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Ausgabe:

1952 Nr. 2

Spalte:

71-76

Autor/Hrsg.:

Dilschneider, Otto Alexander

Titel/Untertitel:

Die Grundlage der Ethik 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 2

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den sechziger Jahren in Rom als Märtyrer gestorben ist; denn
Gal. 2, 6 zeigt, daß der Apostel schon vor Abfassung des
Galaterbriefs sein Ende gefunden hat.

6. Damit ist allen Spekulationen der Boden entzogen, die
die Geschichtlichkeit des römischen Wirkens des Petrus durch
die Behauptung zu retten suchen, Petrus sei erst nach dem
am Ende der Apostelgeschichte erreichten Zeitpunkt nach
Rom gelangt.

7. Auch für das angebliche Petrusgrab neben dem Circus
Gaii et Neronis imperatorum auf dem Vatikanischen Hügel,
inmitten der Gärten der Agrippina, ergeben sich damit die
unvermeidlichen Konsequenzen1.

8. Aus dem bisherigen folgt, daß Petrus, wenn überhaupt,
dann nur vor c. 55/6 in Rom gewirkt haben könnte, also
innerhalb des von der Apostelgeschichte behandelten Zeitraums
. Nun behandelt zwar die Apostelgeschichte das
Thema des apostolischen Wirkens in Rom; es ist sogar Ziel
und Krönung ihrer Darstellung. Der in Rom wirkende Apostel
ist aber Paulus. E r ist für den Verfasser der Apostelgeschichte
deutlich genug der Apostel Roms. Die Folgerung für Petrus
liegt auf der Hand2. Wenn wir aber aus kritischer Vorsicht auf

') Der Neronische Cirkus lag nicht neben, sondern in den kaiserlichen
Gärten, wie Tacitus, ann. XV, 44 einwandfrei erkennen läßt.

2) Die Apg. ist in dem klaren Bewußtsein geschrieben, daß die apostolische
Propaganda von Jerusalem bis nach Rom vorgedrungen ist; der Verfasser
empfindet lebhaft die Bedeutsamkeit dieser Tatsache. Sie ist das Ziel seiner

jedes aus der Apostelgeschichte hergeleitete Argument verzichten
, bleibt doch die Frage: Wie konnten die fanatischen
Verfechter der Beschneidung im galatischen Konflikt sich (wie
aus Gal. 2 erhellt) auf die Urapostel, insbesondere den Petrus
berufen, wenn Petrus selber in der ganz überwiegend aus Unbeschnittenen
bestehenden römischen Gemeinde gewirkt
hätte?1

mit wohlbedachter Architektonik aufgebauten Darstellung. Vorausverweisungen
(1,8; 19,21; 23,11), retardierende Momente von 23,12 an, Breite der
Darstellung 27, 1—28, 16 betonen die Romreise und das römische Wirken
des' Paulus so stark, daß sie deutlich die Krönung des ganzen Geschichtswerkes
sind. Angesichts dieses Sachverhalts darf man nicht behaupten, es lasse sich
nicht beweisen, daß die Apg. das Kommen des Petrus nach Rom erwähnen
mußte. Die Frage, ob Petrus in Rom war, bedeutet für ernsthafte Problemstellung
natürlich, ob er als Apostel in Rom gewirkt hat und nicht, ob man
nicht etwa einen unwesentlichen Aufenthalt des Petrus in der Hauptstadt
vermuten dürfe, den die Apg. nicht zu erwähnen brauchte. Wer sich auf diese
Ausflucht zurückzieht, verschiebt die Fragestellung und gibt überdies indirekt
zu, daß von einem apostolischen Wirken des Petrus in Rom, das diesen Namen
verdient, nicht gesprochen werden kann. Wer dies indirekt zugegeben hat,
darf dann logischerweise nicht hinterher aus 1. Clem., Ign., Rom. und 1. Petr.
5,13 herausholen wollen, daß Petrus doch in Rom gewirkt habe, mögen diese
Stellen so alt oder so jung sein wie sie wollen, und mögen ihre Verfasser von
Petrus geglaubt haben, was sie wollen.

