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Ausgabe:

1953

Spalte:

433-434

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gutwenger, Engelbert

Titel/Untertitel:

Wertphilosophie 1953

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Seite 1

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Bezeichnend für Art und Stil des ganzen Buches sind die
zahllosen, und zwar nicht etwa nur rhetorischen Fragen, mit denen
der Gedankengang ständig unterbrochen wird, (S. 24, 31, 50,
54, 65, 69, 80, 91, 94, 100, 103, 111, 128, 132, 143 ff., 162 f,
189 f, 210, 220, 251, 256) die Verfasserin wollte ja auch nach
ihren einleitenden Worten Hölderlin als Verpflichtung für uns
heute im Fortgange der Geschichte sehen und damit „mancherlei
Fragen anschneiden, die erst der Lösung im Künftigen harren".
Jedoch bleibt es zweifelhaft, ob die bedrängende Problematik
je zu einer letzten Entscheidung kommt, weil der Dichter selbst
in der Überspannung seines geistigen Ringens darüber in Umnachtung
fiel. Jedenfalls besteht das Wort zu Recht (S. 105): „der
Heilige geht von vornherein den Weg der Offenbarung, der Dichter
geht den Erkenntnisweg. Wenn beide den Weg in ungebrochener
Treue zur Berufung im eigenen Gewissen 'treppenweise'
gegangen sind, dann treffen sie sich wohl am Ende in der Unbe-
greiflichkeit Gottes und seiner Wege, die hoch wie der Himmel
sind über Menschenmaß und Menschenberechnung."

Es ist hier nicht der Ort, über Einzelheiten mit der Verfasserin
zu rechten; es wird dem Kenner Hölderlins leicht sein, eine Reihe
von höchst anfechtbaren Auslegungen zu berichtigen, ganz abgesehen
davon, daß zahlreiche Stellen der zitierten Texte bunt
durcheinander gemischt sind, weil nicht die endgültige Fassung
gebracht wird, wie sie Ludwig von Pigenot schon vor drei Jahren
in seiner Ausgabe („Friedrich Hölderlin. Die späten Hymnen."
Stahlberg-Verlag) festgestellt hatte. Ihre gläubige katholische
Einstellung verführt sie allzu rasch zu Mißverständnissen, so wenn
sie die Schlußverse vom Vatikan-Fragment auf die Peterskirche
deutet, während die vergeistigte Natur als Tempel „am Ende der
Zeit" gemeint ist; oder wenn, vom Hyperion-Motto ausgehend,
das Jesuiten-Motiv in geradezu grotesker Weise gelegentlich der
Interpretation von „Andenken" übertrieben wird. Es erscheint uns
auch als verfehlt, Hölderlin so nahe, wie es hier geschieht, an
Paul Claudels geniale Dichtung, namentlich an den „seidenen
Schuh" heranzurücken, während die Vergleiche mit Hölderlins
Zeitgenossen Novalis und Kleist ergiebiger sind. — Alles in allem
das Gegenteil eines wissenschaftlich begründeten Werkes, aber ein
Erlebnisbuch, das auf große, geheimnisvolle geistesgeschichtliche
Zusammenhange hinweist.

Tutzing/Obb. Friedrich Seebaß

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Gutwenge r, Engelbert, S. J.: Wertphilosophie mit besonderer Berücksichtigung
des ethischen Wertes. Innsbruck: Rauch 1952 |dt. Auslieferungsstelle
: Monachia Verl., München]. 208 S. gr. 8° = Philosophie
und Grcnzwisscnsdiaftcn, hrsg. v. Innsbrucker Institut für
sdiolastische Philosophie. VIII. Bd., l.u. 2. H. kart. S 58.50.

Liest man die ersten Seiten dieses Buches, so glaubt man,
einem für moderne Problemstellungen und Problemlösungen aufgeschlossenen
Denken gegenüberzustehen. Liest man aber weiter,
so erkennt man sdion bald, daß die anfänglichen Verbeugungen
des Verfassers vor der modernen Wertphilosophie eine leere
Geste sind und daß es ihm darum zu tun ist, diese wissenschaftlich
zu widerlegen. Die Wertforschung hat in den letzten Jahrzehnten
den Wert immer mehr als ein phaenomenon sui generis,
das eine eigene philosophische Disziplin erfordert, ins Licht gestellt
. Demgegenüber sucht Verf. zu zeigen, daß es eine selbständige
Wertphilosophie nicht gibt und nicht geben kann, daß diese
vielmehr einen „Zweig der Seinsphilosophie" darstellt (S 204).
Die moderne Wertforschung hebt den Wert vom Sein scharf ab
und betrachtet ihn als besondere Sphäre. Davon will Verf. nichts
wissen. Im Sinne des scholastischen Axioms: Omne ens est bo-
num, konfundiert er Sein und Wert. Der Wert entspringt nach
ihm aus dem Sein selber (S. 136). Nach heutiger Auffassung stehen
die Werte dem Seienden als ein Seinsollendes gegenüber. Für
den Verf. liegen sie ganz in der Ebene des Seienden; sie fallen
mit der Kausalität der realen Dinge zusammen (S. 79). Seine Definition
des Wertes lautet: „Wert (Objektwert) ist vervollkommnende
Kausalität" (S. 70). Nach der heutigen Wertlehre gehört
der Wert der Klasse der idealen Gegenstände an, deren Seinsform
das Gelten ist. Wie sehr Verf. diesen Gedanken mißversteht
, bekundet er, indem er darin eine „Hypostasierung" des
Wertes und die Statuierung einer „schwebenden Wertordnung"
erblickt. Eine berühmte Wendung Pascals aufnehmend, kennzeichnen
Wertphilosophen unserer Tage die Wertordnung als
einen „ordre du coeur," d. h. eine Ordnung, die auf die emotionale
Seite des menschlichen Wesens bezogen ist und in einem
Akte des Fühlens zur Gegebenheit kommt. Dem setzt Verf. seine
These entgegen: Die Werte werden mit der Ratio erfaßt. „Der
nüchterne Verstand ist der einzige Faktor, der es mit der Werterfassung
zu tun hat" (S. 114).

