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Ausgabe:

1953 Nr. 4

Spalte:

225

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Günter, Heinrich

Titel/Untertitel:

Psychologie der Legende 1953

Rezensent:

Schott, Erdmann

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225

Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 4

226

Günter, Heinrich, Prof.: Psychologie der Legende. Studien zu einer
wissenschaftlichen Heiligen-Geschichte. Freiburg: Herder 1949. VIII,
375 S. 8°. Lw. DM 12.-.

Nicht Psychologie der Heiligen bietet G., sondern Psychologie
der Hciligenlegcnde. „Das psychologische Interesse verschiebt
sich vom Heiligen weg auf seine Auffassung durch die Mit- und
Nachwelt" (l). „Für das Volk hat der Heilige ein zweites Gesicht
. .. nach einem bercitliegcnden Schema von Wunschbildern
" (l). Der Wahrheitsgehalt der Legende kann mit den Mitteln
historischer Kritik nicht erschöpfend dargestellt werden;
denn „die Legende ist Künderin einer Idee, des Metaphysischen
im Menschen. Was im Bereich dieser Idee liegt, kann jeden Tag
Wahr sein oder wahr werden" (5). „Die Grundmotive sind Mcnsch-
heitswünsche" (5). „ . . das Christentum übernahm die Legende,
Weil sie seiner Voraussetzung von Heilkraft und -Wirkung entgegenkam
" (5 f). Die Übertragung der Einzelmotive erklärt sich im
Wesentlichen aus Analogie, wobei zweierlei als Quelle und Antrieb
zur Analogieverwendung zu nennen ist, die Heilige Schrift
und die Weltlegende: „wie damals, so unter verwandten Voraussetzungen
auch heute" (6). Mit dem Märchen hat die Legende
•■das unbedenkliche Drauflocträumcn" (9) gemeinsam. Aber die
Legende ist älter als das Märchen (8 f. gegen Wundt). „Furcht,
Vertrauen und Abwehr führten" zur Legende; die Legende hat
noch sakralen Charakter (l 3).

G. behandelt zunächst die Psychologie der allgemeinmensch-
'ichen Legende (l.Kap.): „Ausgangspunkt aller Legende ist das
Bewußtsein der Abhängigkeit von oben. Lind ihr Sinn ist, zu zeigen
, daß und wo Hilfe ist" (92). Die Motive der eigengewachsenen
christlichen Legende gruppiert G. unter zwei Hauptgcsichts-
Punkten: „Gleichartigkeit ohne Entlehnung" (2. Kap.) und „eigenchristliche
Anpassungen" (3. Kap.). Die christliche Legende will
Wie alle Legende „verherrlichen und werben. Das Christentum
soll als überzeitlich dargetan werden; was einmal war, gilt für
immer . . . Die Verherrlichung des Kreuzes, des Abendmahls und
seiner Folgerungen, des Leidens Christi und Mitlcidens können
nicht eindringlich genug vor Augen gestellt werden. Das christliche
Jenseits ist so ausgeprägt, daß jede Form von Veranschauli-
diung ihre Berechtigung hat. Von Maria und den Aposteln wissen
Wir so wenig, daß die Lücken nach Aufschluß schreien" (213).
Auf die sehr reichhaltigen Einzelheiten sei hier nur summarisch
hingewiesen. Es wird eher zu viel als zu wenig Material gebracht,
aber G. behält den Faden fest in der Hand und hilft dem Leser
durch eine weitgehende Lintergliederung. An einer Stelle (253 ff,
Wo von „sonderbaren" Heiligen die Rede ist) kann die Vernachlässigung
der russischen Hciligenleeenden als Maneel empfunden
werden. Aber im Ganzen ist schwerlich ein wesentlicher Gesichts-
Punkt außer Acht gelassen.

Die Legende als theologisches Problem liegt zwar außerhalb
der Themastellung, wird aber von G. deutlich empfunden: „Die
Lcpendc hat ihre zwei Seiten, eine erbauliche, zum mindesten
harmlose, und unter Llmständcn eine, freilich schwer kontrollierbare
, vertrauensselig-lähmende, fatalistische" (20). Von da her
hat G. ein gewisses Verständnis dafür, daß die Reformatoren die
Lecendc verdammt haben, obwohl er selbst dies Urteil nicht
teilt (334 f). — Der evangelische Haupteinwand geeen die Legen-
d"nfrömmiakeit rührt daher, daß sie sich, wie G. richtig zeigt, von
Wunschbildern leiten läßt und damit dem Glauben an die Selbst-
offenbarung Gottes den Rücken kehrt.

Dersekow bei Orelfswald E. Schott

KIRCH EN GESCHICHTE: MTE KIRCHE

Was zink, J. H., van U n n i k, WC. u. Ch. de Beus (Herausgeber):
Hct oudstc Christendom en de antickc cultuur. I : De hellenistische
cultuur. Het Jodcndom in het hellenistisch tijdvak. II : Leven en
denken van de oud-christclijke kerk tot Irenaeus. Haarlcm: H. D.
Tjeenk Willink en zoon 1951. VIII. 602 f VI, 477 S. gr. 8°. hfl. 45.-.
Fünfundzwanzig, zumeist holländische Männer, Theologen
und Philologen, Hochschullehrer und Pfarrer, haben sich zu diesem
großen Werk über das älteste Christentum und die antike
Kultur zusammengetan, das für Studenten und gebildete Laien
bestimmt ist. Wegen dieser Zielsetzung sind so gut wie keine

Anmerkungen geboten, fremdsprachige Zitate und Begriffe meist
übersetzt, in Einzeldiskussionen nur selten eingetreten und nur
eine Auswahl der Literatur, diese aber bis in die neueste Zeit
reichend, genannt (am Schluß eines jeden Abschnittes).

