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Ausgabe:

1953 Nr. 4

Spalte:

233-235

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schmaus, Michael

Titel/Untertitel:

Die göttliche Gnade 1953

Rezensent:

Schultz, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 4

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geblich auf göttliche Offenbarung gestützter Führungsanspruch
geltend gemacht wird und Gefolgschaft findet. Gewiß sollen Christen
und Kirche die Menschheitsgeschichte in Glauben und Liebe
bewußt mitgestalten, aber ein etwaiger Führungsanspruch kann
sich nicht auf die Offenbarung, sondern nur auf berufliche Stellung
und persönliche Eignung, also auf menschliche geschichtliche
Gegebenheiten, stützen.

Im übrigen läßt sich zu R.s eindrücklichen Aufstellungen auch
eine Gegenrechnung aufmachen. Es entspricht nicht der geschichtlichen
Wahrheit, daß die Kirche nur segensreich gewirkt hätte. Oft
war sie eine blinde Blindenleiterin oder ist — schlimmer noch —
den Sehenden in den Weg getreten. In der Gegenwart hat die
katholische Kirche ihren steigenden Einfluß nicht zum wenigsten
dem Umstand zu verdanken, daß ihre programmatischen Forderungen
von den heutigen Staaten kaum befolgt werden. Dadurch
zieht sie aus der weit verbreiteten politischen Unzufriedenheit
und Unsicherheit Nutzen.

Dersckow bei Qreit'swald £. Schott

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Schmaus, Michael, Prof.: Katholische Dogmatik. 3. Bd.: Christi
Fortleben und Fortwirken in der Welt bis zu seiner Wiederkunft.
2. Teil: Die göttliche Gnade. 3. u. 4. umgearb. Aufl. München:
Hucber 1951. XII, 466 S. gr. 8°. DM 20.80; Hlw. DM 23.80.

Das vorliegende Werk bezeichnet der Verfasser als den
2. Teil des 3. Bandes seiner Dogmatik, der jetzt in dritter und
vierter Auflage vorliegt. Der 1. Teil dieses Bandes soll von der
Kirche handeln und demnächst erscheinen. Der neu herausgegebene
2. Teil behandelt die Lehre von der Gnade. Er gliedert sich
in drei Abschnitte. Das Thema des ersten Abschnittes lautet:
..Sinn und Wesen der menschlichen Teilnahme an der durch Christus
aufgerichteten Gottesherrschaft (der Gnadenstand)", das
des zweiten Abschnittes: das Werden des Christenstandes in der
Kraft der Tatgnade, (der aktuellen oder Beistandsgnade), während
der dritte, wesentlich kürzere Abschnitt die Überschrift
trägt: „die Fruchtbarkeit der Gottesgemeinschaft des begnadeten
Menschen." Die Thematik erscheint als nicht besonders
glücklich, da sie keine präzise Stoffeinteilung gewährleistet, vielmehr
Anlaß zu Wiederholungen gibt, denen der Verfasser in der
Tat nicht immer entgangen ist.

Der Verfasser hat auch in dem vorliegenden Band seiner
Dogmatik im reichen Maße zur Unterbauung seiner Aussagen
über die Gnade und ihre Auswirkung den neutestamcntlichen
Befund herangezogen. Es wäre eine Aufgabe für sich, die Resultate
seiner Interpretation, die von seiner kirchlichen Lchrautori-
fät bestimmt ist, kritisch zu prüfen. In den nachfolgenden Ausführungen
geht es nur darum, seine theologische Analyse der
Gnade in ihren Grundzügen aufzudecken und besonders ihre
Distanz zu der protestantischen Auffassung festzulegen.

Diese Distanz wird sofort in der Einleitung des Werkes
sichtbar, wenn gesagt wird: „wer eine lebendige Beziehung zum
himmlischen Vater gewinnen will, muß Jesus Christus in dem von
der Kirche verkündeten Glauben und in den von ihr gesetzten
sakramentalen Zeichen ergreifen" (2). Zwischen Christus und
dem Gläubigen steht also als entscheidende Instanz die Kirche
und ihre sakramentalen Zeichen. Auch die Gnadenlehre ist daher
% primär von dieser Grundposition aus bestimmt. Daher auch die
Verbindung von Gnaden- und Sakramentsichren. Zwar bemerkt
der Verfasser, daß er gegenüber der altkirchlichen und ostkirchlichen
Theologie, die keine getrennte Betrachtung von Gnade
und Sakrament kenne, an der von Augustin eingeleiteten Trennung
von Gnaden- und Sakramcntenlchrc festhalten wolle.
Aber das geschieht nur im Interesse einer systematischen Erörterung
der die Gnade betreffenden Fragen. Inhaltlich dagegen
bleibt der Satz richtunggebend: „die Gnade ist nach dem ordentlichen
göttlichen Heilsplan Sakramentsgnade" (3). Im andern
Fall würde die Gnade „der Verlciblichung " beraubt. Daraus
folgt der bekannte erste Grundsatz der genuin katholischen Deutung
der Gnade. Gnade ist eine ontische Qualität, die dem Menschen
„eingegossen" wird, also etwas „Greifbares", Faßbares",
im Einzelnen Bestimmbares. Und darum gibt es nicht eine Gnade,
sondern viele Gnaden, die von der gratia creata bis zur gratia
sanetificans in genauer Abstufung festgelegt und analysiert werden
können.

