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Ausgabe:

1953 Nr. 7

Spalte:

435-436

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

March, Hans

Titel/Untertitel:

Kernfragen des Lebens 1953

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

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Seite 1

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435

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 7

436

PRAKTISCHE THEOLOGIE

March, Hans, Dr. med.: Kernfragen des Lebens. Von Not und Leid,
von Kind und Ehe, vom Helfen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1951]. 128 S. 8°. kart. DM 5. 80.

Diese drei Abhandlungen eines christlichen Arztes haben
darin ihre Eigenart, daß sie viele Menschen heute bedrängende
Nöte zunächst mit den Mitteln der Tiefenpsychologie in ihren
innersten Zusammenhängen und Motiven, die ihnen gewöhnlich
verborgen sind, aufdecken, daß dann aber von der christlichen
.Botschaft her in diesen Nöten Hilfe zu bringen versucht wird.
Dabei werden sowohl das Leid (1. Abhandlung), wie auch die
Ehenöte (2. Abhandlung) nicht rein individuell ins Auge gefaßt
, sondern im Zusammenhang der umfassenden Kollektivnöte
betrachtet. Dementsprechend erwartet der Verf. eine Heilung
des Leidens nicht etwa von einer individuellen Sinndeutung
des Leidens, sondern einerseits von der mittragenden Bruderschaft
verstehender Liebe, andererseits, weil die Wurzel des Leidens
in der kollektiven und individuellen Gottentfremdung, d. h.
in der Sünde, gesehen wird, davon, daß dem leidenden Menschen
gerade auch in der Gemeinde der Gotteskinder die vergebende
Vaterliebe Gottes begegnet. Analog wird die Wurzel der Ehe-
krisis in der Ichbezogenheit der Ehegatten, die sich der Schöpfungsordnung
der Ehe als einer auf das Kind bezogenen Gemeinschaft
zu entziehen suchen, gesehen. Weil in der „romantischen"
Ehe die Partner vor allem an ihr persönliches Glück denken und
auch das Kind höchstens als Glücksfaktor für die Eltern, nicht
aber um seiner selbst willen wollen, müssen auch für das Kind
selbst, wie ausführlich aufgewiesen wird, seelische Verbiegungen
entstehen. Auch hier kann die Ehekrisis allein von der Bibel her
überwunden werden, d. h. davon, daß die Eltern sich im Kind beschenkt
und am Kind in Verantwortung gestellt wissen. Diese
beiden Abhandlungen halte ich für sehr wertvoll. Die Grenze
zwischen Psychanalyse und Seelsorge wird genau eingehalten. Und

wenn auch der Satz: man dürfe nicht nach dem individuellen Sinn
des Leids fragen, sondern müsse es als Sündenfolge verstehen,
angesichts dessen, daß dieser Satz doch sehr mißverständlich ist
und in dieser Allgemeinheit jedenfalls durch das Neue Testament
nicht gedeckt ist, angezweifelt werden kann, so können doch diese
beiden Abhandlungen sehr hilfreich sein und man möchte das
Buch in den Händen vieler wissen, die von den beiden hier besprochenen
Nöten angefochten werden.

Etwas mehr Bedenken habe ich der 3. Abhandlung gegenüber
, die vom „Helfen" spricht. Ich fürchte, daß sie, statt zu
helfen, manche völlig ratlos machen könnte. Sachlich freilich ist
sie sehr wertvoll, insofern sie in eindringlicher Weise den aus
natürlichen Impulsen sich zum Helferamt Drängenden zum Bewußtsein
bringt, wie in vielen Fällen solche natürliche Liebeswilligkeit
von im Grunde ichhaften Motiven bestimmt sein kann.
Zweifellos kann es für die Helfenden nur gut sein, wenn sie sich
einer tiefenpsychologischen Selbstklärung nicht entziehen. Aber
das Negative kommt doch hier allzu ausgiebig zu Worte, so daß
ich mir denken könnte, daß manche, statt den Anruf des Gleichnisses
vom barmherzigen Samariter, mit dem das Büchlein schließt,
wirklich zu hören, völlig resignieren. Hier scheint mir eine Gefahr
der Tiefenpsychologie offenbar zu werden: sie ist ein glänzendes
Mittel seelischer Diagnose, aber man kann nicht, ohne
daß die Gefahr eines Steckenbleibens in unfruchtbarer Selbstreflektion
entsteht, den Menschen einer solchen ausgiebigen
Durchleuchtung unterziehen. Man macht immer wieder die Erfahrung
, daß Schriften, die in Lebenshemmungen helfen wollen,
die Hemmungen, die man ja dann ausführlich besprechen muß,
noch vermehren, statt sie zu beheben. Diese 3. Abhandlung
möchte man mehr in den Händen solcher wissen, die an Menschen
, die in sozialer Fürsorge stehen oder sich für sie ausbilden,
zu arbeiten oder sie seelsorgerlich zu beraten haben. Diese müssen
in der Tat ein umfassendes Bild jener geheimen Ichbezogenheiten
haben, die oft gerade „Virtuosen der Liebe" besonders
beherrschen. Ihnen sei diese Abhandlung sehr empfohlen.

Heidelberg R. Hupfeld

VON PERSONEN

Heinrieb Frick in memoriam

Am letzten Tag des vergangenen Jahres verschied D. Dr. Heinrich
Frick D. D. Glasgow, Professor der Systematischen Theologie und
Religionswissenschaft an der Universität Marburg.

