Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

312-314

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Hellpach, Willy

Titel/Untertitel:

Grundriss der Religionspsychologie 1953

Rezensent:

Beth, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

311

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5

312

daß es die Eigenständigkeit sowohl der Religion als auch der
Philosophie aufhebt. — Bei der dritten Aporie geht es um das,
was man die Achse des thomistischen Systems nennen könnte.
Gemeint ist das Verhältnis der verschiedenen Gegenstandssphären
zueinander. Für das scholastische Denken ist charakteristisch, daß
es die verschiedenen Gegenstandsordnungen in ihrer Eigenständigkeit
und Eigengesetzlichkeit noch nicht erkannt und von einander
abgehoben hat. Die Seins- und die Denkordnung werden
ebenso miteinander verquickt wie die Seins- und die Wertordnung
. Diese Konfundierung kommt zum Ausdruck in den grundlegenden
Axiomen der scholastischen Ontologie: Omne ens est
verum und Omne ens est bonum. Auch für diesen Sachverhalt
ist Verf. blind, wie das lange Kapitel über dieses Thema deutlich
erkennen läßt.

Bei der geistigen Einstellung der Verf. ist es nicht verwunderlich,
daß sie von der katholischen Thomas-Kritik kaum Notiz nimmt. Sie hat
anscheinend gar nicht das Bedürfnis, sich mit den kritischen Untersuchungen
katholischer Forscher über Thomas zu befassen oder gar auseinanderzusetzen
. Sie kennt weder mein oben genanntes Werk noch die
bedeutsame Schrift von E. K. W i n t e r: Die Sozialmctaphysik der Sdio-
lastik (Leipzig und Wien 1929), in der die Grenzen der scholastischen
Methode unwiderlegbar aufgewiesen werden. Das große Thomaswerk
des katholischen Philosophen Hans Meyer: Thomas von Aquin (Bonn
193 8), das an den Grundbegriffen der thomistischen Philosophie eine
einschneidende Kritik übt, hat sie ebensowenig beachtet, wie die kritischen
Thomasforschungen des katholischen Theologieprofessors Albert
Mitterer, der in seiner Schrift ,.Das Ringen der alten Stoff-Form-
Metaphysik mit der heutigen Stoff-Physik" (Innsbruck 193 5) zu dem
Ergebnis kommt, daß das fundamentale Begriffspaar der thomistisdien
Metaphysik Stoff und Form vom Standpunkt heutiger Naturphilosophie
ans als unhaltbar bezeichnet werden muß. (Einen kurzen Überblick über
die katholische Thomaskritik der Gegenwart bietet meine Schrift „Die
Philosophie des 20. Jahrhunderts", Rottenburg 1951, S. 19 ff.). Wer die
genannten Untersuchungen und die in ihnen vollzogene Destruktion
thomistischer Positionen ignoriert, läuft Gefahr, sein eigenes neutho-
mistisches Gedankengebäude auf Sand zu bauen.

Aber mag man vom Standpunkt wissenschaftlicher Philosophie
aus auch manches gegen das Werk der Karmclitin vorbringen
müssen, all das schwindet schließlich wie Schnee vor der
Frühlingssonne, wenn man an die strahlende Herrlichkeit ihres
Menschentums denkt, das durch ihr Martyrium eine überirdische
Verklärung erfahren hat. Die geistige Tochter der großen Theresia
war in der Tat eine Benedicta: ein Mensch, der das „Deus
meus et omnia" gesprochen und täglich neu vollzogen hat; eine
Frau, die ihre Seele zu einem heiligen Gral, einem Gefäß der
Gnade geweiht hat; ein Gotteskind, das ganz im Glänze der nova
vita gestanden und das nun zu jener Schar gehört, die der Scher
von Patmos im Geiste schaut: Vidi turbam magnam . . . stantes
ante thronum et in conspectu agni, amicti stolis albis et palmac
in manibus eorum.

Köln Johanne« Hessen

Kritzinger. Hans-Hermann: Zur Philosophie der Oberwelt. Ursprung
und Überwindung der Antinomien. Tübingen: J. C. B. Mohr
1951. 64 S. gr 8° = Philosophie und Geschichte. H. 7l/72. DM 3.80.

Erstaunlich und wirklich bemerkenswert an diesem Heft ist
nur, daß es gedruckt wurde, daß dies in dem wissenschaftlich
so ernsthaften Verlag Mohr geschah, in der erstklassigen Reihe
„Philosophie und Geschichte", und daß der Verleger den Ilmfang
dabei „andern Heften gegenüber erweitert" hat. (Freilich erlaubte
auch der erweiterte Umfang es z. B. nicht, „aktuell fesselnde
Beispiele für — profetische (Zusatz des Refer.) — Leistungen des
Nostradamus zu brineen, der auch „le grand duc dArmcnie"
(Stalin) behandelt". S. 37 ).

