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Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

314-315

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Rosen- von Hoewel, Harry von

Titel/Untertitel:

Kirchenrecht 1953

Rezensent:

Strasser, H.

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313

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5

314

Hiermit werden wir ganz augenscheinlich auf eine psychologische
Behandlung der Frage nach dem Zustandekommen religiöser
Begriffs- und Vorstellungsbildung vorbereitet und werden
um so begieriger danach, als ja die Imagination sonst nicht gerade
zu den seelischen Vorgängen gerechnet wird, deren sich die
Religion bedient.

Jedenfalls, soll sie es tun, so muß eine gute psychologische
Begründung gegeben werden. Auch hier, wo Vf. sich selber
gute Gelegenheit geschaffen hatte, eine psychologische Darlegung
durch Erörterung der Frage zu bieten, welche Funktion auf diesem
Gebiete religiösen Erfassens, Ergreifcns, Ergriffen-werdens
von grundlegender Bedeutung ist, und so einen Beitrag zur Religionspsychologie
zu liefern, läßt er den Leser vergeblich warten.
Wir erfahren nichts über die Rolle der Imagination und sehen uns
gar zu der Vermutung geführt, ob nicht etwa eine Verwechslung
mit der Intuition vorliege.

Aus dieser Verwechslung könnte es sich dann vielleicht audi
erklären, daß Vf. die Institutionierung der Religion im Kirchen-
tum durchweg als Erstarrung beurteilt. Er konstatiert und bedauert
, daß Religion „uns überall als ein menschliches Phänomen
entgegentritt, das zur Vermassung drängt". Von jeder dadurch
bedingten Regelung kann er nichts als Vereisung erwarten, während
doch (so sehr es auch noch immer verkannt wird) die Religion
nicht minder als andere geistige Besitztümer und Veranlagungen
Übung, Ausbildung, wechselseitigen Austausch und Anregung
, Vervollkommnung verlangt. Aus dieser starren Ablehnung
gemeinschaftlicher Frömmigkeit sollte man schließen
dürfen, daß Vf. der individuellen Gestaltung der Religion sein
besonderes Interesse entgegenbringe. Er fände sich dann mit der
Religionspsychologie zusammen, die immer wieder auf die existentiellen
Tiefenschichten der Psyche rckuriert. Aber auch in
diesem Punkte finden wir uns enttäuscht, da er die Problematik
der tieferen Beweggründe, welche in dem Bedürfnis nach Existenzerhellung
und Existenzsichcrung enthalten sind, nicht erörtert.

Dieses in seiner Art und sonderlich als Ausdruck eines bestimmten
Typus sehr verdienstvolle Buch, das dem Praktiker
manchen Gewinn bringen kann, wurde hier so ausführlich behandelt
, weil es jenen Typus von Theologen und Philosophen repräsentiert
, der, durch die plötzliche Fülle der religiösen Phänomenologie
überwältigt, dieselbe im Geiste der Aufklärung und
mit den Mitteln einer in diesem Geiste geformten Psychologie
interpretiert. Gegen ein solches Verfahren muß aber aufs schärfste
Einspruch erhoben werden. Auf dieser Grundlage basiert die Ansicht
, daß nur, was durch Vermittlung der Sinnesorgane dem Bewußtsein
zugeführt wird, Wert besitzt, während dasjenige, was
nicht an äußeren sinnenfälligen Tatsachen orientiert ist, wertlos
und, genau gesprochen, Imagination sei.

Gegenüber derartiger Auffassung kann gar nicht scharf genug
betont werden, daß sie eine eigentliche Rcligionspsychologie
schlichtweg ausschließt d. h. es unmöglich macht, den verschiedenen
Bewußtseinslagen, Gefühlsregungen und Auslösungen
von Vorstellungs- und Gedankenbildungen innerhalb religiöser
Prozesse volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Religion wird
entwertet und verkannt, aber nicht einsichtig gemacht, wo man
s'e als ein Entwicklungsstadium der Magie ansieht, ebenso wo
man in ihr ein sozusagen endogenes Produkt menschlicher Psyche
erblickt. Für den ersteren dieser beiden Standpunkte ist das, was
der Primitive empfindet und denkt, für unsere Kulturwirte
gänzlich uninteressant, sofern es ihr nichts zu sagen hat; für
den zweiten Standpunkt sind die religiösen Empfindungen, Anschauungen
, Vorstellungen und Begriffe nichts als situationsbedingte
Äußerungen des menschlichen Geistes und daher imaginär.
Wenn aber die psychologischen Arbeiten des letzten Halbjahrhunderts
uns etwas gelehrt haben, so ist (neben anderen Errungenschaften
) mindestens folgendes zu beachten.

Ii Das eingehende Studium der primitiven Mentalität hat
den Abstand derselben von der unseren wesentlich verkleinert.
Es ist deutlich, daß auch sie stark durch die Frage nach Wesen,
Bedeutung und Erhaltung der menschlichen Existenz bestimmt ist.

