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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

353-355

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sailer, Johann Michael

Titel/Untertitel:

Briefe 1953

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

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sonders interessant ist der Nachweis, daß der Heilige der Thomaskirche
ursprünglich kein anderer als Thomas Bcckct von Can-
terbury gewesen ist. Später hat der Papst daraus den Apostel
Thomas gemacht; die Erhebung des Erzbischofs von Canterbury
zum Patron hatte bestimmte, der Kurie sehr unliebsame kirchen-
politische Hintergründe. Die Abhandlung ist mit unermüdlichem
Fleiß und ausgezeichneter Sachkenntnis, nicht nur mit lokalgeschichtlichem
, sondern universalem Horizont geschrieben und
überaus lehrreich.

Jen« Karl Heussl

KIRCHEN GESCHICHTE: NEUZEIT

Sailcr, Johann Michael. — Briefe. Hrsg. von Hubert Schiel. Regensburg
: Pustet 1952. 719 S., 3 Taf., 1 Faks. 8° = Johann Michael
Sailcr. Leben und Briefe, dargest. v. Hubert Schiel. 2. Bd. Briefe. Mit
einem Personen- und Ortsregister für beide Bände und einer Sailer-
Bibliographie. Lw. DM 3 5.—.

Hubert Schiel hat im 1. Bande seiner Veröffentlichung
zu dem Thema „Johann Michael Sailcr, Leben und Briefe" die
Quellen für das Leben und die Persönlichkeit Sailers „in Selbst-
zeugnissen, Gesprächen und Erinnerungen der Zeitgenossen" dargeboten
(1948, vgl. ThLZ 1949 [Bd. 74] Sp. 292 f.); in dem vorliegenden
2. Bande, den Schiel einfach „Briefe" betitelt, ersteht
nun vor uns der Seelenkünstlcr Sailer in seiner Korrespondenz.
Denn das ist der hervorragendste Inhalt dieser Sailerbriefe: der
Seelenkünstler Sailer sowohl in der Seelenfreundschaft als auch
in der Seelensorge. Auch wer Sailer als solchen Seclenkünstler
aus seinen Büchern, Schriften und dem 1. Schiel-Bande kennt,
wird von dem nun im 2. Schiel-Bande zu findenden Material überwältigt
. Hier tritt uns tatsächlich ein Klassiker der Seelenfreundschaft
und der Seelensorgc gegenüber. Man kann ihn so kennzeichnen
: Ein integer vitae, ein philosophisch und theologisch
(und doch auch schöngeistig) umsichtiger Mitgcstaltcr der geistlichen
Schicksale seiner Zeit, ein Beter, ein Gesandter und Sender
der Agape, ein Meister der fiducia, wie sie Rm. 5, 1 — 11 bekannt
wird, ein Optimist durch Gottes Barmherzigkeit und des
Erretters Jesu Christi Gnade, ein Bibclchrist und Liebhaber gerade
des NT, ein Pädagoge hoher Grade wie als Professor und
Schriftsteller so als Freund und Seelensorger — wandelt durch sein
und anderer Leben, um Genossen seiner „Innigkeit" (welche eine
..Christinnigkeit" ist) zu finden, Genossen seiner Freude, weil
. jeder neue Ring in der Kette unseres Schicksals von dem Fin-
!?er der Gottheit eingeflochten und die ganze Kette an den Thron
der Liebe festgemacht ist" (48. Brief)-

Dieses Phänomen aber steht mitten in der römisch-katholischen
Kirche! Man muß freilich fragen: „Wie steht dieses Phänomen
dort?" - und hat (auf Grund der Sailerbriefe) die Antwort
zu geben: L Sailer baute in seine Katholizität alles als
selbstverständlich katholisch e i n, was vom Heile Gottes in
Christo lebt; H. Sailer legte im katholischen Glauben und Leben
den Akzent dorthin, wo das Heil Gottes in Christo lag. Erinnert
man sich dessen, was in der Religionsgeschichtc mit „Heno-
theismus" gemeint wird, so kann man (wenn man das Wortungetüm
in Kauf nimmt) bei Sailer von „Heno-Evangelismus" reden
(vgl. den 220. und 256. Brief). Er selbst nennt dieselbe Sache
„das allgemeine Christentum" (418. Brief), zu welchem „die
Unterscheidungslehren" erst hinzutreten. Und Sailcr hält dieses
„allgemeine Christentum" (das doch deutlich gerade „das besondere
", nämlich das Kern-Christentum ist!) im Katholizismus
für wesentlicher als die Unterscheidungslehren - die er aber
keineswegs wegstreicht. Auch die katholische Kirche als im
Christentum göttlich etablierte Rcgicrungsmacht streicht er nicht
weg, sondern ordnet sich unter, gehorcht, ja bekennt er feierlich,
wenn es darauf ankommt (142., 148., 412. Brief, et passim).
Sailer empfindet seine Existenz gerade in der katholischen Kirche
nicht etwa als einen Zufall oder als sein Schicksal, sondern
als Heimatsgnade (401.. 407. Brief). Der Protestantismus gehört
für ihn zu den „besonderen Konfessionen", die „notwendig den
Keim der Auflösung in sich tragen und durch sich selber nicht bestehen
können" (343. Brief); ein „scharfdenkender, nach Einheit

