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Ausgabe:

1953 Nr. 5

Spalte:

293-295

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Clausing, Fritz

Titel/Untertitel:

Zwingli als Liturgiker 1953

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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293 Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5 294

Es ist die gleiche Geschichte, die die Täuferforschung in verschiedenen
deutschen Landschaften in diesem Zeitraum auch erlebte.
Die lange Zeit seit dem Beginn der Arbeit ist nicht nur von
Nachteil gewesen, sie ist auch diesem Bande in vielem zugute
gekommen. Es konnte nach längeren Zwischenräumen mit Intensität
stetig die Arbeit gefördert werden, deren Ertrag in einer
ersten für die Täuferforschung ungemein wertvollen Veröffentlichung
vorliegt.

Das vorgelegte Material, das zum größten Teil aus dem
Staatsarchiv und der Zentralbibliothek Zürich stammt, besteht
aus 327 bereits bekannten und wenigstens im Regest gedruckten
und 8 8 noch unveröffentlichten Urkunden. Ihrem Charakter nach
sind es Briefe, Verhörprotokolle, Bekenntnisse, Gesuche, Ratsurteile
und -mandatc, dazu noch Aktennotizen. Diese Urkunden
Werden vollständig und genau wiedergegeben. Die Gestaltung
des Textes ist nach gesunden Grundsätzen erfolgt und muß in
allen Stücken als gut und brauchbar anerkannt werden. Auch der
Anmerkungsapparat ist trotz der Kürze klar und zuverlässig.

Inhaltlich beansprucht dieser Band unter den Täuferpublikationen
der beiden letzten Jahre das größte Interesse. Das gebotene
Material stammt aus der Anfangszeit der Täuferbewegung
(1523—1533), während andere Editionen gezwungen sind
erheblich später einzusetzen. Zum anderen ist dieses Matrial in
seiner Geschlossenheit besonders aufschlußreich und läßt uns
der Frage nach dem Aufkommen der Täuferbewegung in der
Schweiz näherkommen. Der Vorteil liegt drittens in der Tatsache
, daß wir hier nicht nur Einzclnachrichten erhalten, sondern
die Entwicklung im gemeindemäßigen Ablauf vorgeführt bekommen
. In diesem Zusammenhang treten die führenden Persönlichkeiten
der Täufcrbewcgting auch erst ins rechte Licht. Es sind
in dieser Anfangszeit insbesondere Konrad Grebel. Blaurock,
Manz und Balthasar Hubmaicr, die hier das Feld beherrschen
"nd die Richtung angeben. Es wird an ihnen auch deutlich, daß
diese Bewegung sich nicht auf die schweizer Kantone beschränken
konnte, sondern weit über die Grenzen auf österreichische
und süddeutsche Gebiete übergreifen mußte. Diese Beziehungen
dürften im folgenden Band, der hoffentlich bald erscheinen kann,
noch deutlicher sich ausprägen. Der Täufcrforschune kann dic*e
Edition, die wir mit Freuden begrüßen, einen erheblichen Auftrieb
geben.

Münster/Wcstf. R. Stiipperich

L1TVHG1EWISSEN SCHAFT

S c h m I d t-C I a u s i n g, Fritz, Dr.: Zwingli als Liturgikcr. Eine litur-
«rieiTCschichtlichc Untersuchung. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht:
Berlin: Evans;. Verlapsanstalt [I9S2]. 182 S. gr. 8° = Verciffcntl. der
Fvanc. Gesellschaft für I.ittircieforschung. hrsg. v. O. Schneen u.
G. Kunze, Bd. 7. kart. DM-West 9.80. geb. DM-Ost 11.80.

..Zwingli als Liturgikcr" - dieses Thema erschien deutlich
der Zwinglifortdiung als ein Nebenthema. Noch die neueste
Aufrollune (iQso) der Zwingliforschunr durch Cristiani
u j x° 1Tn6o,0*ic Catholiquc Tome XV 2) und durch P o 11 e t
(ebenda) beweist dies; Cristiani geht auf den Liturgikcr Zwingli
nicht ein. und Pollct verweist einfach auf lohannes B a u e r und
Walter Koch I er. Aber auch in RGGS V 2152 ff. und im Calwer
Kirchcnlexikon 11 1415 ff. saRt Walter Koehlcr vom
Liturgikcr Zwingli nichts, wie H. J e d i n davon im Lex. f. Theologie
und Kirche X nichts berichtet. Walter Koehlcr sah offenbar
seine cieene angezeichnete Einführune zu ..Aktion oder Brauch
des Nachtmahls" (Corp. Ref. XCI. Huldreich Zwingiis Sämtliche
Werke Band IV S. 1 ff.) als ein Nebenbei an, zu welchem er S. 9
Egli. Stähclin, Mörikofer, Smend, Joh. B a u c r,
Wolfensberge r, K. Müller als Ncbenhci-Litcratur verzeichnet
. Dazu stimmt es, wenn Ernst Troeltsch 1909
(Kultur d. Gcfcnw. Teil I, Abt. IV 1 S. 495) Zwingiis Bedeutung
dahin umschrieb: ..Exegetisch-historisch begründete, intellektuell-
systematisch durcheedachte und in einer praktischen politischsozialen
Schöpfung betätigte Schriftthcologic"; und S. 499: „Aber
Zwingli ist Mctaphysikcr lediglich zu praktisch-reformatorischem

Zweck", nämlich zu einer „durch und durch ethischen Richtung
des Handelns".

