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Ausgabe:

1953

Spalte:

528-530

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Peuckert, Will-Erich

Titel/Untertitel:

Volkskunde 1953

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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wird. Freilich, daß an dieser Stelle Irrentwicklungen drohen,
weiß natürlich der Verf. selbst, der die Vieldeutigkeit des Worts
,,Naturrecht" sich durchaus nicht verbirgt. Aber gerade hier, wo
er nun sich gegen solche Fehldeutungen sichern will, wird seine
Gedankenbildung besonders fragwürdig. Zunächst wird bei der
Frage der verpflichtenden Kraft des Naturrechts betont, daß erst
dadurch, daß es auf Gott zurückgeführt wird, „unerschütterlich
fest verankert" ist (S. 176 f.). Sodann aber wird im Zusammenhang
mit der Erwägung der Tatsache, daß es doch sehr schwer
ist, festzustellen, wie weit die Zuständigkeit des Naturgesetzes
reicht, weil oft die Sachlage sehr verwickelt ist, weil eben doch
die Erbschuld zu einer Verdunkelung des Verstandes führt, weil
zudem unter dem Einfluß menschlicher Leidenschaften die Lehrentwicklung
falsche Wege gegangen ist, folgender Satz formuliert
: „Gott übertrug der Kirche die Vollmacht und die Verpflichtung
, auch das Naturgesetz zu künden und zu deuten, und
zwar unfehlbar sicher; sobald die Kirche etwas als naturgefordert
oder naturwidrig erklärt, obliegt der Wissenschaft die Aufgabe,
diese Wahrheit in und aus ihren naturrechtlichen Gründen und
Zusammenhängen einsichtig zu machen" (S. 200 f.). Wird damit
nicht doch wieder der naturrechtliche Ausgangspunkt zu Gunsten
eines päpstlichen Rechtspositivismus verlassen? Zudem kann sich
der Verf. ehrlicher Weise selbst nicht verbergen, daß man unter
den heutigen Verhältnissen mit dem „ewig gleich bleibenden"
Naturrecht nicht sehr weit kommt. Auf S. 271 wird im Zusammenhang
der Erörterung der Frage, ob man außer von ausgleichender
, austeilender und gesetzlicher Gerechtigkeit auch noch
von sozialer Gerechtigkeit sprechen könne, zugegeben, daß „die
soziale Ordnung sehr wandelbar ist und das Gemeinwohl sich
nicht immer auf gleiche Weise verwirklichen lasse" und infolgedessen
die Bereitschaft gefordert, „der sozialen Ordnung entsprechend
den jeweiligen Notwendigkeiten zu dienen, also nicht
stur im Hergebraditen zu beharren, sondern dem Leben Rechnung
zu tragen."

Es wäre zu den Ausführungen des Buches noch viel zu sagen.
Zur Gesamtcharakterisierung sei noch hinzugefügt, daß das Buch
sich im wesentlichen auf einer an Aristoteles sich anschließenden
ethischen Sozialphilosophie aufbaut, also auf einer Tugendlehre,
die die Tugend der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Am
Schluß wird dann freilich — in einer übrigens z. T. sehr feinen
Weise — auch von der Liebe als der Tugend, die einerseits nie
Gerechtigkeit verweigert, andererseits aber doch weit über sie
hinausgeht, gesprochen. Freilich gerade hier fällt auf, wie unscharf
die katholische Sozialethik trotz alles Wertlegens auf
klare Begrifflichkeit in dem Augenblick wird, wo sie den Boden
der aristotelischen Ethik verläßt. Zu einer klaren Unterscheidung
etwa zwischen Liebe zum Werthaften (eros) und Liebe auch zum
Unwerthaften (agape) kommt es ebensowenig, wie zu einer klaren
Abgrenzung der Liebe als Barmherzigkeitsübung und der
Liebe als persönliche Hingabe im Dienst Christi am Nächsten.
Es hängt das wohl damit zusammen, daß diese Art Ethik im
Bereich des Gesetzes (auch des Gesetzes Christi) hängenbleibt,
infolgedessen das im christlichen Sinn Sittlich-Gute wesentlich
nur als Tat, als Handlung kennt, aber nicht auf die innerlich
umwandelnde Begegnung mit der Liebe Gottes in Christus
zurückführt.

Erst wenn das Werk vollendet vorliegt, wird man erkennen
können, ob diese kritischen Anmerkungen zu Recht bestehen. Es
muß aber zum Schluß noch eine besondere Befürchtung ausgesprochen
werden. Die Gefahr eines solchen Katechismus besteht
vor allem darin, daß der Leser denken könnte, er fände hier fertige
Rezepte für sittliche Verhaltensweisen vor, die ihm die eigne
Entscheidung ersparen. Damit wird aber verkannt, daß die Eigentümlichkeit
des christlichen Sittlich-Guten im Unterschied vom
rein Legalen darin besteht, daß es immer nur, zwar im Blick auf
Gottes Gebot, aber zugleich auf den Beruf des Christen, die
Liebe, mit der wir geliebt sind, weiter strahlen zu lassen, in
individueller Entscheidung jeder neuen Lage gegenüber verwirklicht
werden kann. Alle gesetzliche Ethik muß sich notwendig in
eine uferlose Kasuistik verlieren, die schließlich doch nie der konkreten
Situation gerecht wird. Eine das konkrete Leben berücksichtigende
Sozialethik kann nur gleichsam Modelle für eigne

Entscheidungen entwickeln, aber nie Entscheidungen „vorschreiben
." Ob nicht mit Notwendigkeit ein solcher von vornherein
autoritativ auftretender Katechismus den Menschen, der plötzlich
vor völlig neuen Lagen steht, dazu verführt, daß er, von der
Kirche im Stich gelassen, direktionslos den Weg völlig verlieren
kann?

