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Ausgabe:

1953

Spalte:

17-24

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Zur Bedeutung des Analogiegedankens bei Karl Barth 1953

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17

Theologische Literaturzeitung 195 3 Nr. 1

18

Zur Bedeutung des Analogiegedankens bei Karl Barth

Eine Auseinandersetzung mit Urs von Balthasar1

Von Wolfhart Pannenberg, Berlin

i.

In dem eindringenden Werk von Balthasars hat der Analogiegedanke
eine bedeutsame Funktion: Er gibt den gemeinsamen
Boden ab für das konfessionelle Gespräch, das von Balthasar
hier mit Barth führt, und dient als Leitgedanke zum Verständnis
der Theologie Barths. Die Verfolgung des Gedankenganges
von Balthasars führt daher zugleich in das Verständnis
des Problems selbst hinein.

Ein erster Teil des Buches erstrebt in ,, Annäherungen" (15
bis 63) eine Klärung der Voraussetzungen für ein katholisches
Gespräch mit Barth, bei dem „zum erstenmal der echte Protestantismus
eine — seine — völlig konsequente Gestalt gefunden
hat" (32),insofern nämlich Barth einerseits im theologischen
Strukturprinzip den Gegensatz zum Katholischen am schärfsten
herausgebildet hat, andererseits-aber im Materialen stärkste
Annäherung an die Fülle des Katholischen erreicht. Durch sein
aktualistisch.es Formalprinzip dem Neuprotestantismus verbunden
bleibend, verwirft Barth den Katholizismus wegen dessen
Formalprinzip, das er in der analogia entis erblickt, in der sich
für ihn die Hybris menschlicher Bemächtigung Gottes ausspricht
. Von Balthasar weist solche Festlegung des Katholischen
auf ein Prinzip sofort zurück2, verzichtet auch darauf,
nun etwa Barths Theologie auf ihr Formalprinzip zu reduzieren
und ist vielmehr bemüht bei der gemeinsamen einen Sache zu
bleiben, die Jesus Christus heißt (62f.). Dennoch muß das Gespräch
, in Rücksicht auf die von Barth vorgenommene Formali-
sierung des konfessionellen Gegensatzes, auf die Erörterung des
Formalprinzips bezogen bleiben. Der Gegenstand des Buches
wird daher eingegrenzt auf die Themengruppe von Schöpfung,
Menschwerdung und Erlösung, die für die formale Struktur des
theologischen Denkens primär bedeutsam ist.

Der zweite Teil untersucht „Denken und Denkform Karl
Barths" (67—259). Eine Darstellung seiner theologischen Entwicklung
weist eine innere Notwendigkeit auf in der Wendung
Barths von der frühen dialektischen Auffassung des Gott-
Kreatur-Verhältnisses zu dessen seit 1930 sich durchsetzender
Beschreibung durch den Analogiegedanken. Es geht um den
Nachweis, „daß die Letztgestalt, wie die Dogmatik sie enthält,
von vornherein die Absicht und gleichsam die Entelechie
dieses dramatischen Werdegangs war" (47). Eine „Beleuchtung
" (181—259) deutet die in jener Wendung sich gleichbleibende
tiefere Absicht Barths als Eifer für die verzehrende Aktu-
osität Gottes, die sich in der Dogmatik dann immer mehr als
das „Feuer der absoluten Liebe" (184) erweist. Ihren grundlegenden
Ausdruck hat diese Intention in der Prädestinationslehre
Barths gefunden, die ihr entsprechende Denkform in
einem Denken vom Akt her (esse sequitur operari). Diese Denkform
übernimmt Barth vom Deutschen Idealismus, vor allem
von Schleiermacher, aber noch nicht das entscheidet über ihre
theologische Legitimität, sondern erst der Gebrauch, den das
theologische Denken von ihr macht. In dem darin sich vollziehenden
Ringen zwischen Idealismus und Offenbarung — zwischen
System und Existenz, „Wort" und Glaube, Dialektik und
Gericht, um die Bedeutung des Konkreten und der Geschichte
— hat Barth nach von Balthasars Urteil der Theologie „ihre
Selbständigkeit bewahrt oder zurückgewonnen" (251). Dennoch
bleiben ihm drei Bedenken (253 ff.): 1. gegen eine Tendenz zum
System, die er in der „Engführung" des christologischen Ansatzes
drohen sieht, dergestalt, daß das Geschöpfliche christo-
logisch abgeleitet wird und so in seiner relativen, aber wirklichen
Eigenständigkeit nicht genügend zur Geltung kommt, 2.
gegen eine Tendenz zur theologischenGrenzüberschreitung von
der Erwählungslehre her, indem die Zulassung der Sünde dialektisch
in das System eingebaut und eine letzte Verurteilung
des Sünders unmöglich wird, 3. gegen die Gefährdung des institutionellen
Kirchenbegriffs, der nicht nur von der Erwählungslehre
her bedroht scheint, sondern auch durch die starke Dynamik
im Offenbarungsgedanken sowie durch die „Unanschau-
lichkeit des tatsächlich vorhandenen Glaubens". „Und so ist
vom Katholischen her die Theologie Karl Barths in diese letzte
Krisis gestellt: ob die in Punkt 1 und 2 gezeigte Tendenz nur
Tendenz ist und als solche korrigierbar, so daß Punkt 3 nicht
mit Notwendigkeit daraus folgt, oder ob jene beiden Punkte
systematischer und damit schließlich metaphysischer und nicht

') Balthasar, Hans Urs von: Karl Barth. Darstellung und Deutung
seiner Theologie. Ölten und Köln: Verlag Jakob Hegner 1951. 420 S. 8». Kart.
DM 24.— ; Lw. DM 28.—.

