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Ausgabe: | 1952 Nr. 3 |
Spalte: | 169-170 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Weijenborg, Reinoud |
Titel/Untertitel: | La charité dans la première théologie de Luther (1509-1515) 1952 |
Rezensent: | Maurer, Wilhelm |
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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 3
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geben, ist in dem Haupttitel des Buches gekennzeichnet. Den
Eingang bildet eine z.T. novellistisch ausgestaltete Schilderung
des „Jahres Der Wandlungen" 1547: der weltgeschichtlichen
Lage einerseits und der Stellung C.s in Genf andererseits
. An einer Betrachtung über die Entscheidungen, die C.
in dieser Zeit trifft, gewinnt der Verf. die erwähnte Formel,
unter der er dann die Wege des Reformators bis zum endgültigen
Bleiben in Genf in drei weiteren Kapiteln darlegt.
Die Art, wie die beiden Stichworte ständig wiederholt werden, ist gesucht
und zuweilen fast peinlich: „Schmal war für ihn der Weg des Lernens,
zuchtvoll und ohne Seitensprünge(!) hatte C. sich auf den ihm freundlich geebneten
Wegen bewähren müssen. Doch hatten ihn die drei Institutsjahre mit
ihrem Abschluß in der Magister-Artium-Prüfung, die ihn zum „Meister der
freien Künste" machte, dafür auch unmittelbar an die Pforte geführt, wo die
Weite wissenschaftlichen Studiums ihm nun verlockend winkte" (S. 27).
Ein weiteres umfangreiches Kapitel will unter der Uberschrift
„Der Arbeiter" C. als Prediger, Gelehrten, Leiter der
Genfer Kirche, Richter, Politiker, Führer des Protestantismus,
als Seelsorger und als Menschen kennzeichnen. In einem
Schlußkapitel wird der Versuch gemacht, „das Vermächtnis"
festzuhalten.
Die dabei ausgewerteten Tatsachen sind im großen und
ganzen richtig wiedergegeben; auch die Literaturangaben erfüllen
ihren Zweck, Vertiefung zu ermöglichen. Sie ist freilich
auch notwendig. Denn tatsächlich dürfte die Schrift den einzigen
Sinn, den sie haben kann, dem gebildeten Laien einen
verständlichen und zutreffenden Eindruck von der Gestalt
C.s zu geben, kaum erfüllen. Das liegt einmal an der eigentümlichen
Mischung der Darstellungsmittel: teils wird er-
sonnene Geschichte erzählt, teils Tatsächliches berichtet, teils
wiederum über als bekannt Vorausgesetztes nur reflektiert
(vgl. S. 78); sodann wird aber auch Entscheidendes, worüber
gerade dem Nichtfachmaun Aufklärung nottäte, nicht wirklich
verarbeitet.
Was soll es z. B. im Zusammenhang mit den „Lehrprozessen" C.s (von
Castellio bis Servet) heißen: „In allen Fällen . . . liegt der Grund (seil, für C.s
Verhalten) in dem Erscheinungsbild, das bei C. von dem Betreffenden bestand
" (S. 103, vom Verf. gesperrt!)? Oder was muß der Laie für die Geschichte
des Problems von „Glauben und Wissen" und darüber hinaus für den religiösen
Zerfall des Abendlandes aus dem Urteil entnehmen, daß für die Reformatoren
„noch nicht jener verhängnisvolle Spalt" klaffte, „den die mißverstandenen
Gedankengänge eines Averroes mit ihrer jüdisch-kabbalistischen Art in das
Geistesleben des Abendlandes als Bazillus der Zersetzung eingeschleppt hatten,
ihm dadurch seine Wurzel im Gottesglauben abnagend" (S. 88)? Doch nichts
anderes, als daß A. ein Jude sei und die Juden also wieder einmal „an allem
schuld".
