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Ausgabe:

1953

Spalte:

532-533

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bopp, Linus

Titel/Untertitel:

Unsere Seelsorge in geschichtlicher Sendung 1953

Rezensent:

Hahn, W.

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 8/9

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seit je die Homiletiker — aber wer beachtet sie? Es gibt zweifellos
unter den Predigern ernsthafte Anhänger dieser oder jener
Homiletik, aber man müßte so, wie Huijser einst, als reformierter
Prediger zu Westerlee im Groningischen, die sämtlichen Homiletiken
selbständig auf ihre Tragkraft prüfen und das Resultat
auf die eigene Predigt anwenden. Jedenfalls kann man heute
noch (als Homiletiker wie als Prediger) eine Menge lernen, wenn
man die 1941 bei Wever in Franeker erschienene Dissertation
Huijsers „Die Paränese in der Predigt" studiert, eine Homiletik
von der Paränese her, ebenso selbständig als gehaltvoll (ein
wichtiger Beitrag übrigens zum Thema ,,Indicativ-Imperativ im
NT und in der Predigt").

Nun liegt also von demselben Philipp Jacob Huijser eine
Studie über das „Exempel in der Predigt" vor (1952). Schon in
seinen Promotionsthesen (These XVII) wies er auf das „Exempel
in der Predigt": „Dem .Exempelpredigen' liegt ein bedeutsames
Wahrheitselement zugrunde, das nicht zum Schaden der reformierten
Homiletik und Predigt disqualifiziert werden darf". Und
in der Dissertation wurde (vgl. S. 106 f.) die Wichtigkeit dieser
Sache betont. (Vgl. auch den Aufsatz Huijsers: „Exemplarische"
prediking, Gereformeerde Theol. Tijdschr. 1950). Das neue
Buch Huijsers ist wieder eine richtige Homiletik, nun vom Exem-
pelgebrauch her, und Frucht eines eingehenden Quellenstudiums.
In der Einleitung breitet Huijser die R e 1 i g i o n s- und Rhetorik
-Geschichte aus, insoweit sie das „Exempel" betrifft
. Die erste Abteilung des Haupttextes redet dann von dem
Exempel in der Predigt der Bibel (von Mose zu Jesus und bis
zum Hebr.). Die zweite Abteilung bringt eine selbständige und
einzigartige Geschichte der Predigt im Hinblick auf
das Exempel in der Predigt. In der dritten Abteilung bemüht sich
Huijser um die Normen der Exempclbenützung beim Prediger
. Zahlreiche Proben in jeder Abteilung fesseln die Aufmerksamkeit
des Lesers. Und am Schlüsse jeder Abteilung steht
eine Fülle von Anmerkungen, welche die Literatur zur Sache
verzeichnen, darunter viel deutsche Literatur — aber immer
führt Huijser zur einschlägigen niederländischen Literatur hin,
was für uns Deutsche besonderen Wert hat.

Die von der Religions- und Rhetorik-Geschichte des „Exem-
pels" handelnde Einleitung vertieft das Bild der „Wanderung
der Motive" — beliebte christliche Predigt-Exempel legten einen
Weg aus Ägypten, Babylon, Assyrien, Indien usw. bis in die
christliche Predigt zurück. Huijser schließt die Einleitung mit
einer Definition des Predigt-Exempels: Das Exempel in der Predigt
„ist das konkrete Vorbild, dessen der Prediger sich bedient,
um die religiös-ethische Wahrheit, die er verkündigt, zu illustrieren
, damit sie desto klarer und überzeugender vorgestellt
wird und einen umso lebendigeren Eindruck auf den Geist seiner
Hörer macht". (Schon hieraus folgt, daß der Wahrheit nicht mit
Unwahrheiten gedient werden kannl) In der dritten Abteilung
des Haupttextes umschreibt Huijser die Bedeutung des Exem-
pels näher so: Die Exempelanführung zieht die Aufmerksamkeit
auf den Hauptgedanken der Predigt — fördert die Erkenntnis —
hat Überzeugungskraft — reizt den Willen — wirkt auf das Gefühlsleben
— stärkt das Gedächtnis dem Worte Gottes gegenüber.

Gehen wir auf die drei Hauptabteilungen näher ein, so
ist dies das Bild, das sich uns bietet: Die erste Abteilung des
Haupttextes unseres Buches kämpft für die Biblizität des Exem-
pelgebrauchs. Am Pentateuch, an den Weisheitsbüchern, an den
Propheten, Psalmen wird der Exempelprediger seiner Sache gewiß
gemacht; dann eindringlich an Jesus selbst; schließlich an
Paulus, Jacobus, Petrus, Johannes, Judas, Hebr. — wobei die
große Frage: Predigt oder „Predigt?" immer mitläuft und Unbehagen
macht, aber den Faden nicht durchschneidet. Sehr interessant
sind dabei drei Gedankengänge: Inwiefern sind die Wunder
Jesu durch die älteste Predigt (oder „Predigt"?) als Exempel
benützt worden und haben als solche in den Evangelien Platz
bekommen? Und: Können wir die Gleichnisse, die wir in dem
synoptischen Evangelien vielfach antreffen, als Exempel in Jesu
Predigt bezeichnen, und wenn ja, inwiefern? Zum dritten: Die
„Verhüllungs"- und „Verstockungs"-Hypothese wird eingehend
besprochen, das Iva Mc 4. 12 und Lc 8. 10 wird nach dem <hi
von Mt 13,13 ausgelegt. Auch wo Huijser nicht überzeugt,
bringt er jedenfalls beachtenswerte Argumente für die Diskussion
und setzt sich ernsthaft mit der exegetischen Wissenschaft
ins Benehmen.

