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Ausgabe:

1952

Spalte:

723-726

Autor/Hrsg.:

Rost, Leonhard

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1952

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723

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. ti

72 I

Christus offenbart. Und dies kann mir dadurch geschehen,
daß sie gleich Paulus sich nicht scheuen, von der menschlichen
Ungerechtigkeit zu reden. Darm liegt keine Anschwärzung des
Menschlichen. Im Gegenteil, es liegt etwas tief Ergreifendes
in den unablässigen Versuchen des Menschengeschlechtes, sich
einen Weg zu Gott zu bahnen. Wieviel Opfer haben sich Menschen
das kosten lassen! Sie haben auch ihr Teuerstes und
Liebstes geopfert, und all dies, um den Weg zu Gott zu finden
und sein Wohlwollen zu finden. Sie eifern für Gott, aber mitten
in diesem Eifer ist ihre Fahrt eine Irrfahrt geworden.

Prof. Lindroth in Uppsala hat ähnliche' Gedanken in
seinem Aufsatz „Der Platz der Mission in unserem Christlichen
Glauben" (in Svenska Kyrkans Missionsstyrelses Ärsbok 1946)
geäußert. Er betont, daß es in einem enteschatologisierten,
d. h. unechten Christentum keinen Platz für Mission gibt. Wo
aber der wahre Glaube lebt, lebt die Mission. Sie ist durch die
Taufe, das Abendmahl und das Wort der Weg, der nie aufhörende
Weg für das Hervordringen des Gottesreiches unter
den Kindern der Sünde und des Todes. Die Mission ist die
Realisierung der Erlösungsgeschichte Gottes in der Welt.

Prof. G. Wingren in Lund, der übrigens bei der Weltkonferenz
des Lutherischen Weltbundes in Hannover 1952
einen Vortrag über „Mission und Theologie" halten wird, hat

schon 1947 im „Evangelischen Missionsmagazin" einen wichtigen
Aufsatz „Das Evangelium und die Mission" geschrieben.
Aber noch wichtiger ist sein Buch „Die Predigt" 1949 (inspiriert
u. a. von Oscar Cullmann). Er hat hier eine Reihe bedeutender
Gesichtspunkte der Mission gewidmet. Er macht
eine scharfsinnige Analyse der Predigt und hat mit Hilfe der
Ergebnisse neuerer Bibel- und systematischer Theologie etwas
gegeben, das man vielleicht eine existentielle Missionstheologie
in nuce nennen könnte. Wesentlich ist für ihn der Zusammenhang
zwischen Weltschöpfung und Weltmission. Das
Evangelium ist Siegesbotschaft, Zeugnis vom Sieg Christi in
Kreuz und Auferstehung über die Feinde der ganzen Menschheit
. Dies ist das Wort, von dem der Mensch leben soll. Das
Wort ist da, um verkündigt zu werden; sein objektiver Inhalt
wird erst völlig deutlich, wenn es gepredigt wird. In der Verkündigung
wird dieses Wort in Bewegung gebracht, und zwar
gleichzeitig in eine doppelte Bewegung: auf die Enden der
Welt hin und auf das Ende der Zeit hin, Eine Kirche, die
dieses Wort verkündigt, kann nur eine Missionskirche sein,
und darum, so betont Wingren, auch eine Volkskirche, die er
als eine Missionsgröße deutet.

Das Buch Wingrens wird bald in einer deutscheu Ubersetzung
erscheinen. Es könnte für die Grundlegung einer neuen
Missionstheologie von entscheidender Bedeutung werden.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

23. Das Verhältnis von „Damaskusschrift" und „Sektenrolle"

Von L. Rost, Berlin

P. de Vaux, der um die Handschriftenfunde in der judäischen
Wüste besonders verdiente Leiter der Ecole Biblique et Archeolo-
gique Francaise in Jerusalem, hat einer Reihe von Wissenschaftlern
ein neues System zur Ordnung der neuen Handschriftenfunde
übersandt, aus dem hervorgeht, daß bis jetzt fünf Höhlen
bei Hirbet Qumrän, eine Höhle im Wädi el-murabba'a (vgl.
ThLZ 77 [1952] Sp. 317 f f.) und eine Höhle im Wädi en-när — über
die bis jetzt noch kein Fuudbericht vorliegt — entdeckt sind, in
denen Handschriften und Handschriftenbruchstücke aus Leder
und Papyrus und Ostraka (beschriftete Scherben von Tongefäßen
) ans Tageslicht gekommen sind. Man wird auf die
neuen Fundberichte mit größter Spannung warten. Erhofft
man doch vor allem nähere Aufschlüsse über die wohl in mönchischer
Klausur lebende jüdische Gruppe von H. Qumrän
(vgl. hierzu ThLZ 77 [1952] Sp. ■zj'jii.), deren Bücherei anscheinend
einen fast unvorstellbaren Umfang gehabt haben
muß, da bisher fünf damit belegte Höhlen aufgefunden worden
sind. Ein Brief, den P. de Vaux an Prof. D. Dr. Kahle geschrieben
hat und aus dem mir von diesem liebenswürdigerweise
zwei Sätze mitgeteilt wurden, vermag die Spannung nur
zu steigern. Danach scheinen sich Kahles Thesen einer engen
geschichtlichen Beziehung der Qaräer zu der Gruppe von
H. Qumrän zu bestätigen. (Vgl. zu Kahles Thesen Vetus Te-
stamentum I [1951] S. 38«.; ThLZ 77 [1952] Sp. 401 ff.; 76
[1951] i6iff.; 75 [195°] 537ff-; 74 [*949] 9l"0- in einer

der Höhlen von H. Qumrän sind ein Bruchstück der Damaskusschrift
und mehrere Fragmente des hebräischen Sirach entdeckt
worden. Beide Schriften aber kennen wir bis jetzt nur
aus der Geniza der rabbinischen Synagoge in Fustät (Alt-Kairo).
Dieser Fund scheint nun das missing link, das beide Gruppen,
die von H. Qumrän, die nach den Ausgrabungen ihrer Siedlung
um die Zeitwende anzusetzen ist, und die Qaräer, die ins
9. Jh. gehören, verbindet. Nun ist uns ja weder der Sirach
noch die Damaskusschrift nur in einer einhelligen Uberlieferung
bekannt. Es wird von höchstem Interesse sein, ob sich
die neuen Funde einer der bereits bekannten Varianten anreihen
lassen oder ob sie neue Varianten sind.

