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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

371-372

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schweingruber, Eduard

Titel/Untertitel:

Pubertät 1953

Rezensent:

March, Hans

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Seite 1

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371 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6 372

zur Hebung der sittlichen Kultur beigetragen hat, sondern im
Gegenteil zu einer bedenklichen Verwilderung der sittlichen Zustände
durch das Ausweichen in außereheliche „Verhältnisse";
vielmehr wird der sehr fragwürdige idealistisch klingende Satz
gewagt: „Die Unauflöslichkeit der Ehe zwingt den Menschen
förmlich von den niederen zu höheren Stufen der Liebe emporzusteigen
" (S. 34). Bei dem Durchblick durch die Stellung der Bibel
und der Kirche zur Ehe und Ehescheidung bohrt der Verf.
nicht gerade übermäßig tief; man erwartet doch schließlich bei
einem solchen Überblick, daß zur Frage der Polygamie der Erzväter
, aber auch zu der auffallend zwiespältigen Stellungnahme
des Paulus einiges gesagt würde. Bei der Darstellung der Stellung
der Reformatoren zur Ehe wird das übliche katholische Mißverständnis
, als ob mit der Betonung der „Weltlichkeit" die Ehe
irgendwie disqualifiziert oder aus der Bindung an Gottes Willen
entlassen würde, reproduziert; Verf. schließt sich bei seinen
Erörterungen lediglich an die ersten Worte aus Luthers Traubüchlein
(nicht „Treubüchlein", wie er zitiert) an, die mißverständlich
sind, statt etwa die Ausführungen Luthers im Großen Katechismus
, die ausdrücklich den Ehestand über alle anderen Stände
stellen, zu berücksichtigen. Immerhin sollte es doch, auch gerade
auf Grund des Materials, das der Verf. selbst mitteilt, ihm zu
denken geben, daß die Ehezerrüttungserscheinungen wahrlich
nicht etwa bloß auf protestantischem Boden sich zeigen, sondern
daß z.B. in Österreich, das vor dem Weltkrieg bei 100000 Ehen
nur 6 geschiedene Ehen kannte, als seitens des Staates die Ehescheidungsmöglichkeit
freigegeben wurde, die Ziffer auf 96 stieg,
während vorwiegend protestantische Staaten, wie etwa England
und Holland, erheblich geringere Verhältniszahlen zeigen.

Den Abschnitten seines Buchs, die in schlichter Realistik
die Ursachen des Ehezerfalls aufzudecken versuchen und die Vorbeugungsmaßregeln
gegen ihn entfalten, kann man rückhaltlos
beistimmen. Erstaunlich ist nur, daß der Verf. allen Ernstes
meint, daß man wirklich mit dem Hinweis auf das Gebot die
Frage der Ehescheidung erledigen könne. Faktisch geht ja auch
die offizielle katholische Kirche hier doch auch andere Wege:
sie kennt ja auch in weitem Umfang „Dispense", sie beschreitet
vielfach den Weg der Ungiltigkeitserklärung der Ehe. Aber auch
diese Wege, auch die Empfehlung der Trennung von Tisch und
Bett im Fall der Ehezerrüttung, führen ja nicht zum Ziel. Der
Schaden sitzt tiefer. Die Ehezerrüttung beruht auf der heute
durch die Gottentfremdung verursachten Entmenschlichung des
Menschen. Um ihr entgegenzuwirken, müssen aber alle Konfessionen
am gleichen Strang ziehen. Verf. hebt durchaus richtig heraus
, daß auch auf der protestantischen Seite die Ehe ihrem Sinn
nach als unauflöslich angesehen wird. Wenn er einer evangelischen
Trauungshandlung beiwohnen würde, würde er erkennen,
daß das auch in der Trauungsliturgie sehr klar zum Ausdruck
kommt. Hier besteht kein Unterschied. Aber angesichts dessen,
daß menschliche Sünde und menschliches Versagen so manche,
die leichtsinnig ihre Ehen geschlossen haben und führen, in ausweglose
Not versetzten, meint in der Tat der Protestantismus
im ganzen nicht, daß man solche Menschen durch eine gesetzliche
Handhabung eines Verbots der Ehescheidung in völlig unmögliche
Verhältnisse hineinstoßen dürfe, sondern ihnen den Weg
zu einem Neuanfang nicht verschließen dürfe. Es muß in gleicher
Weise im Blick auf Jesu Wort von dem wahren Wesen der Ehe
der ganze Ernst des göttlichen Gerichts über das ehebrecherische
Verhalten der Menschen und Jesu vergebende Gnade den Sündern
gegenüber zur Geltung kommen. Das setzt aber voraus, daß
nicht etwa bloß um eine Vertiefung der Eheauffassung gerungen
werden muß, sondern daß überhaupt mit ganzem Ernst die Botschaft
von Gericht und Gnade Gottes über des Menschen g e-
samtes Sein und Handeln in Predigt, Unterweisung und Seelsorge
zur Geltung gebracht wird.

Heidelberg R- Hupfeld

Schweingruber, Eduard: Pubertät. Grundsätzliches und Praktisches
über das Jugendalter und seine christlichen Probleme. Zürich:
Gotthelf-Verl. [1951]. 248 S. 8°. Lw. sfr. 10.50.