Nun, Schmidt-C lausing ficht dafür, daß das Thema
,,Zwingli als Liturgiker" eines der Hauptthemen der Zwingli-
forschung zu bilden hat! Weil nur dadurch die Rückbeziehung
auf die Wurzeln Zwingiis und die Vorbewegung bis zur Konstituante
, nämlich der im Namen Jesu versammelten Gemeinde,
garantiert ist! Das macht also den Inhalt der I. Abteilung des
Schmidt-Clausingschcn Buches aus (S. 13—59): das liturgische
Element als den Wurzelgrund des Hcranwachsens Zwingiis zum
Reformator und als den Zielpunkt seiner Reformation aufzuzeigen
. Der Verfasser betrachtet unter diesem Gesichtspunkte
die Jugend, die Studenten- und Priesterzeit Zwingiis, wie sie der
Zwingliforschung erscheint, und bringt seine neuen Lichter an.
Gerade die Zeichnung des vorprotestantischen, vorreforma-
torischen, nämlich des traditionsgebundenen Katholiken, Humanisten
und Reformers Zwingli ist eindrucksvoll. Natürlich konnte
und kann die Zwingliforschung ex ungue leonem erkennen, aber
der unguis ist katholisch, und ein katholischer Reformer ist kein
Reformator. Daß dann in diesem Katholizismus Zwingiis das
Liturgische eine Hauptrolle spielte, d?rf man von vornherein
postulieren — fraglich bleibt, wieweit dieses Liturgicum im Liditc
der Darlegungen von Willy Andreas (Deutschland vor der
Reformation. 1932) modifiziert werden muß. Hingegen leuchtet
ein. daß „der Höhepunkt der (zwinglischcn) Reformation auf
liturgischem Gebiete lag"; nicht so ganz liegt auf der Hand, daß,
,,was weiter kam", „dogmatische Begründung, Fortführung, Auseinandersetzung
und Streitigkeit" war, „die sich oftmals . . . auf
das politische und gar kriegerische Gebiet verlagerte, oder auch
nicht selten von der Zeitlage benutzt wurde". Aber auch dies
letztere bedürfte nur des Einzclnachweises, der Gedanke selbst
ist verlockend; ebenso die Einwirkung Surgants auf Zwingli
und J U d.

Die II. Abteilung (S. 63—84) und die dazugehörige III. Abteilung
(S. 87—172) dienen ex professo der Liturgik. Hier ist
Schmidt-CIausings Hauptthesc: Zwingli hat auf dem Gebiete der
Liturgie Neues geschaffen; gewiß nicht aus dem Nichts, sondern
aus vorhandenen Materialien, wie sie Wort, Sakrament und ihre
traditionelle Umgebung darboten. Diese These beweist Schmidt-
Clausing eingehend und schlüssig. Aber wenn der Lutheraner
Schmidt-Clausing dazu neigt, den Liturgiker Zwingli über den
Liturgiker Luther zu stellen, so darf man um der Sache willen
einen Zusatz machen. Schmidt-Clausing sagt: Luther hat die
liturgischen Dinge bereinigt, Zwingli aber hat Neuschöpfungen
vollbracht. Nun, ein Liturgiker kann in der Tat ein „betrachtender
" (dfimmirixos) oder ein „schöpferischer" {jtoi^tixoc:)
sein. Luther war groß als „Betrachter" (t)k»ntiTtxo<:), das zeigen
alle seine Schriften, schon von den Dictata super psalterium
an — aber war er als „Schöpfer" (jrnnmy.oc;) weniger groß?
Ist die „Deutsche Messe", das Tauf- und Traubüchlcin, die Beichte
WA 301 S. 385-387, der Choral, ja der Kleine Katechismus
selbst, keine schöpferische Tat im Liturgischen? Hingegen Zwingli
hinterließ uns wenig „Betrachtendes", er gehört nur auf die Seite
des „Schöpferischen". Dahin muß man also Schmidt-Clausing
verstehen. Aber Schmidt-CIausings Formulierung könnte das Verdienst
haben, die Auseinandersetzung Zwingli-Luthcr, Refor-
miert-Lutherisch in liturgicis, damals, für unsere Zeit interessant
zu machen, nunmehr unter einem positiven Vorzeichen.
Wirklich ist Schmidt-CIausings Buch im Ganzen ein Pracludium
hierzu, das aufhorchen läßt.

Für den lutherischen Liturgiker bedeutet es eine Erleichterung
, wenn Schmidt-CIausings II. und III. Abteilung endlich mit
dem Vorurteil aufräumt, Zwingli habe doch gezeigt, wie man
sich in liturgicis ganz vom „Katholischen" freimachen und als
Ncutöncr Nodinichtdagcwescncs schaffen müsse. Das Gegenteil
ist riditig; auch Zwingli sdiuf liturgisch aus dem „katholischen"
Material, aber freilich: als ein Eigener. So beweist es Schmidt-
Clausing. Zwingiis Predigtgottesdienst geht hervor aus dem
Material des „Pronaus" des 1 5. und 16. Jahrhunderts (pricres de
pronc d. i. orationes praeconii — darüber jetzt Jungmann,
Missarum Sollcmnia I 600 ff., auch 562 ff.), der (nach Ort und
Zeit wechselnden, aber in der Tendenz gleichen) Prcdigtliturgie