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Ausgabe:

1953

Spalte:

269-271

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mensching, Gustav

Titel/Untertitel:

Allgemeine Religionsgeschichte 1953

Rezensent:

Goldammer, Kurt

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ausberechnen und ist weitgehend dafür verantwortlich. Die
weiteren Konsequenzen jedoch und die Auswirkungen auf die
fernere Zukunft liegen stets in anderen Händen" (120). „Die
härtesten Schläge des Himmels fallen in der Geschichte auf diejenigen
, die sich einbilden, die Ereignisse souverän beherrschen zu
können" (120). An dieser Stelle sind bei B. sehr kluge Bemerkungen
über die diplomatische Weisheit des 18. Jahrhunderts
und zur Illustration des Gegenteils eine einschneidende Kritik an
den Friedensschlüssen von 1919 eingeschaltet (117). Christlich
von der Vorsehung reden heißt andererseits aber auch zu glauben
, „daß die Vorsehung niemals mit ihrer Weisheit zuende ist"
(123). „An einem Wahn leidet, wer von der Geschichte schreibt,
als sei die Welt zur Zeit der Renaissance in die Irre gegangen
oder als ob die Dinge mit dem Beginn der Aufklärung eine falsche
Wendung genommen hätten" (122), was bei vielen deutschen
Theologen immer noch Mode ist. Auch hier wirkt sich also die
Art und Weise, wie ein Historiker aus seinem persönlichen Glauben
heraus die von B. durch das Stichwort „Vorsehung" gekennzeichneten
geschichtlichen Vorgänge und Zusammenhänge deutet,
in der Art der Geschichtsschreibung aus.

Wenn ich B. recht verstehe, so geht es ihm in dem Kapitel
über „das Christentum als geschichtliche Religion" um das chri-
stologische Problem der Geschichte, oder besser gesagt, um die
Christologie als Grundfrage aller Geschichtstheologie. Kann man
als Profanhistoriker, der zugleich Christ sein will, mit gutem
wissenschaftlichem Gewissen die Aussage des NT bewahrheiten,
daß Jesus Christus die „Mitte der Geschichte", ihr A und O, die
Erfüllung des göttlichen Heilsplanes ist? Daß die Frage nach dem
letzten Sinn der Geschichte von der Christologie nicht losgelöst
werden kann, scheint die Tatsache zu beweisen, daß das moderne
historische Denken mit Auseinandersetzungen über das christo-
logische Problem beginnt (Lessing) und daß umgekehrt die historisch
-kritische Untersuchung des christologischen Problems in der
heutigen Theologie auf grundsätzliche Fragen des allgemeinen
historischen Verstchcns führt (Bultmann). Offenbar ist beides
nicht zu trennen.

Was B. hierüber sagt, kommt jedoch — von allgemeinen
Erwägungen über die Erkennbarkeit dogmatischer Glaubensin-
haltc abgesehen — nicht über die Behauptung hinaus, daß „das
Göttliche, das für den frommen Menschen schon immer in der
Geschichte sichtbar war, . . . mit Christus geradewegs auf die
Ruhne getreten und in die Geschichte eingetreten ist" (135). Das
ist eine Aussage über die Inkarnation, die aber historisch-kritisch
verifiziert werden müßte, soweit das möglich ist. Es klingt mir
zu unverbindlich, wenn B. im Blick auf die Person Jesu Christi
sapt: ,,Ich selbst würde sehr stark die Empfindung haben, daß es
nn Mensch sein muß, der den gleichen Bedingungen unterworfen
ist wie wir alle und dessen Wissen so begrenzt ist, daß er sich
seiner Mission nur ranz allmählich und gleichsam tastend bewußt
wird: so begrenzt, daß auch die Versuchungen, die ihm auferlegt
werden, für ihn wahre Versuchungen des Teufels sind und nicht
«n bloßes Schattenspiel" (136).

Das letzte Kapitel des Buches wehrt ein Mißverständnis
ab, das offenbar auch in England jedem droht, der christlich
-theologische Kategorien zur Deutung der Geschichte verwendet
. Heißt das nicht, einer kirchlichen Geschichtsdeutung das
Wort reden? B. sagt: „Obgleich ich die religiöse Deutung des
ganzen menschlichen Lebens als die einzig mögliche betrachte....
habe ich ernste Bedenken gegen diese Art polemischer Geschichte,
die das Anliegen des Christentums mit Hilfe jener weltlichen
Formen der Rechtfertigung zu fördern sucht, was aber in Wahrheit
eher auf eine Rechtfertigung der Männer und der Systeme
der Kirche hinausläuft" (150). Es folgen nun einige harte Brok-
ken: „Die christliche Kirche begann, sobald sie irgend dazu in der
Lage war und die nötige Macht besaß, mit einer grausamen
Politik der Verfolgung" (150). Sie hat vermutlich die antike
Sklaverei nicht abgeschafft. Sie hat die französische Revolution
und die Demokratie in der gleichen Weise verdammt wie heute
den Kommunismus (152). Sie könnte „in hundert Jahren ihre
Meinung geändert haben und uns erklären, daß nichts christlicher
sein könne als die klassenlose Gesellschaft" (152). Die Verbesserung
der sozialen Verhältnisse ist im wesentlichen dem Kampf
der Arbeiterklasse, aber nicht dem christlichen Geist des Bürgertums
zu verdanken. Aber dies alles hebt für B. die Überzeugung
nicht auf, „daß das Christentum unabhängig von dem jeweiligen
Regime und der politischen Ordnung gedeiht, daß es jegliches
Regime zu durchdringen imstande ist und von keinem wirklich
zerstört werden kann" (153).

