichte des Christus" (231). Daß er „die Geschichte
Jesu als Einheit... sah", und d. h., daß er seine Verkündigung
, seine Gestalt und sein Tun als Ganzes darstellen
konnte, das erscheint ihm nicht „als ein Kunststück meiner Har-
monistik. . ., sondern als die Folge der möglichst konkreten
Auffassung ihrer zeitgeschichtlichen Art" (233). Auch zwischen
Jesus und der Urchristenheit, zwischen Petrus und Paulus sieht
Schi, „keinen Riß ..., sondern ... eine fest verbundene Geschichte
" (233 f.).

Schi, hatte schon in Bern kleinere dogmatische Vorlesungen
gehalten (97), in Greifswald die Hauptvorlesungen dieser Disziplin
aufgenommen (158 f.), beides aus innerer, theologischer
Nötigung; in Berlin waren sie ihm hauptamtlich aufgetragen
(164 f.). Sein Buch „Das christliche Dogma" ist die literarische
Frucht dieser Arbeit; wichtig ist ihm auch dabei der Gedanke der
Einheit — in der Verbindung von „Naturtheologie" und „Chri-
stologie", Vorsehungsglauben und ,Mystik', Denken und Willen,
Glauben und Liebe (2 35); und er gibt darüber hinaus der Dogmatik
das Ziel, mancherlei Risse zwischen den Theologen zu
überwinden bis hin zu dem, „der die protestantischen und die
katholischen Kirchen voneinander trennt". Denn „Einigung entsteht
dadurch, daß wir unser Denken und Wollen reinigen . . .
und uns vor der Wirklichkeit beugen, die sich uns zeigt" (236).
Schi, empfindet es im Blick auf seine Dogmatik als Mangel, daß
in ihr über der „Betrachtung der Welt" die „Erkenntnis Gottes"
leicht zurücktritt (einer der zahlreichen selbstkritischen Sätze
seines „Rückblicks"); freilich hält er an der „Grundregel" fest,
daß uns „die Herrlichkeit Gottes jenseits der Welt" nicht anders
deutlich werden kann „als so, daß wir sein Werk in der Welt
erfassen" (238).

Nach Bemerkungen zu anderen Veröffentlichungen leiten gewichtige
Sätze über Schlatters Buch „Die christliche Ethik" (239—242) hinüber
zu dem Abschnitt, der sein Erleben der Ereignisse von 1914—20
widerspiegelt (242—253); hier wird wohl vielen Lesern des öfteren
deutlich werden, daß uns die Geschehnisse der letzten drei Jahrzehnte
manches z. T. wesentlich anders zu sehen gelehrt haben.

Das ganze Buch, bei dessen Lektüre auch die Wandlungen
der Situation in Kirchen und Fakultäten vielfach lehrreich sichtbar
werden, ist als ein Rechenschaftsbericht über fünfzig Jahre
theologischer Arbeit ja zur Auseinandersetzung vor uns hingestellt
, gerade wenn man mit dem Herausgeber meint, daß Schlatters
„Dienst für Theologie und Kirche noch nicht zum Ende
kam" (7). Der „Primat des Willens", der freilich vom Denken
unabtrennbar ist (93), dementsprechend die Betonung der Ethik,
des christlichen Handelns, auch im Paulusverständnis (107—109;
für Schi, der Punkt der Kritik an Luther [z. B. 240]), offenbar
auch damit zusammenhängend der „Anschluß an die Geschichte"
(102) als den Ort des göttlichen Wirkens, zumal in Jesus, wiederum
nicht ohne Verbindung damit das Ja zur „Natur" in der
vielfachen Bezogenheit dieses Wortes, das alles zusammengefaßt
in der Formel einer Theologie des Realismus, um nur einige
entscheidende Stichworte Schlatters zu nennen — mit alle dem
lohnt sich schon ein Gespräch für den, dem in der ungekünstelten
Sprache Schlatters gerade etwas von der Klarheit seines
Denkens sichtbar wird.

Darüber hinaus wird Schlatters Buch Bedeutung gewinnen
vielleicht schon dadurch, daß es jungen Theologen den Sinn
ihrer nüchtern-alltäglichen Studienarbeit aufzuweisen vermag;
vielleicht sogar als ein „Professorenspiegel"; jedenfalls aber dadurch
, daß es in großer Nüchternheit den Weg eines Christen
zeigt, der in seiner Prägung ein Besonderer war, so alltäglich
der äußere Gang seines Lebens verlief.

Halle/S. Oerhard Delling

[S c h 1 a 11 e r-Gedenkschrift:] Aus Adolf Schlatters Berner Zeit. Zu

seinem hundertsten Geburtstag 16. August 1952. Bern: B. Haller
Verl. [1952]. 96 S. 8°. kart. sfr. 6—.