1893 in Darmstadt geboren, verbrachte Frick da auch seine Jugend
und erwarb sich die ersten Elemente der Bildung. Sein Konfirmator, der
spätere Prälat Wilhelm Diehl, hat vielleicht den stärksten Einfluß auf
seine Entwicklung gehabt. Bis zuletzt berief er sich immer wieder auf
diesen volkstümlich klaren, tiefsinnigen Mann. Von ihm dürfte auch
die erste Anregung, sich mit den Problemen der Äußeren Mission zu
beschäftigen, stammen. Das war die Wurzel, von der aus er in die
verschiedenen Gebiete der Theologie hineingewachsen ist. So führte
ihn der Weg zur Religionswissenschaft, in der er mit einer Arbeit über
Ghazalis Selbstbiographie promovierte, zur Praktischen und dann zur
Systematischen Theologie. Von 1929 ab hat er als Nachfolger von Rudolf
Otto in Marburg theologische Systematik in Verbindung mit Missions
- und Religionswissenschaft gelehrt. Eine ausgebreitete praktisch
organisatorische Tätigkeit im In- und Ausland (mehrere Reisen nach
England, den Vereinigten Staaten und Mexiko) erweiterte seine Erfahrung
über das akademische Lehramt hinaus, das durch sie wesentlich
bereichert wurde. Frick hat sich über die meisten jeweils aktuellen Themen
geäußert, sie wurden durch die Gelegenheit und Zeitlage an ihn
herangetragen. Seine Methode war das Gespräch, das dem Partner gerecht
zu werden suchte, und sein Ziel, dadurch zu lebendiger systematischer
Feststellung zu gelangen. Daraus ergibt sich der vermittelnde,
Einseitigkeiten vermeidende Charakter seines wissenschaftlichen Denkens
, das jedoch an den für ihn entscheidenden Punkten der Festigkeit
nicht entbehrte. Er hatte einen festen Grund, zeigte aber zugleich eine
Beweglichkeit, die ihn zeitlebens mit Abneigung gegen abstrakte doktrinäre
Strömungen in Theologie und Praxis erfüllte. Glaube und konkretes
Leben waren die Normen seiner Forschungen.

So ist Fricks Leistung nicht zu verstehen ohne seine religiöse
Persönlichkeit. Er war überzeugter Christ im Sinne der Reformation
Martin Luthers. Diese Bestimmtheit ist noch enger zu fassen;

denn das Reformatorische vergegenwärtigte sich ihm persönlich in der
Eigenart der hessischen Tradition: der hessischen Kirche und des hessischen
Volkstums. Seine Frömmigkeit war seelisch in seiner engeren
Heimat verwurzelt. Immer wieder wußte er fesselnd davon zu erzählen,
nicht ohne oft humorvolle überlegene, aber aus der Verbundenheit mit
der Heimat quellende Kritik an ihren Eigentümlichkeiten. Von da her
stammte sein Sinn für das Volkstümliche in der Erscheinung der Religion
. Er kannte die Notwendigkeit der wurzclhaften Bedingtheit
ihres Ausdrucks in der naturhaften Gegebenheit einer Volksart und
Volksordnung, auf die auch die Missionstätigkeit zu achten habe. Mit
dieser heimatlichen Enge aber verband Frick eine weltumfassende Universalität
, die sich über die Religionen der Erde erstreckte, und nicht
nur über sie, sondern auch über die Kulturen und die weltpolitische
Lage des Erdballs. Weltreligions- und Missionspolitik war ihm ein Anliegen
seines christlichen Glaubens: christlich motivierte Universalität.
Hierfür fand er Ansätze in Luther, nur Ansätze, das geschichtliche Vorbild
aber in Zinzendorfs weltweitem, missionsbereitem Pietismus mit
der Einschränkung, daß Quelle und Ergebnis der Missionstätigkeit nicht
Sekten, sondern Volkskirchen sein müßten. Diese dialektische Bezogen-
heit von Enge und Weite, Heimat und Welt, Wurzel und Baum aufeinander
bildet den Leitfaden von Fricks theologischer Tätigkeit. So wandte
er sich ebenso gegen die sich in der Weltweite verlierende, relativierende
Entwurzelung, wie gegen die selbstgewisse, dogmatische, doktrinäre
Enge. Diese positive Vereinigung der Gegensätze wird motiviert aus
reformatorischem, biblisch begründetem Glauben.

Zeigt sich in Fricks theologischem Denken der Wille zur dialektischen
Synthese, so dasselbe in bezug auf einen anderen Gegensatz,
nämlich dem zwischen substantieller Gegebenheit und Geist, zwischen
Realismus und Spiritualismus, konkreter Gestalt und Wesen. Es gibt
keine wirksame Religion, die sich nicht in irdisch bedingter Gestalt,
in Gedanken, Kultus und Organisation, verbunden mit Volks- und
Kulturgut darstellte. Das aber ist nur Gefäß. Der Inhalt ist vielmehr
das Evangelium, der Hl. Geist, das Reich Gottes, die spirituelle Macht,
welche sich als Gericht, Kritik, Relativierung, In-Fragestellen des konkreten
Gefäßes auswirkt. Reformatorischer Glaube bedeutet eine Fröm-