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Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

295-298

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Berger, Kurt

Titel/Untertitel:

Barock und Aufklärung im geistlichen Lied 1953

Rezensent:

Gabriel, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5

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innerhalb (oder außerhalb) der Messe. (Luthers Worte von der
„vernacula Concio", Form. Miss. No. 14, zeigen wohl, daß auch
er diese deutsche Predigtliturgie kannte). Schmidt-Clausing nimmt
„Pronaus" in dem Sinne der ganzen Predigtliturgie und legt
Surgants Manuale für den Gang des „Pronaus" zugrunde. (Zum
Apostolicum vgl. Kl e inert, StKr. 1882 [5 5] S. 96 f.) -
Ebenso macht Schmidt-Clausing deutlich, daß Zwingli mit der nur
viermal im Jahre stattfindenden Abcndmahlsfeier den Schnitt
zwischen Sonntagsgottesdienst (in der ,,Pronaus"-Form) und bisheriger
Messe („Aktion oder Brauch des Nachtmahls") endgültig
machte. Zwingiis Abendmahlsstücke werden von Schmidt-Clausing
einmal dem römischen Kanon, dann der „Deutschen Messe"
Luthers gegenübergestellt. — Die „Prophezei" wird als wissenschaftliche
Arbeit des Predigerkonvents am AT, als Ersatz der
„Hören", als Keimzelle der theologischen Fakultät sichtbar. —
Die Untersuchungen Schmidt-Clausings zum Taufformular Zwing-
lis sind eine einschneidende Leistung. Das Formular geht auf
Leo J u d zurück, der es 1523 mit Benutzung des im gleichen Jahr
erschienenen „Taufbüchlein" Luthers schuf. Luther aber — und
das ist der Casus — ging nicht auf die Magdeburger Agende von
1497 zurück, sondern auf die Agende von Leipzig 1512 (Agenda
sive Benedictionale). Das hat 1928 Nümann entdeckt, und
Schmidt-Clausing hilft der Nümannschen These mit gewichtigen
Daten zum Siege. (Vgl. auch die Gegenüberstellung: Agenda 1512

— Luthers Taufbüchlein 1523 — Leo Jud 1523 — Zwingli 1525.)
Zwingli hat aber das Judsche Formular neu gestaltet. — Auch das
Zwinglische Trauformular, bisher kaum beachtet, hat für den
Liturgiker Gewicht (Schmidt-Clausing stellt Surgants Manuale
und Zwingiis „Ehegerichtsordnung" 1525 einander gegenüber).

— Von den Zusätzen zur II. Abteilung ist insonderheit beachtlich
der Abschnitt über „Kirchengesang und Orgeln". — Schmidt-
Clausing schließt mit dem Satze: „Huldreich Zwingli war in seinem
reformatorischen Wirken kein Selbständiger, wohl aber ein
Eigene r", und das gelte auch für „Zwingli als Liturgiker".
(Das Wort „kein Selbständiger" besagt dann im Liturgischen
eben, daß Zwingli aus dem „katholischen" Material schuf).

Der Liturgiker Zwingli gibt also den Kirchenhistorikern und
den Liturgikern etliche neue Gesichtspunkte, die nicht übersehen
werden dürfen. Und es ist das Verdienst Schmidt-Clausings, das
Material hierzu frisch, frei und energisch auf den Tisch gelegt zu
haben, zugleich mit einer immer anregenden, oft treffsicheren
Würdigung. Ein Punkt darf noch unterstrichen werden: Das. was
man bei der Preußischen Agende von 1895 (Kommission 1892,
„Entwurf" 1893) unter Kleinerts Führung als die Mitarbeit
des Volkes, sagen wir: als die ..Volksliturgik" mit hincinnahm!
Zwingli gab ersichtlich seinem Magistrat rasch nach, in liturgicis,
noch rascher den stürmischeren Geistern in der Gemeinde, er
suchte den „Schwärmern" durch gelegentliche Vorwegnähme
ihrer Radikalismen in liturgicis zu wehren. Hingegen Luther verhärtete
sich, wenn ihm Radikalismus entgegentrat, z. B. gegen
die Wittenberger Bilder-. Meß-, Beichtstürmer, und gegen die
Svcrmeri. Liegt das vielleicht doch daran, daß Zwingli in seiner
katholischen Zeit Humanist, Reformer, Leutpricster gewesen,
Luther aber Mönch?

