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Ausgabe:

1953 Nr. 6

Spalte:

331-332

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Glasenapp, Helmuth von

Titel/Untertitel:

Vedānta und Buddhismus 1953

Rezensent:

Mensching, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 6

332

eine Karte über das Verbreitungsgebiet der Bon-Religion (am Ende des
Buches) vervollständigen das Werk.

Der Verf., der die Gesar-Mythologie absichtlich — ich möchte
sagen mit Recht — ausschaltet (S. 12), erklärt Bon als die „tibetische
Urreligion" schlechthin, die vor dem Eindringen des Buddhismus
in Tibet (im 7. Jahrh.) herrschte und sich dann mit dem
neuen Glauben, dem Lamaismus, vermischte. Abgesehen von der
Anschauung tibetischer Schriftsteller (z. B. des Chos • kyi • nyi • ma),
die eine urtümliche, irrende und gewandelte Bon-Lehre herausschälen
, fordert er ganz richtig einen schärferen Unterschied zwischen
dem alten Böntum (des 7. und der früheren Jahrhunderte) und
der noch lebendigen Bon-Lehre in lamaistischer Zeit. Das rätselhafte
Wort Bon glaubt der Verf. von bon, bon-pa (= zlas, bzlas-
pa), das „murmeln (von Zauberworten)" bedeutet, herleiten zu
können. Dem ist bis dato durchaus nichts Besseres entgegenzustellen
. Auch der Hinweis auf die falsche Gleichung Bon = Tao-
ismus und die Bezeichnung „bon-po" für die Anhänger jeder primitiven
Religion verdient Beachtung. Die „ausgewertete" Literatur
gehört, allerdings mit Ausnahme des Gzer-myig [ein Buch,
das die Lebensgeschichte des Gzhen-rabs, des Begründers der
Bon-Lehre enthält und bis jetzt nur zum Teil übersetzt ist, dessen
vollständige Übertragung jedoch der Verf. vorbereitet
(S. 340)], samt und sonders dem lamaistischen Schrifttum an. Von
eigentlichen Bon-Werken ist — wiederum abgesehen vom Gzer
myig — nur eins im bibliographischen Teil (S. 428), nämlich das
Dgra*lha-dpan-bstod genannt. Mit der Übertragung eines Hauptwerkes
der Bon-po, d.h. des DgraTha — Rituals, das den Titel
„Rgyal-brnanTha-bsans" trägt, bin ich seit längerer Zeit
beschäftigt. Erst die Kenntnis dieser eigentlichen Bon-Schriften,
die manchem Übersetzer noch schwere Stunden bereiten werden,
wird aber eine tiefere Erkenntnis der Bon-Lehre ermöglichen.

Bis dahin jedoch bleiben die von Helmut Hoffmann herausgegebenen
und übersetzten „Quellen zur Geschichte der tibetischen
Bon-Religion" das auf Material aus erster Hand bestehende
, bestens bearbeitete Standard-Werk, das neuerdings
nur durch Tucci's „Tibetan Painted Scrolls" (Rom 1949) in einigen
— wenigen — Punkten variiert werden muß.

Leipzig Johannes Schubert

Glasenapp, Helmuth von: Vedänta und Buddhismus. Mainz:
Akademie d. Wissensch, u. d. Lit.; in Komm, bei Franz Steiner Verl.,
Wiesbaden [1950]. 18 S. gr. 8° = Akademie d. Wissenschaften u. d.
Lit.; Abhandl. d. Geistes- u. Sozialwissensch. Klasse, Jahrg. 19 50
Nr. 11, S. 1011—1028. DM 1.80.