') Die Behauptung bei Eus., h. e. II, 14,6, Petrus sei unter Claudius
nach Rom gekommen, ist wertlos; sie stammt, wie ein Vergleich mit 11,13,3
schlagend zeigt, aus der Simon-Magus-Legende.

Die Grundlagen der Ethik

Von OttoA.Dils

Nunmehr legt uns Helmut Thielicke den ersten Band
seines Werkes über die Grundlegung der theologischen Ethik
vor1. Ein zweiter Band, der die einzelnen Lebensgebiete der
christlichen Ethik behandeln wird, soll folgen. Wir bringen
zunächst eine Gedankenskizze der Darstellung.

Das Werk gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil steht unter dem
Thema „Krisis und Verheißung der christlichen Ethik im Zeitalter des Säkularismus
". Der zweite Teil betitelt sich „Prinzipienlehre der Ethik".

Im ersten Teil führt uns der Verf. in die geistesgeschichtliche Situation
ein, in die heute der Ethiker hineinzusprechen hat. Die Ethik ist in Frage gestellt
durch die Dämonisierung der Welt. Diese bekundet sich in einem Kurssturz
der christlichen Werte (3). Die Ethik ist weiterhin in Frage gestellt durch
die Eigengesetzlichkeiten des Lebens. Staat, Wirtschaft und Politik folgen
ihren eigenen Lebensgesetzen, ohne sich noch um christliche Fragestellungen
zu kümmern. Dieser Zustand ist leider noch durch die liberaltheoiogische Freigabe
dieser Lebensgebiete an die Welt gefördert worden (9—12). Die Ethik
wird letztlich in Frage gestellt durch die Verwechslung des christlichen mit
dem humanistischen Ethos. Nicht die Tatschicht der äußeren Handlungen,
wohl aber die Motivschicht ihrer inneren Begründungen läßt das christliche
Element des wirksam werdenden Ethos erkennen (22). Fragen wir nach den
Grundlagen einer evangelischen Ethik als besonderer theologischer Disziplin,
so läßt uns die reformatorische Theologie im Stich. Denn wo wir bei Luther
ethische Gedanken finden, da sind es mir Beispielsammlungen für den Neuansatz
seiner Theologie (32). Daher ist es verständlich, wenn sich die Ethik
verselbständigt hat, wie dies etwa im deutschen Idealismus bei Kant geschah
(33). Wenn die dialektische Theologie solche emanzipierte Ethik einfach in die
Dogmatik zurückholte und dort eingliederte, so übersah sie dabei die Selbständigkeit
der ethischen Disziplin. Dies mußte zu einer erneuten Infragestellung
einer christlichen Ethik führen (44—48, 63). Die säkularen Wirklichkeitsmächte
von Staat, Kultur und Ehe aber fordern eine eigene christliche
Ethik heraus. Diese hat Antwort zu geben auf die Stellung, die der Christ in
dieser Welt zu beziehen hat (51—66). Solche christliche Ethik gerät notwendigerweise
in das Spannungsfeld zwischen dem alten und dem neuen Äon,
was zur Folge hat, daß das Unternehmen einer christlichen Ethik eigentlich
eine unmögliche Möglichkeit darstellt (65—75). Die Ethik enthüllt sich uns als
ein eschatologisches, christologisches und sakramentales Geheimnis des sich in
diesem Spannungsfeld der Äonen verwirklichenden göttlichen Willens (75-—78).

Der zweite Teil behandelt die Prinzipienlehre der Ethik unter zwei
Hauptabschnitten:

A) Rechtfertigung und Heiligung

B) Das Gebot Gottes des Schöpfers und das Gesetz über der gefallenen

Welt.

A) Rechtfertigung und Heiligung.