Die zweite Abteilung des Haupttextes („Historisch Ge-
deelte") gibt in 4 Paragraphen (auf 74 Seiten Text mit 16 Seiten
Anmerkungen) einen mit vielen Mustern geschmückten
Durchblick durch die Geschichte der Predigt von der ältesten
christlichen Zeit bis ins 19. Jahrhundert, unter dem Spezialge-
sichtspunkte: Exempelbenützung. Hier hat Huijser durch eingehende
Quellenstudien die Kraft erlangt, bekannte Linien neu
und mit bisher nicht möglicher Schärfe zu ziehen. Kein Geschichtsschreiber
der Predigt darf künftig Huijsers Forschungen
ungenützt liegen lassen; er muß allerdings beachten, daß z. B.
die christliche Bedeutung der mittelalterlichen Volkspredigt mit
dem (richtigen) Urteil Huijsers über ihren hybriden Exempel-
gebrauch nicht erschöpft ist — erst recht nicht (was auch Huijser
sieht) die Bedeutung der Predigt Luthers, aber auch Scrivers.
Auch im Hinblick auf den nicht vorbildlichen Exempelgebrauch
der mittelalterlichen Volkspredigt wäre noch zu untersuchen,
wie die Hörer auf jene „Exempel" reagierten, ob zustimmend
oder mit Kritik, Ablehnung, ja Gelächter. Die Vorliebe der Hörer
speziell für „Legenden und Mirakel" hatte ja einen sehr ernsten
Grund: Man hungerte und dürstete darnach, daß wieder
„etwas geschehe", und man nicht bloß mit Lehren oder längst
gewesenen Taten aus der Zeit Jesu und der Apostel erquickt
werde; jetzt, in der Gegenwart sollte die geglaubte und erhoffte
Ewigkeit in den Alltag hereingreifen! Man könnte Gregor den
Großen geradezu unter die Kategorie bringen: Merkt, ihr Christen
, es „geschieht" immer wieder etwas! Bloß daß dieses in
„Legenden und Mirakeln" auftauchende Geschehen oft wahrhaft
häretisch den Ton auf Unbetontes zu bringen geeignet ist.
Das war bei Luther anders: seine „Exempel", auch wo sie Huijser
nicht gefallen, legten den Ton auf die Hauptsache!

Die dritte, normative, Abteilung („Constructief Gedeelte")
dürfte Huijser selbst die wichtigste sein. Und sie hat in der Tat
Gewicht. Man bekommt hier ein weises und nach jeder Richtung
sachkundig abgewogenes Urteil über die in der Praxis anzustellende
Exempelbenützung in der Predigt. Wenn doch dieses
Urteil zum sensus communis würde! Huijser läßt als Quellen
des Predigt-Exempels die Hl. Schrift gelten, dazu die Historie,
auch aktuelle Gegenwarts-Ereignisse, auch die praktische Erfahrung
, die Literatur, ja die Phantasie, und er erschrickt auch nicht
vor Exempel-Sammlungen für die Predigtarbeit — aber er verlangt
Theologie, Kritik aus Theologie, Vermeidung der in der
Vergangenheit der Predigt aufgetauchten Gefahren des „Excm-
pels". Auch beim guten Exempel (und für die Auswahl) gilt die
Maxime: Das Exempel hat in dienender Stellung zu bleiben!
(Die Katechetik hat ja hier längst Ordnung geschaffen: Hauptstoff
— Parallelstoffe — Hilfsstoffe.) Das Wesen des guten Exem-
pels deutet Huijser mit den Merkmalen: Deutlichkeit, Abwechslung
, Wahrheit, („Bekehrungsgeschichten auf der Kanzel stehen
im Allgemeinen nicht im besten Geruch"), Erbaulichkeit, (,,wic
steht es mit dem Humor?").

Zu den reichen Literaturangaben nenne ich noch: Bengt Strömberg
, Magister Mathias (!) och Fransk Mendikantenpredikan, Stockholm
1944 — Albert Wifstrand, Andlig Talekonst, Stockholm
1943 (beide Werke in „Samlingar och Studier" ed. Pleijel).

Augsburg Leonhard Fendt

Bopp, Linus: Unsere Seelsorgc in geschichtlicher Sendung. Wege zu
einer gültigen Pastoration. Freiburg: Herder 19 52. 78 S. gr. 8° =
Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge, hrsg. v. F. X. Arnold.
Bd. IV. kart. DM 4.80.

Bopp geht es in seiner als „Tatbuch" gedachten Schrift um
eine Hilfe für den Seelsorger und seine Mitarbeiter, die durch die
geschichtliche Entwicklung und insbesondere durch die bedrohliche
Kampfsituation der christlichen Kirche entmutigte Gemeinde
„zum muthaften Anpacken der erkannten Aufgabe aufzurufen".
Das Buch will die von A. Schütz gestellte Frage beantworten:
„Wie können wir zu einem Verhalten der Geschichte gegenüber
gelangen, das unser individuelles Leben zum geschichtlichen Berufe
weiht und uns befähigt, am Webstuhl der Geschichte sitzend,
manche Faser in ihr Gewebe einzuarbeiten, aber nicht gerade die