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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

364

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kastil, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Philosophie Franz Brentanos 1953

Rezensent:

Hessen, Johannes

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363

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

364

Eine nähere Untersuchung über das Weltphänomen soll die Transzendenz
erhellen. Aus der Geschichte des Weltbegriffs (Antike, Neues Testament
, Augustin, Leibniz, Crusius, Kant) wird erwiesen, daß die Welt
nicht als Inbegriff von Seiendem oder von Vorhandenem oder als naturaler
oder personaler Sammelbegriff verstanden werden darf, sondern
als eine Wesensverfassung des Daseins. Welt deutet hin auf den Bezug
des Daseins zum Seienden im Ganzen (34). Welt als Ganzheit ist das,
aus dem her das Dasein sich sein Verhalten zu bedeuten gibt. Es geht
dem Dasein durch die Welt um sein eigenes Sein-können. Im Überstieg
zur Welt kommt daher das Dasein zur Selbstheit. Die Welt ist daseinsbezogen
und das Dasein ist weltbezogen.

Als das Um-willen wird die Welt durch das transzendierende Dasein
vor sich selbst gebracht. Die Transzendenz ermöglicht es, daß sich
überhaupt Seiendes offenbaren kann. Die Transzendenz ist also ein ausgezeichneter
Bezirk für alle ontologischen Fragen, und damit auch für
das eigentliche Thema.

3. Vom Wesen des Grundes.

Aus der Transzendenz des Daseins erschließt Heidegger das Wesen
des Grundes. Das Dasein transzendiert, indem es sich das Um-willen
seiner selbst vorhält. Dies geschieht in Freiheit, weil sich das Dasein
nur „auf Möglichkeiten" seiner selbst hin entwirft. „Das entwerfend-
überwerfende Waltenlassen von Welt ist die Freiheit" (41). Diese Freiheit
macht die Transzendenz des Daseins aus und hat deshalb eine einzigartige
Bedeutung für das Kausale. Sie ist der Ursprung des Grundes
überhaupt. „Freiheit ist Freiheit zum Grunde" (41).

Diese ursprüngliche Beziehung der Freiheit zum Grunde nennt Heidegger
das Gründen und zerlegt es in drei Seinsarten: Das Gründen
als Stiften, als Boden-nehmen und als Begründen.

1. Das Stiften hat den Vorrang in der Transzendenz, weil es das
Um-willen entwirft. Der Weltentwurf ist immer „inmitten von Seiendem
", so daß zur Transzendenz das Sich-befinden gehört.

2. Das Dasein wird als befindliches von Seiendem eingenommen.
Durch diese Eingenommenheit hat das Dasein im Seienden Boden genommen
. Im Entwurf von Möglichkeiten überschwingt sich das Dasein.
Aber durch seine Faktizität sind ihm auch bestimmte Möglichkeiten
entzogen. Darin liegt die Endlichkeit der Freiheit.

3. Der Entwurf ermöglicht ein vorgängiges Verständnis des Seins
vom Seienden. Die Eingenommenheit durchstimmt das Dasein mit Seiendem
. Das Vorverständnis und die Eingenommenheit ermöglichen zusammen
die Intentionalität des Daseins, daß es sich überhaupt zu Seiendem
verhalten kann (44). Darin liegt die dritte Art des Gründens,
das Begründen.

Im Begründen liegt die Möglichkeit für die ontische Wahrheit,
weil das Seiende an ihm selbst offenbar wird. Aber das Begründen soll
ursprünglich genommen werden als die Ermöglichung der Warumfrage
überhaupt. Transzendental gesehen entsteht das Warum notwendig aus
dem Seinsverständnis und dem Überschwung von Möglichem (44). Im
Seinsverständnis ist die Transzendenz begründend. Das transzendentale
Begründen, das Sein und Seinsverfassung enthüllt, läßt die ontologische
Wahrheit entstehen. Weil alle ontische Wahrheit von solchem Begründen
transzendental durchwaltet ist, muß sich alles ontische Entdecken
in seinem Begründen ausweisen und das Seiende anführen, das sich als
Ursache oder Motiv für einen bestimmten Zusammenhang bekundet.
Aber es bleibt der endlichen Freiheit überlassen, wie weit eine solche
Begründung geführt wird.

Die Transzendenz wird aber als Ursprung des Gründens sichtbar
in jenen drei Weisen. Diesen entsprechend besagt daher Grund: Möglichkeit
, Boden, Ausweis. Aus dieser Dreiheit gewinnt Heidegger die
Wesensbestimmung des Grundes: „Das Wesen des Grundes ist die
transzendental entspringende dreifache Streuung des Gründens in Weltentwurf
, Eingenommenheit im Seienden und ontologische Begründung
des Seienden" (46 f.).

Abschließend klärt Heidegger das Verhältnis vom Wesen des
Grundes zum „Satz vom Grunde". Weil das Gründen zum Wesen
des Seins gehört, das immer transzendent ist, untersteht alles
Seiende dem „Satz vom Grunde".