Dieser Abschnitt setzt mit dem „Alten Lied" vom Gehorsam in der
philosophischen Ethik ein. Der Mensch, der seiner Existenz nach dem Sittlichen

') Thielicke, Helmut: Theologische Ethik. I. Bd. Tübingen: Mohr
1951. 740 S. gr. 8°.

chneider, Berlin

widerspricht, wird in der philosophischen Ethik zu einem Sollen aufgerufen.
Dieses Sollen überspitzt sich dahin, daß er selbst in Abscheu vor dem Nächsten
an diesem seine Pflicht als höchstes ethisches Gebot zu erfüllen hat (79—86).
Hingegen ist die Rechtfertigung die Voraussetzung der christlichen Ethik.
Die christliche Ethik erscheint sowohl als Frucht der Rechtfertigung wie auch
als ein Handeln des Menschen propter voluntatem dei (87—91). Der Gerechtfertigte
ist existent in den guten Werken, so daß man Rechtfertigung und
Heiligung niemals als ein zeitliches Nacheinander verstehen darf (91—108).
Diese Lage verschärft sich bei Paulus durch das Verhältnis von Indikativ und
Imperativ. Die Paulinischen Indikative dürfen nicht pauschal gesehen werden.
Diese zeigen vielmehr eine Doppelnatur. Einmal ist es die Aufforderung, mich
dem „Sein in Christo" hinzugeben, dann aber sprechen sie die Forderung aus,
alles zu unterlassen, was dazu dienen könnte, in den alten Zustand zurückzufallen
(prohibitive Imperative) (109—132). Nunmehr wird die rechte Zuordnung
von Indikativ und Imperativ behandelt. Voraussetzung dafür ist ein
christliches Personenverständnis als eine Relation zwischen Gott und Mensch.
Solche Hinordnung der Person zu Gott findet weder bei Nietzsche noch bei
Fichte statt. Darum kommt es hier entweder zu einer Leugnung jeglicher
Imperative oder zu einer Aufrichtung menschlicher Autonomie als dem Träger
des Imperativs (132—154). Wird der Imperativ isoliert, dann verschiebt sich
das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zugunsten einer Überbetonung des
Gesetzes. Das Evangelium ist dann nur noch die Erfüllung des Gesetzes, aber
nicht mehr die Befreiung von ihm. Wird der Indikativ überbetont, dann
stehen wir in der Gefahr einer Heiligungsbewegung, die zum Perfektionismus
führt (154—186). Daher tritt das Gesetz in der Gestalt des Imperativs auf, der
dem Indikativ stets zugeordnet bleiben muß. Eine Uberwindung dieser Spannung
von Indikativ und Imperativ, von Evangelium und Gesetz in der Weise,
daß sie als Ausdruck ein und desselben Wortes Gottes an den Menschen angesehen
werden, — wie es bei Karl Barth erscheint — führt zur Auflösung des
heilsgeschichtlichen Prozesses selber. Dies hat einen Geschichtsdoketismus zur
Folge, bei dem ein Verlust der eschatologischen Spannung eintritt. Das Gesetz
fungiert für uns als Erziehungsfaktor einerseits und als usus politicus in einem
nicht spezifisch christlichen Sinne andererseits (187—238).

B) Das Gebot Gottes des Schöpfers und das Gesetz über der
gefallenen Welt.

Dieser zweite Hauptabschnitt des zweiten Teiles gliedert sich in drei
Kapitel.

1. Das Schöpfungsgebot und die Gottebenbildlichkeit des
Menschen.

Voranzustellen ist die Lehre von der creatio ex nihilo in ihrer dreifachen
Bedeutung für die Ethik. Diese Lehre begründet den unendlich qualitativen
Unterschied zwischen Gott und Welt. Daraus ergibt sich, daß die Sünde nicht
eine von Gott her gesetzte „Größe außerhalb", sondern dem Menschen ganz
allein zuzuschreiben ist. Diese Lehre bindet den Menschen ganz an Gott und
weist die Eigengesetzlichkeiten der Schöpfung zurück. Und schließlich spricht
die creatio ex nihilo den verpflichtenden Charakter des Schöpfungsglaubens
aus. Sie macht uns darauf aufmerksam, daß eine Art „Reichsunmittelbarkeit"
des Menschen zu Gott hin in Dienen, Loben und Danken besteht (239—260).