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Ausgabe:

1953 Nr. 4

Spalte:

222

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, Morton

Titel/Untertitel:

Tannaitic parallels to the gospels 1953

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1953 Nr. 4

222

Unsicher sind die Etymologien der beiden hb. Wörter. R.
(S. 56 ff.) nimmt als Grundbedeutung von dbr ,,treiben, führen" an,
daraus sei l) „Vorwärtsbewegung, Willensfunktion", 2) „begrifflicher
Hintergrund einer Sache" abzuleiten, und darauf beruhe die „Dynamik
von dabär". Aber das sieht mir reichlich intellektualistisch-reflektiert
aus. L. Koehler in seinem neuen „Lexicon in VT libros" S. 199 trennt
dbr „treiben" von dbr „summen — sprechen", und für diesen Bedeutungsübergang
stehen Parallelen zur Verfügung: 'pdsyyeoüm „einen
Laut von sich geben — laut reden", das lautmalerische XaJ.eTv „plaudern
- sprechen" (Thcol. Wb. IV 75) und das berühmte n''um JH VH--
Nidit besser steht es mit 'mr: nach R. (S. 70 ff.) ursprünglich „hoch",
daraus ,bcfehlen"; Koehler nach Delitzsch „hell machen, sichtbar
"lachen — zeigen, kundtun"; vgl. Stt'x-vv/it „zeige"— dico „spreche".
Man wird also gut tun, bei der Ermittlung der „Grundbedeutung" der
beiden hb. Wörter (und bei ihrer Vergleichung mit Rh und L) mehr
die Texte als die Etymologie sprechen zu lassen . Und dabei wären viel
mehr, als es R. tut, die zugehörigen Verba heranzuziehen, auch bei der
Untersuchung der Übersetzungen: ein oberflächlicher Blick in die Konkordanz
scheint mir schon im Groben zu ergeben, daß dbr als Verbum
(besonders im Piel) durch laXnv (fast 16 Spalten), als Substantiv
durch Rh und L, 'mrals Verbum durch dnrXv (51 V* Spalten I), als Substantiv
durch Rh und L wiedergegeben wird (?Jyo> habe ich nicht geprüft
; die Sache kompliziert sich durch die Suppletivität der griechischen
Verbal). Die Substantiva gehen also andere Wege als die Verba; so
ist ja auch der Vcrbalstamm grj- in der Koine durchaus noch im Gehrauch
(tQot'i&rj, tQQrjiat), während Rh fehlt.

Die Gelehrten deutscher Muttersprache werden sich freuen,
daß das Buch deutsch geschrieben ist, wo doch sonst seit dem
letzten Krieg Skandinavier, Finnen und Holländer gern zum Englischen
oder Französischen übergehen. Aber es hätten von R.
doch eigentliche Sprach- und Orthographiefehler besser vermieden
werden sollen.

Z.B. caesaräisch (siel) S. 47 A. 4 statt - eisch, Aramäismen 49
statt - aismen, Verfahrungsart 67 statt Verfahrensart, die eine ver-
sdiiedene Richtung eingeschlagene Entwicklung 72, von Dionysios
Thrakier 83 A. 1 statt von Dionysius Thrax, ombrisch 95 statt um-
brisch, in Frage gestellt 113 statt die Frage gestellt (?), „Vers" 117
Anm. statt „Zeile", eine Rolle gespiegelt (I) 118, Konnexionen 132
statt Konnexen, in A- und B-Kodexen 190 statt in den Codices A und
i. Mehrmals finden sich schwer- und direkt unverständliche Ausdrücke:
fragmentarische Linie 21 (unterbrochene, gestrichelte), sclbstbcfugt 36
(selbstverständlich?), das entworfene (geschilderte? erwähnte?) Sprach-
milicu 50, die entworfene (vorgeschlagene?) Etymologie 73. Durch
das ganze Werk hindurch zieht sich das Wort „Bedeutungsaufgabe":
es scheint „Bedeutungsart" gemeint zu sein (so S. 112). Für das im
Deutschen allein gebrauchte (wenn auch im Hb. nicht begründete)
..Hiob" verwendet R. immer das aus der LXX über die Vulgata ins
Französische und Englische gekommene „Job". Und endlich hat er sich
verleiten lassen, die üblichen Ausdrücke „Bedeutungslehre", „Semantik",
•■Semasiologie" (deren feinere Unterschiede hier bedeutungslos sind)
durch das sprachlich völlig falsche „Semologie" (und „semologisch )
zu ersetzen.

Das Gesamtergebnis des Buchs würde ich so formulieren:
Rh ist in der LXX einer der deutlichsten Semitismenl Das geht
aus der Einzclanalysc bei R. klar hervor, und an verschiedenen
Stellen entschlüpfen ihm ähnliche Ausdrücke; aber im ganzen
sucht er das abzuschwächen zugunsten seiner Grundthese, daß die
Geschichte von Rh in der LXX lediglich eine etwas verspätete
Etappe des allgcmeingriechischen Rückgangs von Rh sei (vgl.
oben). Aber vielleicht ist das mehr nur ein Streit um Worte. R. erklärt
gleich im zweiten Satz der Einleitung mit Berufung auf
Deißniann, Thumb und Moulton energisch, es könne „von einem
besonderen .Bibelgriechisch' nicht mehr die Rede sein". In dem
seither verflossenen halben Jahrhundert haben wir aber gelernt,
daß die Sprache der griechischen Bibel sich zwar in der Grammatik
und im Gebrauch der Alltagswörter kaum von der zeitgenössischen
Koine unterscheidet, daß aber die entscheidenden
theologischen Wörter vom Geist der jüdischen Begriffswclt völlig
durchdrungen und nur als Semitismen ganz verständlich sind;
ob man das „Bibelgricchisch" (oder gar „Judcngricchisch") nennen
will oder nicht, ist eher nebensächlich. Die semantischen
Scmitismcn aber wird heute niemand mehr leugnen; Kittels Wörterbuch
bestätigt uns das immer wieder, und für Rh geht es aus
der Einzclanalysc bei R. klar hervor, und der zweite Band wird
es wohl für das NT bekräftigen.

