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Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

298-300

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Weischedel, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Tiefe im Antlitz der Welt 1953

Rezensent:

Fuchs, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5

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hat7 Wohl kaum! Sonst würde er mit manchem Satz vorsichtiger sein.
Daß B. sich gegen den Einbrudi von Seiten der Kunstgeschichte am
Rande seines Feldes wehrt, daß er ästhetische Maßstäbe nicht ohne
Vorbehalt anlegen möchte, daß er „Geschmacksfragen" im Vollzug
seiner Schau für fragwürdig hält, wird ihm jeder Kundige danken.

Wäre es nicht gut, wenn gleich im Anfang des Buches gesagt
würde, was B. mit „Barock" und mit „Aufklärung" im Titel meint?
In dem Inhaltsverzeichnis ist nur einmal vom Barock, zweimal vom
Hochbarock und nur zweimal von der Aufklärung die Rede, das erste
Mal in dem Sinne, in dem das Wort in der Kirchengeschichte verstanden
wird, in der die Aufklärung als Nachfolgerin des Pietismus
erscheint. In B.'s Augen begreift die Aufklärung einen viel weiteren
Raum. „Das Wort .Aufklärung' hat in der Betrachtung dieser Entwicklung
noch seinen ursprünglichen ganz wörtlichen Sinn; denn es
bedeutet: Durchbruch des Lichts — 1c siecle des lumieres heißt die
Aufklärung in Frankreich, das Jahrhundert des lumen divinum und des
lumen naturale —, Aufgang eines neuen Lebens im Dunkel der Welt
und die Erleuchtung der menschlichen Seele durch die Gotteskraft" (40).
Er nennt Ph. Nicolai mit seinem Frcwden Spiegel deß ewigen Lebens
(1599) „den allerersten der aufgeklärten Religiösen unter den geistlichen
Liedersängern" (122), Paul Gerhardt „den Wegbereiter der religiösen
Aufklärung, ja schon ihren Vollender in einigen seiner innigsten
Lieder" (110). Die Madame Guyon preist das siecle des lumieres, deren
hellem Schein die passions extremes, die den trouble d'Enfcr, der Dämonen
in der Seele erregen (Wcltliebe, Melancholie), weichen müssen.
B. erinnert daran mit dem Zusatz: „Selten ist klarer ausgesprochen, was
die religiöse Aufklärung in ihrem tiefsten Grunde bedeutet" (91). Er
unterscheidet die religiös pietistischc und die philosophisch religiöse
Aufklärung, die sich nicht scheiden lassen, weil lides und ratio Gaben
Gottes sind (ib.). „Wenn wir mit Kant weiterhin Aufklärung als ein
Mündigwerden des Menschen betrachten, dann ist die früheste, wörtlich
zu nehmende religiöse Aufklärung das Mündigwerden der Seele
vor Gott, die Rechtfertigung im Gewissen, der Durchbruch des Herzens
in der „Herzensfrömmigkeit ', die „Entdeckung des Gemüts" (88). —
Was ist dann aber Barock? Man kann wohl angesichts dieses, von mehr
als einer Seite anfechtbaren Sprachgebrauchs nur sagen: Alles, was vor,
neben und nach dieser „Autklärung" als ihr Gegenspieler zum Zuge
zu kommen sucht.

B.'s Antwort auf die Frage nach dem „Ich" und „Wir" im
geistlichen Lied legt dem Leser die Frage nahe, ob der Anschein
vermieden ist, als sollten die Dinge auf den Kopf gestellt werden
, wenn es heißt: „Das Gebet hat nicht dieselbe Bedeutung,
und auch das gemeinsame Licdopfcr vermag die Stellung nicht
wieder zurückzugewinnen, die der Hymnus im katholischen Gottesdienst
einnimmt. Wir müssen Paul Gerhardts „Lasset uns
singen" (aus dem Lied „Die güldne Sonne") als den Versuch
verstehen, über Luther hinaus den Gemeindegesang zu erneuern,
der sich aus dem Chor der Einzelstimmen bildet, wie die neue
Gemeinde ja auch auf der Ergriffenheit der einzelnen Seelen gegründet
ist. Es ist kein Zweifel, daß sich darin der lutherische
Gesang in dieser Zeit einmalig vollendet." (Hier folgt die
3. Strophe des eben genannten Liedes). Dann fährt B. fort: „Damit
wäre wohl die Stufe des Wir-Licdcs wiederum erreicht, und
doch bleibt auch in Gebet und Liedopfer das Herz in seiner Unmittelbarkeit
zu Gott dem treuen Menschenhüter, das Herz, das
sich selbst als Opfer darbringt, so einsam, wie es je gewesen ist,
und Paul Gerhardts Lob-, Dank- und Freudenlicder sind denn
auch niemals, von einer gläubigen Gemeinde gesungen, Gesänge
der Gemeinschaft in der vollen Bedeutung des Worts geworden,
sie bleiben Lieder des Herzens, das des Widerhalls in der Gemeinschaft
der Gläubigen kaum bedarf; denn die einzige religiöse
Gemeinschaft dieses Zeitalters des Individualismus und der Aufklarung
besteht zwischen der Gottheit und der Seele, ob man
sie mystisch erlebt oder im Licde bekennt" (160 f.). Daran ist
gewiß manches richtig, noch mehr aber nur halb richtig und
darum falsch.

Ich breche ab, um diese Anzeige mit ein paar kleinen Anmerkungen
zu schließen.