Das Heft sucht mit allen Mitteln „die Überwindung der
Antinomien in der Überwelt zu beweisen" (S. 1 3) und holt dazu
wie Nostradamus so Plotin und Plato heran, fernöstliche Weisheit
Chinas und Indiens (an Hand „abendländischer Interpreten
"), besonders auch den ganz alten Kant, eine Ehrenrettung des
Astronomen Fr. Zöllner (gest. 1882), modernste Kernnhvsik. das
Problem der Vierdimensionalität, und natürlich Tiefenpsychologie
, Parapsychologie, Materialisation, Theosophie. Anthroposophie
und Astrologie. Zitate und Aneaben sind selten auf ihren
wirklichen Wert exakt begrenzt, dafür aber mit Einfällen geschmückt
, etwa: „ .. 8 Sphären, die sich um die Spindel der Göttin
Anangke drehen. . . (diese Spindel nennen wir heute Erdachse)"
(S. 60). Der Gedankengang hüpft eilig, pinselt plötzlich sehr
breit ein Bild; selbst der Stil ist zuweilen übel verschmiert S. 6
Mitte; 59 oben; 62 oben etc). Überall, selbst aus Medizin und
Recht, gibt es überrationale Wege zur Überwelt über die Antinomien
hinaus; denn, „wie schon Ptolemäus sagte, der Weise"
beherrscht die Sterne (S. 62 f). Eine kleine Feindlichkeit gegen die
zu wenig der Bildung offene Theologie, eine Empfehlung des Gebets
im Sinn der Katastrofc als Heilmittel, ein Hieb gegen den
hoffnungslos der Überwelt verschlossenen Existenzialismus runden
das Heft ab zu dem Satz: ,,In der Welt habt ihr Angst; aber seid
getrost, ich habe die Welt überwunden".

Der Theologe konstatiert nur das Faktum dieses Hefts an
dieser Stelle im alten Europa als weiteres Zeichen einer vielleicht
neu auferstehenden antiken Front: „in Freiheit schriftgebundener
Origenes gegen mantische Offenbarungsphilosophie". Sonst mögen
die Philosophen zusehen, was sie mit dem Phänomen dieses
Heftes anfangen.

Rostock Wilhelm Koepp

RELIGION S PSYCHOLOG JE

Hei Ip ach, Willy, Prof. Dr. Dr.: Grundriß der Religionspsychologic

(Glanbcnsseclcnkundc). Stuttgart: Enke 1951. VIII, 212 S., 1 Taf.
gr. 8°. DM 19.— ; Lw. DM 21. 80.

Der Vf. dieses schon wegen der Diskrepanz zwischen Titel
und Inhalt seltsam anmutenden Buches beginnt recht einnehmend
mit dem Versuch einer unvoreingenommenen Definition der Religion
(gläubiges Übcrzeugtscin von dem tatsächlichen Walten
übersinnlicher Mächte, die dem Dasein und Weltgeschehen Sinn
geben) und bemüht sich um eine reichhaltige Zusammenstellung
des phänomenologischen Materials, das für den Entwurf einer Religionspsychologie
die notwendige Voraussetzung ist.

So bewegen wir uns in dem Buche weit weniger auf dem Boden
der Psychologie der Religion als auf dem einer Philosophie,
welche von denen mit viel Genuß und Behagen gelesen werden
wird, die sich der religionsphilosophischen Aufgabe widmen.
Für diese beginnt Vf. damit, an den beiden Erfahrungsmomenten
der vulgär als animistisch bezeichneten Seclenlage, Traum und
Tod, zu demonstrieren, daß „im Menschentum die dämonische
Erlcbnisart als Hrdämonie angelegt" ist, und diese LIrdämonic
als die „Keimanlage aller Religion" zu werten ist. Sein Zcntral-
problcm formuliert er daraufhin also: „Wie mag es kommen,
daß aus dämonomagischen, dynamomagischen, mvthoma>rischcn
Praktiken moralische Wertungen und Setzungen, Verwandlungen
und Befestigungen sich entfalten, welche schließlich so wesentlich
werden, daß sie als die seelische Achsune jener manischen Bräucnc
erscheinen, die daran sich recht eigentlich bewähren? Denn dies
bedeutet den entscheidenden Schritt in die wirkliche Religiosität
hinüber".

Man hat in diesen Worten einen Blick auf das Bündel der
für den Vf. fertigen Vorgegebenheiten, mit denen er an das Objekt
herantritt. Er mutet dem Leser zu, die Errungenschaften der
ethnologischen und rcligionshistorischen Forschungen der letzten
Jahrzehnte beiseit zu setzen und mit einem Rückruck zu Theorien
ä la Frazer u. ä. die Religion kurzweg als eine Ausgeburt der Magie
anzusehen. Zwecks Bewältigung solcher Rückorienticrung und
zwecks Verständnisses besagter Evolution werden dem Leser einige
katalytisch arbeitende mentale Enzyme angeboten wie
„Magethos" und andere „Mageumata", welche Rez. nicht imstande
war, zu realisieren.

Um nun vom Werden zum Vorhandensein und Leben der
Religion überzugehen, haben wir uns an den wichtigen Satz zu
halten, daß „alle Religion vom Ineinanderfließen der Imaginat'.m
und der Realität lebt" (NB. man beachte die logische Koordination
dieser beiden Begriffe) „und daß die saubere Scheidung
von Imagination und Realität immer den Schwund der Religion
bezeichnet".