2. Die Religionspsychologic, auf deren Felde diese Frage besonders
hervortritt, ist Existenzialpsychologie. Es gehört schon

auf totemistischer Stufe zur Eigenart religiösen Geistes, daß er
die individuelle Existenz u. a. aus einer Wirklichkeit geflossen,
verankert aber und vollendbar in derselben weiß, die wir als
transzendent bezeichnen möchten.

3. Die heutige Religionspsychologie steht auf der Erkenntnis
, daß das religiöse Erlebnis intuitiver Art und ichbezogen ist
und es mit Tiefenerlebnissen zu tun hat.

4. Die Erforschung dieser tiefsten Schichten des Seelischen
hat ganz überwiegend durch reine Beobachtung zu geschehen,
während das Experiment, auch wenn es noch so sehr verfeinert
worden ist, als eine Quelle unliebsamer Fehlergebnisse nur in
ganz bescheidenem Ausmaße zur Anwendung gelangen darf.

5. Die Religionspsychologie wird daher auch nicht auf die
Förderung eindeutiger bezw. unveränderlicher Ergebnisse erpicht
sein, sondern eingedenk bleiben, daß das Objekt ihrer Beobachtungen
nicht ein theoretisch umschriebener Begriff ist, sondern
der „Mensch mit seinem Widerspruch", der gar oft „Gott mit
seinem Widerspruch" empfindet in Gottes Paradoxien, in denen
sein Weltwalten der menschlichen Psyche erscheint. Die Psychologie
der Religion wird nie vergessen dürfen, daß der Mensch
nur ein sehr unzulängliches Organ für die Wahrnehmung des Transzendenten
besitzt, welche zu oft von einem Extrem ins andere
umschlägt, von dem inardesco in das inhorresco Augustins.

Chicago Karl Beth

KIRCHENllECHT

Rose n-v. Hocwcl, Harry von, Dr., u. Oskar Kühn, Amtsgerichtsrat
: Kirchenrecht. 15.—19. neu bearb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer;
Düsseldorf: Schwann 1949. 170 S. 8U = Schaetfers Grundriß des Rechts
und der Wirtschaft. Abt. 11: Öffentl. Redit u. Volkswirtschaft 33. Bd.
kart. DM 5.40.

Die Schälferschen Grundrisse über alle Gebiete des privaten
und öffentlichen Rechtes, des Prozeßrechtes und der Volkswirt-
schalt sind von jeher brauchbare Hilfsmittel für das Studium und
die Examensvorbereitung der Juristen gewesen. Audi für den
Praktiker waren sie wertvolle Handhaben zum Nachschlagen und
zur Orientierung. Mehr wollten und sollten sie ihren Zwecken
entsprechend nicht sein. Sie erheben auf den Charakter eines wissenschaftlichen
Lehrbuches oder eines wissenschaftlichen Grundrisses
keinen Anspruch. Dieses Ziel haben sie sich deshalb nicht
gesteckt, weil ihre Aufgabe einem rein praktischen Bedürfnisse
entspringt. Darin liegt nicht etwa ein Mangel, sondern gerade
ihre Stärke und ihr Vorteil.

Die Methode der Schäfferschen Grundrisse geht darauf aus,
den wissenschaftlichen Stoff, den sie in den einzelnen Bänden behandeln
, mit exakter Gründlichkeit klar und übersichtlich zu
systematisieren und durch die geschickte Anordnung des Materials
dem Lernenden einen leichten Überblick über das Wissensgebiet
zu verschaffen. Nicht nur die wissenschaftlich fundierte Systematik
empfiehlt die Bände, sondern auch die Form der Darstellung
, die in ihrem Druckbilde gute mnemotechnische Anhalte für
die Repetition des Gelernten gewährt. Auf alle Fälle sind diese
Sdiärfcrsdien Grundrisse praktische Wegweiser in die von ihnen
behandelten Wissensgebiete.

Für den Theologen wie für den Juristen in gleicher Weise von
Bedeutung ist der uns vorliegende 3 3. Band der Grundrisse, der
das Kirchenrecht behandelt und von Dr. Harry von Rosen-von
Hoewel und dem Amtsgerichtsrat Oskar Kühn verfaßt ist. Die
Beliebtheit dieses Grundrisses über das Kirchenrecht beweist die
Tatsache, daß er in 15. bis 19. Auflage neu erschienen ist, wenngleich
sich diese Auflagenhöhe nicht mit den Auflageziffern der
Grundrisse aus dem privaten und dem Prozeßrecht messen kann.
Dieser Unterschied mag sicher darin begründet sein, daß der lernende
Jurist gerade das Kirchenrecht bisher als eine nebensächliche
Materie zu betrachten geneigt war, die man lediglich zu Examenszwecken
lernen mußte, um sie dann, nach dem Eintritt in die
Praxis, umso gründlicher wieder zu vergessen. Auch die evangelischen
Theologen waren nicht bestrebt, der kirchlichen Rechts-