Für die Damaskusschrift ist diese Frage durch einen Brief
vom 18.11.52 entschieden, den ich der Liebenswürdigkeit von
P. de Vaux verdanke und dessen Inhalt ich mit seiner Auto-
risation, die zugleich im Namen P. Barthcüeiny's erteilt wurde,
hier veröffentlichen darf. Er schreibt: Nach P. Barthölemy,
der es (das Bruchstück. Zusatz R.) identifiziert und gelesen
hat, handelt es sich um einen Abschnitt, der zum Teil den Text
der Damaskusschrift 5,18 bis 6,2 deckt, nach Seiten und Zahl
bezeichnet. Der Text scheint keine wichtigen Varianten aufzuweisen
. Es handelt sich demnach um den Text A.

Diese Tatsache ist von großer Wichtigkeit. Denn damit
bestätigt sich die Vermutung, daß die Gruppe von H. Qumrän
und die hinter der Damaskusschrift stellende Gruppe Beziehungen
zu einander hatten. Es wird sich im folgenden zeigen
, daß diese Beziehungen sehr eng waren, ja daß die Gruppe
um die Damaskusschrift die Gruppe der Einung aufgesogen
hat, so daß wir nun einige Anhaltspunkte für eine Geschichte
der beiden Gruppen gewinnen können.

Es sei mir gestattet, unter Beiseitelassung der Sirachfrag-
mente einige Bemerkungen zur Damaskusschrift zu machen.
Bekanntlich haben wir bis jetzt mindestens zwei Handschriften
, die umfangreichere Handschrift A und die nur einen Teil
von A mit stark abweichendem Text wiedergebende Handschrift
B. Meine Beobachtungen an der Schrift und am Inhalt
machen es mir wahrscheinlich, daß auch die Handschrift A
nicht einheitlich ist, sondern daß zwischen den 21 zeiligen
ersten 8 Seiten, die eine Predigt enthalten, und den 23 zeiligen
zweiten 8 Seiten mit der Halacha der Gruppe unterschieden
werden muß. Handschrift B ist eine Replik der Predigt mit
starken Abweichungen, die vor allem durch umfangreiche
Interpolationen verursacht werden. Unter diesen Interpolationen
findet sich S. 20, Zeile 28ff. eine wörtliche Parallele zum
Sündenbekenntnis der „Sektenrolle" Sp. I, 24ff., und nur in
B, nicht in A begegnet der "prPn miM (2°> ') oder nn"1
"Pl"Pn (2°. J4) un(l treten die "pnT! *tDMtao' 32 (vgl. „Sektenrolle
" V, 1. 2. 3; VI, 21; VII, 20. 24; VIII, 11. 16; IX, 7. io-
19) auf. Diese Piene-Schreibung mag ein spätes Mißverständnis
sein, das vielleicht erst den Abschreibern der uns vorliegenden
HandschriftB zur Last zu legen ist, wobei der Ausgangspunkt
wohl in dem als „einzigartiger Lehrer" mißverstandenen
Trpn m"V>3 zu suchen ist. Die Schreibung könnte freilich auch
darauf hinweisen, dal.i "pffl in der „Sektenrolle" als Inf. piel zu
verstehen wäre, was ich aber für wenig wahrscheinlich halte-
So hat die zuerst vorgetragene Vermutung wohl die größere
Wahrscheinlichkeit für sich.

Nun fällt jedem Leser der „Sektenrolle" das häufige Vorkommen
der Wurzel ij-p auf. Ich zähle 73 Belegstelleu für Ver-
bum und Substantivum. •jni ist damit eines der häufigsten
Wörter. Umgekehrt fehlt es in der Damaskusschrift A völ hg,
und in den 69 Zeilen der Handschrift B begegnet es nur an d*jj
drei oben genannten Stellen in den erwähnten Verbindungen
in Interpolationen. Daraus kann nur der Schluß gezogen werden
, daß die Interpolationen der Handschrift B erfolgten, ui»
die Damaskusschrift mit der Sektenrolle zu verschmelzen, otie
richtiger, um die hinter beiden Schriften stellenden Grupl'1 ^
zusammenzuschließen. Dafür spricht nun ein Satz in |K"
20, 27ff., also vor und nach dem als gemeinsamer ^t's!t7/TY.vr
Dam B und „Sektenrolle" erkannten Sündenbekenntnis 1 0
lesen wir: „und alle an diesen Rechtssätzen Festhaltende»« W
daß sie nach der Weisung der Thora aus- und eingehe",
sollen hören auf die Stimme des Lehrers und vor Gott (,r.
kennen: Wir haben gesündigt. . . .und nicht sollen sie tu»
hobener Hand gegen seine heiligen Satzungen und seine k
rechten Kcchlssätze und seine zuverlässigen Zeugnisse hiü1 VaS'
vielmehr sich durch die ersten Rechtssätze zurechtweise«