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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

367-369

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mitterer, Albert

Titel/Untertitel:

Elternschaft und Gattenschaft 1953

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

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immer, Gottes heiliger Wille an ihn heran. Der Haß gegen das
Gesetz ist auch Haß gegen Gott. . . Der Mensch sollte sich
selbst hassen. Denn daß Gottes Wille ihm jetzt so begegnen muß,
als lex accusans et condemnatrix, als anklagende und tötende
Satzung, das ist ja nur Ausdruck, Schatten und Wirkung seiner,
des Menschen Gottlosigkeit" (18 f.). Obwohl Barth den Problemknoten
anders schürzt — Gottes in die Hände der Sünder gelegte
Gabe wird von diesen pervertiert —, kommen beide in der Tat
„nicht weit voneinander" zu stehen. Hier bedürfte der faktische
Unterschied um der Sache willen noch einer gründlicheren Erhellung
. Beiden gegenüber erhebt sich freilich jetzt schon die Frage:
tritt uns nicht nach Paulus gerade im Gesetz „Gottes heiliger
Wille" völlig ungebrochen entgegen? Und: steht und
fällt nicht mit der Behauptung dieser Ungebrochenheit, die sich
in der diaxovia zov §avdxov bzw. jfjg ötaxQtoewi; (2. Kor.
3, 7 u. 9) vollzieht, — das Evangelium?

Beide von mir aufgeworfene Fragen halten sich im Rahmen
der Problemstellung von Althaus und bejahen ihr Recht. Unabhängig
von ihrer Beantwortung im einzelnen darf man die Untersuchung
in ihrer mustergültigen Prägnanz als einen schöpferischen
Wurf bezeichnen, der es verdiente, für die Grundlegung jeder
künftigen evangelischen Ethik ernstlich beaditet zu werden.

Jena Gerhard Gl Oege

PRAKTISCHE THEOLOGIE

M i 11 e r e r, Albert, Prof. Dr.: Elternschaft und Gattcnschaft. Nadi
dem Weltbild des hl. Thomas von Aquin und dem der Gegenwart.
Wien: Herder 1949. 160 S. m. 10 Abb. gr. 8U. Hiw. DM 10.50.

Adam, August: Der Primat der Liebe. Eine Untersuchung über die
Einordnung der Sexualmoral in das Sittengesetz. Köln, Krefeld: Staufen
-Verlag [1948]. (jetzt Butzon & Bercker, Kevelaer). 225 S. 8°
= Dombücherei. Hlw. DM 4.80.

Beide Bücher gehen insofern in der gleichen Richtung, als
sie den Versuch einer Neuorientierung der katholischen Ehebzw
. Sexualauffassung machen.

Mitterer widmet anscheinend sein ganzes Schrifttum dem Bettreben
, deutlich zu machen, daß die Bindung der katholischen
Theologie an Thomas nicht von der Pflicht dispensieren dürfe,
die weltbildmäßigen Veränderungen seit dem Mittelalter zu berücksichtigen
. In dem vorliegenden Buch stellt er der von Aristoteles
abhängigen Erzeugungsbiologie, der Thomas folgt, die
moderne Entwicklungsbiologie gegenüber. Die Erzeugungsbiologie
hatte kein Auge dafür, daß bei dem Sexualakt und bei der Zeugung
des Menschen auch die Frau eine aktive Rolle spielt. Sie
sah deshalb aber auch die Zeugung nur unter dem Gesichtspunkt
der Nachkommenschaft. Die Entwicklungsbiologie weiß darum,
daß, weil der Sexualakt an sich auch abgesehen vom Erzeugungsakt
der Liebesbefriedigung dient, die Gattenschaft einen selbständigen
Wert hat, daß aber bez. des Kindes schon bei der Gattenwahl
, erst recht aber bei der Erziehung der Kinder eine treuelterliche
Verantwortung auf Grund der beiderseitigen Beteiligung
bei der Erzeugung besteht. M. fühlt sich zu diesen Abweichungen
von der Thomasschen Auffassung durchaus einerseits
dadurch, daß auch nach päpstlichen Verlautbarungen die Erklärung
des Thomas zum maßgebenden Kirchenlehrer nicht sklavische
Abhängigkeit von ihm bedeuten soll, andererseits durch
die über Thomas hinausgehende Encyklika „Casti connubii" berechtigt
.

Leider wird die Freude an diesem Buch durch ein recht
schlechtes Deutsch, das der Verf. schreibt, und durch unnötige
Wiederholungen gestört. Immerhin macht er seine Gedanken
durch geschickt angelegte Tabellen, die immer wieder von neuem
die Abweichungen der modernen biologischen von der Thomasschen
Denkweise konkret beleuchten, sehr eingängig. Da das
vorliegende Buch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Schrifttum
des Verf. über diesen Fragenkomplex darbietet, so ist natürlich
nicht auszumachen, ob man mit Recht kritisch gegen ihn

einwenden darf, daß er die Folgerungen aus der Abkehr von
dem Thomasschen Kreatianismus nicht noch umfassender gezogen
hat. Es mag sein, daß er das an anderer Stelle getan hat oder
noch tun wird.