Der Ursprungsort für den „Satz vom Grunde" ist aber nicht
die Aussagewahrheit, sondern durch die Transzendenz des Seins
die ontologische Wahrheit und damit die Freiheit. Freiheit ist
der Grund des Gründens. Zum Schluß klingen Grundgedanken
von Jakob Böhme an, ohne daß er von Heidegger erwähnt wird.
Dieser Grund ist zugleich der „Abgrund" des Daseins, weil die
Transzendenz das Dasein als Seinkönnen vor Möglichkeiten stellt,
die vor ihm „aufklaffen" (49) (vergl. jedoch die Deutung des
Abgrundes von Hölderlin her in „Holzwege", 248). Im Weltentwerfenden
Überstieg versteht sich das Dasein selbst als Abgrund
und zwar im Zeichen der Freiheit. Die Transzendenz als

Freiheit zum Grunde wird zuletzt als Abgrund verstanden. Dadurch
kommt in den Blick, daß das Dasein mit seiner Transzendenz
als Grundverfassung ein geworfenes ist. Das Dasein
kann nur in der Nähe sein, weil es durch seine Transzendenz ein
Wesen der Ferne ist.

Zum Schluß wird also bei Heidegger die Besinnung auf den
sicheren Grund durchzittert von der völligen Ungesichertheit des
Abgrundes. In der dritten Auflage dieser Abhandlung, die zuerst
1928 herauskam, deutet es Heidegger an, daß sein ursprüngliches
Bemühen „von den Besinnlichen" noch nicht aufgenommen worden
ist (5). Daß ihm die Gefolgschaft versagt ist, liegt gewiß
nicht an einem mangelnden ontologischen Bemühen, sondern an
der eigenen Monotonie. Im Mittelpunkt steht bei Heidegger immer
wieder nur der Mensch. Wieder endet auch diese Untersuchung
bei der Geworfenheit, so daß mit Recht gefragt werden
kann: Wer ist der Werfende? Es wird vom Offenbaren und seiner
ontologischen Möglichkeit gesprochen. Aber die eigentliche
Offenbarung wird verschwiegen. Mit Bewußtsein wird die Theologie
, nicht nur die dialektische, sondern auch die scholastische,
für das ontologische Bemühen auf die Seite geschoben (39). In
den Analysen über das In-der-Welt-sein trifft Heidegger nirgends
auf eine Gottesbeziehung. Gott als der Schöpfer der Welt ist
nach Römer 1 in der Welt wirksam und an seinem Zorn erfahrbar
. Wenn Heidegger erst von einem zureichend geklärten Begriff
des Daseins aus das ontologische Problem des Gottesverhältnisses
gestellt sehen möchte, müßten doch zuvor Gründe aufweisbar
sein, die eine solche Frage im Blick auf die Wesensverfassung
des Daseins als notwendig erscheinen lassen. Aber die
Abschnürung aller entscheidenden Begriffe wie Welt, Transzendenz
, Freiheit, selbst gegenüber der in der Geschichte vernehmbaren
total andersartigen christlichen Wahrheit führt zur
Verarmung und Vereinseitigung der Sicht bei Heidegger. Alles
Denken wird vom Evangelium her gerichtet, zugleich aber auch
befreit. Auch die behauptete Transzendenz muß bei Heidegger
noch als ontische Immanenz erscheinen und alles Gründen im Sein
bleibt menschlich hypothetisch, bis die platonische Urfrage nach
dem Sinn des Seins christlich theonom beantwortet werden kann.

Eisenach H. E. Eisenhuth

Kastil, Alfred: Die Philosophie Franz Brentanos. Eine Einführung
in seine Lehre. Bern: Francke 1951. 337 S. gr. 8° sfr. 18.— ; geb.
sfr. 21.50.

Auf Grund jahrzehntelanger geistiger Verbundenheit mit
Franz Brentano hat sein durch zahlreiche Publikationen bekannter
Schüler Kastil mit 75 Jahren diese zusammenfassende Darstellung
der Philosophie seines Meisters geschrieben, deren Veröffentlichung
er nicht mehr erleben sollte. In der biographischen Einleitung
erfahren wir von dem wechsclvollen Lebenslauf des großen
Denkers (f 1917), der seine Laufbahn als katholischer Priester
antrat (in Würzburg), dann aber aus der Kirche austrat, sich ganz
der philosophischen Forschung und Lehrtätigkeit (besonders in
Wien) widmete und es erlebte, daß die bedeutendsten philosophischen
Köpfe sich um seine Lehrkanzel scharten und von seinem
Genius befruchtet wurden, so daß man ohne Übertreibung sagen
darf, daß die Philosophie der Gegenwart ohne Brentano nicht zu
denken ist. Wir werden nun von Kastil mit den in vieler Hinsicht
bahnbrechenden Forschungen seines Lehrers vertraut gemacht, lernen
die Ergebnisse seiner gegenstandstheoretischen Untersuchungen
kennen, werden in seine Erkenntnistheorie eingeführt und
mit den Resultaten seiner werttheoretischen und ethischen Untersuchungen
bekannt gemacht. Zum Schluß lernen wir den krönenden
Abschluß seines Gedankengebäudes kennen: die mit größtem
Scharfsinn begründete theistische Metaphysik.

Jeder, der die Ideenwelt Brentanos näher kennen lernen
möchte, wird seinem Schüler für diese „Einführung in seine Lehre"
(wie der Untertitel lautet) dankbar sein. Schade nur, daß er alle
Quellenhinweise unterläßt, so daß der Leser nie weiß, wo sich die
betreffenden Gedankengänge bei Brentano finden. Auch vermißt
man eine Bibliographie, sowie ein Verzeichnis der einschlägigen
Literatur. Es wäre zu wünschen, daß diese kleinen Mängel in einer
Neuauflage beseitigt würden.

Köln Johannes Hessen