Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953

Spalte:

309-311

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Endliches und ewiges Sein 1953

Rezensent:

Hessen, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

310

Sprachlich ist dieser Komparativ ebenso schwer verständlich wie
der Superlativ, wenn vom Seiendsten des Seienden die Rede ist
(50). Selbst wenn Heidegger hier andeutend von Gott sprechen
wollte, verbliebe seine Aussage immer noch innerhalb des vom
Menschen verfügbaren Seins, wie er auch das Ausbleiben des
Gottes als eine Weise der weltenden Welt bezeichnet hat. Eine
lediglich formal bestimmte Wahrheit kann aber keine kritische
Funktion übernehmen, weder in der Kunst noch innerhalb der
Geschichte. Auch hier vermissen wir eine konkrete Fülle. „Geschichte
ist die Entrückung eines Volkes in sein Aufgegebenes als
Einrückung in sein Mitgegebenes" (64).

Dieses Enden im Formalen kommt bei Heidegger daher, daß
er weder den Gottcsglauben noch das Christusgeschehen als die
entscheidende Frage auch an den philosophischen Menschen ernst
nimmt. Bei Heidegger ist, so meint H. Burgert im Blick auf den
Rilke-Aufsatz, die äußerste Gottesferne erreicht (Zeichen der
Zeit 1952, 283). Wir möchten aber davor warnen, Heidegger
dem Atheismus zuzuordnen, wie dies von Burgert geschieht,
gerade im Blick auf den Aufsatz über Nietzsche; denn dort fragt
Heidegger, ob nicht Nietzsche als ein Denkender de profundis
geschrieen habe? und sagt dann weiter: das Ohr unseres Denkens
wird diesen Schrei solange überhören, „als es nicht zu denken
beginnt" (246 f.). Trotzdem müssen wir darauf hinweisen,
daß Heidegger die gcschichtsontologische Bedeutung der Christusoffenbarung
noch nicht in den Blick gebracht hat; denn gerade diese
ist von einer grundsätzlichen Bedeutung für das Seinserkcnnen
überhaupt. Die christliche Wahrheit geschieht nämlich als das Wahren
Christi (Joh. 14, 6), wenn auch immer wieder verdeckt und
zweideutig, geschichtlich konkret in seiner Gemeinde. Die Seinsoffenbarung
des Christus ist immer personhaft, so daß sich im
Unterschied zu Heidegger diese Wahrheit im Verhältnis zur Kunst
und Geschichte grundsätzlich personhaft und damit auch gemeinschaftsbildend
auswirken muß.

Wenn Heidegger mit großer Schärfe die „Holzwege" abendländischen
Denkens aufgewiesen hat, so wird doch abschließend
2u sagen sein: Die Erneuerung des Denkens auch bei Heidegger
selbst wird davon abhängen, ob es gelingen wird, für das moderne
Denken wieder von Christus her die Mitte allen Seins zu
gewinnen.

Eisenach H. E. Eisenhuth

Stein, Edith, Dr.: Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs
zum Sinn des Seins. Louvain: E. Nauwclaerts u. Freiburg: Herder
19 50. XII, 497 S. gr. 8° ss Edith Steins Werke hrsg. v. Dr. L. Gelber u.
"• Fr. Romaeus Lcuvcn O. C. D. Bd. II. DM 20.20; Lw. DM 23.-.

Wer um das Schicksal der Verfasserin dieses gedankenschweren
Buches weiß, nimmt es nicht ohne Ergriffenheit in die
Hand. Als Schülerin und Assistentin Husserls hatte Edith Stein
die phänomenologische Philosophie in sich aufgenommen, dann
aber den Schritt von Husscrl zu Thomas von Aquin vollzogen.
1922 war sie zur katholischen Kirche konvertiert und 193 3 in
den Karmcl eingetreten. In der Judenverfolgung des Dritten
Reiches flüchtete sie nach Holland, wo sie 1942 von der Gestapo
verhaftet und abgeschleppt wurde. Seitdem fehlt jede Spur von
ihr. Wahrscheinlich hat sie in Thercsienstadt den Gastod gefunden
.

Das vorliegende Werk hat Schwester Theresia Benedicta im
Auftrag ihrer Oberin in den Jahren 1935/36 abgefaßt. Ihm liegt
eine umfangreiche Studie über „Potenz und Akt" zugrunde, die
sie schon vor ihrem Klostercintritt verfaßt hatte. Diese ältere
Arbeit hat in der neuen eine völlige Umgestaltung erfahren.
Zwar ist der Ausgang von der thomistischen Akt-Potenz-Lchrc
beibehalten , aber eben nur als Ausgang. Im Mittelpunkt steht
jetzt die Frage nach dem Sein. In eingehenden an Thomas orientierten
, aber zugleich von der Phänomenologie befruchteten
Untersuchungen wird gezeigt, wie sich das Sein in ein unendliches
, ewiges und ein begrenztes, endliches Sein scheidet, und
wie dieses sich wiederum in die mannigfachsten Scinsweiscn aufgliedert
. Der das Ganze beherrschende Gedanke, der im Untertitel
zum Ausdruck kommt, ist: endliches Sein bedeutet die Entfaltung
eines Sinnes, dessen Urgrund uns zum ewigen Sein hinführt
. So gipfelt das Werk, das mit der Frage nach dem Sein

beginnt und sich dann in eindringenden, breit angelegten Analysen
um die Klärung der Grundbegriffe der aristotelisch-thomi-
stischen Metaphysik: Akt und Potenz, Form und Stoff, Wesen
und Substanz, Wahrheit und Gutheit bemüht, in dem 100 Seiten
umfassenden Kapitel: Das Abbild der Dreifaltigkeit in der Schöpfung
. (Die entscheidende Frage, ob und wieweit die ganzen Trini-
tätsspekulationen im Neuen Testament fundiert sind, wird bezeichnenderweise
dabei überhaupt nicht gestellt.)

