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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

355-356

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Philosemitismus im Barock 1953

Rezensent:

Maurer, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

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gensburg machte (die da separierten, mißverstanden Sailer). Aber
liegt hier nicht doch eine Entschuldigung für unseren biederen
Protestanten und Vernunftbuchhändler Nicolai? So einen Katholiken
hatte eben Nicolai noch nie erlebt — und so argwöhnte er:
Sailer will den Protestanten vormachen, „das Wesen des Katholizismus
habe eine andere Gestalt gewonnen" (bei Mirbt RE3
XVII). Wenn doch Bischöfe, ja Heilige stutzig wurdenl Umso
ungeheurer ist die Tatsache, daß Sailer Bischof wurde und blieb,
und nicht als ein zum Offiziellen Umgefallener. Sailer leitete den
neuen Bischofsstand, nach der Abtuung der Fürstbischöfe, ein
(210. Brief: „Dialog zwischen dem hohen Klerus Deutschlands
und dem niedrigen Evangelium Palaestinas", schon vom 28. II.
1801! Vgl. auch die treffende Bemerkung Mirbts RE'1 XVII
341 und Gerhard Fischer „Das Bischofsamt J. M. Sailers in
der Kulturkrise", Festschrift „Episcopus" 1949, S. 238).

Schiel hat durch diese zwei Bände, aber auch schon durch
seine im 2. Bande 669 f. verzeichneten Schriften, der Sailer-For-
schung den festen Boden gegeben. Die „Anmerkungen zu Sailers
Briefen" (2, 549—611) und das „Verzeichnis der Briefempfänger
mit biographischen Erläuterungen" (2, 620—638) sind eine aller
Anerkennung werte Nebenleistung (siehe auch „Sailers Reisen"
2, 611—614, das „Verzeichnis der Fundorte der Briefe" 2,
615—619, das „Personen- und Sachregister zu Bd. 1 und 2:
2, 683-719, den Abschnitt „Zu den Bildbeilagen" 2, 10-11).
Die „Sailer-Bibliographie" (2, 641—671) verzeichnet das gesamte
Schrifttum von Sailer und über Sailer.

Gerhard Fischer (Episcopus S. 256) notiert: „Wenn heute
geradezu auffallend viel Sailerstudium getrieben wird, so kann
die Erklärung für dieses wache Interesse nur darin liegen, daß
Sailers Stellung zur Zeit und seine Lösung der Probleme eine richtungsweisende
Bedeutung für die Gegenwart" haben. Aber gerade
das ist die Frage. Wie nähme sich z. B. Sailer heute in der Münchener
Theologischen Fakultät (die die Erbin der seinigen
ist) aus?

Augsburg Leonhard Fendt

S c h o e p s, Hans Joachim, Prof.: Philosemitismus im Barock. Religionsund
geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen: Mohr 19 52.
VII, 216 S. gr. 8°. DM 22. 50.

Die Untersuchungen haben eine frömmigkeitsgeschichtliche
und eine wissenschaftsgeschichtliche Seite; sie machen zugleich
deutlich, wie die wissenschaftlichen Motive von den religiösen
gespeist werden. Ein höchst kostbares und seltenes Material ist
hier verarbeitet; und man muß den Fleiß des Verfassers bewundern
, der es in den Jahren seines Exils aus schwedischen Archiven
und Bibliotheken zutage gefördert hat. Den Verlag aber
darf man beglückwünschen, daß er mit dieser Veröffentlichung
eine Tat vollbracht hat, die Völker und Rassen verbindet.

Es ist das dunkele 17. Jahrhundert, in das durch diese Forschungen
Licht gebracht wird. Der innere Zustand der westeuropäischen
Synagogengemeinden, wie er etwa ein Jahrhundert vor
Durchführung der Emanzipation zutage tritt, wird hier sichtbar
gemacht: das Zusammengehen der Judenschaft mit dem abendländischen
Rationalismus, der späthumanistischen philologischen
Kritik zumal, und mit dem Geist der modernen Philosophie, zu
der Spinoza eben seinen Beitrag geleistet hatte; die inneren Erschütterungen
der Synagoge, wie sie sich in den Schicksalsjahren
1648, 1666 und 1695 aus der Katastrophe des Ostjudentums,
aus der durch kabbalistische Berechnungen genährten apokalyptischen
Erwartung und aus dem Auftreten des falschen Messias
Sabbatai Zewi von Smyrna ergeben hatten.