Das Adamsche Buch richtet sich vor allem kritisch gegen die
Überbewertung des gesamten Sexualkomplexes innerhalb der katholischen
kirchlichen Praxis, wie sie in der Betonung der Sünden
gegen das 6. Gebot als besonders schwerer Sünden und der
Keuschheit als höchster Tugend zutage tritt, und sucht demgegenüber
die richtige christliche Wertordnung wiederherzustellen
, für die die Liebe, die Gottes- und Nächstenliebe, in ihrer
ganzen Breite die höchste Tugend ist und die Lieblosigkeit die
schwerste Sünde, bez. die Ursünde. Er geht dabei vor allem der
Einseitigkeit zu Leibe, die unter „unsittlich" nur die Sünden gegen
das 6. Gebot versteht, wie sie sich zwar weniger in den offiziellen
Moraltheologieen findet, aber in der katholischen Predigt
- und Seelsorgepraxis sich weitgehend durchgesetzt hat. Zunächst
sucht er das Problem auch geschichtlich zu klären. Diese
geschichtliche Darstellung ist nicht ganz eindeutig und klar ausgefallen
. Schwerlich kann man vorwiegend den Manichäismus für
die Entstehung der einseitig auf die geschlechtliche Askese ausgerichteten
Einstellung verantwortlich machen. An manchen Stellen
gibt der Verf. selbst zu, daß der Einfluß des Piatonismus und
vor allem des Neuplatonismus sowohl auf die alte, wie auf die
mittelalterliche Kirche die Betonung der geschlechtlichen Askese
begünstigt hat. Richtig ist aber, daß der Einfluß des Manichäismus
schon auf Augustin, besonders aber auf die Katharer des
Mittelalters, groß gewesen ist. Leider berücksichtigt der Verf.,
der für die Sinnenfreudigkeit des Mittelalters einige sehr feine
Belege bietet, nicht die ja nun doch in der Renaissance hereinbrechende
auch die katholische Kirche gefährlich beeinflussende
Hemmungslosigkeit auf diesem Gebiet. Vielleicht hätte auf diesem
Hintergrund die Reaktion des Puritanismus eine gerechtere
Beurteilung erfahren können. Es geht überhaupt in den Kapiteln,
die sich mit der Reformation und dem Protestantismus beschäftigen
, etwas turbulent zu; es würde zu weit führen, die reichlich
allgemeinen Urteile, die hier gefällt werden, auf ihre Richtigkeit
zu prüfen. Vom Pietismus und seiner Bedeutung scheint der Verf.
keine Ahnung zu haben.

Immerhin ist ja sein Anliegen selbst vor allem ein innerkatholisches
. Und da wird nun vom Verf. sehr eindrücklich herausgearbeitet
, wie katastrophal es sich auswirkt, daß die Worte
„sittlich" und „unsittlich" immer mehr auf das sexuelle Gebiet
beschränkt werden, wie vor allem in der Predigtliteratur an die
Stelle des Primats der Liebe und demgemäß der Diskriminierung
noch ganz anderer Sünden als nur der Unkeuschheit als schwerer
Sünden eine immer ausschließlichere Beschränkung auf die Sünden
gegen das 6. Gebot getreten ist. Dabei wird offen zugestanden
, daß besonders der jesuitische Semipeligianismus etwa des
Alfons von Liguori sich ungünstig ausgewirkt habe. Übrigens
kommt der Verf. in seinen positiven Ausführungen durchaus der
reformatorischen Grundposition nahe, wenn er (vgl. etwa
S. 174 f.) als die eigentliche Sünde den selbstischen Willen kennzeichnet
, also die ichsüchtige Gesinnung, wenn er sich auch gegen
einen übertriebenen, wenn auch aus pädagogischen Gründen verständlichen
gesetzlich orientierten „Ernst" wendet und fordert,
daß die „Frohbotschaft" ganz anders zur Geltung kommen müsse,
wenn er aller Spiritualisierung, die das Sinnliche als solches „gemein
" oder „tierisch" nennt, wehrt und das gottgewollte Recht
der Sinnlichkeit betont. Eine evangelische Sexualethik müßte
sicherlich in vielen Fällen noch anders formulieren. Aber in der
Grundrichtung könnte sie mit dem Verf. doch weitgehend einig
gehen, besonders auch hinsichtlich der pastoraltheologischen
Folgerungen, die darauf hinauslaufen, daß man in Predigt, Volksmission
und Seelsorge nicht einseitig in einem negativen Moralismus
wühlen dürfe, sondern vor allem den Weg zu einer Schätzung
des Primats der Liebe zu öffnen habe. Immerhin, seinen
katholischen Grundcharakter verleugnet das Buch durchaus nicht,
man vgl. etwa die langen Erörterungen des Verf. auf S. 150 ff.
über die Frage der größeren und geringeren Schwere der Sünden
oder über die Vorordnung der Liebe vor der Keuschheit wegen
des größeren „Heroismus", den die Liebe erfordere (S. 127).