Augsburg Leonhard'Fcndt

Berger. Kurt: Barock und Aufklärung im geistlichen Lied. Mar-
burg/L.: Rathmann 1951. 241 S. 8°. kart. DM 4. 50.

Das dem Germanisten Walther Ziesemer zum Gedächtnis
gewidmete Buch zeigt uns in seinem ersten „Welt und Seele"
überschriebenen Teil (I.) die Welt in der Anschauung des Hochbarocks
(l. die Problematik der Weltanschauung und ihr<> Lösung
im geistlichen Lied; 2. die nsvehische Problematik — Nihilismus

— Dialektik — Stoizismus — Gl^ubenskrisel. (11.) die Allecorien
der geistlichen Lvrik (1. die Ewigkeits-Allegorie; 2. die Seelen-
Allegorie — die Meerfahrt-Allcgoric — . Die Seel ist ein Kristall"

— die Allegorie der Wiesenblume"). (III.) die Motive der geistlichen
Erlebnislvrik (l. das Seligkeits-Motiv — Pietismus und
Aufklärung—: 2. Spiegelglc'chnis — Wiedergeburt und leiden).
Der zweite Teil bringt dem Leser die ..Wandlung d^r Gottcs-
Vorstellung des Hochbarocks zur Gottesidee der Aufklärung" in
den Blick. Durch die mit „Fides und ratio" beschriebene Pforte
führt der Weg wiederum in drei Abschnitten mit je zwei Teilen

zum Ziele: (I.) Die persönliche Gottheit (l. Der Gott des Grimms
und der Gnade — Gottvater — ; 2. Jesusminnc und Gottesfreundschaft
), (II.) Die überpersönliche Gottheit (1. Schöpfer der Welten
; 2. Veni Creator Spiritus), (III.) Lob Gottes aus der Natur
(l. Die geistliche Frühlingslust des Barocks — Gesang der Seele —
Echo der Natur; 2. Das „Irdische Vergnügen in Gott" — Das
„betrachtende Gemüt"). Mit diesen Stichworten versucht Berger
in der Inhaltsübersicht auf das hinzuweisen, worum es ihm in
seinem Buche geht. Wenn er ihm, wie es zu wünschen wäre, ein
Register und eine Zeittafel mitgegeben hätte, wäre die Fülle, die
in dem weiten Rahmen seines Buches beschlossen ist, noch augenfälliger
geworden, als es schon bei einer flüchtigen Durchsicht
geschieht. Kein Wunder, daß der Leser dessen, was hier seiner
wartet, erst dann inne wird, wenn er sich die Zeit nimmt, die
eine Arbeit von diesem Gewicht verlangt! Es kann hier nur an
ein paar Beispielen gezeigt werden, was auch für die Leser dieser
Zeitung bei B. zu finden und nicht zu finden ist. B. möchte mit
seinem Versuch geistcsgeschichtliche Ansprüche befriedigen. „Man
darf sie nicht von theologischer Seite erwarten wollen" (21).
B. will nicht den Theologen und Religionspsychologen die Arbeit
abnehmen, die sie zu leisten haben. Mit mehr oder weniger
wertvollen Monographien sei es nicht getan. B. weist „auf das
viel zu wenig beachtete Buch R. A. Schröders .Dichtung und Dichter
der Kirche'" hin (21). Er möchte feststellen, „wie sich in der
Dichtung der Wandel des religiösen Erlebens widerspiegelt und
welchen hervorragenden Anteil das Wort des Dichters, sei es
auch noch so wenig kunstgerecht, das geistliche Lied an dieser
Bewegung nimmt (S. 8 8). So spürt er Schritt für Schritt den Wandlungen
, den Spannungen nach, die sich in dem von ihm ins Auge
gefaßten Räume geltend machen, den Gefahren, die damit auftauchen
, dem Ausgleich, zu dem sie führen. Wie ein Laufbild
zieht an unsern Augen der Weg vorüber, den die Gottcsvor-
stellung, die Haltung des Menschen im Angesicht des Todes
(Furcht — Sehnsucht) und damit das Lied genommen hat, der
Übergang über die Grenze, die Weltliches und Geistliches, Eros
und Agape, Elegie und Hymnus voneinander trennt. B. sucht die
horizontalen und vertikalen Zusammenhänge. Er sucht die Männer
und Frauen, die in der Vorgeschichte unserer Lieder eine
Rolle spielen, nicht weniger als die andern, die den oft weithin
untergründigen, aber deshalb vielleicht erst recht wirksamen,
an Anklängen wahrnehmbaren Einfluß der Lieder erfahren haben.
Der junge Schiller wird immer wieder genannt als Beispiel dafür,
wie viele in den Bann des geistlichen Liedes geraten sind, von
denen wir es bisher nicht wußten. Es müßte sich nach B.'s Andeutungen
lohnen, Fragen der genannten Art nachzugehen. Er
selbst gibt in umfangreichen Anmerkungen, die zu Exkursen
werden, Beispiele dafür, wie das geschehen kann. Das Buch ist
reich an gelungenen Vergleichen, mit deren Hilfe ein neues Licht
auf beide Seiten fällt. Es lehrt uns noch ganz anders als bisher
nach den Brüdern, den Vätern und Söhnen fragen.

