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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

360-361

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller-Freienfels, Richard

Titel/Untertitel:

Schicksal und Zufall 1953

Rezensent:

Redeker, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

360

wichtige Aufgabe zu erfüllen, die der Philosophie im katholischen
Lehrsystem zufällt und die darin besteht, daß sie das rationale
Fundament für das Glaubensgebäude legt. Unterstellt man die
Philosophie theologischen Normen, so macht man sie von der
Theologie abhängig und kehrt das Verhältnis um: die Philosophie
ist jetzt nicht mehr Grundlage der Theologie, sondern die Theologie
Grundlage der Philosophie. — Sehr aktuell ist die zweite
Abhandlung: „Existentialismus". Ihr Verfasser, J. Lötz S.J., hat
schon des öfteren über diese Bewegung geschrieben und sie besonders
in der Heideggerschen Gestalt so optimistisch beurteilt,
daß der Trierer Theologe J. Lenz in seiner Schrift über den
Existentialismus (1951) mehrfach von ihm abrückt. Es ist nun psychologisch
interessant zu sehen, wie Lötz seine ursprünglich sehr
positive Wertung der lehramtlichen Entscheidung, die eine durchaus
negative ist, anzupassen weiß. — Ganz in den Bahnen der
traditionellen, scholastischen Auffassung bewegt sich der dritte
Beitrag: ,,Gotteserkenntnis und Gottesbeweis" von J. de Vries S. J.
Auch wer eine ..natürliche Gotteserkenntnis" annimmt — und
ieder Kenner der Religionsgeschichte wird es tun müssen —, wird
doch ihr Wesen ganz anders bestimmen als der Verfasser, der die
Eieenstruktur der religiösen Wertsphäre und der ihr zugeordneten
Erkenntnisweise (die heutige Religionsforschung nennt sie „religiöse
Erfahrung") verkennt. — Für die beiden folgenden, bibelwissenschaftlichen
Abhandlungen ist charakteristisch, daß sie die
absolute Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift sowie den historischen
Charakter der in den ersten Kapiteln der Genesis enthaltenen
Erzählungen beiahen und verteidieen. — In zwei weiteren Beiträgen
wird die Frage nach der Abstammung des Menschen sehr
vorsichtig erörtert und zuletzt offen gelassen, während der Polypenismus
verworfen und die Lehre vom Ursprung des ganzen
Menschengeschlechts aus Adam als eine Grundwahrheit des katholischen
Glaubens hinecstellt wird. — Der letzte, von O. Sem-
inelroth S. J. verfaßte Aufsatz erörtert das Thema „Wesen und
Werden der Dogmen". Wenn bisher weitherzige katholische
Theologen das Dogma als einen menschlichen Versuch, das ewige
Geheimnis des Göttlichen mit der Ratio zu erfassen und begrifflich
auszudrücken, werteten, so wird diese Auffassung als mit der
Enzyklika im Widerspruch stehend zurückgewiesen. „Wenn das
Dosrma — so betont Semmelroth — einmal formuliert ist, hört es
auf, eigentlicher Gegenstand der Entwicklung zu sein" (S. 2 30).

Vertieft man sich in den Text der Enzyklika, der dem Buch
in Übersetzung beigegeben ist, so gewinnt man den Eindruck,
daß sie vor allem ein Warnsignal sein will. Sie warnt vor gewissen
Zeitströmungen, die in der Tat jeder Christ verwerfen muß:
Nihilismus, Existentialismus (in seiner radikalen Form), Monismus
, Evolutionismus, und im Zusammenhang damit vor gewissen
Strebungen und Strömungen im katholischen Geistesleben
. So hat die Enzyklika vor allem einen pastoralcn
Charakter. Es besteht nun die Gefahr, daß man aus pastoralcn
Absichten entsprungenen zeitbedingten Warnungen zeitlos gültige
dogmatische Thesen macht. Daß auch das vorliegende Buch
dieser Gefahr nicht entgangen ist, dürfte für den sachkundigen
Leser kaum zweifelhaft sein.

Köln Johannes Hessen

Frieling, Heinrich: Der Tod. Vergehen, Wandlung, Überwindung.
Stuttgart: Klctt [1949]. 204 S. 8°. Pp. DM 6.80.

Diese Schrift eines Biologen will eine Apologie des Glaubens
an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele sein. Der Verf.
will die Denkmöglichkeit des Unsterblichkcitsglaubcns für den
durch das moderne biologische Weltbild bestimmten Menchcn begründen
und dadurch eine „Aufklärung" für diejenigen geben,
die infolge der naturalistischen Aufklärung kein Verständnis
mehr für den Unsterblichkeitsglauben aufbringen. Dabei verwendet
er die Gedankenmotive der idealistischen Naturphilosophie
, ohne sich an einen der idealistischen Naturphilosophen besonders
anzuschließen. Mit Vorliebe zitiert er Schölling und
Goethe. Es spielen daher bei ihm die Kategorien der Entelechic,
der Palingenesie, die Makrokosmos-Mikrokosmosspekulation sowie
der mystische Begriff des Seelenfünkleins eine Rolle. Das
Besondere bei ihm besteht darin, daß er diese überlieferten gedanklichen
Motive mit Hilfe des Seelenbegriffes eines Teiles der
modernen Biologie als des Lebensprinzips oder durch den Hinweis
auf die tiefenpsychologischen Analysen des menschlichen
Traumlebens einleuchtend machen will. Die Nähe zur Anthroposophie
Steiners und zur Christengemeinschaft ist unverkennbar.

