Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953 Nr. 1

Spalte:

42-44

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Essays in East-West philosophy 1953

Rezensent:

Beth, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

41

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 1

42

auch die Kirchengeschichte unverständlich wird! Wie der Verf. zutreffend
betont (S. 122,251,260), wird sie für Sohm ganz einseitig
zur Verfallsgeschichte, weil nur das Urchristentum seinem
rechtsfremden, um nicht zu sagen rechtsfeindlichen Ideal von
Kirchlichkeit entspricht.

Das aber kann nicht stimmen, weil es aller Gerechtigkeit widerspricht
, die kein Jurist und kein Christ mißachten darf, weil er damit
nicht nur das ,,Wesen" des Rechts, sondern auch das der Kirche verachten
würde. Denn die Kirche ist der „Leib Christi auf Erden", wie
Sohm ganz richtig lehrt; sie ist demnach der Leib der Liebe, von der geschrieben
steht (l.Kor. 13 v. 6/7): „Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit
, sie freuet sich aber der Wahrheit. Sie verträgt alles, sie
glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles." Daß die Liebe damit des
Gesetzes Erfüllung ist, seine Bejahung in der Verneinung (Rom. Ii v. 10)
das also ist die Wahrheit, die die Kirche frei macht (Joh. 8 v. 32), die
ihr die Freiheit gibt, die sie sich selbst nicht geben kann.

Damit fällt freilich das kanonische Recht der katholischen Kirche,
das Gesetz und Erfüllung, Gesetz und Evangelium nicht unterscheidet,
sondern vermischt. Aber es fällt nicht weniger der spiritualistische An-
tikatholizismus Rudolph Sohms, der Gesetz und Evangelium ebensowenig
unterscheidet, weil er sie trennt, was Martin Luther nicht getan
hat, wie der Verf. zutreffend betont (S. 11, 68, 87, 134, 154, 247). In
Wahrheit ist der Sohmsche „Radikalismus" gar nicht so radikal, wie er
sich gibt, weil er nicht an die Wurzel der Dinge herangekommen ist. Er
ist nicht radikal, sondern extrem, weil er einseitig und darum ungerecht
ist und bleibt. Er ist das eine Extrem, dessen anderes die Kanonistik
ist, aber auch der Antinomismus Leo Tolstois, der nicht nur das Kirchen-
recht, sondern das ganze Recht auf dem Scheiterhaufen seiner großen
Worte und Bilder verbrennt, wie der Verf. zutreffend erkennt (S. 2o0 ff.);
freilich ohne deshalb ganz in die Tiefe der Dinge einzudringen, weshalb
er in der Ablehnung jedes jus divinum (S. 253/269 f.) Sohm größere
Zugeständnisse macht, als ihm in einer christlich und nicht nur säkular
verstandenen Rcchtslehre zu machen sind.

In einer evangelisch verstandenen Rechtslehre, die Sohm leider
nicht kennt und anerkennt, weil er vor der Kanonistik Angst
hat, um das zum Schluß mit einigen Worten wenigstens anzudeuten
, ist die Gerechtigkeit nicht zweidimensional wie bei Aristoteles
, auch nicht dreidimensional wie bei Hegel, sondern vierdi-
mensional, weil sie nicht nur austeilend, austauschend und strafend
, sondern auch und vor allem heilend ist, so gewiß sie das
Heil der Völker ist, das sie erhöht (Spr. 14 v.34). Diese vierte
Dimension der heilenden Gerechtigkeit übersteigt zwar unser
Vorstcllungsvermögen, das an die Dreidimensionalität des Körperlichen
gebunden ist. Sie ist daher in der austeilenden, austauschenden
und strafenden Gerechtigkeit verborgen wie der
Schatz im Acker (Mt. 13 v. 44). Aber sie ist dennoch da, weshalb
sie weder „gleichgeschaltet" noch auch „totgeschwiegen" werden
darf, weil sie der Ausdruck des Geistes ist, der den Körper lebendig
macht und weht, wo er will, weil er die Freiheit selber ist.
Ohne die heilende Gerechtigkeit der Kirche Christi, die mit der
Gnade im Bunde ist, sind die austeilende Gerechtigkeit der Gemeinschaft
, die austauschende Gerechtigkeit der Gesellschaft und
die strafende Gerechtigkeit des Staates tot wie der Buchstabe,
der tötet.

Das wolle man bedenken, ehe man mit R. Sohm und seinen
unbedingten oder bedingten Anhängern erklärt (S. 234, 244,
253, 270), daß Kirche und Recht ebenso wie Liebe und Recht,
Gnade und Recht, Evangelium und Gesetz schlechthin unversöhnliche
Gegensätze seien. Das sind sie deshalb nicht, weil sie in
Jesus Christus, der Gericht und Gnade für uns ist, miteinander
versöhnt sind (2. Kor. 5, v. 19). Das ist jetzt noch verborgen vor
unseren Augen, wie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg
(Mt. 20 v. 1 ff.) lehrt, auf das sich der Verf. mit Recht bezieht
(S. 270), wird aber am Ende aller Tage in seiner ganzen Herrlichkeit
allen Völkern offenbar werden (l.Joh. 3 v. 2). Die Frage
Sohms nach dem Verhältnis von Kirche und Recht im Kirchcn-
recht ist somit die Frage nach Jesus Christus, weshalb sie eine geschichtliche
, nämlich eine heils- und endgcschichtliche, eine es-
chatologische Frage ist (S. 23), die auch nur so beantwortet werden
kann. Vielleicht hat der Verf. das gemeint, als er von dem
..gesunden Normalfall einer fruchtbaren Wechselwirkung zwischen
Recht und Christentum" redete (S. 268), was freilich nicht ganz
glücklich ausgedrückt ist.

