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Ausgabe:

1953 Nr. 7

Spalte:

421-422

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Diem, Hermann

Titel/Untertitel:

Grundfragen der biblischen Hermeneutik 1953

Rezensent:

Wiesner, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 7

422

menen Wurzeln und ihrer Ableitungen bespricht Verf. auch das
Problem der sogen, „schwachen" Verben des Semitischen und
belegt mit seinem Material noch einmal die inzwischen wohl allgemein
angenommene Tatsache, daß sie wenigstens z. T. durch
verschiedene Ausbildung zweiradikaliger Stämme, sei es durch
Vokaldehnung, sei es durch Verdoppelung des zweiten Konsonanten
, entstanden sind. Er gibt dann einen Überblick über die
zur Ausbildung dreiradikaliger Stämme verwendeten Konsonanten
, die sich aber nur in wenigen Fällen zu festen Bedeutungskategorien
zusammenschließen. So lassen sich auch für die verschiedenen
Varianten der Lautgebärden gl, kl, ql keine sicheren
Unterscheidungsmerkmale finden. Zum Schluß kommt Verf. noch
einmal auf die von ihm vertretene Hypothese einer Vorstufe des
Semitischen zurück, in der die einsilbige Wurzel allein geherrscht
habe. Er glaubt, sie durch V. Christians „Beweise für eine sume-
risch-semitische Wurzelverwandtschaft, die durch Überlagerung
einer dem Hamito-Semitischen verwandten Schicht durch eine
Sprache mit kaukasischer Verwandtschaft zu erklären sei" (S. 69)
stützen zu können. Solange auf dem Gebiet der semitischen
Sprachwissenschaft noch so viel wichtige positive Arbeit zu leisten
ist, dürfte es verfrüht sein, sich in das Niflheim der Glotto-
gonie vorzuwagen.

Halle/Saale C. Brockel mann

BIBELWISSENSCHAFT

Diem, Hermann: Grundfragen der biblischen Hermeneutik. München:
Chr. Kaiser 1950. 56 S. 8° = Theologische Existenz heute, hrsg. v.
K. G. Steck, u. G. Eichholz. N. F. Nr. 24. DM 2.20.

Aus dem weitschichtigen Fragenkreis der neutestamentlichen
Hermeneutik greift D. das Problem des Vorverständnisses für
den Exegeten in Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann heraus,
demgegenüber er im wesentlichen die Position Karl Barths ins
Feld führt. D. ist mit Bultmann darin einig, daß es eine voraussetzungslose
Interpretation des Neuen Testaments sowenig wie
eines anderen literarischen Dokuments gibt. Aber während Bultmann
die exegetische Befragung des Textes von dem vorläufigen
Existenzverständnis des Exegeten geleitet sein lassen will, das
dann allerdings durch das Hören auf den Text aufs Spiel gesetzt
werden soll, setzt D. als methodisch in Ansatz zu bringendes
Vorverständnis das Dogma der Kirche ein, das dann auch unter
die Kritik des Schriftwortes gestellt wird. Die Bibel ist für den
Exegeten nicht ein Buch unter anderen, sondern sie ist auch ihm
von der Kirche als kanonische Sammlung von Schriften gegeben,
in denen die Kirche das maßgebliche menschliche Zeugnis von
Gottes Offenbarung in Jesus Christus gehört hat. Die Kirche
mutet dem Exegeten die Erwartung zu, eben auch Gottes Reden
aus diesen Schriften zu vernehmen. Eine Auslegung der Bibel
ohne oder gar unter ausdrücklichem Ausschluß dieser Erwartung
kann zwar niemandem verboten werden, muß aber als unsachgemäß
gelten. Damit ist für die neutestamentliche Exegese eine
dogmatische Vorentscheidung getroffen, die der Dogmatiker dem
Exegeten gegenüber geltend machen muß. D. grenzt diese seine
Auffassung gegen die katholische Hermeneutik ab, die die Kirche
bzw. ihr höchstes Lehramt zur allein berechtigten Auslegerin der
bdiritt macht und damit das sich selbstbezeugende autoritative
Schriftwort durch die kirchliche Autorität verdrängt. Er vertritt
demgegenüber den „evangelischen Zirkel zwischen der Schrift und
der hörenden und glaubenden Kirche im Ereignis der Verkündigung
". (S. 13). Dieser Zirkel besteht darin, daß „die Kirche sich
durch die Verkündigung der Schrift konstituiert glaubt und darum
die Schrift zum Kanon ihrer Verkündigung macht" (S. 16). Die
Antwort der Kirche auf die Verkündigung der Schrift hat ihren
Ausdruck gefunden durch ihr Glaubensbekenntnis, ihr Dogma,
das als regula fidei die Arbeit des Exegeten leiten soll. Der Exeget
soll sich durch das Dogma zum Verstehen der Schrift führen
lassen und aus dem Verstehen der Schrift wiederum das Dogma,
das ja in der Schrift begründet sein will, auf seine Richtigkeit
Prüfen. Dem Exegeten ist an Stelle weltanschaulicher und philosophischer
Vorverständnisse die regula fidei „als dogmatisches
Vorverständnis gegeben" (ebenda), das aber seine Ergebnisse nicht

