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Ausgabe:

1953

Spalte:

361-362

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Grayeff, Felix

Titel/Untertitel:

Deutung und Darstellung der theoretischen Philosophie Kants 1953

Rezensent:

Menzer, P.

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361

362

Die Notwendigkeit und Berechtigung der geschichtsphilo-
sophischcn Frage nach dem Schicksal im Unterschied von der
historisdien kausalgesctzlichen Analyse wird von verschiedenen
Seiten her erläutert und veranschaulicht. Dieser Hinweis ist
verdienstlich und sollte der theologischen Geschichtsdeutung
Anlaß sein, die im 19. Jahrh. lange vernachlässigte Schicksalsproblematik
neu zu durchdenken.

Kiel Martin Redeker

Grave ff, Felix: Deutung und Darstellung der theoretischen Philosophie
Kants. Hin Kommentar zu den grundlegenden Teilen der
Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner 1951. XXIII, 226 S.
8". kart. DM 8.40; geb. DM 9.80.

Der Verf. erklärt, daß seinem Buche eine doppelte Absicht
zugrunde liege: „erstens die theoretische Philosophie Kants als
eine widerspruchslose Einheit zu erklären; zweitens eine Methodik
der Interpretation auszubilden, die die Gesetze des systembauenden
Denkens in sich enthält und sie als die Prinzipien logischer
Einheit überhaupt erkennbar macht" (X). In einer Einleitung
kritisiert er die mit Schopenhauer beginnende Ansicht von den
Widersprüchen in Kants Hauptwerk, der zwischen Idealismus und
Realismus, Empirismus und Rationalismus, einer auf mathematischen
Prinzipien beruhenden Metaphysik (Newton) und einei
auf logischen Prinzipien begründeten (Leibniz) geschwankt habe.
Audi wurde behauptet, die Kritik zeige Widersprüdie in sich.
Als Hauptvertreter solcher Anschauungen werden Vaihinger,
Windelband, Adickes und N. Kemp Smith genannt. Leider hat
sich der Verf. mit ihnen nicht in der erforderlichen Gründlichkeit,
die Kantforscher solchen Ranges verdienen, auseinandergesetzt.

Es entsteht nun die Frage, worin wir die Eigenart der neuen
Interpretation zu sehen haben. Eine entwicklungsgeschichtliche
oder psychologische lehnt Verf. ab mit der Begründung, daß sie
eine unendidie Aufgabe sind. Dagegen wäre doch wohl zu sagen,
daß das kein Einwand gegen ihren Wert ist. Gerade die größten
Denker wie Plato regen zu immer neuem Bemühen des Verstehens
an. Das gilt auch von Kant und wir verdanken ihm selbst wichtige
Hinweise für die Entstehung seiner Philosophie, z. B. den
auf die Bedeutung des Antinomienproblems.

Es ist nidit ganz leicht, in einfacher Formulierung den Begriff
des Verfs. von seiner Interpretationsmethode zu entwickeln. Sie
muß nach ihm die Einheit eines philosophischen Buches in der
logischen Einheit sehen „d. h. in der Übereinstimmung eines
letzterschlossenen Begriffes mit zugrunde gelegten Begriffen über
vermittelnde Begriffe". Interpretation soll einen logisch-konstruktiven
Charakter, haben. Dem wird man wohl zustimmen
können, aber dann erfährt man: „In dieser Weise gehandhabt,
zielt die Interpretation nidit auf die Logik im traditionellen
Sinne, nicht einmal auf die von Kant selbst vorgetragene Logik
ab, sondern auf eine aus der Betrachtung der Kritik d. r. V. erst
zu erschließende Logik" (XIX). Also des Verfs. Logik?

Wenn ich nun nach einem Ergebnis dieser Interpretation
frage, so glaube ich im Sinne des Verfs. es in folgenden Sätzen
zu finden: 1. Die Kantische Philosophie beruht metaphysisch auf
dem Begriff der (absoluten) Realität. 2. Welcher Art diese Realität
sei, das können wir nicht wissen. 3. Obwohl eine absolute
Realität die letzte Quelle und Grundlage aller Erscheinungen und
alles Denkens ist, so besteht dodi keine uns erkennbare Verknüpfung
zwischen dem unbekannten Absoluten... und unserer
Welt der... Erscheinungen" (S. 208). So versteht Verf. Kants
Lehre vom Ding an sich. Eine Widerlegung erscheint mir überflüssig
, nur möchte ich sagen, daß es mir ganz unverständlich
ist, wie das unerkennbare Absolute Quell alles Denkens sein
kann.

Ich bin nun der Ansicht, daß die Aufgabe eines Kommentars
ist, zuerst den Autor sprechen zu lassen, ihn aus seinen Worten
verstehen zu lehren und ihn dann, wo es nötig ist, zu erläutern.
Der Verf. ist offenbar anderer Ansicht. Schon äußerlich hat er es
dem Leser schwer gemacht, da er auf genaue Zitate nebst Angabc
von Seite und Zeile verziditet. Dann aber gibt er sofort Um-
sdireibungcn. Idi kann das nur an einigen Beispielen zeigen.