Von dieser Grundposition aus werden dann im 1. Abschnitt
die Folgerungen gezogen: die fortgesetzte Betonung der ontischen
Verwandlung des Gläubigen bis zur mystisch-sakramentalen
Einheit mit Christus und zur Vergottung, die vorwurfsvolle Feststellung
, Luther habe „unter Zurückdrängung der sakramentalen
Gegenwart die Glaubensgegenwart in häretischer Zuspitzung"
gelehrt (49), wie die reformatorische Lehre jede seinshafte Veränderung
im Akt der Sündenvergebung abgelehnt habe (101),
die unsichere Haltung in der Frage der Sündentilgung: auf der
einen Seite folgerichtig: „Der Zustand der Sünde wird vernichtet"
(90), auf der anderen Seite die beachtenswerte, wenn auch inkonsequente
Zulassung des lutherischen Satzes simul iustus et
peccator, da die Macht der Sünde tatsächlich „noch nicht völlig
beseitigt" (116) sei, weshalb die Rechtfertigung eschatologischen
Charakter habe. Hier scheint Gnade als habitus, als eine den
Menschen einhaftende Qualität in Frage gestellt zu sein. Aber
es scheint nur so. Im Verlauf der weiteren Ausführungen wird
dann wieder im Rückgriff auf die Mystik (138 ff) die „Seinsgemeinschaft
" des Menschen mit Gott im Zustand der Gnade betont
, die sich freilich von jeder pantheistischen Vermengung
von Gott und Mensch dadurch abhebe, daß sie durch den „geschichtlichen
Christus" geschieht. Aber die Erfahrung der Mystik,
die immer Christus- Gottes- und Trinitätsmystik ist, bleibt unangetastet
. In ihr ist die Wirklichkeit der göttlichen Geheimnisse
unmittelbar gewiß, und besonders in ihrer höchsten Steigerung
der Entrückung (Ekstase) und der Beschauung (kontemplativ).
Alles strömt durch die Gnade in den Menschen hinein: die sittlichen
Tugenden, die übernatürlichen Tugenden, wie Glaube,
Liebe, Hoffnung und die vielen Gaben des heiligen Geistes, zu
denen auch das Erkennen und die Wissenschaft gerechnet werden.
Beachtenswert ist der Hinweis darauf, daß das Tridentinum es
abgelehnt habe, „daß wir im bloßen Vertrauensglauben die
Rechtfertigung gewinnen (Luther)", indem im Vertrauen auf
Christus alle Unsicherheit überwunden wird. Es habe sich aber
damit nur gegen das selbstgefällige Brüsten mit der Heilsgewißheit
gewandt. Dagegen habe es das Grundanliegen der Reformatoren
aufgenommen, „daß das Heil nicht menschlichen Können,
sondern göttlicher Gnade zu verdanken sei, daß es nicht um den
Ruhm der Menschen, sondern um die Glorie Gottes geht" (222).

Man sollte meinen, daß mit dieser Feststellung die Analyse
der Gnade einen zutreffenden Abschluß gefunden hätte.
Aber der ganze zweite Abschnitt bewegt sich um das Problem
des Zusammenwirkens von Gott und Mensch für die Erreichung
des Gnadenstandes. „Zum Zustandekommen des Rechtfertigungsstandes
wirken demnach Gott und Mensch zusammen.. .". Aber
wie? Das ist die Frage, deren Beantwortung sich der Verfasser
nicht leicht gemacht hat. Richtunggebend ist ihm der Satz: „Die
katholische Lehre von der Gnade bedeutet auch keine Leugnung
der menschlichen Freiheit" (267), wie der Mensch nicht bis in
seine „Wesenswurzel hinein verdorben" ist (271). Auch der gefallene
Mensch kann ohne übernatürliche Gnade Gottes Dasein
erkennen und sittlich Gutes tun (273). Das Tridentinum richtet
sich „gegen die in der Reformationszeit vertretene Lehre von der
völligen Verderbnis der menschlichen Natur" (287). Ob Luther
selbst von diesem Verwerfungsdekret getroffen werde, sei allerdings
zweifelhaft, da seine Stellungnahme hier nicht eindeutig
sei. Es ist Glaubenssatz: „Der Mensch kann durch keinerlei Anstrengung
die Gnade verdienen." (279). Aber nur die erste Gnade
ist im strengen Sinne unverdienbar. Es gibt Gnaden, die die
Freiheit des Menschen nicht ausschließen, so daß aus dem Ganzen
das Resultat folgt: „Jede Handlung wird ganz von Gott und
ganz vom Menschen gesetzt, von Gott als Erstursache (causa
principalis), vom Menschen als Zweitursache (causa secunda).
„Jede Handlung ist in ihrem ganzen Umfang und ihrer ganzen
Tiefe Werk Gottes, jede ist in ihrem ganzen Umfange und in
ihrer ganzen Tiefe Werk des Menschen." (335). Das aber be-
I deutet in Wahrheit den Verzicht auf die Klärung des Verhält-