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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

605-607

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Theodor

Titel/Untertitel:

Adolf Schlatters Rückblick auf seine Lebensarbeit 1953

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

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In ähnlicher Weise spricht Vf. an vierter Stelle über „Symbolismus
und Instrumentalismus" (also vor allem über den Begriff des
Dings), an fünfter über „logisches Denken und psychologisches Verstehen
".

Ich habe die Ausführungen des Vf. mit Gewinn gelesen.
Er besitzt die besondere Gabe, feinste Nuancen der Wortbedeutung
zu erfassen und anschaulich zu machen. Nicht alle einzelnen
Feststellungen, die er zu treffen glaubt, dürften unanfechtbar
sein. Aber ein sicherer Grund ist gelegt. Auf diesem
muß weiter gebaut werden. Aus einer vergleichenden Betrachtung
von Grammatik und Wörterbuch läßt sich noch viel herausholen
. Weitere Spradicn müssen herangezogen werden. Dabei ist
zu beachten, daß manche Völker wohl verwandte Sprachen sprechen
, darüber hinaus aber nicht verwandt sind: in solchen Fällen
dürfte eine Vergleichung methodisch besonders lehrreich sein.
Ich denke etwa an die Ägypter, in deren Sprache im Laufe der
Jahrtausende die semitischen Bestandteile mehr und mehr verschwinden
. Wenn die Arbeit sich ausweitet, werden manche Einseitigkeiten
von selbst berichtigt (so hat der Ausdruck „Gottes
Bild" Kol. 1, 15, trotz dem griechischen Paradoxon, seine nächsten
Parallelen in Ägypten).

Wir hoffen, dem Vf. auf diesem Gebiete wieder zu begegnen.

Großpösna über Leipzig J. Leipoldt

Sehl a 11 er,. Theodor: Adolf Schlattcrs Rückblick auf seine Lebensarbeit
. Zu seinem hundertsten Geburtstag. Gütersloh: Bertelsmann
1952. 266 S. 8" Beitrage zur Förderung diristlicher Theologie,
begr. v. A. Schlaffer, hrsg. v. P. Althaus, H. Dörries u. J. Jeremias,
Sonderheft, kart. DM 9.60.

In reizvollem Gewand — auf dem Umschlag ist ein treffliches
Bildnis Sdilatters wiedergegeben — wird uns anläßlich der 100. Wiederkehr
seines Geburtstages eine Überschau Sdilatters über sein Leben
durch den Sohn zugänglich gemacht, die sich naturgemäß mit früheren
Sclbstdarstellungen berührt, besonders stark mit dem Heft „Die Entstehung
der Beiträge zur Förderung christlicher Theologie und ihr Zusammenhang
mit meiner theologischen Arbeit" (1920). Wenige Jahre
später scheinen die jetzt veröffentlichten Erinnerungen abgeschlossen
zu sein (252); Theodor Schlaffer ergänzt sie durch einen Überblick
über die Wirksamkeit der letzten Jahre (2 54—263).

Das Buch ist weithin so komprimiert geschrieben, es schließt
in sich eine solche Fülle von historischem Stoff, von geistes- und
theologicgeschichtlichen Einsichten, von kirchenpolitischen Erfahrungen
und Grundsätzen, von persönlichen Lebenserfahrungen
und Glaubenserkenntnissen, es ist von so hohem menschlichem
und (bei aller bewußten Schlichtheit) stilistischem Reiz (auch in
zahlreichen kritischen Formulierungen), daß eine Auswertung
sich zu einem neuen Buch ausweiten müßte (am liebsten würde
man nur eine Sammlung von Lesefrüchten anstelle einer Besprechung
geben). Schlatter ist ja alles zusammen: Schweizer (den
kann er doch auch später nicht verleugnen, so selbstverständlich
er hernach als deutscher Staatsbürger denkt) und Deutscher, Mitglied
der Universität und Kirchenmann, Theologe und Christ;
er überwindet weithin die in diesen Stichworten angedeuteten
möglichen Spannungen in sich und seiner Theologie ebenso wie
die von kritisch und konservativ, reformiert und lutherisch
(201: „Mit dem, was in unserer Kirche lutherisch ist, wußte
ich mich völlig eins").

Schlatter stellt sein Leben unter die Frage nach „Gottes
Werk" „im menschlichen Wirken" (11); und er meint damit
offenbar zuerst das Wirken im Beruf. So sind auch das Elternhaus
, die Jugendjahre, der äußere Rahmen des Lebenslaufes
offenbar wesentlich geschildert unter dem Gesichtspunkt ihrer
unmittelbaren Bedeutung für Schlatters theologische Arbeit.
Schlatt« will keine Darstellung seiner seelisch-geistigen Entwicklung
geben (9 f.) und „keine Beichte schreiben" (10), die auf
eine Selbstrechtfertigung hinauslaufen würde. Sondern er fragt -
wie er sonst in seinen theologischen Arbeiten nach Gottes Werk
fragt - nun im „Einzelfall" nach dem, was Gott durch ihn getan
hat Durch den heiligen Geist und das Wort Jesu geschah
..Gottes Werk in meiner Geschichte", bekennt Schlatter abschließend
(253).

Schlattcrs „Rückblick" gibt Erinnerungen, kein Aktenmaterial;
das Buch ist damit keine historische Arbeit auf Grund von Quellenforschungen
. Würde eine solche für Sdilatters Lebensgeschidite geschrieben
, so fiele auf manches gewiß neues Licht — wie der Beitrag
von W. Michaelis für Sdilatters Berner Zeit zeigt (vgl. Sp. 608).
Auch von diesem Blickpunkte her ist das vorliegende Buch bei aller
Sadilichkcit der Gesiditspunkte als Bekenntnis zu werten.