Tübingen Walther Schönfeld

PHILOSOPHIE UND HELIGIONSPHILOSOPHIE

Moore, Charles A.: Essays in East-West Philosophy. An Attcmpt at
World Philosophical Synthesis. Ed. with an lntroduction. Honolulu:
University ot Hawaii Press 1951. XU, 468 S. geb. $ 5.—.

Dieser inhaltsreiche Band ist der austührliche Bericht über
die zweite „ost-westliche philosophische Konterenz", die an der
Universität Honolulu auf Hawaii 1949 veranstaltet worden ist
und sechs Wochen gedauert hat. Er enthält alle Vorträge, die
auf der Konferenz gehalten wurden, in fast vollständiger Wiedergabe
sowie einen Bericht über die nebenher abgehaltenen
Seminare (Diskussionen), so daß man ein klares Bild von der Arbeit
jener bedeutsamen Tagung gewinnt. Ein recht umfassendes
Material ist von den zwanzig Vortragenden dargeboten worden,
deren Mehrzahl amerikanische, japanische, chinesische und indische
Universitäten repräsentierten, zu denen sich ein indischer
Mönch, vor allem aber Sir C. P. Ramaswami Aiyar gesellte, der
als früherer Ministerpräsident von Travancore und Vicekanzler
der dortigen Universität und als Wirtschaftswissenschaftler seinen
besonderen Beitrag beisteuerte.

Dem Verlangen nach einer Einheitlichkeit der religiösen
Anschauung und des religiös gegründeten Lebens, von dem ich
anläßlich des Buches von Watts (ThLZ 1952, 2 Sp. 100—105)
sprach, geht das Verlangen nach einer Weltphilosophie parallel,
und der Versuch, zu einer solchen zu gelangen, ist, so nebulos
auch zunächst der Ausblick scheinen mag, durch die Hawaiische
Tagung angebahnt worden und hat, wie das vorgelegte Material
bekundet, immerhin zu greifbaren Ergebnissen hinsichtlich
des eingangs der Konferenz vorsichtig eng umschriebenen Zieles
geführt, dank der außerordentlichen Mühewaltung von Professor
Charles Moore, für den die einheitliche Weltphilosophie ein
„gebieterisches Ideal" bedeutet. Er sagt, daß der Zweck der Konferenz
war, „die Möglichkeit einer Weltphilosophie zu studieren,
die durch die Synthese der Ideen und Ideale des Ostens und Westens
zustande kommen könnte". Dabei war von vorn herein
ins Auge gefaßt, daß es sich zunächst nur um die vollständige
Verarbeitung des ungeheuren Materialcs an Anschauungen, Prinzipien
, Methoden handeln könne, nicht aber um die Verwirklichung
der einheitlichen Weltphilosophie selber. Was man aber
erreichen wollte und zu einem gewissen Grade auch erreicht zu
haben glaubt, ist vor allem die Bereinigung der Grundsätze der
Erkenntnismethode und, wenn auch nicht ganz ebenso weitgehend
, die faktische Stelle der Metaphysik.

Unter den Forschern auf dem Felde der vergleichenden Philosophie
ist es ebenso wie unter denen der vergleichenden Religionskunde
längst kein Geheimnis mehr, daß die weitaus größere
Menge der Schwierigkeiten, die sich einer Synthese entgegenstellen
, auf Mißdeutungen und Mißverständnissen beruhen. Dieser
Umstand schließt allerdings nicht aus, daß die Systeme und
Systemansätze, die namentlich in Indien und China begegnen,
derartig viele Varianten und Nuancen aufweisen, daß eine kurze
alle umfassende Einheitsformel für die Substanz ihrer Weisheiten
auch und gerade bei genauester Kenntnis ihres Wesens kaum
erreichbar ist. Um so dringlicher und wichtiger wird dann allerdings
die Frage, ob eine metaphysische Basis vorhanden ist; nicht
eine ihnen allen gemeinsame Metaphysik, sondern eine Metaphysik
, welche die Basis für das Erkenntnisverfahren, für die
Ethik und die Soziologie ist. Das ist ein außerordentlich hartes
Problem nicht nur für den westlichen, der Metaphysik sehr lange
abgewandten, sondern auch für den östlichen Menschen. Hier
steht man von Anfang an vor der Schwierigkeit, daß originale
zuverlässige Darstellungen der einzelnen Zweige und Schulen
angesichts der hydrisch aufgeschossenen Systeme und Systemchen
nur spärlich vorhanden sind. Aber eben diese Mannigfaltigkeit
, die zuweilen an Unübersichtlichkeit grenzt, ist auf der anderen
Seite ein Zeichen für ein Streben nach Ausgleichung und
Aufeinander-Hinarbciten innerhalb der östlichen Gebiete, ein
Streben, das schon mitten im zweiten Weltkriege 1939 Radha-
krischnan zu seinem Werke „Eastern Rcligions and Western
Thought" veranlaßt hatte, in dem er einen neuen Humanismus
vorausschaute, nicht auf der flachen Linie des eudämonistischen
Rationalismus, sondern entsprechend dem Verlangen der Völker,