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Ausgabe:

1953

Spalte:

281-283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Massaux, Édouard

Titel/Untertitel:

Influence de l'évangile de saint Matthieu sur la littérature chrétienne avant saint Irénée 1953

Rezensent:

Fascher, Erich

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281

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 5 _^_282

frage", wobei ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich
untersucht wird, ob zum politischen, völkischen, kulturellen und
wirtschaftlichen Bereich. Alle diese Fragen werden verneint, einschließlich
des nationalen Selbstverständnisses des Judentums in
Gestalt des Zionismus. Aus der geschichtlichen Untersuchung
wird die Judenfrage als eine rein religiöse erwiesen, das Judentum
kämpft den Monotheismus durch und ist um seinetwillen
bereit — schon in vorchristlicher Zeit — zu leiden. Sehr interessant
wird gezeigt, wie die Entwicklung des Judentums nach der
Verwerfung Christi parallel zu der des Christentums läuft. Nach
Ansicht des Verfassers kann die Judenfrage nur von Römer 9—11
,,als eine nur von Gott selbst zu lösende, echt cschatologische
Frage" aufgefaßt werden (S. 62).

Leipzig Hans ßardtke

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Miiiiui, Edouard. Dr.: Influcnce de l'ßvangile de saint Matthlea
sur la littcraturc chretienne «vant ulnt Ircncc. Louvain: Publications
Universitaircs de Louvain; Gcmbloux: Editions J. Duculot 1950.
XLVII, 734 S. gr. 8* = Universitas Catholica Lovaniensis. Disser-
tationcs ad gradum magistri in Facultate Thcologica vel in Facultate
Juris Canonici consequendum conscriptac. Scr. II, Tom. 42. bfr. 5 50.—.

Die vorliegende umfangreiche Arbeit (730 S., dazu 3 Seiten
Einleitung und 34 Seiten Literaturangaben) untersucht den Einfluß
des Itvangile par excellence auf die altchristliche Literatur
vor Irenacus mit peinlicher Genauigkeit. Dabei ist sich der Verfasser
bewußt, daß der contact litteraire noch längst nicht den
Einfluß des ersten Evangeliums erschöpft, da ja ein vereinzelter
Wortgebrauch, Themen oder Gedanken, welche „typisch mat-
thäisch" sind, ohne genaue Zitate vielfach vorliegen können.
Alle Vorzüge katholischer Bibclforschung: eine ausgiebige Benutzung
bisheriger Literatur mit großzügiger Verwendung der
protestantischen kritischen Literatur des In- und Auslandes, eine
gründliche Darlegung der Thesen anderer Forscher (z. B. auf
5. 3—6 über die Frage des Alters der Didadie und ihre literarische
Abhängigkeit), sorgfältige Einzelbcobachtung und praktische
Zusammenfassung der Ergebnisse sind in diesem Werke vereinigt.
Seine praktische Brauchbarkeit wird noch erhöht durch eine Disposition
(S. 725—30), einen ausführlichen Index der Bibelzitate
(S. 661—724) und ein Autorenverzeichnis (S. 657—660).

Das Werk ist in drei Bücher untcrgeteilt. Buch 1 (S. 3-138)
behandelt nach einer kritischen Vorbemerkung zur Didache,
welche der Autor dann an das Ende der ganzen Schriftenreihe
"eilt, in drei Kapiteln den ersten Clemens-Barnabas- und die
Ignatiusbriefe, und zwar systematisch so untergeteilt, daß jede
»chrift erst nach Matthäuszitaten abgehorcht wird, daß dann die
Beziehungen zu Lukas, Johannes, katholischen Briefen und Paulus
untersucht werden, um durch Gegenüberstellung der Ergebnisse
herauszubringen, ob Matthäus in der Tat den stärksten Einfluß

---- —„, „.i^.aiuj, zwisenen siencren Zitaten, wauuuin"

liehen und nichtwahrscheinlichen Anspielungen unterscheidet. Das
IL Buch (S. 139-460) behandelt nach demselben antithetischen
Schema in 6 Kapiteln den 2. Clemensbrief, den Brief und das
Martyrium des Polykarp, apokalyptische Schriften (Asccnsio
Jesajae, Oden Salomos, christliche Sybillincn, Petrusapokalypse
und den Hirten des Hermas), apokryphe Evangelien, Agrapha
und Gnostiker (Basilides und Valentin). Das III. Buch endlich
beschäftigt sich mit den Apologeten (Aristides, Justin, Tatian,
Apollinaris von Hicrapolis, Athenagoras und Theophil von Antiochien
) und der Didache (S. 461—646).

Bei der Fülle des Stoffes ist es unmöglich, auf Einzelheiten einzugchen
. Beispiclshalber soll die Arbeitsweise des Verfassers an einigen
Proben des Barnabasbriefcs (S. 66—93) erläutert werden. Wenn Mas-
saux in Barn. V. »—9 eine Zusammenfassung von Matthäus 5—7,
Matth. 8—9 und Matth. 10 im Hintergrunde sieht, so hat das auch schon
Hans Windisch (Der Barnabasbrief. Tübingen 1920, S. 329) zur Stelle
angemerkt. Auf ihn bezieht sich M. auch auf S. 69 Anm. 3. Wenn M.
zu Barnabas V, 9 eine Bezugnahme auf Matth. 10, 7 gegen Matth. 28, 19