Im Elternhaus wächst der Knabe in eine Gemeinschaft hinein
, in der ihm Glaube und Liebe konkret werden, in Abgeschlossenheit
von der „Welt", Aufgeschlossenheit für Natur und
Literatur, ohne konfessionelle Prägung (Mutter und Kinder gehören
der reformierten Landeskirche an, der Vater ist wiedergetauft
, seine Gemeinde nennt sich „Eine Gemeinde Jesu in St.
Gallen"), in christlichem Handeln, in der Bindung an Jesus. Schon
hier werden überall die Nachwirkungen dieser Gegebenheiten
auf Schlatters Theologie — auch in kritischen Sätzen — von ihm
aufgezeigt (11—27).

In den ersten Gymnasialjahren — in den späteren läßt ihn
der mechanische Schulbetrieb leer — öffnet ihm „ein junger
Philologe" das Verständnis für sprachliche Gesetze, „den historischen
Sinn", das „Wahrnehmen" im Studium der Urkunden
und erschließt ihm damit die wissenschaftliche Arbeitsweise (28
—3 3). Das — zunächst nicht in der Gewißheit künftigen kirchlichen
Dienstes begonnene — Studium der Theologie ist in der
ersten Zeit in Basel für Schlatter geprägt durch Herbart, Jakob
Burckhardt, Steffensen (er „machte mir sichtbar, daß das Denken
Gottesdienst ist, weil die Wahrheit Gottes Gabe. . . ist"
[40]); das Vorbild dieser beiden hat in besonderer Weise Schlattcrs
Auffassung von der Aufgabe des akademischen Lehrers bestimmt
(50 f.). Auch Nietzsche hörte er damals. Die theologischen
Lehrer werden von Bedeutung erst in Tübingen: Bede,
über den Schi, sich ausführlich äußert (44—49), und Weizsäcker
(„Denn Gott wirkt Geschichte". „Eine aus der Geschichte entstandene
Dogmatik ist Realismus" [52l), der ihn (wie später
Overbeck in Basel) die „kritische Reflexion" lehrt (49).

Der fünf Jahre umfassende Weg durch das Pfarramt war für Schi,
kein Umweg. Besonders ausführlich spricht er in den dazu gehörigen
Kapp, über die Spannung zum Liberalismus: „wahrheitstreue Versicht-
borung des Gegensatzes mit unverletzter Bewahrung des Friedens" ist
hier seine lösende Formel für den kirchlichen Bereich (63). Wie das
für Sehl, praktisch aussehen konnte, zeigt die Tntsache, daß er im thur-
gauischen Pfarramt auf den Gebrauch des Apostolikums im Abcnd-
mahlstrottesdienst geeen seine eigene Meinung auf Wunsch der Gemeinde
verzichten kann („Die Sendung Jesu besteht nicht in der Herstellung
scligmachender Formeln" [70; vgl. 190 f. Berlin!]).

1 880 ruft der Pietismus Schlatter (auf dem Weg über das Schulamt
) durch Oettli an die überwiegend liberale Fakultät Bern, unter
Überwindung von mancherlei Schwierigkeiten nach beiden Seiten. Die
Abfassung der Dissertation beanspruchte einen Bruchteil der Zeit,
über die sich das Zulassungsverfahren hinzog (86—90). Für die Grundlage
des Buches „Der Glaube im Neuen Testament", eine Preisarbeit
für die (liberal bestimmte) „Haager Gesellschaft zur Verteidigung des
Christentums", standen Sdilatter nur die Herbstferien von 1882 zur
Verfügung (101), usw.; Schlatter ist ein rasdier Arbeiter.

In der Reihe der Kapp, ist es reizvoll zu sehen, wie Schi, unge-
sucht in eines nach dem anderen der Arbeitsgebiete hineinwächst, auf
denen er uns fruchtbar fördernd entgegengetreten ist. Auch der Wirkungskreis
der Lehrtätigkeit weitet sich; wird eine Berufung nach
Halle durch Berlin vereitelt, nach Kiel durch Schi, abgelehnt (125),
so kann er sich schließlich „Cremers Ruf" nicht entziehen: der weit
größere Hörsaal und die in Bern schmerzlich vermißte kollegiale
Arbeitsgemeinschaft entscheiden (126 f.). Er hat wohl nicht zuletzt um
ihretwillen abgelehnt, als hernach außer Basel noch Heidelberg, Marburg
, Bonn ihn holen wollten (148), und sie sichtlich nicht leichten
Herzens aufgegeben, als der Ruf nach Berlin 1 893 unabweislich wurde,
letztlich um der Stellung des zuständigen — Ministers willen (163 f.).
Sdil. war übrigens kollegial in Berlin „einzig mit" —Harnack verbunden
(166), nicht mit Bernhard Weiß, der sich „als das staatlich beglaubigte
Vorbild der richtigen Positivität" betrachtete (165 f.). So war es „vor
allem Harnacks Werk", daß Schi, seine Trennung von der Berliner Fakultät
..als einen Verlust empfand", als er 1898 nach Tübingen ging
(189). Im übrigen waren für ihn in der Berliner Zeit die Begegnungen
mit Bodelschwingh und Stöcker von Bedeutung (175—187).

Mit den späteren Kapp, wird Schlatters Rückblick immer
sichtbarer ein Rechenschaftsbericht: über seine Stellung zur Kirche,
die ihm im damaligen Württemberg innerlich weithin fremd war,
zum „scholastischen Wissenschaftsbetrieb" (210), der geprägt
war durch das Stift, das in Tübingen den Ton angab, weiterhin
natürlich über seine literarische Arbeit. — Die zusammenfassen-