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Ausgabe:

1952 Nr. 2

Spalte:

67-72

Autor/Hrsg.:

Heussi, Karl

Titel/Untertitel:

Galater 2 und der Lebensausgang der jerusalemischen Urapostel 1952

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67 Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 2 68

Galater 2 und der Lebensausgang der jerusalemischen Urapostel

Von Karl Heussi, Jena

Noch immer besteht keine Ubereinstimmung in zweien
der wichtigsten Fragen aus der Geschichte des Urchristentums
, dem Problem des römischen Petrus und dem der Übersiedelung
des Zwölf jüngers Johannes nach Ephesus. Enden wir
hier wirklich bei „definitiven Hypothesen", oder gibt es doch
noch eine Möglichkeit, diese Fragen der Unsicherheit zu entrücken
und sie endgültig zu beantworten ? Ich glaube, daß
in der Tat eine bisher in diesem Zusammenhang noch nicht
ausgewertete Stelle im NT selbst einen Schluß zuläßt, von
dem ein überraschendes Licht auf die beiden Probleme fällt.
Das ist Gal. 2, 6.

I.

An der schon seit der patristischen Zeit viel behandelten
Stelle Gal. 2, 61 schreibt Paulus von den „Angesehenen" der
Urgemeinde, mit denen er und Barnabas auf dem Apostelkonvent
in einer Sonderzusammenkunft (xaz lölav, vgl. 2, 2)
verhandelten: onolol noxe rjaav, ovöev fxoi diaq/eoei. Ich stelle zuerst
fest, wie das noxe zu fassen ist. Herkömmlich wird es mit
„einst" übersetzt. Neuere Exegeten, so Usteri, De Wette,
Meyer, Lipsius, Zahn, Lietzmann — um nur diese zu nennen —,
halten diese Ubersetzung für falsch; die Verbindung onolol
noxe bedeute nicht quales aliquando, sondern qualescumque2.
Es ist aber durchaus nicht sicher, ob diese neueren Exegeten
im Recht sind. 1. Die verallgemeinernde Bedeutung von noxe
begegnet bei Paulus sonst nirgends und im übrigen NT überhaupt
nicht3. 2. Dagegen hat Paulus ausgerechnet im unmittelbar
vorangehenden Abschnitt des Galaterbriefs noxi. nicht
weniger als dreimal im Sinne von „einst" verwendet (Gal.
1, 13; zweimal Gal. 1, 23). 3. Die Vetus Latina und die Vul-
gata übersetzen das noxe mit aliquando. In Anbetracht dieses
Sachverhalts muß man doch auch mit der Möglichkeit rechnen
, daß noxe Gal. 2, 6 „einstmals" bedeutet. In diesem Falle
würde das leicht Pleonastische der Wendung den Präteritum-
charakter des rjaav verstärken (ijaav = sie sind gewesen).
Es ist schwer zu entscheiden, welcher Ubersetzung man den
Vorzug geben soll: „wie beschaffen (nämlich als doxovvxeg elvai
xi, doxovvxe; axvXoi elvai) sie auch waren" oder „wie beschaffen
sie einst gewesen sind". Der kritische Beweis, den
ich auf den folgenden Seiten führe, ist aber mit beiden
Fassungen des noxe vereinbar.