Dem Buchtitel entsprechend stehen am Beginn „Erinnerungen
an Adolf Schlatters Berner Zeit" von Alt-Pfr. D. Robert
F r i e d 1 i-Bern, ein persönliches Dankeswort für das einst dem
Gymnasiasten Zuteilgewordene (5—10). Dann gibt W. Michaelis
(der dem Buch ein Geleitwort voransetzte) einen Überblick
über „Adolf Schlatter und die evang.-theol. Fakultät Bern"
(11—48), der durch die gründliche Verwertung des Aktenmaterials
vor allem neues Licht auf die Ereignisse um Schlatters
Eintritt in die Berner Fakultät wirft (13—34) und die Umstände
der Ablehnung seiner Ehrenpromotion durch die Fakultät — die
ihn während seiner Lehrtätigkeit durchaus gefördert hatte
(3 5-41) - i. J. 1888 beschreibt (42-46). Pfr. Walter T e b b e-
Hannover leistet nach grundsätzlichen Vorbemerkungen zur
Frage einer Schiatterbiographie (49 f.) unter der Überschrift
„Der junge Schlatter" (49—82) ein Stück weiterer Vorarbeit
dafür, indem er, aus der Zeit bis 1 888 (5 3 f.) vor allem Schlatters
Buch „Der Glaube im Neuen Testament" (1885) herausgreifend
(59), die Arbeit des „jungen Schlatter" am NT kennzeichnet
: Schi., im biblizistischen Pietismus aufgewachsen, begegnet
der historisch-kritischen Arbeit, grenzt sich gegen beide ab und
ist beiden verbunden; der Literarkritik ist er damals z. T. stärker
aufgeschlossen als später; die religionsgeschichtliche Methode
, bei Schi, besonders der begriffsgeschichtliche Vergleich
innerhalb des palästinischen Bereichs, läßt vor allem das spezifisch
Neue am NT deutlich werden (etwas, was uns heute weithin
selbstverständlich scheint, es aber vor 65 Jahren nicht war).
Zum guten Schluß — auch damit gibt das Heft weit mehr, als
der Titel ankündigt — umreißt und beurteilt Ad. K ö b e r 1 e
Schlatters Ja „zur Natur und zur .natürlichen Theologie' "
(83—90), seine Stellung zur ratio (90—93) und zum Luthertum
(93—96). Dem Heft ist ein Bild Schlatters aus der Berner Zeit
um 1888 vorangegeben.

Halle/S. Ocrliard Delling

Esking, Erik: Glaube und Geschichte in der theologischen Exegese
Ernst Lohmeyers. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der neutesta-
mentlichen Interpretation. Kopenhagen: Munksgaard; Lund: Gleerup
[1951]. III, 267 S. gr. 8° = Acta Seminarii Neotestamentici Upsali-
ensis. Edenda curavit A. Fridrichsen XVIII. skr. 15.—.

Die deutsche Theologie hat allen Anlaß, für die saubere
und reichhaltige theologiegeschichtliche Arbeit E. Eskings über
die Exegese E. Lohmeyers ihren Dank und ihre Anerkennung
auszusprechen. Sie versucht, die exegetische, allgemein-theologische
und philosophische Situation der Jahrhundertwende, der
Vorkriegszeit und der Periode nach dem ersten Weltkrieg zu
zeichnen, und in diesen Rahmen die Fragestellung sowie die
theologischen Absichten E. Lohmeyers einzuordnen. Es dient dabei
der Klarheit, daß E. Esking von Anfang an seine Darstellung
unter die beiden grundsätzlichen Aufgaben der neu-
testamentlichen Wissenschaft stellt: sie muß 1. feststellen, was
wir von der Entstehung des Christentums, seinen ursprünglichen
Kennzeichen und von der Gründung der Kirche wissen; 2. bestimmen
, was wir von Jesus Christus glauben, in welchem Umfang
das Neue Testament Offenbarungswert hat und auf welche
Weise es Heilserkenntnis vermittelt. Nach unserem Verfasser
gehören diese beiden Aufgaben eng mit einander zusammen,
und es habe niemand das Recht, sich auf die eine von beiden
zurückzuziehen.

Die Exegese um die J a h r h u n d e r t w e n d e steht
nach unserem Verfasser im Gegensatz zur Spekulation und zur
dogmatischen Betrachtung der Geschichte. Sie weiß sich „wissenschaftlich
" bestimmt und sieht sich dazu berufen, die ursprünglichen
und lebendigen Motive des Neuen Testamentes wieder
aufzudecken. Vor einer Auflösung im Relativismus schützen die
„Dämme" der Ritschlschen Theologie und die eigentümliche
Mehrschichtigkeit des Geschichtsbegriffes (a.a.O. 12). Das Problem
der Exegese spitzt sich in der religionsgeschichtlichen Betrachtung
der Vorkriegszeit zu. Man sucht nach einem
allgemeinen Religionsbegriff und drängt den Anspruch der Offen-