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Ausgabe:

1953 Nr. 7

Spalte:

412-413

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1953

Rezensent:

Wessel, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 7

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es ist sehr zu wünschen, daß viele Fachgenossen sich diese wertvolle
Veröffentlichung nicht entgehen lassen.

R. M e h 1 hat der Sammlung eine Vorrede vorausgeschickt,
aus der hervorgeht, daß die Herausgeber die einzeln erschienene
Schrift „Le temoignage interieur du Saint-Esprit" (1946) nicht
aufgenommen haben, und daß einige ungedruckte Fragmente
eines von Preiß geplanten Werkes über den Menschensohn noch
andernorts erscheinen sollen. Sonst umfaßt der Band alle wissenschaftlichen
und die wichtigsten der allgemeinverständlichen Arbeiten
von Preiß, und Mehl versucht aufgrund dieser Arbeiten
einen kurzen Überblick über die Hauptinteressen der theologischen
Arbeit von Preiß zu geben, wobei das starke Interesse
an einer christologisch begründeten Ethik und die Herausstellung
der „juridischen" Seite der neutestamentlichen „Mystik"
sich hervorheben. Bedauern wird der nicht unterrichtete Leser,
daß in diesem Vorwort alle biographischen Angaben über
Preiß fehlen.

Die Sammlung selber ist in drei Teile eingeteilt: Arbeiten
zur Biblischen Theologie, zur Exegese und zur Praktischen Theologie
, davorgestellt ist ein im Jahre 1950 in einer Krankenzeitschrift
veröffentlichter Aufsatz „Leiden mit Christus", in dem
Preiß die auch ihn verzehrende Krankheit als ein Teilhaben an
dem Christusleiden versteht, das den Sieg über den Tod schon
errungen hat. Leiden alle Glieder des Leibes Christi, so gilt auch:
„certains membres sont appeles specialement ä souffrir pour les
autres". Die Arbeiten zur Biblisdien Theologie werden eingeleitet
durch den umfangreichen Aufsatz „Die Mystik der Christusnachahmung
und der Einheit bei Ignatius von Antiochien",
die (1938 erschienen) zuerst den Namen des Forschers Preiß bekannt
gemacht hat. Auch diese Untersuchung ist ein Beitrag zur
biblischen Theologie, weil Preiß die Grundzüge der Frömmigkeit
des Ignatius mit Paulus konfrontiert und dadurch die Erkenntnis
der Besonderheit des neutestamentlichen Denkens fördert.
Preiß zeigt, daß Ignatius den Aufstieg zu Gott, die Einigung von
Göttlichem und Menschlichem, erstrebt, und darum Christus als
Vorbild solcher Einigung betrachtet, das Martyrium aber als den
Weg zu diesem Ziel. Das Kommen Christi als eschatologisches
Ereignis, das Mitsterben mit Christus, die Verpflichtung der Gemeinde
gegenüber, die Einheit von Schöpfung und Erlösung gehen
dabei verloren, von Paulus wird nur das übernommen, was
dem Menschen die Unsterblichkeit sichert. Während Paulus ge-
schichtlich-eschatologisch denkt, denkt Ignatius ungeschichtlich
und substanzhaft und darum typisch hellenistisch. Diese Herausstellung
der letzten Triebkräfte des ignatianischen Denkens
wird ihre Bedeutung behalten, ganz besonders auch für die Abgrenzung
des Johannes vom Hellenismus (Ph.-H. M e n o u d,
L'originalite de la pensee johannique, Revue de theol. et de phi-
los. 1940, 233 ff. hat auf dieser Arbeit weitergebaut). Preiß selber
wendet sich in dem nun folgenden Aufsatz dem Johannesevangelium
zu und handelt von der „Rechtfertigung in der
johanneischen Gedankenwelt". Er betont, daß Johannes zwar
nicht abhängig sei von Paulus, aber in den Vorstellungen von
Zeugnis, Gericht, Wirksamkeit des Geistes juridische Begriffe
gebrauche, die die Mystik durchsetzen und an das Zeugnis des
geschichtlichen „Zeugen", seine Auferstehung und Wiederkunft
binden. Mag hier der Gedanke des „kosmischen Prozesses" überbetont
sein, der Begriff der „mystique juridique" weist in beachtlicher
Weise auf die Bindung der johanneischen „Mystik" an die
Geschichte hin und sollte darum ernstlich beachtet werden.

Noch ein weiterer Aufsatz trägt umfassenden Charakter:
„Die Schau der Geschichte im Neuen Testament." Hier wird betont
, daß die Bibel nicht die Geschichte mythologisiert, sondern
mythische Elemente vergeschichtlicht, weil die Christologie die
Anthropologie beherrst. Und mit vollem Recht wird gezeigt,
daß wir die räumlichen Vorstellungen des Neuen Testaments
entmythologisieren können, nicht aber die zeitlichen, weil der
zeitliche Charakter der Parusie nicht beseitigt werden darf. Denn
das Gottesreich tritt an einem bestimmten Zeitpunkt in Wirksamkeit
, und die Gegenwart ist von dieser Vergangenheit bestimmt
, weil jetzt das Evangelium ausgebreitet werden soll und
das Ziel der Geschichte die aus der Vergangenheit bekannte Person
Jesu ist. So sehr hier vieles nur angedeutet ist, so sehr ist

doch diese Erörterung des neutestamentlichen Geschichtsdenkens
beachtlich und weist auf wichtige Gesichtspunkte, die bei der
Debatte um die Entmythologisierung berücksichtigt werden
sollten.