Entscheidend für das Verständnis unserer Stelle ist die
Fassung des rjaav. Wie der Satz lautet, ist das r)aav beziehungslos
gebraucht. Es gibt in der neueren Exegese zwei
Versuche, dem fpav dadurch, daß man etwas hinzudenkt,
einen bestimmten, auf den ersten Blick nicht wahrnehmbaren
Sinn zu geben. Beide Versuche sind undurchführbar,
a) Der erste Versuch besteht in der Beziehung des fjaav auf
eine Vorvergangenheit, und zwar auf die Zeit des Zusammenseins
der Altapostel mit Jesus. Dieser Versuch ist bereits von
Theodor Zahn mit völlig einleuchtenden Gründen zurückgewiesen
worden4. Zahn urteilt mit Recht, daß Paulus, wenn
er dies gemeint hätte, sich anders hätte ausdrücken müssen.
Er fährt fort: „Denn ihr persönliches Jüngerverhältnis zu
Jesus war nicht eine damals, da sie mit ihm verkehrten, ihnen
eignende, später aber abhanden gekommene Eigenschaft der
Apostel, sondern eine Kette von Erlebnissen, auf welchen ihr
nachmaliges Ansehen für alle Zeit beruhte". „Eine solche Erinnerung
wäre aber auch hier ganz unangebracht; denn die
parenthetische Bemerkung gilt der Benennung der älteren
Apostel als ol doxovvxeg elvai xi, welche die zur Zeit des
Apostelkonvents und bis in die Gegenwart hinein bestehende
Geltung dieser Männer in der Kirche bezeichnet." b) Der
zweite Versuch, das rjaav nicht in seiner Allgemeinheit zu belassen
, sondern auf eine bestimmte Zeit zu beziehen, ist der,
daß man interpretiert: nämlich damals, als der Apostelkonvent
stattfand. Die Voraussetzung ist, daß man das noxe1 =
„wie auch immer" deutet. Da diese Deutung des noxe unsicher
ist (s. o.), ist natürlich auch die Interpretation des rjaav = „damals
, als der Apostelkonvent stattfand", von vornherein mit

') Ich setze die Interpunktion wie Nestle und gehe auf ältere und längst
widerlegte Versuche, den Vers anders zu konstruieren, nicht ein. Eine Geschichte
der Auslegung bei Valentin Weber, Erklärung von Gal. 2, 6a (Der
Katholik 80, 1900, 481—199).

2) Vgl. Blaß-Debrunner, 4. Aufl. 1913, § 303. Walter Bauer, Wörterbuch
zum NT, 3. Aufl. 1937, 956.

3) Aber doch in der Koine (II.Makk. und Past. Herrn., s. A.Oepkez. St.).

4) Theodor Zahn, Der Brief des Paulus an die Galater 1905, 96.

einem Quantum von Unsicherheit belastet. Aber sehen wir
uns trotzdem die Sache näher an. Th. Zahn, der für die Interpretation
fjaav = damals, als der Apostelkonvent tagte, eintritt
, gibt dafür folgende Begründung. „Paulus hätte auch
elalv statt rjaav schreiben können; denn sie sind noch immer
ol doxovvxeg. Natürlicher (!) aber war es, das Präteritum zu
gebrauchen, weil er von ihnen als den damals in Jerusalem
mit ihm Verhandelnden redet." Zahn verweist dann auf
Kühner-Gerth1. Sieht man sich aber die zahlreichen Beispiele,
die hier zusammengestellt sind, näher an, so gewahrt man, daß
jeder der aus der griechischen Literatur angeführten Sätze
seine eigene Logik hat und daß sie alle anders gelagert sind,
als Gal. 2, 6. Niemand wird bestreiten, daß im Griechischen
wie im Deutschen bei einer Schilderung vergangener Ereignisse
das Augenmerk des Erzählenden so stark auf dem „damals
" ruhen kann, daß er von Personen oder Sachen ganz unabhängig
von der Frage redet, ob sie in seiner Gegenwart noch
vorhanden sind. So wenn Xenophon, Hell. 2, 1. 21 schreibt:
„Sie landeten bei Aigospotamoi, gegenüber von Lampsakos;
dort war der Hellespontos ungefähr fünfzehn Stadien breit."
Aber der Fall Gal. 2, 6 liegt ganz anders. Es steht nicht so,
daß Paulus schildernd bei dem „damals" verweilt und die
Dinge ausmalt. Er steht in einem leidenschaftlichen Kampf.
Er verteidigt seine Existenz als Heidenapostel, seine Unabhängigkeit
von menschlichen Autoritäten. Und nun denke
man sich die Altapostel zu der Zeit, da Paulus schreibt, in
Jerusalem sitzen und denke sich seine galatischen Gegner die
Autorität der Altapostel gegen Paulus ausspielen, und Paulus
sollte sagen „Von den öoxovvxeg elvai xi aber, — es ist mir
gleichgültig, wie beschaffen sie damals, auf dem Apostelkonvent
, waren". Das paßt nicht in die Situation. Es paßt
auch schlecht zu der unmittelbaren Fortsetzung: „Vor Gott
gilt kein Ansehen der Person." überdies entsteht eine unerträgliche
Inkonzinnität, wenn man die „Beschaffenheit" der
Urapostel, also eine dauernde Qualität, ihre Qualifikation und
Glorifizierung als doxovvreg elvai xi, als doxovvxeg axvXoi elväi,
mit dem in wenigen Stunden vorübergehenden Apostelkonvent
zusammenzwängt: „Von welcher dauernden Qualität sie
auf dem Apostelkonvent waren, ist mir gleichgültig." Das wäre
eine contradictio in adiecto. Der Versuch, den Präteritum-
Charakter des rjaav durch die Interpretation „rjaav = damals,
auf dem Apostelkonvent" unwirksam zu machen, ist nicht
durchführbar. Paulus hätte sich ganz anders ausdrücken
müssen, hätte er sagen wollen, was Zahn ihn sagen läßt.
Das Argument, das Zahn gegen den ersten Versuch einer Um-
deuturig des rjaav anwendet (vgl. oben unter a), kehrt sich hier,
wo er sich an dem zweiten dieser Versuche beteiligt, gegen ihn
selbst.