kenntnis der Gegenstände verarbeiten" könne. Im Kommentar lesen
wir, daß es die Erfahrung mitaufbauende, als formgebende Elemente
geben dürfte und dazu die Interpretation „D. h. obwohl wir freilich
von der organisierten Natur (— der geformten Materie) ausgehen müssen
, so könnten wir doch versuchen, Organisation (= die sich der Ma-
trie aufprägende Form) von der organisierten Natur zu unterscheiden"
(S. 4). Davon steht in diesem ersten Abschnitt nichts und der Ersatz
des rohen Stoffes durch „organisierte Natur" ist ganz unkantisch und
irreführend. Ein anderes Beispiel! Verf. hat selbst die transzendentale
Deduktion der Kategorien als das Kernstück der Kritik der reinen Vernunft
bezeichnet. In der Einleitung zu ihr hat Kant das Problem mit
aller Klarheit formuliert. Es sei die Schwierigkeit, „wie nämlidi subjektive
Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben"
(§ 13). Der Leser des Kommentars erhält dafür in einleitenden Bemerkungen
die Mitteilung: „Kurz, Kant arbeitet in der Deduktion
jene neue Einheit von Logik und Metaphysik heraus, die das letzte Ergebnis
seines kritischen Denkens ist" (S. 125). Solche Umdeutungen sind
zahllos.

So muß ich zu dem Schluß kommen, daß diese Interpretation
nach ihrem Ergebnis nichts anderes als ein völliges Mißverständnis
und daß sie als Kommentar gänzlidi unbrauchbar ist.

Halle/Saale I'. Menzcr

Heidegger, Martin: Vom Wesen des Grandes. [3. Aufl.] Frankfurt
/M. Klostermann [1949.] 50 S. 8U. kart. DM 2.—.

Fleidegger stelit die Frage nach dem Grunde nicht logisdi,
sondern ontologisch. Er fragt, so könnte man sagen, nach dem
Seinsgrund des Gründens. Die letzten Fragen nach dem Sein
schlieben für ihre Zugänglichkeit immer audi eine bestimmte Sicht
über das Dasein mit ein. Deshalb ist auch durch diese Schrift der
Theologe zur Auseinandersetzung gerufen. Der Gegensatz von
abstrakt und konkret ist bei Heideggers Art, die Probleme des
Seins anzugehen, nicht anwendbar; denn sie ist äußerst abstrakt
in dem Sinn, daß er stets vom Vordergründigen auf das Ursprüngliche
drängt; sie ist wiederum auch sehr konkret, weil Heidegger
nicht nur von dem Selbstverständnis des Menschen ausgeht, sondern
auch auf eine bis ins letzte gedanklich geklärte Deutung
des Existierens hinausführt. Eine hervorragende hermeneutisdre
Bedeutung hat bei ihm die Sprache. Ob rein spradilich alles vertretbar
ist, läßt sich bezweifeln, z. ß. bei den verschiedenen Bestimmungen
der Freiheit. Aber es ist ihm zuzugestehen, daß die
Sprache in der Tat nicht nur einen einzigartigen Vorzug für die
1 hematisierung der Probleme besitzt, sondern selber auch Ursprünglichstes
im Seinsverstehen bewahrt.

Das Thema wird in drei Abschnitten herausgearbeitet.

1. Das Problem des Grundes.

Der „Satz vom Grunde", wie ihn Leibniz formuliert, besagt: das
prineipium rationis besteht, weil sonst Seiendes ohne Grund sein müßte
(11). Das würde nach Leibniz bedeuten, daß es Wahres gäbe, das
sich einer Auflösung in Identitäten widersetzte. Die Wahrheit faßt Leibniz
als Aussagewahrheit. Die Wahrheiten beziehen sich aber immer auf
einen Grund, der ihnen ihre Einstimmigkeit bekundet. Deshalb führt
das Problem der Wahrheit an das Problem des Grundes heran.

Eine Aussage über das Seiende auch in ihrer Übereinstimmung
madit das Seiende noch nicht zugänglich. Die Satzwahrheit muß daher
in einer ursprünglicheren, in der vorprädikativen Offenbarkeit vom
Seienden, die Heidegger die ontische Wahrheit nennt, gründen.

Die primäre Wahrheit wird aber nicht angeschaut oder vorgestellt
, sondern ist entdeckt oder erschlossen durch das gestimmte Sich-
befinden im Seienden. „Enthülltheit des Seins ermöglicht erst Offen-
barkeit vom Seienden" (13). Das Sein in dieser Enthülltheit ist die on-
tologische Wahrheit. Ontische und ontologische Wahrheit gehören zusammen
, weil sie es mit dem Unterschied vom Sein und Seienden zu
tun haben. Diesen Unterschied nennt Heidegger die ontologische Differenz
. Das Dasein selbst ist dadurch ausgezeichnet, daß es seinsverstehend
ist und diese ontologische Differenz erkennen kann.

Die ontologische Differenz ist im Dasein begründet, so daß dieses
transzendent ist. Vom Wahrheitsproblem kommt also Heidegger zurück
auf das Transzendenzproblem; und weil das Problem des Grundes
mit dem Problem der Wahrheit zusammenhängt, weist dieses ebenfalls
auf die Transzendenz zurück

2. Die Transzendenz als Bezirk der Frage nach dem Wesen des Grundes.

Die Transzendenz ist der Überstieg des Daseins über sich selbst
hinaus. Sie gehört zur transzendentalen Grundverfassung des Daseins.

Kant stellt in Abschnitt 1 der Einleitung die Frage, wie das Er- Das Woraufhin der Transzendenz nennt Heidegger als das Ganze des
kenntnisvermögen „den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Er- I Seienden die W e 1 t. Transzendenz ist daher das „In-der-Welt-sem".