*) Die katholische Denkform gibt es nicht! (47 ff., 56, 263 ff.)

theologischer Natursind, woraus dann freilich die Notwendigkeit
des dritten gefolgert werden müßte. Fast möchte man zuspitzen
: ob die beiden ersten letztlich um des dritten willen so formuliert
sind: also mit einer bewußt konfessionell-polemischen
Spitze gegen den römischen Katholizismus, oder ob das christo-
logische Anliegen das Zentrum bleibt, das, weil es um Christus
geht, auf metaphysische Engführung verzichten muß und somit
eine sehr geeignete, ja vielleicht die einzig geeignete Basis
einer konfessionellen Verständigung abgibt." (258 t.)

Solche Verständigung wäre offenbar in einer jene „Eug-
führung" aufgebenden Christozentrik erreicht, die der Natur
die ihr zukommende relative Selbständigkeit bewahrte. Das
wird in einem dritten Teil als „Denken und Denkform im Katholizismus
" entwickelt (263—386). Anschließend an eine Erwägung
der „starken Betonung einer vortheologischen Philosophie
" (274) bei Thomas, in der seine „übergängliche" Situation
zwischen dem alten (augustinischen) Denken im ordo con-
cretus supernaturalis und dem neuen (aristotelischen) im duplex
ordo naturalis et supernaturalis zum Ausdruck kommt,
zeigt von Balthasar eine Doppclseitigkeit im Naturbegriff auf.
„Natur" ist einerseits ein formal-abstrakter Begriff, zu gewinnen
durch Subtraktion alles Gnadenhaften (entsprechend dem
„philosophischen" Naturbegriff bei Thomas): Natur als Gegensatz
zur Gnade. „Natur" ist aber auch inhaltlich-konkret die
immer schon von der Gnade umgriffene, getragene und so immer
schon auf sie bezogene Natur (entsprechend der supernaturalen
Finalität der thomistischen Natur). Beide Begriffe sind
theologisch und stehen zu den entsprechenden emer statisch-
wesenhaften und einer dynamischen Natur in der Philosophie
nur in Analogie (284 f.). Der formal-abstrakte Naturbegriff ist
nötig, damit der relative Eigensinn von Natur als Voraussetzung
der Gnade gewahrt bleibe (300), aber Natur existiert
nur als entweder positiv oder negativ in die einzig konkrete
Ordnung von Sünde und Erlösung eingebettet (335). Mit diesem
, in semer Doppelseitigkeit streng strukturierten Naturbegriff
kann von Balthasar das Vaticanische Dekret de reve-
latione, das von der den Gegensatz zwischen natura pura und
elevata nicht berührenden natura absolute sumpta handelt, im
Sinne der analogia fidei Barths deuten und also im Sinne der
die Natur umgreifenden Hinordnung auf die Gnade: „Man
kann daher zwischen den Aussagen Barths in seiner Anthropologie
über das Vermögen der menschlichen Natur, innerhalb
der konkreten Ordnung der Offenbarung (in jedem ihrer Zustände
) Gott zu erkennen, und den Aussagen des Vaticanums
keinen echten Gegensatz konstruieren" (320). Nun wird die
„Christozentrik" solchen katholischen Denkens durch Zitate
aus einer Reihe namhafter katholischer Theologen aufgezeigt:
im Blick auf die Schöpfung durch Christus, das Verhältnis von
Natur und Geschichte, Natur und Gnade, Gericht und Erlösung
. Zusammenfassend kann von Balthasar feststellen, daß
Christozentrik „in keiner Weise das unterscheidend Protestantische
sei" und glaubt vielmehr gezeigt zu haben, „daß man
Christozentrik ebenso radikal wie Barth begründen kann, ohne
doch in seine Engführung zu verfallen" (371). Ein Blick auf das
Rechtfertigungsproblem schließt diesen Teil ab.

Das Ergebnis des Werkes faßt von Balthasar dahin zusammen
, daß die „Scheinfront" Barths gegen den Katholizismus
„aufgelöst" ist: „die Weise, wie Karl Barth die Offenbarung
Gottes in der Schöpfung von Christus her versteht, enthält
als analogia fidei die analogia entis in sich, die Weise, wie
die genannten katholischen Autoren die Christozentrik des göttlichen
Weltplans verstehen, läßt die analogia entis ihre Konkretheit
nur innerhalb der umgreifenden .analogia fidei' (im
weitesten Sinne) gewinnen" (390). So sind „die im behandelten
Gebiet der Theologie verbleibenden Meinungsverschiedenheiten
. . . nicht kirchenspaltend" (393). Gerade dort also, wo für
Barth die Wurzel des Gegensatzes lag (K. D. I/i, VIII f.), sieht
von Balthasar keinen Grund zur Kirchenspaltung mehr! Auch
für die Ekklesiologie ist nun aber der Abweis jeder Kontinuität
zugunsten des Ereignishaften nicht mehr gerechtfertigt (394)!
Wie das positiv aussieht, wird dem Leser nicht vorenthalten:
„Stammt die Kirche als Leib Christi auch immer und je jetzt
aus dem senkrechten Ereignis der Menschwerdungsgnade, und
ist sie auch darum Leib Christi, um die Glieder immer neu in
das Ereignis des Glaubens und der Begegnung mit dem göttlichen
Haupt zu führen, so ist die Kirche doch zwischen Ereig.
nis als Ursprung und Ereignis als Ziel als ein Leibhaft-Bestäu
diges und Ubernatürlich-Naturhaftes eingebettet"(396).