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Ausgabe:

1953

Spalte:

512-513

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Delling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der Gottesdienst im Neuen Testament 1953

Rezensent:

Hahn, W.

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 8/9

512

Entscheidenden, in der Interpretation der paulinischen Lehre vom
Gesetz und Evangelium, liest Nygren mit den Augen Luthers.
Das bedeutet weithin Kongenialität des Interpreten mit dem
Apostel. Aber daneben erhebt sich angesichts der Auslegung
N.s wieder einmal die Frage nach dem theologischen Verhältnis
von Paulus und Luther. N. folgt Luther auch in der Auffassung
von Rom. 7, 14 ff.: der Abschnitt wird auf die „doppelte Lage
des Christen, die durch sein Dasein in den beiden Äonen bedingt
ist" (216), bezogen. Ich habe Nygrens Begründung dafür schon
in einem eigenen Aufsatze dieser Zeitung (1952, Nr. 8
Sp. 475 ff.) kritisch behandelt und darf darauf verweisen. Mir
scheint, daß N. Paulus auch in der Frage des Gesetzes, soweit es
um seine Bedeutung für den Christen geht, mit gnesiolutherischer
Brille liest. Er selber lehnt den „dritten Gebrauch des Gesetzes"
ab und will nun auch den Apostel als Kronzeugen dafür in Anspruch
nehmen. Ob das gelingen kann? Ob N. nicht durch seine
eigene Theologie, deren dogmatisches Recht hier nicht in Frage
steht, gehindert wird, Paulus ganz sagen zu lassen, was er sagt?
Ich kann mir nicht helfen: ich finde die Auslegung von 8,4 und
13,10 gequält. N. meint, daß „das Gesetz bei Paulus überhaupt
nicht die Rolle eines positiven Ideals spielt, das vom Menschen
verwirklicht werden soll." „Ein eigenes positives Gerechtigkeitsideal
stellt das Gesetz nicht auf" (308). Ihm haftet immer „der
negative Zug" an. „Du sollst nicht" — „das ist die Grundform des
Gesetzes." Aber ist das paulinisch? Ist es biblisch-richtig? Darf
man die Prohibitiv-Gestalt der meisten Dekalog-Sätze wirklich
zum entscheidenden Charakteristikum des „Gesetzes" überhaupt
machen? Wie steht es dann mit dem Doppelgebot der Liebe, das
bei Jesus als das Entscheidende im Gesetz zu stehen kommt
(Mk 12)? Es ist doch höchst positiv. Der positive Satz, in dem
Paulus alle Verbote des Gesetzes zusammengefaßt sieht, nämlich
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (13,9) ist
selber ein Satz des Gesetzes, den er zitiert. Das
so verstandene Gesetz zu erfüllen, ist das nicht doch für Paulus
die Wirkung und das Ziel des Evangeliums? Selbstverständlich
hat N. damit recht, daß Paulus „es niemals als Aufgabe des
Evangeliums betrachtet" hat, „ ,die Gerechtigkeit des Gesetzes'
zu ermöglichen" (231). „Gerechtigkeit des Gesetzes" — Paulus
spricht übrigens immer nur von „Gerechtigkeit aus dem Gesetze
"! — ist für den Apostel in der Tat nie etwas anderes als
„Ausdruck für den falschen Heilsweg". Aber „Gesetzesgerechtigkeit
" und „Gesetzeserfüllung" sind doch zwei verschiedene Dinge.
Jene bedeutet, durch Leistungen vor Gott gerecht zu sein meinen;
diese braucht damit nichts zu tun zu haben. Ich verstehe nicht,
wie N. es als einen „für Paulus völlig fremden Gedanken" bezeichnen
kann, „daß der Mensch von Natur aus das Gesetz nicht
zu erfüllen vermag, daß aber der Christ durch die Unterstützung
des Geistes die Fähigkeit erhält, es zu verwirklichen" (308); oder
wie er als Gegensatz dazu formulieren kann: „Ihre (nämlich
derer die ,in Christus sind') Gerechtigkeit besteht schlechthin
darin, daß sie nicht mehr sich selbst leben, sondern daß sie
in Christus sind. Hierdurch und nicht durch irgendeine
Gesetzeserfüllung ist d a s dixa Loy fia
des Gesetzes e r f ü 111" (von N. unterstrichen; 23 3). Der
hier aufgestellte Gegensatz scheint mir Paulus fremd. Dabei meine
ich zu verstehen, was N. will und worin seine Wahrheit liegt. Er
empfindet die große Spannung in der Gesetzeslehre des Apostels.
„Das Gesetz ist für Paulus im wesentlichen Gottes Gegenzug gegen
die Sünde" (308) — wie kann der Apostel dann im Ernste
von „Gesetzeserfüllung" als Ziel der Gnade gesprochen haben?
Ich habe in meiner Schrift „Gebot und Gesetz" (1952) versucht,
diese beiden sich gegeneinander spannenden Seiten der paulinischen
Gesetzeslehre durch die terminologische Unterscheidung
von Gesetz und Gebot zu bezeichnen. Rom. 8, 4 würde dann
bedeuten: die Gebote werden erfüllt (vgl. 1. Kor. 7,19),
nicht das Gesetz. Aber wir müssen uns damit abfinden, daß
Paulus diese erst von Johannes durchgeführte begriffliche Unterscheidung
noch nicht macht, und müssen es dabei bewenden
lassen, daß bei ihm paradoxerweise, trotz allem anderen, was er
über das Gesetz gesagt hat, es doch auch „die Rolle eines positiven
Ideals spielt", daher trotz Nygren S. 202 auch dem Christen
sagt, was er zu tun hat und was von ihm „in Christus"
erfüllt wird.