Nach Anschauung des Verfassers sind demnach die wesentlichsten
Erkenntnisse der heutigen Wertphilosophie nichts als Irrtümer
. Die Wertprobleme haben nach ihm in der scholastischen
Seinslehre die richtige Lösung gefunden, und darum gilt es, zu
ihr zurückzukehren. Daß die Scholastik in Wirklichkeit die
Wertprobleme nicht nur nicht gelöst, sondern nicht einmal gesehen
hat, daß der Wertbereich als selbständige Sphäre noch gar
nicht in ihr Blickfeld getreten war, für diesen Sachverhalt ist Verf.
völlig blind. So ist sein Buch im Prinzip verfehlt.

Es weist aber auch sonstige Mängel auf. Man kann dem
Verf. den Vorwurf nicht ersparen, daß er die moderne Wertphilosophie
nur unvollständig kennt. Die Wertforschungen von
Dietrich von Hildebrand und Hans Reiner sind ihm unbekannt.
Unbekannt scheint ihm auch die Tatsache zu sein, daß sich verschiedene
kath. Theologen in wesentlichen Punkten auf den Boden
der modernen Wertphilosophie bzw. Wertethik gestellt haben
. (Dahin gehören Steinbüchel, AI. Müller, Müncker, Schöllgen
und Guardini.) Man muß ihm den weiteren Vorwurf machen, daß
er die Gedanken der von ihm behandelten Wertphilosophen vielfach
ungenau und ungewissenhaft wiedergibt. Wenn er nach einem
Hinweis auf Lotze und seine „wertempfindende Vernunft"
bemerkt: „Die Ansicht von der wertempfindenden Vernunft
wurde in unseren Jahrzehnten von den 3 bedeutendsten Werttheoretikern
, Max Scheler, Nicolai Hartmann und Johannes Hessen
, geteilt" (S. 106), so ist das zumindest irreführend. Denn keiner
von den Genannten hat Lotzes Gedanken einfach übernommen
, vielmehr ist jeder von ihnen auf eignen Wegen zu seiner
Auffassung von der Werterkenntnis gekommen, die darum auch
bei jedem ihr besonderes Gepräge hat. Geradezu tendenziös ist
die Darstellung meiner Anschauungen auf Seite 27. Überhaupt
verrät der Gebrauch bestimmter Termini, mit denen Verf. die
Wertphilosophen kennzeichnet, — er bezeichnet sie als „Dua-
listen", „Pluralisten", „Irrationalsten" — deutlich die Absicht,
den Leser gegen sie einzunehmen. Zudem ist der Ton der Polemik
an manchen Stellen alles andere als vornehm. Was soll man
z. B. dazu sagen, wenn den „Pluralisten" ein „schauervoller logischer
Fehler" vorgeworfen wird (S. 77) oder wenn der Begriff
des Unwertes — ein durchaus legitimer Begriff — als „geradezu
falsch gewählt" und als „kurioser Ausdruck" (S. 75 f.) bezeichnet
wird oder wenn Verf. am Schluß schreibt: „Die Negierung Gottes
wirft den Menschen konsequent auf den Egoismus zurück.
Ein atheistischer Humanismus kann sich nur in unlogischen Köpfen
festnisten" (S. 205). So einfach liegen die Dinge nicht! Hätte
Verf. N. Hartmanns „Ethik" in sich aufgenommen, so wäre er in
der Aufstellung der ersten wie auch der zweiten Behauptung
wohl etwas vorsichtiger gewesen.

Wer in einer nihilistisch und existentialistisch angekränkelten
Zeit die Objektivität der Werte im allgemeinen und der sittlichen
Werte im besonderen verteidigt, macht sich um die geistige
Rettung der Menschheit verdient. Insofern ist auch das Bemühen
des Verf. durchaus verdienstvoll. Nur dürften die gedanklichen
Mittel, mit denen er sein Ziel anstrebt, weithin untauglich sein,
ganz abgesehen davon, daß er philosophische Positionen vielfach
mit theologischen Argumenten bekämpft.

Köln Johannes Hessen