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Ausgabe:

1953

Spalte:

509-512

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Nygren, Anders

Titel/Untertitel:

Der Römerbrief 1953

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 8/9

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geeigneten Stellen werden die Quellen selber zum Sprechen gebracht
. Der Verlag war gut beraten, diese, den gebildeten Laien
ansprechende Darstellung in seine Sammlung „Völkerglaube"
aufgenommen zu haben.

Zu bemerken ist noch, daß Verf. sehr viel mehr moderne
jüdische und hebräische Literatur verarbeitet hat, als seine etwas
zufällige Bibliographie ausweist. Thieberger ist ursprünglich Studienrat
aus Prag und seit langem ein Anhänger Martin Bubers,
dessen These eines israelitischen vorkanaanäischen Urmonothe-
ismus er ebenso übernommen hat wie Bubers Beurteilung der
theokratischen Krisis in l.Sam. 8 oder seine Theorie des Prophetismus
. Für die Darstellung der Pharisäer zeigt er sich von
L. Baeck, für die Philos von I. Heinemann abhängig. Das Jose-
phusbild der Sadduzäer und Essäer freilich ist seit den Höhlenfunden
von 'Ain Feshkha unsicher geworden; die Anm. S. 175
über deren Zusammenhang mit den Ebioniten ist sicher falsch
(vgl. Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgeschichte 1951, 322 ff.).

Dem Band sind vier interessante einfarbige Tafeln, eine
Zeittabelle und ein ausführliches Namen- und Sachregister beigefügt
.

Einige Druckfehler (z.B. S. 160 Salomes statt Salomos, S. 165 positiv
statt negativ, S. 193 präzisiert statt gräzisiert, S. 206 Suddazäer
statt Sadduzäer) sind störend; die Fortlassung des sdi°wa bei Trans-
skriptionen ist unschön.

Erlangen Hans Joachim S c Ii o e p s

NEUES TESTAMENT

Nygren, Anders: Der Römerbrief erkl. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1951. 324 S. gr. 8°. DM 14.— ; Hlw. DM 16.80.

Es ist sehr zu begrüßen, daß diese Erklärung des Römerbriefes
, zuerst schwedisch erschienen, dann ins Englische übersetzt
, nun auch in deutscher Übersetzung, von der Gattin des
Verfassers besorgt, vorliegt. Das Buch zeichnet sich aus durch
eine bewundernswerte sachliche und sprachliche Klarheit und zugleich
spannende Lebendigkeit. Es ist erfüllt von dem Pathos
der Freude an dem großen Gegenstande und zieht den Leser in
sie hinein. Es ist so lesbar, so frei von einer theologischen Schul-
und Geheimsprache, daß nicht allein der Theologe, sondern jeder
Gebildete der Auslegung mit Spannung und reichem Gewinn folgen
kann. Dabei hat die theologische Strenge keine Einbuße erlitten
. Der Verfasser vertritt mit großer Energie und sehr bestimmter
Distanzierung gegen andere seine Auslegung. Wie er
selber sich immer wieder mit älteren und heutigen Exegeten auseinandersetzt
, so reizt er auch den Fachgenossen zu neuer Besinnung
, nicht selten auch zum Widerspruch. Das Buch hat ein
scharfgezeichnetes Profil. Nygren trägt seine Auffassung mit
großer Zuversicht vor. Andere Auslegungen bekommen oft eine
schlechte Zensur. Zu Kap. 7, 1 ff. heißt es (198): „Hier, wie so
°ft. hat man ganz unnötige Schwierigkeiten konstruiert. In Wirklichkeit
ist die Sache sehr einfach". Ähnlich mehrfach.

Wollen wir Nygrens Auslegung kennzeichnen, so ist sie
zunächst theologisch im prägnanten Sinne zu nennen. Sie
interpretiert den Römerbrief nicht nur angesichts auch der anderen
Paulusbriefe und des gesamten neutestamentlichen Zeugnisses
, das oft herangezogen wird, sondern auch im Angesichte
der Dogmengeschichte der Kirche, ihrer Fragestellungen und Antworten
, der Reformation, der gegenwärtigen Fragen. Das ganze
»uch ist geprägt von dem starken Eifer um das echte Verständnis
des Briefes, und er ist eins mit dem Eifer um die Sache, um
°ie Reinheit und Klarheit der Rechtfertigungs-Theologie, der
Lehre von Gesetz und Evangelium.

Das leitet schon hinüber zu dem zweiten Charakteristikum:
es ist die Auslegung eines Systematikers. Sie betont mit
besonderem Nachdruck „die außerordentliche Einheitlichkeit und
streng konsequente Gcdankcnfiihrung" des Briefes (106), die
-.unerhörte Konsequenz, die das Denken des Paulus beherrscht"
^?93), und sucht sie immer wieder zum Bewußtsein zu bringen.
Uhnc Wiederholungen zu scheuen stellt N. immer aufs Neue den
Aufbau und Gedankengang des Briefes ans Licht, von dem er
j^gt: „Der Römerbrief ist eine einzige große Einheit, ein innerer
Zusammenhang, der in strenger Folge und Geschlossenheit einzigartig
nicht nur in der christlichen Literatur, sondern in der
Literatur überhaupt dasteht" (19 f.). Das „einzige Hauptthema",
mit dem es der ganze Römerbrief zu tun hat, ist natürlich auch
für Nygren die neue Gottesgerechtigkeit, also die Rechtfertigung.
Diese muß aber, will man ihren universalen Sinn bei Paulus erfassen
, gesehen werden auf dem Hintergrunde des Gedankens
der zwei Äonen. Daher stellt N. seiner Auslegung des Briefes
in der Einleitung eine Betrachtung über den Adam-Christus-Abschnitt
5,12 ff. voran: er ist der „Höhepunkt des Briefes", der
„Punkt, von dem aus sich das Ganze am Besten überblicken läßt",
der „Schlüssel zum RBr im Ganzen" (22. 27). 1,18 bis 4,25 gliedern
sich in die beiden Abschnitte „der alte Äon", „der neue
Äon". Dieser Gegensatz beherrscht den Brief, auch wo er nicht
mit jenen Begriffen ausgesprochen wird — er ist die „selbstverständliche
Voraussetzung, von der Paulus den ganzen Brief hindurch
ausgeht".