strebender Geist" kann „nicht Befriedigung finden in den Inkonsequenzen
und Widersprüchen des sich selbst zersplitternden
Protestantismus", sondern „sein Herz sehnt sich nach dem realen
Genüsse der Heilsgeheimnisse des Christentums, und sein Gewissen
fordert eine objektive Sicherung der Sündenvergebung".
Dieses alles findet er nach Sailer „in der katholischen Kirche"
(510. Brief). Man kann also wirklich nicht sagen, daß Sailer mit
dem Protestantismus sympathisierte, nicht einmal, daß er den
Protestantismus „ökumenisch" studierte; der war für Sailer eine
Verfallserscheinung. Dennoch schrieb, reiste, sprach Sailer nicht,
um Konvertiten zum Katholizismus zu sammeln, sondern um mit
Freunden des „allgemeinen Christentums" (also des besonderen
Kernchristentums) jener „Innigkeit" in Gebet, Gespräch, Brief
und Buch zu pflegen — und noch 1817 gedenkt er (413. Brief)
abwehrend „der Lüge", welche „Nicolai in ganz Deutschland
herumschrieb", „daß ich die Protestanten suche auf schelmische
Weise katholisch zu machen". Wahr sei freilich, daß er in den
„Grundlehren der Religion" (1805 erschienen) „die ganze Stütze
des Protestantismus umwarf", „indem ich zeigte, daß weder die
menschliche Vernunft noch die Hl. Schrift die Glaubensregel abgeben
könne, sondern die Glaubensregel nur in der apostolischen
Tradition und in dem lebendigen Wort der römisch-katholischen
Kirche gefunden werden kann" (413. Brief). Sailer hätte beifügen
können, daß ihm trotzdem jede tatsächlich erfolgte Konversion
zum Katholizismus einer Heimkehr ins Vaterhaus gleichkam
, und daß er bei aller Seelcnfreundschaft mit Lavater, Claudius
, Heß, Anna Schlatter u. a. m. diese Seelenfreunde doch als
Heimatlose ansah (vgl. den 343. und 510. Brief). Auch die Etikette
konnte Sailer seinem freundschaftlichen Umgang mit Protestanten
aufkleben: Gemeinsamer Widerstand gegen das Anti-
christentum (218. und 410. Brief). Doch dürfte diese Etikette
nicht Sailers ursprünglichem Gefühl bei der Sache, sondern dd
Not sich zu rechtfertigen entstammen; sein ursprüngliches Gefühl
war Seclenfreundschaft aus Christinnigkeit, die er bei den Freunden
herausspürte. Nur darin dürfte er sich gründlich getäuscht
haben, daß auf diesem Wege innumeri Protestantes nostrae Re-
ligionis (sc. catholicae!) amantes geworden seien (436. Brief —
an Kardinal Consalvü). Vielmehr trifft Steffens (in Mirbts
Artikel „Sailer" RV XVII) das Richtige mit der Feststellung:
„Was mich zum Katholiken machte, wenn ich mit ihm (Sailer)
sprach, machte ihn in meinen Augen zum Protestanten, und nie
trat mir die Einheit des Christentums in allen seinen Formen (!)
inniger, tiefer entgegen". Im übrigen hat Mirbt (in seinem ausgezeichneten
, durch die „Briefe" neu unterstrichenen Artikel)
kaum recht darin, daß „die volle Ausreifung seiner (Sailers) Persönlichkeit
sich in der Form einer fortschreitenden Verkirch-
lichung seiner Anschauungen vollzog" — denn Sailer war vom
Anfang seines Auftretens (in Ingolstadt) an ebenso römischkirchlich
wie irenisch. Das zeigt der 20. Brief und der Aufsatz
von Frz. H. H a i m e r 1: Die irenische Beeinflussung Johann
Michael Sailers durch Benedikt Stattler (in der Festschrift zur
400-Jahrfcier der Universität Dillingcn „Dillingen und Schwaben"
1949 S. 78—94). Demnach ist auch Sailers Kritik und Reformertum
am bestehenden Katholizismus (am „Kirchentum"!) als Äußerung
der Liebe zur Heimat anzusehen — bloß daß jene Kritik und
jenes Reformertum nicht b I o ß der Liebe zur Heimat (407. Brief)
entstammte, sondern zum größten Teil der Tatsache, daß Sailer
die Akzente im Katholizismus auf das „allgemeine Christentum"
legte (35 5. Brief); von dort her lebte und dachte er. Auf den
Gedanken, daß die Reformationskirchen gerade um dieses „allgemeinen
Christentums" willen zur Separation getrieben wurden,
ist Sailer nie gekommen; so hat er über den ganzen Ernst der
Reformation nie nachgedacht.

Mit all dem war aber Sailer, der von Herzen katholische, der
Kirchenvater seiner Zeit, doch eine einsame Erscheinung im damaligen
Katholizismus. Die Offiziellen empfanden ihn als einen
Fremdling, wenn nicht gar als einen Feind (R i n g s e i s an
S a v i g n y: „Selbst Schlegel wittert, als wäre Sailer gleichsam
nicht recht ordentlich römisch-katholisch und macht ein bedenkliches
Gesicht" — Schiel 2. Bd. 596). Umso stärker strömten
Sailer aus Jugend und Alter katholische Freunde und Genossen
zu — die aber doch spürbar aufatmeten, als Rom den Hochverehrten
zum Domherrn, Koadjutor, Dompropst, Bischof von Re-