Heidelberg R. Hupfeld

VOLKSKUNDE

Peuckert, Will-Eridi, Prof., u. Prof. Otto Laufferf : Volkskunde
. Quellen und Forschungen seit 1930. Bern: Francke 1951.
343 S. gr. 8" = Wissenschaftl. Forschungsberichte, Geisteswiss. Reihe,
hrsg. v. Prof. Dr. K. Hönn. Bd. 14 sfr. 23.50.

Die Wissenschaftlichen Forschungsberichte wollen, wie bekannt
sein dürfte, über den Fortgang der internationalen Forschung
vornehmlich im Jahrzehnt 1939—1949 informieren. Der
zu besprechende 14. Band behandelt die Quellen und Forschungen
seit 1930. Die Arbeit wurde so geteilt, daß im umfangreicheren
ersten Teil Peuckert über die größeren geisteswissenschaftlichen
Fragenkreise, im zweiten Teil Lauffer über die Realienkunde
(Sachgüter) referiert.

Die Leser dieser Zeitschrift dürften in erster Linie an Peu-
ckerts Arbeit interessiert sein. Die wichtigsten Themen bei ihm
sind: Methode und Geschichte, Volksglaube, Sitte und Braudi,
Märchen, Sage und Volkslied. Wer die Inflation der volkskundlichen
Arbeit in Deutschland seit 1933, die unter gleichzeitiger
Abschnürung von der außerdeutschen Forschung vor sich ging,
überdenkt, wird vom Forschungsbericht die Arbeit einer Säuberung
wie einer Information erwarten. Er wird nicht enttäuscht.
Alles Unwerte aus der Produktion der dreißiger Jahre ist ausgeschieden
, der Anschluß an wichtige Teile der internationalen
Forschung hergestellt und eine lebhafte Diskussion der Probleme
erreicht, die nicht selten den Rahmen des normalen Literaturberichtes
sprengt und den Leser mit Spannung den Verhandlungen
folgen läßt, die ihm mit überlegener Sachkunde vorgeführt
werden. Von der auswärtigen Literatur ist vor allem die
skandinavische verarbeitet, — was hier geboten wird, ist erstaunlich
reich und zwingt zur Bewunderung der wissenschaftlichen
Leistungen in den nordischen Reichen wie auch der Beherrschung
der Literatur durch den Bearbeiter. In geringerem Maße
ist englische und französische Literatur verarbeitet. Die Orientierung
über das östliche Schrifttum fehlt.

Den theologischen Leser dürfte die Diskussion der folgenden
Probleme besonders interessieren:

Im Selbstverständnis der Volkskunde
scheint der primitivenkundliche Ansatz überwunden zu sein
(.vulgus in populo'). „Volk" meint die Gemeinschaft Aller. Die
Zeit der einseitig betriebenen Bauernkunde ist vorbei, es wird
an der Volkskunde des Proletariates wie der Kleinstadt gearbeitet
. Immer wieder wird auf zwei Ausgangspunkte zurückgegangen
, den soziologischen und den psychologischen, von denen
aus die Schau des Volkslebens versucht wird. Das Anliegen der
früheren Primitivenkunde ist in die Frage verwandelt, welche ursprungsnahen
Kräfte „immer und überall formbildend und gestaltend
aus dem tiefsten Grunde der Volkheit emporsteigen"
(v. Geramb). So sind die Blicke heute fest den Aufgaben einer
Gegenwartskunde zugewandt. Peuckert hält trotzdem temperamentvoll
an der These fest, die Volkskunde sei „von Hause
aus" eine historische Wissenschaft, und ti sei nötig, „heute ausdrücklich
wieder das historische Wesen der volkskundlichen
Forschung zu unterstreichen". Eine reine Zustandsbeschreibung
ohne historische Tiefe könne Politikern, Pädagogen und Geschäftsleuten
für den Tag nützlich sein, „aber solange nicht der
Versuch gemacht wird, die Genese des heutigen Status zu vermitteln
, ist ihr Tun doch nur ein vorläufiges". Wie wenig solche
Zielsetzung einem trockenen Historismus dienen will, zeigt die
Anerkennung zeitloser Mächte, die schon Herder zu spüren vermeinte
, die in der Ablösung und Umwandlung der Kulturen
(Jäger, Pflanzer, Bürger, Arbeiter) erhaltend, formend und erneuernd
wirksam sind, die der irrationalen Schicksalsmacht zu-