An Einzelschicksalen werden diese Entwicklungen deutlich
gemacht. Der französische Kalvinist Isaak de la Peyrere, dessen
marranische Abstammung Schoeps so gut wie sicher macht, fordert
1643 den König von Frankreich auf, die Juden nach Jerusalem
zurückzuführen. Von dem deutsch-böhmischen Theologen
Paul Felgenhauer, Mitglied der böhmischen Brüdergemeine (gest.
nach 1677), kommt 1655 ein „Bonum Nuncium Israelis" heraus,
das die Vereinigung von Christen und Juden und die Wiederkunft
des Messias verkündigt. Der Verfasser selbst ist der Vorläufer
dieser endzeitlichen Ereignisse, der neue Elias; und der

schwedische Artillerieleutnant Anders Peddersson Kempe (gest.
in Altona 1689) verbreitet von Hamburg aus diese „erfreuliche
Botschaft" in Deutschland und in den nordischen Ländern. Der
dänische Kaufmann Öliger Paulli (gest. 1714 in Kopenhagen)
wiederholt unaufhörlich la Peyreres Forderung vor allen Königen
Europas, sie sollten das jüdische Königreich in Jerusalem
wiederherstellen und damit die Wiederkunft Christi vorbereiten.
Johann Peter Spaeth aus Augsburg, in Frankfurt ein Anhänger
Speners, empfängt 1697 in Amsterdam Proselytentaufe und Beschneidung
und rechtfertigt unter dem Namen Moses Germanus
seinen Übertritt als das Ergebnis seines Durchgangs durch die
verschiedenen mystischen Schulen und Sekten des Christentums.
Und umgekehrt: der Rabbi Moses ben Ahron aus Krakau läßt
sich 1696 in Schweinfurt taufen und wandert nach Schweden aus;
er ist enttäuscht von den messianischen Erwartungen der Juden,
die sich um das Jahr 1695 herum noch einmal verdichtet hatten,
und wird nun in Upsala unter dem Namen Johan Kemper der Begründer
einer Schule von Rabbinisten, die bis weit ins 18. Jahrhundert
hinein die Orientalistik in Schweden und darüber hinaus
angeregt hat.

Wie ist die Mannigfaltigkeit dieser Erscheinungen einheitlich
zusammenzufassen? Man sieht deutlich, wie die Wellen
chiliastischer Erregung über ganz Europa hingehen und Christen
und Juden in gleicher Weise ergreifen, die beiden Religionen
auch in vielen einzelnen Vertretern einander näher bringen. Für
die Geschichte der Spiritualisten und Enthusiasten und damit für
die Vorgeschichte des Pietismus hat Schoeps wichtige Vorarbeit
geleistet.

Zugleich aber gewahrt man, wie diese Bewegungen sich das
gelehrte Rüstzeug der biblischen Philologie aneignen, das der
Humanismus bereitgestellt hatte, und ihre Kritik an der gegenwärtigen
Kirche mit der Kritik an der biblischen Offenbarung
verbinden, also auch der Aufklärung Vorschub leisten. So hat die
Arbeit von Schoeps auch ihre theologiegeschichtliche Bedeutung.

La Peyrere hat die damals großes Aufsehen erregende Theorie
von den praeadamitischen Menschen erfunden, die in den
nichtjüdischen Völkern weiterleben, während nur das auserwählte
Volk der Juden auf Adam zurückgeht. Indem P. so von
den ersten Anfängen einer völkerkundlichen Betrachtungsweise
aus die biblische Urgeschichte beurteilte, hat er noch vor seinem
Freunde Richard Simon eine Grundlage zur Pentateuchkritik gelegt
. Felgenhauer hat eine doketische Christologie entwickelt und
in Abhängigkeit von Weigel und den Rosenkreuzern einer radikalen
Kritik an der Kirche, ihrem trinitarischen und christolo-
gischen Dogma Vorschub geleistet. Moses Germanus hat schon
in seiner christlichen Periode sich die Argumente der Sozinianer
und Antitrinitarier zu eigen gemacht und sie dann mit der talmudischen
Kritik am neuen Testament verbunden.

Mehr sammelnden und aufbauenden Charakter haben die
talmudistischen Studien der Schule von Upsala, die, meistens in
der Form akademischer Disputationen gehalten, uns von Schoeps
zugänglich gemacht werden. Im Bannkreis dieser Schule stehen
auch die orientalistischen Arbeiten von Lund, Abo, Dorpat und
teilweise auch Greifswald, die im Vorbeigehen berücksichtigt
werden. Die behandelten Themen haben z. T. heute noch aktuelle
Bedeutung; das zutage geförderte Material wird insoweit auch
für den heutigen Orientalisten von Interesse sein.

Reiseberichte schwedischer Studenten aus den Jahren zwischen
1640 und 1725, die oft sehr anschaulich ihre Erfahrungen
in den festländischen, z. T. auch nordafrikanischen und vorderasiatischen
Synagogengemeinden wiedergeben, runden die interessanten
Studien ab. Am wichtigsten ist wohl der Bericht, den.
Gustav Peringer am 14. Nov. 1690 über seinen Besuch bei den
Karäern in Litauen erstattet hat.

Erlangen Wilhelm Maurer

Kaegi, Werner: Jacob Burckhardt. Eine Biographie, l.u. 2. Bd. Basel:
B. Schwabe |1947—1950]. gr. 8°. L Frühe Jugend und baslerisches
Erbe. XIX. 582 S., 27 Taf. Lw. DM 28.-. II. Das Erlebnis der geschichtlichen
Welt [1950], XXIII, 586 S., 32 Taf. Lw. DM 29.-.

Eine Biographie Jacob Burckhardts (deren Besprechung ohne
Verschulden des Referenten verspätet erfolgt) darf auf das leb-