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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Ehmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Johannes Kuhlo, ein Spielmann Gottes 1953

Rezensent:

Kupisch, Karl

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Seite 1

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357 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6 358

härteste Interesse der geschichtlich Gebildeten rechnen. Das bedarf
keiner Begründung. Die Nachwirkung Burckhardts ist so
stark, viele seiner historischen Gedanken haben sich gerade in
den Umwälzungen der letzten Jahrzehnte so bewährt, daß nun,
zwei Menschenalter nach seinem Tode, immer noch eine große
Lesergemeinde bewundernd zu ihm aufblickt. Besteht nun noch
der besondere Glücksfall, daß die Quellen in beneidenswerter
Fülle fließen (mag auch manches verloren sein, was wir gern besäßen
, wie der Briefwechsel Burckhardts mit seinem Vater), dann
ist das Unternehmen einer umfassenden Biographie umso lok-
kender. Es muß für den Verfasser, trotz der respektablen Mühe,
die das Werk erforderte, eine Lust gewesen sein, dieses Leben
zu beschreiben; jedenfalls ist es eine Lust, diese Biographie zu
lesen.

In Bd. I verharrt die Darstellung, wie der Gegenstand es mit sich
bringt, im wesentlichen im Baslerisdien Raum. Kap. I schildert die erste
Kindheit Jacob Burckhardts, bis zum frühen Heimgang der edcln Mutter
, einer der beliebtesten Frauen Basels. Dann fällt (II) unser staunender
Blick auf die Familien der Vorfahren. Es ist eine „gens amplis-
sima", alte Baslerische Geschlechter umspannend, deren bedeutendste
Mitglieder führend sind im Großhandel, in den öffentlichen Ämtern,
als Gelehrte, als Geistliche. Auch eine Menge von Vorfahren französischer
und italienischer Herkunft wird verzeichnet. Es folgt (III) ein
anschauliches Bild von der Welt der Eltern zu der Zeit, da der Vater
noch Pfarrer in Lausen ist; die Baseler Christentumsgescllschaft. die
französische Invasion in der Zeit der Koalitionskriege mit ihren Nöten
tauchen vor uns auf, mit bunten Bildern aus einer bewegten Zeit. Dann

(IV) entwirft der Verfasser mit besonderer Liebe ein eindrucksvolles
Bild von dem geistigen Wesen des trefflichen Vaters, Jacob Burckhardts
des Älteren, von seinem Wirken in Basel als Obersthelfer (Archidia-
konus) an der Münstergemeinde, seit 1838 als Antistcs (als der ctstc
Geistliche der Stadt). Für die Jugendeinflüsse, die diesen ausgezeichneten
Geistlichen bilden halfen, sind die Beziehungen zu Lavater und
Jung-Stilling wichtig, weiter das Studium in Heidelberg unter den Einwirkungen
des von Daub und Crcuzer erzeugten Geistes. Die Darstellung
wendet sich dann Jacob Burckhardt d. J. selbst zu und schildert

(V) die frühe Jugend und die Anfänge des geschichtlichen Sehens, (VI)
die Lösung vom Lande der Kindheit, Gymnasium und Pädagogium; es
folgt (VII) das erste Baseler Semester; hier tritt als B.s Kommilitone
Alois Biedermann in das Blickfeld, der J. B. anzuziehen und doch nicht
zu halten vermochte. Die tieferen Gründe für diese Entfremdung liegen
in der theologischen Entwicklung J. B.s. die (VIII) das Kapitel über
das Theologiestudium mit feinem psychologischen Verständnis nachzeichnet
; plastisch treten Hagenbadi, der damals noch jugendfrische,
und De Wette in die Erscheinung, aber auch die anderen theologischen
Lehrer. Das Theologiestudium endet mit der Entscheidung für die Weltgeschichte
. Mit einem Rundblick (IX) auf die humanistischen Studien
der Baseler Jahre und die ersten Italienfahrten endet der erste Band.

Mit dem umfangreicheren und inhaltlich noch bedeutenderen
Bd. II öffnet sich der Horizont zu europäischer Weite. (I) Berlin und
seine Lehrer. (II) die Bonner und die zweite Berliner Zeit, (III) die
Reise nach Weimar, Wien und Paris, (IV) der Geschichtsdozent und
Redaktor der „Baseler Zeitung" 1843—44 und schließlich (V) der Dozent
der Kunstgeschichte und Kritiker der Zeit in den Jahren 1844-46.
sind die Themen des Bandes. Kugler, Droyscn, Bocckh, Ranke und bedeutende
Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft, wie Bettina von
Arnim, zum Schluß der Berliner Zeit auch Schclling, in Bonn Gottfried
Kinkel und Welcker, das sind die Hauptgestalten, die den Schauplatz
beieben Besondcrs das komplizierte Verhältnis zu Ranke wird vorsichtig
und umsichtig erörtert (S. 54 ff.).

Von dem erstaunlichen Reichtum der beiden mir vorliegenden
Bände läßt sich mit wenigen Worten keine genügende Vorstellung
geben.

Man sieht deutlich, wie J. B. geworden ist, wie viele Anregungen
er von seiner Umgebung empfing, die später seine großen
Schöpfungen gestalten halfen. Besonders dem geschichtskun-
digen und kunstverständigen Vater hatte er viel zu danken.
Sehr bemerkenswert ist die Schilderung der Baslerisdien Frömmigkeit
um 1830, die weit mehr vernünftige Orthodoxie als
Pietismus gewesen ist und in gewissem Sinn zur Haltung des vor-
calvinistischen 16. Jahrhunderts zurücklenktc. J.B. verließ die
Theologie, für die er nicht geschaffen war, aber ohne einen radikalen
Bruch mit dem Christentum, wie der um 26 Jahre jüngere
Nietzsche.

