Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

316-318

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Kruschina, Stefan

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Eherecht in der Seelsorgepraxis 1953

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

315 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5 316

Wissenschaft eine größere Bedeutung beizumessen. Während in
der katholischen Theologie das kirchliche Recht eine hervorragende
Stellung von jeher eingenommen hatte, und die katholischen
Fakultäten an den Universitäten über eigene Lehrstühle für dieses
Gebiet verfügten und noch verfügen, gehörte es fast zur guten
protestantischen Tradition, dem kirchlichen Rechte kaum mehr
als eine oberflächliche Beachtung zu schenken, das Gebiet völlig
den sogenannten Kirchenjuristen zu überlassen und sich dabei im
Schatten Martin Luthers wohlzufühlen, der ja das Corpus juris
canonici auf dem Scheiterhaufen verbrannt und auch sonst manch
kräftiges Wörtlein wider die Juristen gefunden hatte, von denen
er aber in der Regel nur die Kanonisten treffen wollte.

Die Zeiten jedoch, in denen die Theologen des Protestantismus
an der kirchlichen Rechtswissenschaft nur geringen Anteil
nehmen konnten, sind wohl endgültig vorbei. Die evangelische
Kirche ist seit 1918 aus den Armen des für sie sorgenden Vaters
Staat gelöst, es besteht keine Staatskirche mehr, und die Kirchen
ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig. Die Kirchen
sind autonome Gebilde im Rahmen der staatlichen Gemeinschaft
geworden und entbehren jeder staatlichen Leitung. Das bedeutet
nicht mehr und nicht weniger, als daß die Theologen als
die zur Ordnung und Verwaltung berufenen Kräfte der Kirche sich
wesentlich stärker als bisher sowohl mit dem staatlichen Kirchen-
rechte, das die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche
regelt, wie auch mit dem innerkirchlichen Rechte vertraut machen
müssen. Denn die Kirche, besonders die evangelische Kirche, ist
nicht nur die weltweite geistige Gemeinschaft der Christusgläubigen
, sondern sie ist eine sehr reale Erscheinung, eine rechtliche
Organisation in der sie umgebenden säkularen Sphäre geworden,
die um ihren Platz in der Welt immer von neuem ringen muß,
will sie die ihr von Gott gestellten Aufgaben erfüllen. Man wird
deshalb verlangen müssen, daß jeder Theologe, insonderheit der
seiner Gemeinde vorstehende Pfarrer, ausreichende Kenntnisse
auf den Gebieten des staatlichen Kirchenrechts wie vornehmlich
des innerkirchlichen Rechtes verfügt. Gleichgültigkeit gegenüber
dieser Disziplin ist heute in den Zeiten einer autonomen Kirche
nicht mehr am Platze. Man wird auch dazu übergehen müssen, die
Lehrstühle für Kirchenrecht an den Universitäten aus ihrer juristischen
Umklammerung herauszunehmen und sie den Theologischen
Fakultäten einzuordnen. Bildet ja doch die Kybernetik einen Teil
der praktischen Theologie.

Aus diesen Gründen begrüßen wir solche Bucherscheinungen
wie das v. Rosen-Kühnsche Kirchenrecht, das auch dem Theologen
einen klaren Überblick über dieses an Bedeutung immer mehr zunehmende
Wissensgebiet ermöglicht, und empfehlen es zu eingehendem
Studium.

Freilich können wir einige Bedenken gegen die 1949 erschienene
Ausgabe nicht völlig unterdrücken. Das Buch bewegt sich
noch ganz in den Bahnen der durch die geschichtliche Entwicklung
überholten kirchenrechtlichen Jurisprudenz. Für den Theologen
müßte es nach unserer Auffassung mehr auf die dogmatischen
Grundlagen jedes kirchlichen Rechtes eingehen. Das Buch
schließt mit dem Jahre 1949 ab. Das hat zur Folge, daß die spätere
sehr bedeutungsvolle Entwickelung des kirchlichen Lebens, besonders
im Bereiche der Deutschen Demokratischen Republik, keine
Berücksichtigung gefunden hat. Dieser Mangel kann leicht bei einer
notwendig gewordenen Neubearbeitung beseitigt werden. Die
neueren Grundordnungen müßten dann berücksichtigt werden.
Von einzelnen kleineren Unebenheiten mag nur erwähnt werden,
daß Luther nicht, wie man allgemein zu sagen pflegt, die Bannbulle
verbrannt habe, sondern die Bannankündigungsbulle. Was
Luther am 10. Dezember 1520 zugleich mit dem Corpus juris
canonici verbrannt hat, war die Bulle „Exsurge Domine" vom
16. 6. 1520, in der der Papst Luther und seinen Anhängern den
Bann androhte, falls sie nicht binnen 60 Tagen widerriefen. Erst
in der Bulle „Decet Romanum Pontificem" vom 3. 1. 1521 erfolgte
der Bannfluch gegen Luther.

Abgesehen von derartigen kleinen Irrtümern, die leicht in
der nächsten Auflage im Interesse der Genauigkeit und Zuverlässigkeit
der Darstellung berichtigt werden könnten, wird das Werkchen
eine wertvolle Hilfe für das Studium des Kirchenrechts auch
für den Theologen sein können.

