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Ausgabe:

1953 Nr. 7

Spalte:

428-429

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Cantimori, Delio

Titel/Untertitel:

Italienische Häretiker der Spätrenaissance 1953

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 7

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Weiterstudium anregen wollen. Die gute Ausstattung des Buches

(Illustrationen: Hanns Bock, Eisenach) rechtfertigt den angesetzten
Preis durchaus.

Tautendorf Helfried Matthes

Kahler, Ernst: Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas
Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De Spiritu et
litera. Einführung und Text. Halle/S.: Niemeyer 1952. VIII, 62*,
134 S. gr. 8° = Hallisdie Monographien, hrsg. v. O. Eißfeldt. Nr. 19.
Kart. DM 17.—.

Das Buch bietet noch mehr, als sein Titel angibt, nämlich
außer dem 1519 erschienenen Karlstadtschen Kommentar zu der
angeführten Augustinschrift mit der vorangeschickten Einführung
eine ebenso gedrängte wie gründliche Kommentierung von 151
Thesen, die Karlstadt am 26. April 1517 bekannt gemacht hat.
Die Thesen sind bereits veröffentlicht worden durch Theodor
Kolde in der ZKG XI, 1890, S. 450 ff. Von der Forschung gewürdigt
sind sie auch, z. B. bei Karl Bauer: Die Wittenberger
Universitätstheologie und der Anfang der deutschen Reformation,
1928. Daß Kähler, z. T. in kritischer Auseinandersetzung mit
Karl Bauer, aber auch mit Hermann Barge u. a. erheblich weiterkommt
und tiefer dringt, liegt nicht zuletzt daran, daß er in
mühsamster Kleinarbeit darum bemüht ist, nach Möglichkeit alle
Bezugnahmen auf Augustin exakt festzulegen. Es zeigt sich dabei
, wie stark Karlstadt von augustinischen Gedanken vollgesogen
ist und wie sehr Augustin durch Karlstadt redet. Kähler
spricht von einem Kompendium augustinischer Theologie, ja von
einer Zitatensammlung aus Augustins antipelagianischen Schriften
(vgl. S. 11 *). Daß in den Thesen schon der spätere Karlstadt
enthalten sei, wie gesagt worden ist, dürfte schwerlich zutreffen.

Was zu der Erläuterung der 151 Thesen gesagt ist, nämlich
daß als hochverdienstlich die entsagungsvolle Ermittelung aller
einzelnen Bezugnahmen auf Augustin angesehen werden muß,
gilt in gleicher Weise für die Edition des Karlstadtschen Kommentars
zu Augustins De spiritu et litera. Über die Grundsätze
seiner Textgestaltung bzw. der Gestaltung des ersten Apparates,
der u. a. die Varianten zu dem Augustintext, der Karlstadt vorliegt
, bringt (der Kommentar Karlstadts ist nur einmal gedruckt,
1519 bei Grunenberg in Wittenberg, und von dem Druck sind
vor dem letzten Kriege noch drei Stücke vorhanden gewesen),
spricht sich Kähler auf S. 60 ff. aus. Darüber, ob es richtig ist,
den Kontext von Fehlern weitgehend zu bereinigen und das, was
der Text eigentlich bietet, in Fußnoten des ersten Apparates zu
bringen, kann man freilich geteilter Meinung sein. Eine außerordentliche
und wohl die Hauptarbeit des Editors hat in dem
zweiten Apparat ihren Niederschlag gefunden. Der Editor ist,
und zwar mit mindestens ganz weitgehendem Erfolg, bestrebt gewesen
, jedes Zitat, sei es nun ein Bibel-, ein Augustin- oder ein
sonstiges Kirchenväterzitat, exakt nachzuweisen — um eine verläßliche
Grundlage zu schaffen für die Interpretation der theologischen
Meinungen Karlstadts und den Nachweis ihrer Quellen.

Die Genauigkeit, mit der gearbeitet ist, empfinde ich als
mustergültig. Über den Zitatennachweis hinaus ist in Fußnotenform
eine Fülle sachlicher Erläuterungen gegeben. Die dem Abdruck
vorangeschickte grundlegende Einführung füllt lediglich den
Raum von 25 Seiten; aber es ist wesentliches herausgestellt,
knapp formuliert und auf engen Raum zusammengedrängt.