Damit ist der Aufbau dieser Seinslehre umrissen. Die Verfasserin
bezeichnet sie als „christliche Philosophie". Sie weiß,
daß dieser Begriff auch innerhalb der katholischen Geisteswelt
umstritten ist, und kennt die gegen ihn erhobenen Einwände.
Gleichwohl möchte sie ihn für sich in Anspruch nehmen und
zwar in dem Sinne, daß es sich dabei um eine Philosophie handelt
, welche die Antworten auf jene metaphysischen Fragen, die
sie mit eigenen Mitteln nicht zu lösen vermag, der Glaubenslehre
entnimmt und so nicht nur die menschliche Vernunft, sondern
auch die göttliche Offenbarung als Erkenntnisquelle benutzt
. Verf. sieht ein, daß das „nicht mehr reine und autonome
Philosophie" ist (S. 25). Indes wird man solche Philosophie überhaupt
nicht Philosophie nennen dürfen, wenn anders Philosophie
reine Vernunftforschung ist. Sobald die Philosophie eine höhere
Quelle, etwa die Offenbarung benutzt, hört sie auf, Philosophie
zu sein, und wird zur Theologie. Der Name „christliche Philosophie
" sollte nur mehr in historischem, nicht in systematischem
Sinne gebraucht werden. Was Edith Stein bietet, wird man am
besten als „thcologiscHe Metaphysik" bezeichnen.

Schwerer als dieses formale Bedenken wiegen die matcri-
alen Einwände, die man gegen diese Erneuerung thomistischen
Gedankengutes erheben muß. Wenn man sich in die gedanklich
wie sprachlich glänzenden Analysen der Karmelitin vertieft, aus
denen man im einzelnen sehr viel lernen kann und deren Studium
man jedem, der in die scholastische Seinslehre tiefer eindringen
will, nur empfehlen kann, steht man vor dem psychologisch
interessanten Phänomen, daß ein Denken, das zu tief bohrenden
Analysen, scharfsinnigen Bcgriffszerglicderungcn und tiefsinnigen
Spekulationen befähigt ist, auf der andern Seite dem System, in
dessen Bahnen es sich bewegt, völlig unkritisch gegenübersteht
und die in seiner Grundstruktur wurzelnden Aporien nicht zu sehen
vermag. Die Erklärung dürfte darin liegen, daß es sich um
das Denken einer Frau und Konvertitin handelt. Wie die Frau
nicht nur mit dem Verstände, sondern auch mit dem Herzen denkt,
so ist die Konvertitin geneigt, die neue geistige Welt, in die sie
eingetreten und die sie mit Inbrunst umfängt, sozusagen in Bausch
und Bogen absolut zu setzen und jede Unterscheidung von Vergänglichem
und Ewigem, Peripherem und Zentralem, Relativem
und Absolutem zu unterlassen.

Die wesentlichsten Aporien des thomistischen Systems
habe ich in meinem Buch „Die Weltanschauung des Thomas von
Aquin" (Stuttgart 1926) aufzuzeigen versucht. (Das seit vielen
Jahren vergriffene Werk wird demnächst in wesentlich erweiterter
Auflage wieder erscheinen.) Ich nenne hier nur drei. Die erste
betrifft den Aufbau dieses philosophisch-theologischen Systems.
In ihm bildet die Philosophie die Grundlage der Theologie. Die
Philosophie schafft das rationale Fundament für das Glaubensgebäude
, die praeambuJa fidei.Auf der andern Seite aber empfängt
sie ihre obersten Normen (wenn auch in negativer Form) aus der
Glaubenssphäre. Damit wird sie aber vom Glauben abhängig. Sie
soll also einerseits den Glauben begründen, andererseits wird
sie vom Glauben in letzter Instanz begründet. Dieser „Zirkel im
System," den bis heute noch kein Thomist hat beseitigen können,
ist so handgreiflich, daß man sich nicht genug darüber wundern
kann, daß die Verfasserin ihn nicht sieht. — Die zweite, mit der
ersten eng zusammenhängende Aporie bezieht sich auf die Verhältnisbestimmung
von Religion und Philosophie im thomistischen
System. Für sie hat Schelcr den treffenden Ausdruck „partielles
Identitätssystem" geprägt. Er besagt, daß hier Philosophie
und Religion sich teilweise decken. Das beiden gemeinsame Gebiet
ist die „natürliche Theologie". In ihr handelt es sich um
religiöse Wahrheiten (Dasein und Wesen Gottes), die mit
philosophischen Mitteln sichergestellt werden sollen.
Der Fehler dieses partiellen Identitätssystems liegt darin,