Die vorliegende Akademie-Abhandlung sucht den Nachweis
zu erbringen, daß Vedänta und Buddhismus in ihrer ursprünglichen
Gestalt Gegensätze sind. „Die Atman-Lehre des Vedänta
und die Dharma-Theorie des Buddhismus schließen einander
aus" (S. 1015). Während nämlich im Vedänta ein konstanter
Atman als Grundlage aller Lebensbewegung angenommen wird,
kennt der ursprüngliche Buddhismus nur einen Strom vorübergehender
Daseinsfaktoren (dharma) ohne beharrendes Selbst. Gl.
setzt sich mit verschiedenen neueren Versuchen auseinander, Vedänta
und Buddhismus in eine nähere Beziehung zu setzen. Es
handelt sich um das Werk von J. G. Jennings The Vedäntic
Buddhism of the Buddha (1947) und um die Untersuchung von
H.Günther, Das Seelenproblem im älteren Buddhismus (1949).
Beide in diesen Werken entwickelten Theorien lehnt Gl. als unbegründet
ab und entwickelt seinerseits seine Anschauungen über
die Lehre vom Nicht-Ich im Buddhismus.

Da Gl. S. 1018 auch meine an verschiedenen Stellen meiner Schriften
geäußerten Anschauungen über die buddhistische Idee des Leidens
(duhkha) kritisch erörtert, darf ich wohl meine Bedenken gegen Gl.s
Argumentation zugleich zur Begründung meiner eigenen Ansichten kurz
zusammenfassen. Es geht ja im wesentlichen darum, ob die im Buddhismus
vertretene anatta-Lehre jede Art numinoser Realität hinter bzw.
innerhalb der personalen Existenz ausschließt. Der Begriff attä bezeichnet
wie Gl. S. 1020 sagt, im täglichen Leben die eigene Person oder als
philosophischer Begriff die Individualseele, die der Buddhismus leugnet.
Alles individuelle Sein ist ein Strom vergänglicher dharma, von denen
es ebenfalls heißt, daß sie anattä sind. Nun gibt es nach Majjh. Nik.
115 zwei Bereiche der Wirklichkeit: das Bedingte und das Nichtbedingte
. Dieses Nichtbedingte ist — wie Gl. selbst „Gedanken von

