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Ausgabe:

1953 Nr. 10

Spalte:

602-603

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kellerhals, Emanuel

Titel/Untertitel:

Einführung in die Bibel für solche, die sie kennen, und die sie nicht kennen 1953

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 10

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die mit ihm in Berührung kommen. Auch im Christentum gibt es die
Auffassung, die „die nichtchristlichen Religionen nicht im Stile Barths
verschmäht, sondern an sie anknüpft" (3 58). „Die zweite Auffassung
erkennt das göttliche Element in den anderen Weltreligionen an, behauptet
aber, das Christentum sei der Gipfel der religiösen Entwicklung
" (3 58). Demgegenüber „bekennen sich eine zunehmende Anzahl
Christen zu einer dritten Auffassung, der Auffassung der Hindus, die
Prosclytcnmacherei entschieden ablehnt" (3 59). Von diesen drei Haltungen
, „die die christlichen Missionare anderen Religionen gegenüber
einnehmen" (361 f.), hat diejenige „auf dem linken Flügel" die
größte Zukunftsaussicht (362). Sic trägt der Tatsache Rechnung, daß
„Gläubige mit verschiedenen Meinungen und Überzeugungen einander
bedürfen, um die größere Synthese herauszuarbeiten, die allein die
geistige Grundlage für eine Welt schaffen kann, welche durch den
technischen Scharfsinn des Menschen zu inniger Einheit zusammengefügt
worden ist" (363).

Abschnitt IX („Die individuelle und die soziale Ordnung im
Hinduismus"): „Je höher das Individuum steht, um so unabhängiger
ist es von der sozialen Ordnung. Das am höchsten stehende ist das
universalste" (399). Bis dahin bedarf es als „Mitglied einer sozialen
Gruppe" der „Erziehung und sozialen Disziplin" (399). Dem dient das
hinduistische Schema der „vier Lebensziele (Geistige Freiheit; Verlangen
und Freude, moralisches Leben; Interesse), der „vier Klassen"
(Brahmane; Krieger; Wirtschaftender; Diener), die, als das „Prinzip der
Geburt an Stelle der Tugend und des Wertes" eingeführt wurde, zu
Kasten entarteten (390), und der „vierfachen Stufenfolge" (Schüler;
Familienhaupt; Einsiedler; Mönch) (368 ff.). „Der ideale Mensch Indiens
" ist der Mönch, der „freie Mensch des Geistes, der durch strenge
Zucht und Betätigung selbstloser Tugenden Einblick in den universalen
Ursprung erlangt und sich von den Vorurteilen seiner Zeit und Umwelt
befreit hat" (398). Das Buch schließt mit dem Satz: „In dieser
schicksalsvollcn Stunde des Zwielichts, des tragischen Konflikts zwischen
Licht und Finsternis ist die Pflicht der freien Geistmenschen, die
das Wirkliche jenseits der Wolken geschaut haben, alles zu tun, um
die Finsternis zu vertreiben, und, wenn das nicht möglich ist, ihre
Lampen anzuzünden und uns sehen zu helfen, wenn die Nacht hereinbricht
" (399). —

Es bedurfte der ausführlichen Inhaltswiedergabe des Buches,
damit einerseits das, was R. aus seiner Religion, dem Hinduismus
, als die vollkommenste menschliche Religiosität entwickelt
und dem in seiner Sicht nicht nur in politischen, sondern auch
religiösen Absolutheitsansprüchcn festgefahrenen Abendland als
Ausweg anbietet, so deutlich wie möglich wird, damit wir andererseits
die Wirkung verstehen, die der sublimierte Extrakt aus
der indischen Volksreligion mit seiner Forderung der Toleranz
auf weite Kreise des Westens ausübt. Höchste Weisheit des
Ostens verbindet sich in R. mit einer Kenntnis abendländischer
Kultur, wie sie kaum ein anderer Nichtabendländer besitzt. Das
Ergebnis ist sein Weltbild, in dem die treibenden Kräfte beider
Seiten, indischer Synkretismus und abendländische Skepsis, miteinander
verschmelzen. Dafür sind zwei Äußerungen R's aus
jüngster Zeit bezeichnend. Ein von ihm redigiertes Gutachten über
indische Universitätsreform setzt das hinduistische „Tat twam
asi" (Das bist du) dem paulinischen „Wisset ihr nicht, daß ihr
der Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?"
(l. Kor. 3, 16) gleich, und bei seinem Besuch der Tagung des
Zentralausschusses des Weltrates der Kirchen in Lucknow im
Januar 1953 antwortete R. auf die Frage, wie er zu Christus
stehe: „Sie wollen, daß ich etwas über die Einzigartigkeit Christi,
seine Absolutheit und Einmaligkeit sage. Aber sind Sie wirklich
so sicher? Wollen Sie wirklich sagen, Christus allein sei die
Wahrheit?"