Was steht für ein theologisches Anliegen hinter der Herausgabe
gerade dieser beiden literarischen Erzeugnisse Karlstadts,
der Thesenreihe und des als (erstes!) Lieferungswerk erschienenen
gedruckten Vorlesungsmanuskriptes (als solches glaubt
Kähler den Kommentar der Augustinschrift ansehen zu müssen)?
Es ist, um es in kurzen Worten zu sagen, zweierlei noch zu klären
. 1. Wodurch ist es veranlaßt, daß Karlstadt, der 1516 noch
in klarem Gegensatz zu der „Theologie der Römerbriefvorlesung
" stand, recht plötzlich, etwa von 1517 ab, auf die reformatorische
Seite getreten ist? 2. Wie ist es gekommen, daß Karlstadt
nach der immerhin auffallenden Bekehrung zu Luther und
seiner Gnadentheologie zielstrebig und sicher von Luther wieder
abgewandert ist? Natürlich könnten für beides recht verschiedene
Motive wirksam geworden sein. Aber es könnte auch sein, daß
die eigene Weise des „reformatorischen Durchbruchs" bei Karlstadt
diesen grundsätzlich schon auf einen Weg gestellt hat, der
weg von Luther führen mußte. Tatsächlich darf wohl das Ergebnis
von Kählers Karlstadtstudien so wiedergegeben werden. Der
Bruch in Karlstadts theologischer Entwicklung ist zustandegekommen
durch ein selbständiges Augustinstudium, dieses veranlaßt
allerdings durch Luther. Das deutliche Zeugnis des einfachen
Gefangenseins von Augustin sind die 151 Thesen. Das
Ergebnis des Augustinstudiums mußte Karlstadt zunächst einfach
auf Luthers Seite ziehen. Der Kommentar zu De spiritu et litera
zeigt schon mehr als eine einfache Wiedergabe augustinischer Gedanken
, nämlich die Prägung Karlstadts durch ganz bestimmte
Züge der Theologie Augustins. Karlstadts Theologie erweist sich
nun als eine Theologie der Gnade, die vom Infusionsschema nicht
loskommt, darum als eine Heiligungs- und nicht Rechtfertigungstheologie
. Und daß Augustin nicht nach dem Schema Gesetz und
Evangelium, sondern nach dem Schema Buchstabe und Geist gedacht
hat, läßt bei Karlstadt einen Spiritualismus entstehen, der
mit seiner Abwertung des äußeren Wortes sich gegensätzlich stellen
muß zu Luthers Wort- und Schrifttheologie.

Kähler geht in seiner Einleitung davon aus, daß trotz sorgfältiger
Beschäftigung der Forschung mit Karlstadt (Barge, Karl
Müller u. a.) der einheitliche Schlüssel zum Verständnis der Theologie
sowohl als des Handelns Karlstadts bislang noch nicht
gefunden sei. Es sieht sehr so aus, als ob Kähler alle die, die
nach diesem Schlüssel suchen, mindestens in die richtige
Richtung weist. Darüber hinaus darf darauf hingewiesen werden,
daß Karlstadt schwerlich der einzige in seiner Zeit ist, der durch
selbständiges Augustinstudium an die Seite Luthers und dann
doch in Distanz zu Luther gekommen ist. Ich weise hin z. B. auf
das (von mir in ThLZ 1952/10 angezeigte) Buch von Arthur Rieh
über „Die Anfänge der Theologie Huldrych Zwingiis." Es könnten
sich u. U. sehr wesentliche Aufschlüsse über das wahrlich komplizierte
Kräftefeld, das wir die „Reformation" nennen, ergeben,
wenn einmal die Geschichte des Augustinstudiums im Anfang
des 16. Jhdts. geschrieben wäre. Als einen wesentlichen Beitrag
dazu wollen wir die Kählersche Arbeit mit großer Dankbarkeit
entgegennehmen.

Markkleeberg/Leipzig Franz Lau

Cantimori, Delio: Italienische Häretiker der Spätrenaissance.

Deutsch von Werner K a e g i. Basel: Schwabe [1949]. XIV, 509 S.,
1 Titelb. gr. 8°. Lw. sfr. 28.—.

Als vor 13 Jahren die italienische Ausgabe dieses Buches
„Eretici italiani del Cinquecento" (Florenz 1939) erschien, wurde
die deutsche Forschung schon auf dieses umfassende, bedeutsame
Werk aufmerksam. Es kann daher nur begrüßt werden, daß trotz
der Verzögerung durch den Krieg eine deutsche Ausgabe nun vorliegt
. Werner Kaegi, der schon so manches wichtige Geschichtswerk
aus dem Holländischen und Italienischen dem deutschen Leser
zugänglich gemacht hat, legt auch hier eine schöne und elegante
Übersetzung vor. Durch intensive eigene Forschung und
Verarbeitung der vielschichtigen italienischen Studien der letzten
Jahrzehnte zu diesem Gegenstand vermag der Verf. ein reichhaltigeres
und bewegteres Bild zu entwerfen, als wir es vorher
besaßen. Cantimori betont das durch den Humanismus in Italien
geweckte theologische Interesse der Laien und die Anregungen,
die von Florenz in dieser Beziehung ausgegangen sind. Mit dem
Schriftstudium kommen zugleich Kritik und Skepsis auf, die teilweise
durch Aufnahme reformatorischer und „prophetischer" Gedanken
eine allgemeine geistige Unruhe erzeugen. Besonders
beachtlich sind die Hinweise auf das italienische Täufertum, das
seit 1529 auf dieser Grundlage erwächst und immer radikalere
Züge annimmt. In diesem Rahmen geht der Verf. den Einflüssen
Servedes auf das Täufertum und den weiteren Ausstrahlungen
seiner Lehre nach. Die eigentümlichen Gedanken des humanistischen
Kritikers werden in der Schweiz und in den benachbarten
Gebieten verfolgt. Die theologischen Auseinandersetzungen, die
sich auf dieser Grundlage in der 2. Hälfte des 16. Jhs. abspielen,
zeigen die Bedeutung dieser rationalistisch-mystischen Lehren auf.
Beziehungen zu baseler und genfer Theologen werden neu aufgedeckt
oder verdeutlicht. Von besonderem Interesse ist die Darstellung
Lelio Sozzinis, weniger das Eindringen der antitrinita-