vorwegnehmen darf. D. exemplifiziert diese exegetische Methode
an Beispielen aus Bultmanns Kommentar zum Johannesevangelium
sowie an Hand des vor allem von Vielhauer geltend gemachten
Gegensatzes von lukanischem und paulinischem Kerygma. Freilich
dürfte gerade an diesen Beispielen die Problematik von Diems
Ansatz deutlich werden, wobei wir die Frage offen lassen, wieweit
er mit dem von Barth übereinstimmt. Es ist richtig, wenn
D. davon ausgeht, daß uns die Bibel nicht als beliebiges Buch
begegnet, sondern auch dem Exegeten von der Kirche und zwar
immer schon in einer bestimmten Ausgelegtheit durch die kirchliche
Verkündigung gegeben ist, die seinen Glauben begründet
oder wenigstens beansprucht. Nur die Schriftauslegung der Kirche
Jesu Christi ist die wahre und nur als glaubendes Glied dieser
Kirche verstehe ich die Bibel richtig. Auch dies ist festzuhalten,
daß der glaubende Exeget ein bestimmtes Vorverständnis an die
Bibel heranbringt, das er sich durch das Schriftwort korrigieren
lassen muß, was zugleich eine Reinigung und Neubegründung
seines Glaubens durch die Schrift bedeutet. Aber es ist doch bedenklich
, die Schriftauslegung der Kirche Jesu Christi in dem
„Dogma der Kirche" als regula fidei objektiviert zu finden.
„Das" Dogma „der" Kirche gibt es nicht —oder wenigstens nur
für katholisches Verständnis. In Wirklichkeit gibt es mehrere
Konfessionen und einander widersprechende Dogmen und ihre
historisch bedingte kirchenrechtliche Geltung gibt keinem von
ihnen eine dogmatische Autorität. Die Stimme der Kirche Christi
kann in keinem Dogma vorgefunden werden. Wo sie erklingt,
kann nur der Glaube in dogmatischer Entscheidung sagen, aber
wiederum nur im Hören auf die Schrift. Der consensus der Kirche
Christi wird erst a posteriori gefunden, es geht aber nicht an, ihn
in der Gestalt irgendeines historischen Dogmas als Vorverständnis
methodisch für die Exegese in Ansatz zu bringen. Einmal haben
wir es gar nicht in der Hand, mit welchem Vorverständnis wir
an den Text neu herantreten. Unser Vorverständnis kann uns
außerdem nur soweit zum rechten Verstehen des Schrifttextes
führen, als es aus einer schriftgemäßen Verkündigung stammt
und damit dem Sachgehalt der Schrift entspricht. Ein korrekturbedürftiges
Vorverständnis kann uns beim Auslegen der Schrift
nur irreleiten und darf darum methodisch nicht vorausgesetzt
werden. Es sollte bei der Interpretation nur dazu ins Bewußtsein
erhoben werden, daß es beim Hören auf den Text zum Schweigen
gebracht wird. Das methodisch in Ansatz gebrachte Vorverständnis
, sei es kirchlich-bekenntnismäßiger oder philosophischer
Art, kann den Zirkel der sich selbst auslegenden Schrift nur sprengen
, es unterwirft in jedem Falle den Text dem Ausleger, daß
er nur dessen Gedanken bestätigen oder auf seine Fragen antworten
darf. Wenn die Schrift sui ipsius interpres ist, so kann
sie nur selbst in ihrer glaubenschaffenden Autorität die Exegese
leiten, geschieht dies nicht, so wird der Text nur zum Echo
des menschlichen Vorverständnisses, auch wenn dieses ein kirchliches
ist. Denn auch die kirchliche Verkündigung verdankt ihre
Autorität nur ihrem glaubenschaffenden Schriftinhalt, der auch
den Kanon erst zum glaubenbindenden Kanon macht. Von da
aus muß Ds. Behauptung bestritten werden, daß „der Hörer bzw.
der Exeget den Maßstab seiner kritischen Interpretation ... den
Dogmen der Kirche zu entnehmen hat" (S. 38) oder daß der Dogmatiker
sich „für seinen Gauben an das faktische Geschehensein"
der Heilsereignisse „auf das Bekenntnis der Kirche berufen" kann
(S. 40). Es ist beachtlich, daß der Verf. in seinem Buche: „Theologie
als kirchliche Wissenschaft" 1951 bei der Erörterung der
Hermeneutik diese Gedankengänge nicht wiederholt hat.

Mainz Werner W i e s n e r

Dinkler, Erich: Bibelautorität und Bibelkritik. Tübingen: Mohr
1950. 3 3 S. 8° = Sammlung gemeinverständlicher Vortrage und
Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte
H. 193. DM 1.50.

D. greift in seiner kleinen Schrift den in der gegenwärtigen
Theologie geradezu zum Zentralproblem gewordenen Konflikt
zwischen historisch-kritischem Bibelverständnis und der autoritativen
Bedeutung der Heiligen Schrift für den Glauben an, einen
Konflikt, den er als einen Spezialfall der Spannung von Wissenschaft
und Leben ansieht. Schließen Bibelautorität und Bibel-