Die Konsequenz, mit der N. das herausarbeitet, macht einen
besonderen Reiz seiner Interpretation aus. Auf der anderen Seite
ist zu fragen, ob der glänzende Systematiker Nygren den Brief
nicht doch allzusehr systematisiert hat; ob er nicht das Bild des
Denkers Paulus zu sehr nach seinem eigenen, Nygrens, Bilde
gezeichnet hat. Gelegentlich, nämlich gerade im Blicke auf 5,12 ff.,
bemerkt auch er, daß Paulus den Abschnitt „teilweise gegen das
Programm" bringe, daß die Stelle nicht organisch in den größeren
Zusammenhang, in dem er steht, gehöre. Ob das nicht auch sonst
vielfach gilt? Ob Paulus wirklich in dem Maße, wie sein systematischer
Exeget will, ein „Programm" gehabt hat? Ob der Fortschritt
des Gedankenganges so systematisch ist? N. sucht die
Systematik des Briefes vor allem auch in den Überschriften, die
er den einzelnen Teilen und Abschnitten gibt, zur Geltung zu
bringen. Aber eben diese Überschriften scheinen mir oft allzu
rund und einfach, gemessen an dem Texte selbst, zu sein. Einige
Beispiele: die Kapitel 5—8 werden in die vier Abschnitte zerlegt
: frei vom Zorn, frei von der Sünde, frei vom Gesetz, frei
vom Tode. Die beiden mittleren treffen den Inhalt. Aber ist der
reiche Inhalt von 5, 1—11 wirklich beschlossen in dem „frei vom
Zorn"? Und handelt 8,1 ff. nicht, außer von der Freiheit vom
Tode, auch noch einmal von der Freiheit von der Sünde (s. 8,
2. 12)? — Das Stück 1,18—3,20 wird eingeteilt: Gottes Zorn
über die Ungerechtigkeit der Heiden, Gottes Zorn über
die Gesetzesgerechtigkeit der Juden. Aber redet Paulus
mit dem Juden 2,1 ff. wirklich von dessen „Gesetzesgerechtigkeit
" und nicht vielmehr gerade auch von seiner Ungerechtigkeit
, seinem Nicht-Erfüllen, von der „Übertretung" des Gesetzes
(2,27; vgl. 3,5: „unsere Ungerechtigkeit")? Auf S. 90 heißt es:
„das Sich-Verlassen des Juden aufs Gesetz, auf seine Gesetzesgerechtigkeit
". Aber ist das das Gleiche? Unter Gesetzesgerechtigkeit
versteht man üblicherweise etwas anderes als die Gerechtigkeit
, „die im Besitze der Kenntnis Gottes und seines Willens
besteht" (91) — nämlich die Erfüllung des Gesetzes;
Paulus klagt den Juden aber dessen an, daß er diese Gerechtigkeit
nicht besitze. Die Überschrift führt also irre. — Als Überschrift
zu 4, 13—15 setzt N.: „Nicht durch das Gesetz wurde
Abraham gerecht". Das entspricht formell genau der Überschrift
über das vorangehende Stück, aber nicht dem Inhalte dieses Abschnittes
, der vielmehr von der Frage der Gerechtigkeit Abrahams
zu der nach der an ihn ergangenen Verheißung weiterführt;
die Überschrift müßte lauten: „Nicht durch das Gesetz empfing A.
die Verheißung." Auch hier verdeckt der systematische Einheitswille
des Vf. die Pluralität der Paulusgedanken. — Die Ermahnungen
in 12,3—21 stellt N. unter die beiden Themen „in Christus
wandeln", „in der Liebe wandeln". Erstere Überschrift ist
viel zu allgemein: sie läßt nicht erkennen, daß es sich in 12, 3—8
um die Einordnung der mit Gnaden und Ämtern Betrauten in
die Gemeinde, den Leib Christi, handelt. Und die zweite
Überschrift ,.in der Liebe" trifft nicht alles in 12,9 ff.; z. B. V. 12
nicht. Ich glaube es N. auch nicht, daß die Einzelmahnungen überall
in sinnvoller Anordnung einander folgen (293); sie sind z. T.
nur lose und mehr zufällig aneinandergereiht.

Als drittes Kennzeichen der Auslegung N.s ist ihr lutherischer
Charakter festzustellen. Er bedeutet nicht, daß N.
überall Luthers Exegese folgte. Daß er alles dem Gedanken der
beiden Äonen unterordnet, hat an Luther kein Vorbild. Aber im