Wir können die vielen, oft mit prophetischer Leidenschaft
vorgetragenen Gedanken, Bilder, Analysen und Deutungen, in
denen R. sein Weltbild sowie seine Kritik des Abendlandes darbietet
, hier nicht im einzelnen nachprüfen. Auch der Versuch
zu scheiden, was sich in seiner Beurteilung des Christentums an
Zutreffendem mit objektiv Falschem verbindet, ist hier nicht
möglich. Wir müssen uns damit begnügen, folgendes grundsätzlich
zu sagen:

1. Unter den zahlreichen Stimmen Asiens, die sich kritisch
über das abendländische Geistesleben, auch über das Christentum
, äußern, ist das, was R. sagt, sehr ernst zu nehmen. Nicht
nur, weil es besonders umfassend und begründet ist, sondern
Weil es das Bekenntnis eines Mannes von höchstem Geistesadel,
ein Zeugnis der Lauterkeit seines Herzens und von dem glühenden
Willen erfüllt ist, der aus den Fugen geratenen Welt zu
helfen.

2. Daß auch das Christentum dies will, weiß R.; aber er
entzieht sich dem Anspruch,, der darin liegt, indem er in hindu-
istisch-abendländischer Skepsis überall dort in ihm Entartung
erblickt, wo es sich dem Synkretismus widersetzt. R. hat die Anfänge
seiner Erziehung im Christian College zu Madras erlebt.
Damals ist ihm, wie er bekannt hat, „der ursächliche Zusammenhang
zwischen der blutleeren Hindu-Religion und unserem
politischen Versagen" aufgegangen und der Entschluß gekommen,
den Hinduismus „irgendwie mehr relevant zu machen". Die
Frage, die sich dem Leser seiner Buches aufdrängt, lautet: Hat
R. nicht das Weltbild, das er als das geläuterte, relevante Weltbild
des Hinduismus verkündet, mittels abendländischer Kategorien
gewonnen? Dafür spricht, daß er dem Christentum die Identifizierung
seiner Wahrheit mit den Wahrheiten der anderen
Religionen empfiehlt, die er selbst vom Hinduismus aus vornimmt
— ein Weg, dem nicht nur der christliche Glaube widerspricht
, sondern den auch die moderne Religionsphänomenologie
versperrt. Im übrigen darf nicht der Eindruck entstehen, als repräsentiere
R. den Hinduismus des modernen Indiens. Neben
ihm steht Dr. R. Prasad, Indiens Präsident, als einer der prominenten
Anhänger eines sich selbst genügenden Hinduismus, und
rings um ihn erhebt die Menge indischer Fortschrittler dieselben
Einwände gegen den Hinduismus wie einst A. Schweitzer. Vollends
ist Indien seit 1945 im Taumel seiner Säkularisierung und
mit seinem politischen Kurs für R's „schöpferische Synthese"
der Wahrheit aller Religionen und Weltanschauungen so wenig
Nährboden und Vorbild, daß, wenn nicht sein Buch, so doch
dessen deutsche Übersetzung, heute verspätet wirkt.

3. R. verkündet die Botschaft vom „freien Geistesmenschen
" mit faszinierender Eindringlichkeit und, als Hinduist, mit
strenger Folgerichtigkeit. Die christliche Verkündigung stellt der
mystischen Totalität des auf Selbsterlösung ausgehenden Menschengeistes
die Totalität des Anspruches gegenüber, den Gott
auf den Menschen erhebt — Gott, der allen, die ihre Liebe zu
Jesus im Halten seiner Gebote bezeugen, seinen Geist, den
lebenspendenden „Geist der Wahrheit", schenkt. Sie hat sich in
ihrem Verhalten und Handeln oft an Gott verfehlt; R. ist für
sie ein Rufer zur Besinnung und zur Buße. Zwischen beiden aber
steht das Wort vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn,
das dem Griechen eine Torheit war, dem Juden ein Ärgernis ist
und dem indischen Philosophen als „doktrinäres Obskuranten-
tum" erscheint; zwischen ihnen liegt der Abgrund, der unüberbrückbar
das Reich der „freien Geistmenschen", das sich noch
immer als Utopie erwiesen hat, weil es dem Menschen Unmögliches
zumutet, und die Königsherrschaft Gottes, die der christliche
Glaube als Wirklichkeit in dieser aus den Fugen geratenen
Welt bekennt, voneinander trennt.

Ti<binge" Oerhard Rosenkranz

BIBELWISSENSCHAFT

Kell er hals, Emanuel: Einführung in die Bibel für solche, die sie
kennen, und die sie nicht kennen. Basel: F.Reinhardt [1952]. 129 S.
8°. kart. sfr. 5.20; DM 5.—.

In 9 Kapiteln, — ursprünglich eine Reihe von Rundfunkvorträgen
— wird hier „für solche, die sie kennen und die sie
nicht kennen" eine erste, bewußt von außen kommende Einführung
in die Bibel gegeben. Die ersten Kapitel handeln von ihrer
Entstehung und Überlieferung, die nächsten heben das dem modernen
Menschen nach der positiven wie nach der negativen
Seite hin Auffällige heraus. Es wird dann ein ganz kurzer Abriß
des Alten wie des Neuen Testaments gewagt und schließlich praktische
Ratschläge zum Bibellesen gegeben.

Erfreulich ist an dieser Einführung die außerordentlich klare,
zuchtvolle und verständliche Sprache, die Ehrlichkeit, mit der die
dem ungelehrten Leser begegnenden Probleme genannt und stehen
gelassen werden, die gute Bemühung, forschende Arbeit an
der Bibel und einfältiges Lesen des Gemeindegliedes einander