Die übrigen Arbeiten wenden sich Einzelfragen zu. Am
Philemonbrief wird aufgewiesen, daß die Frage der Sklavenfreiheit
von der neuen Liebe in Christus her so vorsichtig behandelt
wird; ein Kapitel aus dem geplanten Buch über den Menschensohn
bietet eine Auslegung der Weltgerichtsschilderung Mt 25,
31 ff., wobei der Ton darauf gelegt wird, daß Jesus, der als der
Auferstandene den Titel „Menschensohn" beansprucht, durch
eine „souveräne Identifikation" sich mit den Geringsten gleichsetzt
; es gibt daher nur noch einen „Humanismus im Menschensohn
". Hier wird freilich der Text überinterpretiert, wenn von
der eschatologischen Gleichsetzung zwischen der Kirche und der
neuen Menschheit als dem Leib des Menschensohns die Rede
ist. Für Joh. 8, 30—36 möchte Preiß einen aramäischen Urtext
auf Grund eines angenommenen Wortspiels annehmen, was freilich
nicht mehr als eine Möglichkeit bedeutet; und in der viel diskutierten
Frage, ob Jesu letztes Mahl ein Passahmahl war, versucht
Preiß einen Mittelweg: Jesus hat kein Passahmahl gefeiert,
aber Passahmotive vorausgenommen. Schließlich hat Preiß in
einem der französischen reformierten Kirche erstatteten Gutachten
über „Die Kindertaufe und das Neue Testament" (deutsch
abgedruckt ThLZ 1948, 651 ff.) die heute immer wieder vertretenen
Argumente für das Vorhandensein der Kindertaufe
schon in der neutestamentlichen Zeit ebenfalls verteidigt und behauptet
, daß das Werk Gottes in Christus am Einzelnen wirksam
werden könne, auch wenn er nicht zustimmt. Preiß hat freilich
auch nicht zeigen können, daß die Urkirche faktisch aus
solchen schon an sich problematischen Gedanken die Sitte der
Kindertaufe abgeleitet habe (s. meine Einwände Theol. Rdsdi.
N. F. 18, 1950, 36 f.).

Der dritte Teil vereinigt Arbeiten zur Praktischen Theologie
(Kirche und Mission; Die Aufgabe der Kirche im Volk; Die theologische
Lehre und die Welt; Kunst und Schöpfung), die stark auf
den französischen Sonderproblemen beruhen und darum für den
Fernstehenden mehr als Zeugnisse für den verantwortungsbewußten
Denker und glühenden Freund der französischen Kirche
von Bedeutung sind.

Marburg/Lahn Werner Oeorg Kümmel

Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens der Akademie
der Wissenschaften in Cöttingen. II. Philologisch-historische Klasse.
Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer-Verlag 1951. XIX. 198 S.
m. Abb., 1 Kt. gr. 8°. kart. DM 15.—.

Die Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen zeigt in ihrem
hier zu besprechenden zweiten Teil das schlichte Gewand aller
Publikationen dieser Akademie. Sie wirkt nicht durch die Aufmachung
, sondern durch den Inhalt, der einen tiefen Einblick in
die Arbeiten der Akademie und ihrer Mitglieder gewährt. Einer
einleitenden Skizze über die Geschichte der Göttinger Gesellschaft
der Wissenschaften und der aus ihr hervorgegangenen Akademie
aus der Feder von R. Smend folgen acht Beiträge, von denen zwei
Rechtstexten gewidmet sind, drei sich mit archäologischen Themen
beschäftigen, zwei sprachgeschichtlichen Fragen nachgehen
und einer schließlich neuarabische Streitgedichte in Transskription
und Übersetzung vorliegt.

Die sprachgeschichtlichen Beiträge entziehen sich der Beurteilung
des Rezensenten. H. Pedersen stellt sich die Frage: „Weshalb
ist p ein unstabiler Laut?" Die Frage wird in knappster Form
durch die gesamte Sprachwelt verfolgt. Als Antwort glaubt P.
feststellen zu können, daß p eine reine Tenuis gewesen sein
dürfte. F. W. Thomas geht der Geschichte des tibetanischen Alphabetes
nach und führt es mit den Laien recht überzeugenden Argu menten
auf Nepal und Nordindien zurück.

Der Beitrag von K. A. Eckhardt „Zur Entstehungszeit der
Lex Salica" ist eine meisterhafte Abrechnung mit den Thesen von
Simon Stein. Wie hier aus umfassender Kenntnis des gesamten
Materials eine unfundiert hingeworfene These in ihrer ganzen