Der erste Band ist eine Art neutestamentlicher Zeitgeschichte
, formal an Wendland's Hellenistisch-römische Kultur erinnernd
. Besonderer Nachdruck ist auf die geistigen Strömungen
und nicht auf die materielle Kultur gelegt. Manchmal ist nicht
eine kurze, aber umfassende Darstellung eines Themas, sondern
eine Einführung durch Herausstellung charakteristischer Züge
geboten.

Das Werk eröffnet eine Geschichte des Hellenismus (J. H.
Thiel), bei der die Orientalisierung des Weltgriechentums und
des römischen Imperiums mit seinen politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Zusammenhängen verfolgt wird, besondere Abschnitte
sind Griechenland, Kleinasien, Ägypten und Rom gewidmet
.

In dem großen Abschnitt über die Religion des Hellenismus
wird dann bewußt die griechische Religion nur in ihrem Fortleben
im Hellenismus beschrieben, während der altrömischen
Religion ein besonderer, sehr instruktiver Abschnitt gewidmet
ist. Die von G. Q u i s p e 1 dargestellten Mysterien des Hellenismus
, von denen die der Isis und des Mithras noch besonders behandelt
sind, sind m. E. etwas zu knapp ausgefallen und Dionysos
scheint mir in seiner Bedeutung auch für die Kaiserzeit mehr
Aufmerksamkeit zu verdienen, als er sie hier erhält. Derselbe
Verfasser hat auch die heidnische Gnosis (vorchristlich) behandelt
. Es folgt dann ein sehr instruktiver Abschnitt über die antike
Astroloeie, doch würde es dem Leser willkommen sein,
wenn er auch etwas mehr über den tatsächlichen Einfluß der
Astrologie in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit bei
Hoch und Niedrig erführe. Einen Abriß der Geschichte des Herr-
schcrkultus gibt E. J. J o n k e r s, der ausmündet in eine Betrachtung
über Christentum und Kaiserkult (nicht die Weigerung, am
Kaiserkult teilzunehmen, sondern die atheotes ist in den ersten
Zeiten die Ursache von Christenverfolgungen gewesen).

Sehr umfangreich ist der Teil über die Philosophie des Hellenismus
, der fast zu einer Geschichte der Philosophie von Thaies
bis in die römische Kaiserzeit geworden ist, wobei Aristoteles
mit fast 40 Seiten besonders gut weggekommen ist, während
die Philosophie der Kaiserzeit sich mit weit weniger Raum begnügen
muß. Das scheint mir im Blick auf das Ziel des Buches
ein Mißverhältnis zu sein. Auch hätte m. E. die Rolle der Philosophie
als Erschütterin und gleichzeitig als Ersatz der Religion
deutlicher herausgearbeitet werden sollen.

Der zweite Teil des ersten Bandes behandelt das Judentum
in Palästina und in der Diaspora, zuerst die Geschichte Palästinas
von Alexander dem Gr. bis 135 n. Chr., wobei sich M. A. B e e k
doch wohl zu sehr auf das rein Historische beschränkt hat. Sehr
selbständig ist der Abschnitt über die Religion der Juden (P. A.
H. d c B o e r), die Bedeutung des Tempels und der Priesterschaft
wird stark betont, das Ringen um die Frage, wie der Mensch vor
Gott bestehen kann, kommt m. E. zu wenig zur Geltung. Dankenswert
ist es, daß verhältnismäßig viele Zitate aus dem rabbi-
nischen Schrifttum geboten sind, wenn ich auch meinen möchte,
daß der Durchschnittsleser daraus ohne nähere Erläuterungen
nicht den Nutzen ziehen kann, der daraus zu gewinnen wäre. Das
Judentum in der Diaspora ist von W. C. van Unnik sehr instruktiv
beschrieben, vor allem in den Abschnitten „Die Auf-
rechtcrhaltung des jüdischen Charakters" und „Verhältnis zur
Umgebung". Besonders wichtig und gut ist es, daß der LXX ein
verhältnismässig ausführlicher Abschnitt gewidmet ist (W. S.
van Leeuwe n), von einer „Hellenisierung des semitischen
Monotheismus" in der LXX ist nach ihm nur sehr bedingt zu
sprechen, m. E. mit Recht. Zum Schluß erhält Josephus und Philo
noch je einen kurzen Abschnitt; bei Josephus vermisse ich in der
Literatur das Werk von A. Schlatter, Die Theologie des Judentums
nach dem Bericht des Josephus, ein Werk, das auch in der
Darstellung mehr hätte verarbeitet werden können.

Der zweite Band umfaßt die Geschichte des Neuen Testaments
und der Kirche bis Irenäus. Die einleitende „Übersicht
über die Geschichte des ältesten Christentums" schrieb J. d e