Die evangelische Theologie ist es seit einer Reihe von Jahren
unter dem Eindruck der Arbeiten von C. Stange, Thieleckc
u. a. gewöhnt, diese Gedankengänge als eine unzulässige Vcr-
harmlosung und Verklärung des Todes abzulehnen und auch
hier in der Theologie des Todes alle natürliche Theologie zu bekämpfen
. In der Tat liegt in der Arbeit des Verf. eine Deutung
des Todes und ein Unsterblichkeitsglaube vor, die nicht durch
das Feuer des Gerichtes über die menschliche Sünde gegangen
ist und die auch nicht um den neutestamentlichen Aufcrstehungs-
glauben weiß. Ist das aber das einzige Wort, das die Theologie
zu solchen naturphilosophischen und religiösen Spekulationen
eines Biologen zu sagen hat? Der Verf. versucht, dem modernen
sich biologisch und tiefenpsychologisch verstehenden Menschen
klar zu machen, daß die Unsterblichkeitshoffnung zur Existenz
des Menschen gehört und daß daran sich gerade die Widersprüchlichkeit
der menschlichen Existenz enthüllt. Ist die Hoffnung auf
das ewige Leben Trug und Anmaßung oder ist sie von dem
Schöpfer in den Menschen als Glaube an seine ewige Bestimmung
hineingelegt? Anmaßung werden solche Gedanken, wie sie der
Verf. vorträgt, doch erst dann, wenn an dem Handeln Gottes
im Tode vorbeigegangen wird und wenn die Ewigkeitsgewißheit
auf naturphilosophische Spekulationen sich gründet, wenn sie
die Erkenntnis der Sünde und dem Gericht ausweicht und glaubt,
ohne die Auferstehung auskommen zu können. In der Abwehr
der naturalistischen Skepsis und der Erinnerung an die eigentliche
Problematik der menschlichen Existenz, die durch die ewige
Bestimmung des Menschen und den Widerspruch des Todes gegeben
ist, haben diese naturphilosophischen Überlegungen eines
Biologen auch für die Theologie einen gewissen Wert.

Kiel Martin Redekcr

M ü I I c r-F r c i c n f c I s, Richard: Schicksal und Zufall. Eine wissenschaftliche
Erörterung außerwissenschaftlichcr Probleme. München-
Berlin: Wisscnsdiaftl. Editionsgesellschaft [1949]. 226 S. 8°. Lw.
DM 7.80.

Unter dem Einfluß Spenglers ist für den Verf. Schicksal ein
geschichtsphilosophiscbcr Begriff. Es ist das Geschickte als eine
Notwendigkeit und eine Sinnganzheit, die deutlich zu unterscheiden
ist von der rational nachweisbaren kausalgcsctzlichen
Notwendigkeit der historischen Alltagsforschung. Darum ist für
den Verf. Schicksal das Metahistorische, das eigentliche Wesen
des geschichtlichen Wcrdczusanimcnhangcs, das das rational-
historische Begreifen transzendiert. Dem so verstandenen Schicksal
fügt sich der Zufall ein. Der Zufall ist zwar das Unvorhergesehene
, kausalgcsetzlich nicht Bestimmbare; aber es besteht
doch unter den mancherlei Zufällen ein sich ergänzender Gc-
schehenszusammenhang, eine Art prästabilierte Harmonie.

Wie diese schicksalhafte Sinneinheit als Tatsache nachgewiesen
werden soll, wie der Verf. anscheinend sich vornimmt,
ist aus seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Die der prä-
stabilicrtcn Harmonie in Makrokosmos und Mikrokosmos widersprechenden
Tatsachen des Todcsschicksals, des Leidens- und
Sündenschicksals bleiben außer Betracht. Der Verf. berichtet dann
über eine Reihe von Zufallscrlcbnissen des Alltages, die eine
solche planvolle Geschehenskette von konvergierenden Zufällen
veranschaulichen sollen. Aber er gesteht selber ein, daß das
kein Nachweis für die Tatsache eines sinnvollen Schicksals sein
könne. Unklar ist auch das Verhältnis der Schicksalscrfahrung
zum rationalen Begreifen der Historie. Die Schicksalscrfahrung
soll die rationale Historie nur relativ, aber nicht absolut trans-
zendieren. Es wird also für möglich gehalten, daß auf einer späteren
Erkenntnisstufe die Sinneinheit des Schicksals rational nachgewiesen
werden kann. Ebenso unbefriedigend sind die Versuche,
das Verhältnis von Schicksalserfahrung und christlichem Glauben
zu bestimmen. Es fehlt dem Verf. das Verständnis für die Wandlung
, die die Schicksalsproblcmatik im christlichen Vorschungs-
und Erlösungsglaubcn erfährt.