vorzieht, so hatte Windisch beide Stellen angeführt. M. meint, wegen
des xtjQvnartv in Barn. V, 9 m. E. mit Recht, daß hier nur Matth. 10, 7
heranzuziehen sei. Während Windisch zu Barn. V, 12 bemerkt, daß die
Verwendung des Sacharjazitats eine Anspielung auf Matth. 26, 31 möglich
, aber nicht sicher erscheinen lasse, möchte M. eine solche als sicher
annehmen, weil Barnabas mit Matth. 26,31 t»?c noifivrji; hinter
xa iipAßaxa lese, das in Marc. 14,27 fehlt, während es für Matthäus
charakteristisch sei. Hingegen sei in dem Zitat Barn. 6. 6 Abhängigkeit
von Matthäus ausgeschlossen. Zum Scharlachmantel in Barn. 7, 9b verweist
Windisdi auf Matthäus 27,28 und Apok. 19,13, während M.
(Mt x^-nl"'^a xoxxtvtjv, Barn, tov nodrjpt) t%ona rnv xnxxtvov)
nur Beeinflussung durch Matthäus annimmt. In Barn. IV, 14 am Ende
liegt Anspielung auf Matth. 22, 14 (so Windisch) vor. nach M. (vgl.
S 73) ist an Matth. 20, 16 und 22, 14 zu denken, während 4. Esra 8
nicht als Parallele zu werten ist. Trotz der Schwierigkeit, welche die
Zitationsformel ok yiyoanicu für eine neutestamentliche Stelle bietet
(vgl. Windischs schwankende Haltung auf S. 326), kann sie nach M's
Ansicht nicht maßgebend sein, weil ein geschriebenes Jesuswort als
yeaipv bezeichnet werden kann (vgl. S. 74 und Anm. 3 bei Massaux).
Ebenso entschlossen kann M. aber auch eine Abhängigkeit des Barnabas
von Matthäus ablehnen (vgl. zu Barnabas 4,3 und 4. 13). Schwieriger
zu entscheiden ist, ob Barnabas 5,11 auf Mt. 23, 31 ff. oder
Lucas 11, 48 f. Bezug nimmt. Hingegen soll Barnabas 19 dafür sprechen,
daß Barnabas eine Quelle für die Didache war.

Ferner darf man nicht übersehen, daß zwar Marcus, Lucas und
Johannes auf Barnabas keinen Einfluß ausgeübt zu haben scheinen, daß
aber eine starke gedankliche Verwandtschaft zu Paulusbricfen besteht,
selbst wenn kein direktes Zitat vorliegt. Besonders zum Epheserbrief
finden sich auffallende Anklänge, desgleichen zu Galater und Römer.
Kann man hier ohne weiteres hinsichtlich seines Einflusses Mt. vor
Paulus den Vorrang zusprechen?

Für den Leser und Benutzer dieses Buches wird besonders
die Schlußfolgerung des Verf. aus seinen Untersuchungen von
Wichtigkeit sein. Wir wollen sie in Thesen zusammenfassen.

1) Eine Übersicht über die behandelte Literatur ergibt, daß
die gleichen, mehr oder minder wörtlichen Zitate aus Matthäus
bei den verschiedenen Schriftstellern deshalb wiederkehren, weil
sie sich in der urchristlichen Gemeinde besonderer Gunst erfreuen
. Die Bergpredigt nimmt dabei den ersten Platz ein, sie
wird als Hauptquelle zu bezeichnen sein, aus der man die gewöhnliche
christliche Lehre schöpfte. Spuren bei Clemens Romanus
und Polykarp lassen auf einen Katechismus schließen, der
sich in gedächtnismäßiger Überlieferung aus der Bergpredigt gebildet
hat. Einzelne Sätze aus ihr (Mt. 5, 28; 5, 39-42; 5, 44-47;
7.12 + 21) sind offenbar im laufenden Gebrauch gewesen (vgl.
die Belege auf S. 647 Anm. 1—3). Matthäus 5, 32 ist datregen
nicht unbesehen angenommen, haben doch Justin und Athenagoras
den Ausnahmefall der nopvnn ausgelassen. Da auch sonst
über den Bereich der Bergpredigt hinaus Matthäusstellcn benutzt
worden sind, kann man satren, daß die alten christlichen Schriftsteller
das gesamte Evangelium verwendet haben und sich nicht
auf eine getrennte Wiedergabe der Bergpredigt beschränken.

2) An 16 Beispielen weist M. nach, daß die Matthäuszitate
sehr häufig nach dem westlichen Text, nicht nach dem östlichen,
gegeben werden (vgl. S. 648—650).

3) Alle behandelten Autoren haben Matthäus wohl zitiert,
aber noch nicht exegesiert. Sie verraten damit nach M's Ansicht
den Wunsch, ihr Leben nach den Normen zu regeln, wie sie in
den von Matthäus überlieferten Worten Jesu enthalten sind. Dem
steht gegenüber ein auffallend geringes Interesse für die Berichte
über Jesu Wunder. Wörtliche Matthäuszitatc sind gering. Nach
Ansicht des Verfassers soll aber gerade die Freiheit des Gebrauches
eine Vertrautheit mit dem Text zeigen. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts
wächst die Zahl der wortgetreuen Zitate. Lim 150, als
Tustin die Hauptlehre des Herrn herausstellte, schöpft er seine
fundamentalen Bestätigungen aus dem Matthäusevangelium.

4) Es ist des Verfassers wiederholt ausgesprochene Ansicht:
das Matthäusevanrelium ist normativ für das christliche Leben
gewesen, es hat die Atmosphäre der allgemeinen Christenheit
reseharfen (S. 652>. Zwar werden Apokalypse und katholische
Briefe sehr selten benutzt, während der Gebrauch der paulinischen
Briefe allgemein ist, dennoch kann man nicht sagen, daß Paulus
das Christentum in derselben Weise beeinflußte wie Matthäus.
Was 2. Petrus 2,16 von den Paulusbriefen sagt, gilt nach M's
Ansicht auch von den hier behandelten Autoren. Er muß zwar