Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1953

Spalte:

306-309

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Heidegger, Martin

Titel/Untertitel:

Holzwege 1953

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

305

will nur herausheben, daß es jedesmal das souveräne Maditwort
Gottes ist, auf das „die Erde" die neue Art von Lebewesen
„hervorbringt." So gehört auch der Mensch in den organisch gewachsenen
Zusammenhang. Worin besteht nun die „Gottebenbild-
lichkcit"? Nicht daß der Mensch gottähnliche Gestalt hätte, sondern
einfach darin, daß „der ewige Gott das kleine Wesen zu
sich heraufzieht und den Menschen zu seinem Gegenüber, zu seinem
alter ego, zu seinem Partner, zu seinem Du macht, mit dem
er sprechen kann wie ein Mensch mit seinesgleichen." Gott nimmt
dieses Geschöpf aus dem stammcsgeschichtlichen Zusammenhange
in freier Wahl heraus. Hier setzt dann die Heilsgeschichte ein.
Denn dieses Wesen konnte in seiner Freiheit tiefer fallen als jedes
andre Geschöpf, fiel auch, blieb aber unter der Gnade Gottes,
dessen Ziel die Heimkehr des verlorenen Sohnes in das Vaterhaus
ist. Die Menschenwürde, so endet der Abschnitt S. 96 f.,
beruht also nicht wie in außerkiblischen Anschauungen, vor allem
der platonisch-griechischen, in einer angeborenen höheren
Konstitution des Menschen, der im Gegensatz zum Tiere eine unsterbliche
Seele hat, sondern darin, daß Gott das eine Geschöpf
durch souveräne Berufung zu sich emporhebt. Das ist schön ausgeführt
und tief theologisch gedacht. Ich bin aber nicht ohne Bedenken
. Gottes Willkür scheint mir hier doch zu stark betont
zu sein, es klingt beinahe prädestinatianisch und nach Calvin. Ob
nicht Luther etwas anders eefühlt hätte? Der Luther, der jede
Frucht mit Rührung in die Hand nahm und in allen Werken Gottes
die Liebe Gottes sah? Liegt nicht im Tiere, in der Pflanze, im
Kristall schon etwas von jener Liebe Gottes, die dann im Menschen
klar und bewußt wird? Ob nicht schon darin etwas schlummert
von der Gottbildlichkeit als der ewieen Schönheit? Der
Mensch ist nur eben das Wesen, in dem die geschaffene Natur
sich selber sieht, erkennt, sich ihrer und ihres Schöpfers freut.
Es kommt vielleicht auf dasselbe hinaus, aber wir dürfen wohl
den vollen Akzent der Liebe Gottes nicht allzusehr nur auf den
Menschen legen. Hier tritt vielleicht eine verschiedene Schattierung
lutherischer und calvinischcr Theologie zutage.

Der zweite Teil des schönen Werkes stellt mit bestimmterer
Distanz und Antithese die naturalen Auffassungen des letzten
Weltschicksals und des biblischen Endglaubcns neben und cegen
einander. Die ersteren werden mit den Lehren von der Energie
und der Entropie (der immer zunehmenden Ausgleichung aller
Energieunterschiede bis zum endgültigen „Wärme-foder auch
Kalte-) tode dargelegt, sehr put und klar, S. 103 ff. Der Abdruck
der schweren Ausführungen Weizsäckers S. 108 ff. wäre nicht nötig
gewesen, da Heim dasselbe vorher kürzer und klarer gesagt
hatte. Demeceenüber der christliche Gedanke der Welterneuerung
und Vollendung. Beide klaffen auseinander und sind nicht vereinbar
. Die Zwischenlösung des Idealismus mit dem naturwissenschaftlich
nicht haltbaren bloßen llnstcrblichkcitsglaubcn für die
Seele wird abgelehnt. Dort das naturhafte Versinken in Vcrfafi
und Tod - hier Adlerflue des Glaubens, der eine Wiedergeburt
«nd ein Ostern kennt und seine Schwingen entfaltet, wenn alle
Weltsicherheit versagt. Man kann sagen: Entropie —ja so würde
und müßte der Naturverlauf automatisch gehen, darin hat die
Wissenschaft recht. Aber Gott lebt, und Gott will Leben, so
triumphiert der Glaube. Und so sind die letzten Teile des Buches
C!ui *"™ersc,l8ncs Bekenntnis zum vollen Osterglauben, einschließlich
des leeren Osterprabcs. Der Osterglaube wird kosmisch
gefaßt (S. 154), vielleicht allzu eschatoloeisch. Man kann

l?Cn' C,aS ncuc ! eben ~ *«•« eöttliche Biologie -

schon jetzt vorhanden ist in den Tatsachen der Wiedergeburt und
des ..neuen Lebens". Seelen können radikal umkehren, und die
xmvri xtlatc ist bereits da! Aber dem wird Heim nicht widersprechen
wollen. Wir sind eins mit ihm im Osterglaubcn, dem
er ein so schönes Lied gesungen hat.