Zu Einzelheiten der Auslegung Stellung zu nehmen, ist hier
nicht der Ort. Zum Ganzen wäre noch zu erwähnen, daß einige
Abschnitte des Briefes etwas stiefmütterlich-knapp behandelt werden
, so z. B. Teile von Kap. 8 oder der Schluß von Kap. 11. Auf
der anderen Seite hat der Vf. offenbar Schwerpunkte, denen er
sich sehr ausführlich widmet und zu denen er oft Glanzstücke
der Auslegung bietet.

Schließlich sei auf einige Versehen und Druckfehler im Interesse
einer neuen Auflage hingewiesen. l.Kor. 15,21 wird S. 44 und 161
insofern falsch zitiert, als N. unterstreicht „durch einen Menschen";
im Texte steht aber kein hnc, der Ton liegt darauf, daß es ein
Mensch war — N. hat sich durch Rom. 5, 12 ff. verführen lassen. —
S. 56 Z. 16 v. u. ist statt „Glauben" zu lesen „Glaubens"; S. 6, Z. 9 und
S. 126, Z. 9 v.u. statt „Adams" vielmehr „Abrahams"; S. 144. Z. 17
v.u. muß es heißen: „...für eine andere xvpio'r^s". S. 296, Z. 2 ist
statt „Kap. 16" zu lesen „Kap. 1,16".

Die Übersetzung aus dem Schwedischen ist sehr gut lesbar. Auf
S. 67, Z. 5 v. u. („daß diese Deutung mit gewissen Schwierigkeiten vereint
ist") wäre besser zu setzen „verbunden" oder „verknüpft".

Erlangen Paul Alt haus

Delling, Gerhard: Der Gottesdienst im Neuen Testament. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1952]. 174 S. gr. 8°. geb. DM 10.80.

— dass. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1952. 74 S gr. 8°.
DM 9.80.