Was uns in den beiden vorliegenden Bänden geboten wird,
ist eine ganz große Bereicherung unserer Kenntnis der neueren
Geistesgeschichte. Es wird nicht nur unser Interesse an den Lebensumständen
eines bedeutenden Menschen befriedigt, sondern,
was sehr viel mehr ist, es werden uns ganz neue Möglichkeiten
geschenkt, die Werke B.s in ihrem echten Sinn, mit der ihnen
eigenen persönlichen Note und dem zeitgeschichtlichen Kolorit
ihres Ursprungs nachzuerleben. Das Werk ist auch als schriftstellerische
Leistung vorzüglich. Nur selten begegnet ein Anstoß,
wie etwa die Unsitte, ein lateinisches Wort mit dem deutschen
Artikel der deutschen Entsprechung zu versehen („dieses con-
fessio", II, 214). Die beiden geschmackvoll ausgestatteten Bände
sind mit zahlreichen Abbildungen geschmückt, darunter sind feine
Zeichnungen von der Hand Burckhardts; er war nicht nur Kunstwissenschaftler
, er war Künstler.

Jena Karl H e u s s I

E h m a n n, Wilhelm: Johannes Kuhlo, ein Spielmann Gottes. Stuttgart
: Kreuz-Verlag. [1951]. 292 S. m. Abb. auf Taf. 8°. Lw.
DM 9. 80.

Man sagt, es gäbe keine Originale mehr. Kanzel und Katheder
, einst die traditionellen Weideplätze individueller Lebenslust
, wären längst Orte feierlich-strengen Gleichklangs geworden.
Nun, der 1941 85jährig verstorbene „Posaunengeneral" Johannes
Kuhlo, von dessen Leben das vorliegende Buch berichtet, war ein
Original, wenn auch nicht so sehr auf der Kanzel und schon gar
nicht auf dem Katheder, dafür umso mehr auf und mit seinem
Flügelhorn, das ihn von früh auf begleitet hat und mit dem der
Greis, es muß auf der Helsingforser Weltkonferenz der CVJM
gewesen sein, vom lOm-Turm ins Wasser sprang, nachdem er
vorher den ebenso belustigten wie bestürzten Zuschauern sein
ganz untheologisches Vorhaben aus schwindelnder Höhe durch
ein geblasenes Solo angekündigt hatte. Johannes Kuhlo war Pastor
(Halle, Leipzig, Erlangen hatten ihm zu geben versucht, was
er willig war, von ihnen anzunehmen) und stammte aus einer
Pastorenfamilie aus dem Ravensberger Lande, aber er gehörte zu
jenen urwüchsigen Naturen, wie sie wohl auch die Erweckung in
nicht geringer Zahl hervorzubringen vermochte und deren Vertreter
heute (zum Nutzen oder Nachteil der Kirche?) bis auf ganz
wenige rare Exemplare ausgestorben sind. Ehmanns Darstellung,
die für breitere Kreise gedacht ist, basiert auf guten und zuverlässigen
Quellen. Es ist dem Verfasser gelungen, ein lebensvolles
und von allen, die Kuhlo kannten, zu bejahendes Bild des volkstümlichen
Mannes zu entwerfen. Sehr anzuerkennen ist, daß der
Verfasser bei aller Liebe und Wärme, die er seinem Gegenstand
entgegenbringt, doch mit dem notwendigen Wort der Kritik
nicht zurückhält. Gerade die knappe Form, in der das geschieht
und in der kirchenmusikalische, theologische und — last not
least —auch politische Bedenken laut werden, geben der Dankbarkeit
, die man für diesen eigenartigen „Spielmann Gottes" haben
muß, die echte Atmosphäre. Auch dieses Buch kann als ein
Baustein zu der künftigen Geschichte der Erweckung im vorigen
Jahrhundert dienen.

Berlin Karl Kuplsch

PHILOSOPHIE UND IWUGIOJVSPHILOSOPHIE

Hartmann, Albert, S. J.: Bindung und Freiheit des katholischen
Denkens. Probleme der Gegenwart im Urteil der Kirche. Frankfurt
^.: Knecht - Carolusdruckerei [1952]. 254 S. 8°. Lw. DM 10.80.

Die Enzyklika „Humani generis" vom 12. Aug. 1950 hat
in katholisch-theologischen Kreisen eine gewisse Beunruhigung
ausgelöst. Diese Tatsache war offensichtlich der Anlaß dafür, daß
sich ein Kreis von Mitgliedern der Gesellschaft Jesu zusammentat,
um in der vorliegenden Schrift zu zeigen, daß zu einer Beunruhigung
kein Grund vorliegt, weil die in der Enzyklika vollzogenen
Bindungen des katholischen Denkens mit seiner Freiheit
durchaus in Einklang stehen. In diesem Sinne handelt der Herausgeber
selber über „Christliche Philosophie". Er bejaht diesen
Begriff und läßt die Einwände katholischer Theologen gegen ihn
nicht gelten. Dabei vergißt er freilich, sich die Frage vorzulegen,
ob eine kirchlich normierte Philosophie noch imstande ist, jene