Ucrn Albert Debrunner

NEUES TESTAMENT

Smith, Morton, Ph. D.: Tannaitic Parallcls to tlie Gospcls. Philadelphia
: Society of Biblical Literature 1951. XII, 215 S. gr. 8° = Journal
of Biblical Literature, Monograph Series, Vol. VI.

Seit einigen Jahren gibt die amerikanische Society of Biblical
Literature unter der Redaktion von Ralph Marcus Beihefte zu
ihrem Journal of Biblical Literature heraus, als deren erstes eine
Ausgabe der Vitae Prophetarum von C. C. Torrey erschien. Die
vorliegende Arbeit, die sich die Aufgabe gestellt hat, die ältere
rabbinische Literatur nach Parallelen zu den Evangelien zu befragen
, bildet das 6. Heft der Reihe. Es handelt sich um eine Dissertation
, auf Grund deren der (christliche) Verfasser bei der hebräischen
Universität Jerusalem zum Dr. phil. promovierte.

An seinen zahlreichen Vorgängern bemängelt der Verfasser,
daß sie zu wenig oder gar nicht darauf bedacht waren, die von
ihnen notierten rabbinischen Parallelen zu den Evangelien zu
klassifizieren. Diese Unterlassung vermeidend, ordnet er die Parallelen
nach Gesichtspunkten: 1. Verbal parallels (Fremdwörter),

2. Parallels of idiom (Euphemismen, Zitationsformeln u. s. w.),

3. Parallels of meaning (Lohnvorstellungen, dazu S. 163—184 eine
Sammlung von 117 Belegen für den Gebrauch von "^J" jn der
tannaitischen Literatur), 4. Parallels of literary form (Wundergeschichten
, Redezusammenhänge), 5. Parallels in types of asso-
ciation (Stichwortzusammenhänge, Sachzusammenhänge, Zusammenstellungen
von Aussagen einzelner Rabbinen), 6. Complete
Parallels. 7. Parallels of parallelism (Traditions- und Kompositionsgesetze
), 8. Parallels with a fixed difference (Jesus tritt an die
Stelle Gottes bzw. der Tora). „This Classification seems to me one
of the most important respects in which this work differs from
its predecessors" (S. XI).

Am besten gelungen ist der S.Abschnitt (S. 152—160). Es ist in
der Tat lohnend, einmal rabbinische Texte zusammenzustellen, die von
Gott dasselbe aussagen, was ihre Evangelien-Parallelen von Jesus sagen.
Bekannt ist Pirqe 'Abhoth 3.2: „Wenn zwei beisammen sitzen und
vom Gesetz reden, ist die Sch^khina unter ihnen" (Mth. 18,20: „da
bin ich [Jesus] mitten unter ihnen"). Weniger bekannt sind andere Stellen
. M^kh. 18,12: „Wer Gelehrte aufnimmt, handelt so, als ob er Gott
aufnähme" hat Mk. 9, 37 eine von Jesus handelnde Parallele. Midhr.
Tannaim 15,9: „Meine Kinder (sagt Gott zu Israel), wenn immer ihr
den Armen zu essen gebt, rechne ich es euch so an, als ob ihr mir zu
essen gegeben hättet" fordert den Vergleich mit Mth. 25,40 heraus.
Siphra Lev. 25, 23 wendet die Sentenz „Es ist genug für den Knecht,
daß er wie sein Herr sei" auf Israels Verhältnis zu Gott an, Mth. 10,25
auf das Verhältnis der Jünger zu Jesus. — An sonstigen Beobachtungen
sei notiert: „Ich weiß nicht, was du sagst" (Mk. 14,68) wird durch
Sch^bhu'. 8,3 („Wo ist mein Ochse? Er antwortete: Ich weiß nicht, was
du sagst") als rechtskräftige Ableugnungsformel erwiesen (S. 34 f.). —
Lk. 15,18: 'Avamai; nogevoo/iai = "f?-io inryn ■» „ich will
sofort gehen" (S. 5 5 Anm.). — Übernatürliches Wissen wird Tos. Pes.
1,27 auf „Führung durch den heiligen Geist" zurückgeführt, vgl.
Joh. 1, 42. 47 (S. 130).

Im ganzen ist jedoch die Ausbeute, die sich aus der — infolge
der umständlichen Diktion äußerst mühseligen — Durcharbeitung
der Arbeit ergibt, sehr gering. Das ist umso bedauerlicher, als der
Verfasser große Sorgfalt und Mühe auf das Studium der tannaitischen
Literatur verwendet hat. Daß trotzdem nicht mehr herauskommt
, liegt daran, daß die Kenntnisse des Verfassers in der
neutestamentlichen Fachliteratur unzureichend sind. Er merkt
nicht, daß er weithin Bekanntes wiederholt, und führt Unwichtiges
breit aus. So bleibt als Positivum nur: die gewiß beherzigenswerte
Forderung nach einer Klassifikation der rabbinischen Parallelen
, wobei man allerdings des Guten nicht zuviel tun sollte.

Güttingen Joachim Jeremias