Es ist B. sichtlich ein Anliegen, nicht ungerecht zu sein. Er möditc
„das Echte nicht am Falschen messen". Er wird gelegentlich zum advo-
catus diaholi und schießt dabei mehr als einmal übers Ziel hinaus, wenn
er im Blick auf den Blut- und Wundenkult, auf das gewagte Spiel
eines „geistlichen Rokoko", das er nicht verkennen und verschweigen
will, meint, daß diese Fragwürdigkeit im Einzelnen im Zusammenhang
des Ganzen nur wenig bedeutet (133). In der umgekehrten Richtung
geht es gewiß nicht nur in den Augen der Theologen zu weit, wenn
er die Dichter der bekannten Morgen- und Vcrtrauensliedcr für den
Tiefstand des religiösen Lebens, für die „gutgläubige Blasphemie" verantwortlich
macht und urteilt: ..Die Vertraulichkeit, die man Gott entgegenbringt
, ist viel gefährlicher als alle Gefühlsüberschwänelichkcit
und dialektische Spekulation, sie ist das Ferment, das den Glauben von
innen her zersetzt und dem Rationalismus und der atheistischen Skepsis
den Weg gebahnt hat" (1S3). Da fehlt die Antenne für das, was
von den Psalmen fPs. 27, 8 ff. und vielen andern Psalmen), von den
Gleichnissen Jesu her (Lk. 11,1 ff; 18,1 ff. u. i. f.) vernehmlich werden
kann, und was aus dem Herzen ungezählter Beter von Tag zu Tag
den Weg zu Gottes Herzen sucht, ohne daß damit der Ehrfurcht vor
dem „ganz Anderen" etwas vergeben wird, wie jeder weiß, der zugibt,
„daß die Fragwürdigkeit im Einzelnen im Zusammenhang des Ganzen
wenig bedeutet".

B. erinnert mehr als einmal daran, daß die Gesangbücher nur einen
Bruchteil der geistlichen Lyrik überliefern, und daß das Verfahren bei
der Auswahl viel zu wünschen übrig läßt. Ob er von dem Gespräch,
das um das EKG geführt und zubuchcgcbracht ist, etwas mitbekommen