Buddha" 1942 S. 24 sagt — das Nirväna. Auch vom Nirväna heißt es,
daß es anattä ist, aber nur von den bedingten Daseinsfaktoren wird
gesagt, (Ang. Nik. 134) daß sie leidvoll sind. Was ist nun also mit
attä gemeint? Die dafür zumeist synonym verwandten deutschen Worte
bezeichnen etwas Verschiedenes: Ich, Person, Selbst, Individualseele.
Daß die Individualität (sakkäya) alles empirisch Daseienden von Buddha
mit dem gleichgesetzt wird, was er sonst „Leiden" nennt, geht daraus
hervor, daß Majjh. Nik. 44 die vier hl. Wahrheiten vom Leiden usw.
hier in bezug auf Individualität, Ursprung der Individualität, Unterdrückung
der Individualität und Weg zur Unterdrückung der Individualität
wiederholt werden. „Leiden" (duhkha) bezeichnet also nicht
eine subjektive Empfindung, sondern einen objektiven Zustand individueller
, im Bereich des Menschseins ichhafter Unheilscxistenz, die zu
überwinden ist. Da nun auch nach Gl.s Ansicht das Ziel der buddhistischen
Erlösungslchrc ist, erlösungsbedürftige Wesen in das Nirvana
„eingehen" zu lassen (S. 1026), bleibt von Gl.s Anschauung aus, die
nur die vergänglichen dharmas einerseits und das unvergängliche
dharma (= Nirväna) andererseits kennt, völlig ungeklärt, wie Wesen
ohne jeden metaphysischen Hintergrund ihrer Existenz in etwas Reales
„eingehen" können. Nach Gl. kann man eigentlich nur sagen, daß alles
endlich-empirische Dasein ontologisch absolut vernichtet wird und
nur das Nirväna als beständige Realität bestehen bleibt, wie es von
jeher bestanden hat. Welche Beziehung aber besteht zwischen diesem
Nirväna und den Wesen, deren individuelles Dasein leidvoll ist und
denen als Heil die Leidlosigkeit des Nirväna in Aussicht gestellt wird?
Mündet denn irgend etwas aus der individuellen Existenz in den Ozean
des Absoluten? Wenn vom Nirväna gesagt wird, daß es einerseits ohne
Entstehen und Vergehen, also ohne „Werden in Abhängigkeit" ist, andererseits
anattä, dann kann unter attä doch nur die bewußte individuelle
Ichhaftigkeit und Personalität verstanden werden. Überträgt man
das auf die Menschenwelt, dann heißt anattä hier doch dasselbe, nämlich
: im metaphysischen Sinne ohne Ichhaftigkeit, d.h. das, was das
Phänomen Mensch eigentlich ist, ist unindividuell und impersonal
. Damit ständen wir dann bei der Vorstellung, daß die vorgefundene
„leidvolle" = unheilvolle, individuelle Existenz aufgehoben werden
soll auf dem bekannten Heilsweg mit dem Ziel des „Eingehens"
von Etwas in ein absolutes Sein. Gl. kritisiert mir gegenüber, daß
nirgend in den buddhistischen Texten von einem „Sein" die Rede sei.
Aber er sagt doch selbst S. 1026, daß das Nirväna eine „Realität" sei.
Wie anders soll man diese unbedingte Realität, von der die Texte, z. B.
Udäna VIII, 1, in typisch mystischer Redeweise der negativen Theologie
sprechen, anders nennen als ein numinoses Sein? Und wenn es Udäna
VIII, 2 heißt: „Für den Sehenden gibt es nicht irgend Etwas", so weist
auch das wieder auf das undifferenzierte Sein hin, an dem alle Mystik
interessiert ist. Endlich zitiere ich nach Gl.s Übersetzung Sam. Nik. 4,
23, 19: „Bei einem, der ins Nirväna eingegangen ist, ist kein Bewußtsein
mehr vorhanden, da eine Grundlage für ein solches nicht entsteht."
Auch hier wird doch deutlich von einer realen Größe gesprochen, die
ins Nirväna eingeht, aber doch eben vorher auch schon bestanden haben
muß. Daß dieses Letzte unaussagbar ist mit auf das Individuelle dieser
Welt notwendig bezogenen Kategorien wie Ich, Person, Bewußtsein,
ist klar. Wenn also von allen dharma und dharma-Komplexen gesagt
wird, sie seien anattä, dann kann das m. E. nur heißen, sie sind oder
haben eigentlich nicht das, was in der empirischen Welt als Ich
bezeichnet wird. Dafür spricht auch, daß Buddha die Frage, ob der
Tathagata nach dem Tode existiert oder nicht (Digh. Nik. 1, 2, 26 f.)
mit den Worten beantwortet: „Ich sage dazu weder ja noch etwas anderes
, noch auch nein, noch ist es meine Ansicht, daß es nicht der Fall
ist, daß es sich nicht so verhalte". Das bedeutet doch offenbar, daß
Buddha als echter Mystiker die Möglichkeit einer Aussage, die nur mit
endlichen Begriffen wie Existenz oder Nichtexistenz operieren könnte,
leugnen will im Sinne des Wortes (Udäna VIII S. 1074 ff. der Ausgabe
der Päli Text Society): „Von ihm zu sprechen gibt es keine Worte, zunichte
ward, was Denken könnt erfassen, so ward zunicht auch jeder
Pfad der Rede".

Bonn Oustav Menschln(f

ALTES TESTAMENT

Wurth wein, Ernst: Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung
in die Biblia Hebraica von Rudolf Kittel. Stuttgart: Privileg.
Württ. Bibelanstalt 1952. 176 S. 8°. DM 5.40.

Die Privileg. Württ. Bibelanstalt in Stuttgart, der die Wissenschaft
durch die unentbehrlichen Textausgaben des Alten und
des Neuen Testaments und mancherlei Hilfsbücher zum Verständnis
der Bibel zu Dank verpflichtet ist, fügt mit dem Werke
von Würthwein ein weiteres nützliches Buch hinzu, für das vor
allem unsere Kommilitonen dankbar sein werden, und dies nicht
nur wegen des erstaunlich niedrigen Preises.