Und damit sind wir bei der ethischen Problematik der
populären wissenschaftlichen Literatur: ein gelehrtes Buch
wird so leicht niemand ohne genügende Fundierung sich zu
schreiben getrauen; es ist auch bei weitem nicht so gefährlich,
da es für urteilsfähige Leser bestimmt ist. Eine Darstellung
wie diese dagegen wendet sich an ein Publikum, dem Kontrollmittel
im allgemeinen nicht zur Verfügung stehen. Es muß der
Autorität des Verf.s wohl oder übel glauben. Gerade der Titel
des Buches könnte hier aufschlußreiche Erkenntnisse vermitteln
.
Naumburg/Saale Ernst Kähler
Weijenborg, R. [Prof. Dr.]: La Charite dans la premiere theologie de
Luther (1509—1515). Louvain 1950. gr. 8° = Sonderdruck aus der „Revue
d'histoire ecclesiastique" 1950, t. XLV, Nr. 3—4. S. 617—669.
Der jetzt in Rom lehrende niederländische Franziskaner
hat dasselbe Thema aufgegriffen, das vorher P. Vignaux (Luther
, Commentateur des Sentences = Etudes de philosophie
medievale 21, Paris 1935) m einer dogmengeschichtlich außerordentlich
ergiebigen Weise behandelt hat. Von der Studie
Wekenborgs ist das erste Kapitel für den protestantischen
Kirchenhistoriker am lehrreichsten. Sehr sorgfältig wird hier
Gabriel Biels Lehre von der Liebe des durch die Gnade gerechtfertigten
Menschen erörtert und dabei der Grund für die
folgenden Ausführungen gelegt. Im Gegensatz zur bisherigen
Forschung (Denifle, Holl, Feckes, Vignaux, Lortz) wird hier
die Orthodoxie des Okkamismus gerechtfertigt; hierin scheint
das Hauptanliegen des Verfassers zu bestehen.
Der eigentliche Hauptteil hebt nun Luthers Lehre von
der Liebe ab von jener okkamistischen Spätscholastik. Die
Analyse der Quellen ergibt allerlei interessante Behauptungen
über ihre Datierung: Die Randbemerkungen zu den Sentenzen
erscheinen schon im Dezember 1510 (nicht September 1511)
abgeschlossen. Eine auch von Vogelsang (ZKG 1931, ii2ff.
von W. unberücksichtigt) und H. Bluhm (Harvard Theol. Rev.
37, 1944, i75ff.) auf Weihnachten 1514 angesetzte Predigt
(Wi,2off.) wird auf 1509 vorverlegt, der Beginn von Luthers
Predigttätigkeit also viel früher angesetzt als gewöhnlich. Die
beiden im allgemeinen als älteste angesehenen Lutherpredigten
(W 4, 59off.,595ff.) werden genauer als bisher auf die Zeit
nach der Romreise, zwischen September 1511 und Mai 1512
bzw. auf Pfingsten 1513 datiert. Der Anfang der 1. Psalmenvorlesung
wird auf Oktober 1513 gelegt; Vogelsangs Forschungen
zur Textgestaltung der Vorlesungen sind nicht verwertet
. Man wird abwarten müssen, welche von diesen Hypothesen
sich durchsetzen wird.
Inhaltlich wird die in der Auffassung der Liebe bestehende
Differenz zwischen Luther und Biel nachgewiesen, manchmal
freilich mit allzu künstlichen Distinktionen, die zu wenig auf
den inneren Zusammenhang im Denken Luthers eingehen; jedoch
wird sich hier wohl der methodologische Unterschied
zwischen dem evangelischen Lutherausleger und dem in der
Interpretation scholastischer Texte geübten Exegeten geltend
machen. Wichtiger ist die Frage, wie jene Unterschiede zu erklären
sind. Dabei wird man W. wohl darin zustimmen
müssen, daß dem neuplatonischen Augustinismus keine selbständige
Bedeutung in dieser Frage zukommt. Auch den Hinweis
auf die Rolle, die die Liebeswerke im Observantenstreit
spielen, wird man dankbar zur Kenntnis nehmen; die Zusammenhänge
, die zwischen der Theologie des werdenden Reformators
und den Auseinandersetzungen in seinem Orden (die
nicht nur eine kirchenpolitische, sondern sicher auch eine theologische
Seite haben) bestehen, sind noch kaum gesehen.