Die Besprechung des vorliegenden Buches ist einem nicht
ganz leicht gemacht. Schon der eigenwillige Stil des Verfassers,

in dem „die Satzzeichen bewußt so gesetzt sind, wie sie da stehen
; einmal nach Ton und Atem der gesprochenen Rede, und
nicht nach einer unlebendigen Schreibweise", erschwert es dem
Leser nicht unerheblich, gutwillig den Gedankengängen bis zum
Schluß zu folgen.

Daneben begegnen einem immer wieder mannigfache Wortgebilde
und Formulierungen, die einen zumindest befremdlich
anmuten und stutzig machen. — Etwa, wenn der Verfasser von
der „inneren Seelenscheibe" oder vom „seelischen Hörgerät"
spricht. Oder wenn er schreibt, daß die Eltern für den Jugendlichen
noch „bis vor kurzem geschlossene, gebäudeartige Kom-
paktpersönlichkeiten" waren, nun aber „gleichsam auseinandergenommen
und in ihre seelischen Bestandteile zerlegt" sind. Was
soll man zu einer Satz- und Ideen-Konstruktion wie der folgenden
sagen — und Beispiele ähnlicher Art ließen sich in Menge
anführen—?: „nicht nur eine religiöse oder moralische Denkstube
, nicht nur ein mit ästhetischen oder allgemein menschlichen
Erlebnissen sich stets nachfüllendes Weinfaß in einem mehr oder
weniger tiefen Keller soll der Mensch werden, sondern ein handelndes
, sich benehmendes, produktives, die Prägung seines inneren
Wesens als Aussehen tragendes und so zum Gemeinschaftsleben
beitragendes Mitglied. Wir befinden uns mitten im neu-
testamentlichen Begriff der Bruderschaft und dessen realster
Grundstruktur". Der Verfasser verspricht sodann in seinem Vorwort
, ein „lebensnahes" Buch zu schreiben. Deshalb ginge er nicht
„von irgendwelchen bestehenden psychologischen oder tiefenpsychologischen
Lehrsystemen aus, sondern um jene wohl wissend
, von Beobachtungen und Erwägungen, die jedem Erzieher
und Jugendfreund, und auch von dem jungen Menschen selber
unmittelbar zugänglich und einsehbar sind". Was dabei herauskommt
, ist ein idealistisch, romantisch, entwicklungs- und reli-
gions-psychologisch völlig verworrenes Vorstellungsbild vom
Jugendlichen oder, wie der Verfasser ihn auch bezeichnet „Pubertätsmenschen
", „Pubertätler", „geistigen Reifling", „jungen
Entwickler", „Entwicklungs-Jährler", „Pubertätsabsolvent".

Er beabsichtigt, „einer dynamisch-psychagogischen = zu
deutsch: einer das persönliche Seelenleben in lebendiger Entwicklung
führenden Methode das Wort zu reden". Es geht ihm
um die Darstellung einer gesunden christlichen Jugendführung,
wobei er von der äußerst anfechtbaren Überzeugung geleitet
wird, daß „gerade Fäden vom kindlichen Üben in das mittelste
Herzstück des Christwerdens" laufen, daß insbesondere „im Jugendalter
der Mensch dem Christus entgegenreift" und hier „die
innere Funktion und Beziehungsformen entkeimen und wachsen,
die dann von jenem Andern in Anspruch genommen werden".
Es sei dies „eine Entwicklung mit einem von innen und außen bedingten
Rhythmus beginnend und dauernd wurzelverwachsen mit
dem schlichten Nachfolgeverhältnis, aufsteigend, oder besser gesagt
, sich eintiefend bis in jene nüchternen Merkwürdigkeiten der
neutestamentlichen Innentechnik, da an entscheidenden Stellen
des Seelenlebens der Christus geradezu eine direkte Funktionsgröße
wird. Das meint: eine geistige Instanz, an die unmittelbar
angeschlossen ist und die ohne Zwischenhandlungen des Subjektes
manche Funktionen unmittelbar auslöst und leitet". „Gerade
durch die seelische Pubertätsentwicklung wird das Individuum
, um es biblisch zu sagen, des Messias bedürftig."

Überall gewinnt man den Eindruck, daß der Verfasser sowohl
psychologisch als auch theologisch mit völlig verschwommenen
und eigenwillig interpretierten Begriffen arbeitet. Die
oben zitierten Sätze aus seinem Buch können dieses bereits sichtbar
machen.

Jesus und das Evangelium lassen sich nicht auf die psycho-
logisierende Weise, wie es dem Verfasser vorschwebt, planmäßig
als normative Faktoren in den Dienst einer „gesunden" Jugendführung
stellen. Es sei denn, daß man ihr Wesen und ihren göttlichen
Wahrheitsgehalt verkürzt oder verfälscht. Das Anliegen
des Verfassers ist sicherlich ein ernstes. Aber der psychologische
und theologische Unterbau ist allerorts unzureichend und ungeklärt
, so daß mit seinem Buch aufs Ganze gesehen nur ein schwärmerisches
Wortgeklüngel vor uns liegt.

Berlin H. March