Zwei Druckfehler: Schalling, nicht Schelling (121 f.); „Lobt Gott,
ihr Christen" hat nicht J. Heermann, sondern N. Herman gedichtet
(138). — In der Theologie und in der Kirche heißt es „alttestamcnt-
lidi", nicht „alttestamentarisch", wie es in den Jahren 1933—45 zu
hören war. Wer sieht heute im Friedensschluß von Münster den Anlaß
zu Rinckarts Tischgebet (102)? Warum ist Heinrich Bornkamm's
Buch „Luther und Böhme" (1925), warum ist Karl Kindt'« Klopstock-
Buch (1941) nicht genannt? Warum ist von den Komponisten nur
Brahms genannt? (80). Zinzendorf war wirklich mehr als ein „Magier"
(148).

Wir würden trotz allem, was Berger dem Theologen und
Seelsorger (!) zu fragen und zu wünschen gibt, etwas versäumen,
wenn wir uns nicht von ihm sagen ließen, was er uns zu
sagen hat.

Halle S. Paul Oabriel

CHRISTLICHE
ARCHÄOLOGIE UND KUNSTGESCHICHTE

Wcischcdcl, Wilhelm: Die Tiefe im Antlitz der Welt. Entwurf
einer Metaphysik der Kunst. Tübingen: Mohr 1952. 80 S. gr. 8" =
Philosophie und Gesdiichte. Eine Sammlung von Vorträgen und
Schritten aus dem Gebiet der Philosophie und Geschichte, Nr. 73/74.
DM 3. 80.

Was ist Kunst? Nach einer vorläufigen Auseinandersetzung
mit Schelling, Hegel, Heidegger und Sartre über „das Recht einer
metaphysischen Sicht auf die Kunst" macht sich W. an die Untersuchung
der metaphysischen „Erfahrung, die am Kunstwerk gemacht
wird'' (S. 9). Daraus sollen sich „weitreichende Folgen für
die allgemeine philosophische Fragestellung der Gegenwart" ergeben
(S. 11). „Das Denken ist vor die Entscheidung gestellt,
entweder auf jene Fragen (sc. nach „Ursprung und Sinn der Welt
und des Menschen") zu verzichten und sie der Theologie zu überlassen
, oder einen neuen Ansatz zu ihrer Lösung zu suchen"
(S. 12). W. ist offensichtlich der Meinung, speziell eine metaphysische
Interpretation der Kunst, die er aus der Erfahrung am
Kunstwerk gewinnen will, könne und müsse die gegenwärtige
Philosophie davor bewahren, ihr metaphysisches Thema an die
Theologie zu verlieren. Die Theologie muß ihm darauf wohl erwidern
, daß sie zwar nicht zu jeder Philosophie, wohl aber zur
Metaphysik nicht erst von Kant her im schroffsten Gegensatz
steht. Wie geht nun W. im einzelnen vor?

Die alltäglichen Dinge „deuten in die Breite, indes das
Kunstwerk in die liefe weist" (S. 19). „Hinter jedem Kunstwerk
ölfnet es sich gleichsam" (Guardini! S. 20). Man sinkt da „in den
eigenen Grund" hinab und „verstummt": „Tiefe rührt an Tiefe"
(S. 21). „Und doch muß das Denken die Anstrengung der Aufhellung
auf sich nehmen" (S. 22). Es geht, entgegen einer „rein
ästhetisch orientierten Kunstwissenschaft", um „das ins Werk gefügte
Scheinen" des Schönen (Heidegger; S. 22). Denn: „hier ist
die Stätte des Erscheinens der Tiefe" (S. 22). Aber: die Tiefe der
Kunst „öffnet sich nur im Werk" und „sie verhüllt sich in das
Werk",nicht grundlos, aber unergründlich, ja abgründig (S. 23 f.).
„Das .Wesen', das in ihm erscheint, ist die Tiefe als Ursprung"
(S. 32). Nach einem Plädoyer für die „abstrakte" Kunst („Sind
Linie, Farbe und Figur Elemente der sichtbaren Welt, so sind sie
elementarer als diese" — ein zweifelhafter Satz, der auf einem
Wortspiel aufgebaut zu sein scheint) erklärt W.: „So mag denn
die Kunst in ihrem ganzen Umfange als der Ort verstanden werden
, an dem in einer vorzüglichen Weise innerhalb der vertrauten
Wirklichkeit die Tiefe als Ursprung aufbricht" (S. 35). Man
vermißt freilich bei den Einzelbelegen für diesen Satz (W. nennt
z. ß. Mörikes Gedicht „An einem Wintermorgen, kurz vor Sonnenaufgang
") eine Erörterung über die Art und Weise, wie die
„Gegenstände" des Kunstwerks, z. B. der Wintermorgen, durch
das Kunstwerk verwandelt werden. Was ist als Kunstwerk
anzusehen? „Das Kriterium dafür, ob ein Gebilde ein Werk der
Kunst ist, bleibt immer nur dies, ob der Betrachter an ihm die
Kraft der Tiefe erfährt"; es gibt da aber eine „wachsende Vergewisserung
: in der kritischen Besinnung auf die eigene Erfahrung
wie im gemeinsamen Gespräch" (S. 41). Dem entspricht, daß
der Künstler weiß, das Kunstwerk „tritt ins Dasein, wann es
will, und es bleibt aus, solange es ihm gefällt" (S. 42). Es geschieht
„von Gnaden der Tiefe" (die Wendung „von Gnaden"
findet sich betont immer wieder, S. 21, 31, 43, 47, 58, 64), „daß
das" (künstlerisch) „Geschaffene zum Kunstwerk wird" (S. 43).
„Je reiner aber ein Werk Ausdruck der Tiefe ist.. . Um so mehr
gehorcht es als sich fügende Antwort dem Anruf der Tiefe"
(S. 44). Von da aus könnte es nach dem „Zwischenakt und Satyrspiel
" des Surrealismus wieder dazu kommen, daß sich dieser
Anruf „auch in der gegebenen Wirklichkeit" vernehmen läßt und