Die letzten Seiten beschäftigen sich mit dem Problem des
modernen Krieges und der Stellung des Christen zu ihm. Vf. übt
starke Kritik am Begriff des „gerechten Krieges"; er erblickt in
der französischen Revolution „den Beginn des Zeitalters moderner
Völkerkriege, des selbstgerechten Nationalismus und ein
klares Beispiel für den Übergang, zur nachdemokratischen Diktatur
" (157). Die modernen Kriege und Revolutionen sind verantwortlich
für „das Phänomen des modernen Barbarentums"
(158). Einiges an die Adresse der englischen Politikerl Am Schluß
der napoleonischen Kriege galt in England der Franzose als Angreifer
und Feind der Menschheit. Also war man für ein starkes
Preußen im Rheinland, „um damit Deutschland zu stärken, obwohl
die Preußen selbst gar keine Vergrößerung in dieser Gegend
anstrebten und darüber klagten, daß sie hierdurch nur in
Konflikt mit Frankreich kommen würden" (159). Die politische
Situation, in der wir augenblicklich leben, sieht nach B. so aus:
„Die Zukunft Europas hängt von Deutschland ab: die Westmächte
, nicht willens, dort den Kommunismus zu dulden, Sowjetrußland
entschlossen, sich nicht durch die Bildung einer antikommunistischen
Regierung schachmatt setzen zu lassen, und keine
Seite in der Lage, sich einen Rückzug zu leisten und wirklich
Deutschland die Gestaltung seiner Zukunft selbst zu überlassen.
Sieht eine derartig lähmende Zwangslage als Ergebnis von 40 Jahren
Diplomatie und Krieg nicht sehr nach einem Gericht Gottes
über die Siegervölker selber aus" (162)?

RK]d<l,0NSW1SSEN SCHAFT

Mi"SCu'Agn ,9U'.taJ' prof. Dr.: Allgemeine Religionsgeschichtc.

2^ verb. Aufl. Heidelberg Quelle & Meyer 1040. 240 S. 8n = Hochschulwesen
in Einzeldarstellungen. Pp. DM 8.80.

Eine Zeit, in der sich die allgemeine Religionswissenschaft
und insbesondere die vergleichende Religionsgcschichte in
Deutschland unverkennbar in einer schwierigen Lage befindet,
ja der Interesselosigkeit und Mißtrauen die Haltung weiter religiöser
und theologischer Kreise zu ihr bestimmen, andererseits
aber Dilettantismus und Feuillctonismus, Unklarheit über die
Aufgabe und Unsicherheit der Methode in der monströsen Verquickung
von „Rcligions- und Gcistcsgeschichte" die alte latente
Krise um diese Wissenschaft fortdauern lassen und sogar verschärfen
, scheint der Publikation von religionswissenschaftlichcn
Gesamtdarstellungen nicht günstig zu sein. Ein Verlangen nach
solide fundierten Darstellungen ist jedoch unverkennbar. Die

Tatsache, daß keines der neu erscheinenden kleineren und größeren
Kompendien oder Sammelwerke den Bedürfnissen — vor
allem der Hochschulwissenschaft und der Studenten — gerecht
wird, liegt auf der Hand. Die älteren guten Leitfäden sind weithin
vergriffen. Neues, das sie wirklich ersetzen könnte, fehlt.

In dieser Situation ist es zu begrüßen, daß mit Menschings
kleiner „Allgemeiner Religionsgeschichte" die zweite Auflage
eines seit 1940 beachteten und als brauchbar bewährten Handbüchleins
erschienen ist, das in knapper und einprägsamer Form
auf der Grundlage der dem Verf. in besonderer Weise eigenen
typologischen Methode einen instruktiven Leitfaden darbietet,
an dem sich der Anfänger orientieren, und mit dessen Hilfe der
Fortgeschrittene sein Wissen rekapitulieren kann. Der Gesamtcharakter
des Buches ist ansprechend. Es versteht den Stoff in
neuartiger Weise anziehend und interessant zu gestalten und
aktuell darzustellen, was nicht sowohl geeignet ist, die Bedenken
einer strengen Historik anzuregen, als vielmehr die Anteilnahme
eines weiteren, über das Fach hinausreichenden Kreises zu wek-