Folgt man dem ungeschmälerten Wortlaut, so kann
Gal. 2, 6 nur bedeuten: Von welcher Beschaffenheit sie auch
waren (oder: von welcher Beschaffenheit sie einst gewesen
sind), ist mir gleichgültig. Es steht nicht da: Es war mir
gleichgültig, sondern: es ist mir gleichgültig, — und nicht:
von welcher Beschaffenheit sie sind, sondern waren bzw.
gewesen sind. An diesen Tempora ist nicht zu rütteln.
Auch in der Vetus Latina und in der Vulgata sind sie richtig
wiedergegeben: Quales aliquando fuerint, nihil mea interest.
Die Wahl der Tempora durch Paulus fordert aber eine bestimmte
Folgerung. Man muß entweder schließen, daß die
Urapostel inzwischen ihre „Beschaffenheit", also ihr Ansehen
als die „Säulen", eingebüßt haben (was nicht in Betracht
kommen kann), oder, daß sie, als Paulus schrieb, nicht mehr
unter den Lebenden weilten.

Diese Konsequenz haben natürlich unsere Exegeten sehr
wohl auftauchen sehen2 und mit allen Mitteln abzuwehren gesucht
. Sie ist der geheime Grund für alle die Bemühungen um
noxe und ijaäv, der geheime Grund auch für die Versuche,
durch gewagte Konstruktionen einen anderen Sinn von Gal.
2, 6 herauszubekommen. Denn jene Konsequenz stößt sich doch
zu hart an den herrschenden Vorstellungen über den Lebens-

>) Kühner-Gerth, Ausführliche Grammatik der griech. Sprache II 1,
3. Aufl., 145f.

2) Ausgesprochen von Val. Weber S. 488. Er schreibt, bei der Fassung:
„wie angesehen auch immer sie waren" hätte „das Präteritum nur dann einen
Sinn, wenn sie inzwischen gestorben wären oder ihr Ansehen verloren hätten".
Im Banne der Tradition über das Lebensende der Urapostel macht Weber
dann freilich von dieser exegetischen Erkenntnis keinen Gebrauch, sondern
versucht es lieber mit einer neuen gewaltsamen Satzkonstruktion.