Nicht einverstanden erklären kann ich mich mit dem Versuch
, die theologischen Abweichungen des jungen Luther von
seiner Schule von psychologischen Voraussetzungen aus
verständlich zu machen. Trotz der Abgrenzung gegenüber den
Thesen, die Reiter in seinem zweibändigen Buch und Werner
(Schweiz. Ztschr. für Psychologie 7, 1948, iff.) aufgestellt
haben, (W. verspricht uns ,,un point de vue plus theologique
que psychiatrique"), erscheint doch der Vater-Sohn-Komplex
als das treibende Motiv in Luthers Entwicklung und wird die
Ubersteigerung seiner Thesen aus einem daraus erwachsenden
Streben erklärt, den Ordensgenossen und damit dem Vater
durch bisher unerhörte Leistungen zu imponieren. Auf den
naheliegenden Gedanken, Luthers Aussagen nicht an den spätmittelalterlichen
Kommentatoren, sondern an dem kommentierten
Text des Lombarden und damit an der vorscholastischen
Theologie zu messen, kommt W. nicht [in Ablehnung
der Thesen von Burgdorf zeigt die aus der Scheeischen Schule
stammende Dissertation von H.Rommel (Uber Luthers Randbemerkungen
(1509/10; Kiel 1930), daß man jenen Rückgriff
auf die Vätertheologie rein aus okkamistischen Voraussetzungen
, ohne die Abhängigkeit von Humanismus annehmen zu
müssen, erklären kann]. Bei diesem Verfahren ergäben sich
viel einfachere Lösungen und wären die sehr fragwürdigen Anleihen
bei der Psychologie überflüssig.
Erlangen W.Maurer
Fabian, Ekkehart: Der Reformationskanzler Dr. Gregor Brück als
der große „Unbekannte" auf dem wiederentdeckten „Wittenberger Reformatorenbild
" von Lukas Cranach d. Ä., Selbstverlag Frankfurt/M. 1951,
19 S., 3 Fotos.
Heibig, Georg, V. D. M.: Der Ruf zur Buße. Eine Auslegung der sieben
Bußpsalmen von Martin Luther. Durchges., für den Leser von heute zugerichtet
und mit Anmerk. versehen. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1949]. 108 S. kl. 8° = Das Lutherwort zum Psalter. Bd. I.
Luther, Martin: Mariae Lobgesang. Das Magnificat verdeutscht und
ausgelegt. (Hrsg. u. sprachl. neu gefaßt v. Hermine Rohner. Mit einem
Nachwort von W. von Loewenich.) Stuttgart: Klett [1950]. 80 S. kl. 8° =
Anker-Bücherei Bd. 57. Pp. DM 1.20.
KIRCHENKUNDE
Henderson, G. D.: The Claims of the Church of Scotland. London:
Hodderand Stoughton 1951. VII, 251 S. 8°.
Die Schrift des bekannten schottischen Kirchenhistorikers
der Universität Aberdeen ist eine beabsichtigte presbyteria-
nische Parallele zu dem in der nächsten Nr. dieser Zeitschr.
zur Anzeige gelangenden anglikanischen Buch des Erzbischofs
von York. Sie dient den gleichen Zwecken, wenn sie sich zum
Ziel gesetzt hat, „to describe briefly the main features of the
history and Constitution of the Church of Scotland, ... what
that institution has actually stood for, . . . and what today ...
it would claim as its position and outlook" (S. VI).
Das wundervoll geschriebene Buch des für sein Thema
besonders qualifizierten Verfassers informiert bestens über den
allgemeinen Status der Kirche von Schottland, über ihre leitenden
Prinzipien, die Art ihres staatskirchlichen Gepräges,
den Charakter ihres Systems, die zahlreichen Separationen und