Ber'in H. O. Stratter

Müssener, Herrn., Dr. theol.: Das katholische Eherecht in der Seelsorgepraxis
. 3., neubearb. u. verm. Aufl. mit den ehcrechtl. Sonderbestimmungen
der deutschen Diözesen. Düsseldorf: Patmos-Verlag
[19501. 446 S. 8". Lw. DM 16.-.

K r u s c h i n a, Stefan, Dr.: Das kirchliche Eherecht in der Seelsorgepraxis
. Stuttgart-Degerloch: Otto Sdiloz 1947. VI, 167 S. 8°. kart.

DM 4.-.

Die beiden vorliegenden Bücher wollen Handbücher für die
Seelsorgepraxis des katholischen Priesters sein. Sie unterscheiden
sich dadurch von einander, daß das Kruschinasche Buch nur einfach
alle Vorschriften des kanonischen Rechts über die Ehe im
Werden und im Sein in übersichtlicher Weise zusammenstellt,
wobei bez. der Ehe im Werden sehr klar das, was die Pfarrer und
was die Ehekontrahenten zu beachten haben, geschieden wird,
während das Müssenersche Buch, das schon in 3. Auflage erscheint,
darin seine Eigenart hat, daß es, nachdem es in ähnlicher Weise
das kanonische Recht reproduziert hat, in einem sehr wertvollen
Anhang noch Dokumente beifügt, d. h. die päpstliche Enzyklika
„Casti connubii", alle hierhergehörigen Verordnungen des deutschen
Episkopats über das Brautexamen, die gemischten Ehen
und die religiöse Kindererziehung, dazu die besonderen diözesan-
rechtlichen Sonderbestimmungen, die unser Gebiet betreffen,
sowie Formulare. Übrigens arbeitet Müssener im Unterschied von
Kruschina auch alle staatlichen Bestimmungen über das Eherecht
mit in seine Darstellung ein.

Das Müssenersche Buch ist, soviel ich sehe, für den Protestanten
, der in die katholische Ehegesetzgebung Einblick gewinnen
will, zu bevorzugen. So unersprießlich an sich die Lektüre
eines solchen Buches für einen Protestanten zu sein scheint (es
ist in der Tat um seiner durchgeführten juristischen Kasuistik
willen eine unerfreuliche Lektüre), so ist doch in doppelter Hinsicht
die Durcharbeitung eines solchen Buches audi protestantischen
Pfarrern sehr anzuraten. Erstlich, um davon einen Eindruck
zu gewinnen, welche Gefahren uns selbst drohen, wenn
wir eine sog. „kirchliche Lebensordnung" zu schaffen versuchen.
Das kanonische Recht will ja so etwas sein wie eine gesetzlich
angeordnete anzuwendende Ordnung des kirchlichen Lebens.
Es trägt alle Eigentümlichkeiten eines „Rechts" an sich. Es regelt
alles bis ins einzelnste. Es scheint dabei sehr radikal vorzugehen.
Dem aufmerksamen Leser kann aber nicht entgehen, daß es, weil
es ja eben absolut einzuhaltende und deshalb ja auch irgendwie
durchführbare Vorschriften enthalten will, doch der „Pastoralklugheit
" allerlei Winke gibt, wie man sich in schwierigen Fällen,
damit keine „Nachteile " entstehen (S. 61), der Lage anpassen
kann. Es gibt unzählige „Dispense". Es gibt „vernünftige Gründe
", weswegen man von der Anwendung einer Bestimmung abschen
kann. (S. 63). Der Pfarrer muß streng darauf sehen, daß
die Brautleute vor der Trauung beichten; aber er darf, falls es
nicht gesdiieht, die Trauung nicht verweigern. Die katholische
Kirche ist stolz darauf, daß sie als einzige christliche Kirche keine
Ehescheidung kennt; aber sie kennt durchaus eine Ungiltigma-
chung der Ehe unter recht labilen Voraussetzungen. Selbst das
Ehehindernis durch nahe Verwandtschaft kann durch Dispens aus
dem Wege geschafft werden. In sog. „geschlossenen Zeiten" können
Trauungen durch das Ordinariat „aus gerechten Gründen"
(S. 169) gewährt werden.

Eine evangelische Lebensordnung müßte von ganz anderen
Voraussetzungen ausgehen. Das Wort „seelsorgerlich" müßte
hier einen ganz anderen Klang haben. Sie dürfte bei allem Sichausrichten
am göttlichen Gebot, das die Ehe heilig zu halten
gebietet, nie den Pfarrer aus seiner seelsorgerlichen Verantwortung
als Verwalter nicht nur des Gesetzes, sondern vor allem
des Evangeliums befreien, einer Verantwortung, die ihn einerseits
veranlassen muß, den vollen Ernst des Gotteswillens in
Bezug auf die Ehe zur Geltung zu bringen, aber andererseits ihn
als Diener dessen, der gekommen ist, Sünder zu retten und nicht
zu verderben, dazu bringen muß, der umwandelnden Kraft vergebender
Liebe Raum zu geben.

Zweitens aber scheint mir die Lektüre eines solchen Buches
für einen protestantischen Pfarrer auch insofern von Nutzen zu
sein, als er dadurch die katholische Mentalität in der Behandlung
der Mischchenfrage nicht nur, sondern der Wertung z. B. auch