Einige Einzelheiten möchte ich nicht unterlassen zu erwähnen.
S. 34: Die Radialflucht der Spiralnebel kann auch anders als durch Weltexpansion
erklärt werden. — S. 40: Auf die Menne des Schädclinhalts,
die Hirnmasse, legt die neuere Anthropologie nicht mehr so einseitig
Gewicht: es kommt auf die Struktur des Gehirns an. — S. 44 fehlen
neben der Rleimcthodc die Helium- u. a. Methoden zur Altersbestimmung
der Gesteine. — S. 119 ist Hölderlins Schicksalslied ungenau zitiert
. — Gatiß wird Begründer der nichtruklidischcn Geometrie genannt;
ich weiß nicht, ob das so angeht; Gauß hat zwar zuerst nicht-euklidisch
gedacht, aber nichts publiziert; die eigentlichen Begründer sind

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5 _ 306

der Russe Lobatschewsky und der Ungar Bolyai. — S. 57 muß ich die

Darstellung des Ringens zwischen Darwinismus und Vererbungsforschung
berichtigen, aus eigener Erfahrung, da ich die entscheidenden
Naturforschertage von 1922 und 1924 in Leipzig und Innsbruck mit
erlebt habe. Die Frontalstcllung der Genetiker gegen die Selektionistcn
trat 1922 mit Johannsens großem Vortrag zutage. Die Synthese fand
dann Erwin Baur (nicht: Bauer) 1924 in Innsbruck, in dem er die
kleinen Mutationsschrittc als das Bindeglied bezeichnete, mittels dessen
die Genetik in das darwinistische Fahrwasser zurücklenkte, in dem sie
bisher auch geblieben ist. — Zu S. 54: Daß Mendel auch mit — Hyazinthen
gearbeitet haben soll, ist etwas ganz Neues, und dürfte wohl
eine Verwcdislung sein mit Hicratium, dem Habichtskraut, an dem
Mendel viel experimentiert hat. Übrigens fehlt in der Aufführung der
Hinweis auf den Pisumtypus (Pisum, die Erbse, Mendels Hauptobjekt).
Dresden Arthur NcubcrK

Heidegger, Martin: Holzwege. Frankfurt/M.: Klostermann i 1950].
345 S. 8°. kart. DM 13.50; geb. DM 16.50.

Dieser Band vereinigt 6 verschiedene Themen: Der Ursprung
des Kunstwerkes, (1935 entstanden). Die Zeit des Weltbildes,
1938 (hier handelt es sich um das Problem der neuzeitlichen
Wissenschaft), Hegels Begriff der Erfahrung, 1942/43, (eine umfangreiche
Untersuchung über das eigentliche Wollen der Phänomenologie
des Geistes), Nietzsches Wort „Gott ist tot", 1943
(Heidegger geht dem Wcsenszcrfall des Übersinnlichen innerhalb
der abendländischen Metaphysik nach, S. 204. Er sucht den Nihilismus
in seinem Wesen zu begreifen als eine Geschichte, „die
sich im Sein selbst begibt", S. 244. Er erstrebt ein ontologisch.es
Denken im Gegensatz zu jener seit Jahrhunderten verherrlichten
Vernunft, die „die hartnäckigste Widersacherin des Denkens ist".
S. 247) Wozu Dichter? 1946 (Eine Wesensbegegnung des Philosophen
mit dem späten Rilke). Der Spruch des Auaxiinander,
1946 (behandelt wird der älteste Spruch des abendländischen
Denkens, den Heidegger übersetzt: „Aus welchem aber das Entstehen
ist den Dingen, auch das Entgehen zu diesem entsteht
nach dem Notwendigen; sie geben nämlich Recht und Buße einander
für die Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung" (303,
siehe auch die abschließend erläuternde Übersetzung, S. 342).

Heidegger bemüht sich in allen Aufsätzen immer wieder,
vordergründige oder historisch überkommene Fragen und Antworten
von der vordringlichsten Frage nach dem Sein des Seienden
her, also ontologisch neu ins Licht zu rücken. Auch die der
Philosophicgeschichtc entnommenen Themen stehen im Dienste
solcher Überprüfung des abendländischen Denkens. Heidegger
weiß, daß die Besinnung auf das Wesen nicht jedermanns Sache
ist. (89). Aber er will aus der Krise, in die das abendländische
Denken und Leben hineingeraten ist, nicht dadurch herausführen,
daß dem Denken abgeschworen wird, sondern daß ihm neue Aufgaben
zugewiesen werden. Es soll nicht mehr die Dinge überfallen
, sondern selber „denkender werden" (14) und wieder aus
der Wahrheit sein. Die Philosophie ist die Wissenschaft, die zur
..wesentlichen Enthüllung des Seienden als solchen kommt" (50).
Die Thematik und die Methodik dieses ontologischen Denkens
seien erhellt an dem weitgespannten ersten Aufsatz.

Die Frage nach dem Ursprung des Kunstwerkes fragt nach
der Herkunft seines Wesens. Im Kunstwerk leben das Werk und
der Künstler aus einem Dritten, aus der Kunst. Die Frage nach
dem Wesen der Kunst gerät aber in einen Zirkel: die Kunst ist
erkennbar am Kunstwerk, was aber ein Kunstwerk sei, ergibt
sich nur von der Kunst her. Es gilt also innerhalb dieses Kreises,
der nicht als Notbehelf, sondern als „die Stärke des Denkens"
anzuerkennen ist, das wirkliche Werk nach seinem Wesen zu befragen
.

Im Unterschied zu der aesthetischen Fragestellung, die sich
bei einem Kunstwerk an das Dinghaftc hält, und dieses allegorisch
oder symbolhaft ausdeutet, geht Heidegger ontologisch
auf das Sein des Werkes. Sein Bemühen um die „Wirklichkeit
des Werkes soll den Boden bereiten, um im wirklichen Werk die
Kunst und ihr Wesen zu finden" (58). Die Untersuchung umfaßt
drei Problemgebiete.

1. Das Ding und das Werk.

Es gibt in der abendländischen Geschichte des Denkens drei verschiedene
Auffassungen vom Ding, die sich aber allesamt nicht eignen.