Die Aufgabe, die sich der Verf. stellt, ist „den urchristlichen
Gottesdienst zu befragen nach seinen kennzeichnenden Merkmalen
". Dabei werden die bisherigen Darstellungen, die einzelne
Züge in der Entfaltung des urchristlichen Gottesdienstes herausarbeiten
oder die Gesamtlinie seiner Entwicklung darstellen, weitgehend
vorausgesetzt. Auf diese Arbeiten wird immer wieder
zurückgegriffen, im Einzelmaterial findet häufig eine andere Beurteilung
statt. Der Verf. verzichtet darauf, das Problem des
urchristlichen Gottesdienstes unter einen übergreifenden Gesichtspunkt
zu stellen und eine Theologie des urchristlichen Gottes-,
dienstes herauszuarbeiten, wenn auch seine Meinung in dieser
Hinsicht immer wieder angedeutet wird. Er geht vielmehr den
einzelnen, durch die Probleme des urchristlichen Gottesdienstes
gegebenen religionsgeschichtlichen, exegetischen und liturgischen
Fragen nach und entrollt das Material, das die neuere Forschung
darbietet, vor uns, nicht ohne selbst viele wertvolle Beobachtungen
und Hinweise hinzuzufügen. Da die Arbeit sich auf den
engen Raum von 174 Seiten beschränkt, kann vieles nur thetisch
hingesetzt und in aller Kürze begründet werden. Auf eine kritische
Auseinandersetzung ist i. a. verzichtet, doch sind die vielfältigen
Verweisungen im Apparat für jeden, der sich mit dem
Problem des urchristlichen Gottesdienstes und mit den Fragen
der Liturgik beschäftigt, eine wertvolle Hilfe, da sie eine schnelle
Orientierung über die einschlägige Literatur ermöglichen. Hier
scheint mir der besondere Wert der Veröffentlichung zu liegen.

Der Verf. geht aus von einer Untersuchung des Verhältnisses des
urchristlichen Gottesdienstes zum heidnischen Kultus einerseits und zum
jüdischen Gottesdienst andrerseits und kommt zu der Feststellung, daß
„die neue Wirklichkeit in Christus, von der das Neue Testament her
lebt, eine völlige Umwandlung, ja Neuschöpfung des Begriffs des Gottesdienstes
zur Folge hat" (S. 19). Auch aus dem jüdischen Kultus werden
nur Einzelheiten übernommen, dabei aber verwandelt. Es ist erstaunlich,
wie wenige Elemente des jüdischen Gottesdienstes vor der urchristlichen
Prüfung bestehen können. Das hat seinen positiven Grund darin, daß
jedes gottesdienstliche Tun der christlichen Gemeinde in der Bewegung
der in Christus gegebenen Heilsgcschichte drinsteht und an ihr mitwirkt
(S. 21). Damit ist aber auch Sinn. Grund. Inhalt und Ziel des urchristlichen
Gottesdienstes bezeichnet. Das alles liegt in der Person Jesu Christi
, in der das Königtum Gottes hier und jetzt Wirklichkeit geworden
ist, verkündigt und auch heute vollzogen wird. Dieses Tun Christi ist
der eigentliche Inhalt des Gottesdienstes. Denn die Verkündigung geschieht
im Grunde nicht durch Menschen, sondern durch Christus selbst,
der in seiner Gemeinde wirkt. In diesem Wirken ist die Erfüllung der
Verheißung gegeben, zugleich weist es über sich hinaus auf das kommende
Reich Gottes. Das alles findet seine Zusammenfassung im Heiligen
Geist. Er ist die esdiatologische Heilswirklichkeit, zugleich aber
auch der Inhalt des Gottesdienstes. Im Geeensatz zum heidnischen Gottesdienst
, der Privatsache bleibt, ist der durch den Geist gewirkte urchristliche
Gottesdienst seinem Wesen nach Sache echter Gemeinschaft.
Der christliche Gemeindegedanke, bei dem die Gemeinschaft in Christus
als ein Organismus der Gemeinde vom Haupt Christus her wächst, ist