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Ausgabe:

1952 Nr. 1

Spalte:

715-720

Autor/Hrsg.:

Stendahl, Krister

Titel/Untertitel:

Kerygma und Kerygmatisch 1952

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715

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 12

Kerygma und Kerygmalisch

Von zweideutigen Ausdrücken der Predigt der Urkirche — und unserer

Von Krister Stendahl, Uppsala1

Die Theologie hat auch ihre Schlagworte. Eschatologie
ist auch eins von denen, das in einer Regenbogenskala von
Bedeutungen angewandt werden kann. In der englischen Theologie
gilt das gleiche vom Ausdruck Inkarnation. Mit dem Be-
g iff als Waffe kann fast alles verteidigt und bekämpft werden.
Und in letzter Zeit hat das Wort Kerygma einen Gewinn an
Popularität und Anwendbarkeit gezeigt.

Das ist zuletzt aktualisiert worden durch die Pfarrkonferenzabhandlung
,,Predikan och Guds ord" von Olle Nystedt8
. Deren Grundthema liegt in der Betonung dessen, daß
die Bibel ihrem Charakter nach eine Botschaft ist und in der Betonung
der Konsequenzen, die das hat. „Daß die Bibel eine
Botschaft ist, bedeutet, daß sie uns nicht nur verkündet, was
Gott getan hat und ständig tut, sondern die Botschaft selbst
ist ein Glied im Handeln Gottes"3. Nystedt weist darauf hin,
daß das sehr wohl mit Einar Billings Bibeldeutung übereinstimmt
, dann besonders mit den Propheten des Alten Testaments
. Aber noch mehr ist die Intention und der Charakter der
Bibel im Heroldsterminus Kerygma durch GustafWingren
in seinem Buch Predikan* komprimiert, wo das Verkündigen
des Kerygma in einer grandiosen, heilsgeschichtlichen Perspektive
in die Zeit zwischen Auferstehung und Parusie eingefügt
wird.

Wingren nimmt dabei seinen Ausgangspunkt bei der Entdeckung
der neueren Exegese von einer durch das ganze Neue
Testament einheitlichen Grundbotschaft, dem Kern im Glaubensbekenntnis
: die Proklamierung von Christi Tod und Auferstehung
als des Glaubens, der Kirche und damit der Menschheit
Zentralfakta. Diese Grundbotschaft ist das Kerygma im
eigentlichen Sinne, und das klarste Beispiel pflegt Pauli Wort
in 1. Kor. 15 zu sein: „Ich habe euch als ein Hauptstück mitgeteilt
, was ich selbst empfangen habe: daß Christus starb für
unsere Sünden nach der Schrift, und daß er begraben wurde
und daß er auferstanden ist am dritten Tage nach den Schriften
und daß er dem Kephas erschien..." Dieses Hauptstück
nennt Paulus selber „Das Evangelium, das er verkündigt hat",
und der Ausdruck Kerygma, der z. B. im gleichen Kapitel
v. 14 begegnet, hat eine allgemeinere Bedeutung, wurde aber
von der Forschung aufgenommen eben für solche um Christi
Tod und Auferstehung gesammelte Evangelien. Daß dies der
wesentliche Inhalt der Missionspredigt war, zeigen die Reden
in der Apostelgeschichte mit überwältigender Deutlichkeit.

Besonders C. H. Dodd hat in einer geistvollen Studie5
dieses Kerygma aus den Büchern des Neuen Testamentes herausgearbeitet
, quer durch alle Sonderheiten. Aber er ist weder
der einzige noch der erste. Hier herrscht Consensus. Und auf
diesen Consensus mit Dodd als Sprecher stützt sich Wingren
mit allem Recht.

An einem Punkt geht Wingren indessen gegen Dodd —
und das muß er tun, um überhaupt die These aufstellen zu
können, auf der sein Buch aufgebaut ist. Er schreibt: „Aber
das Kerygma, um das es sich handelt (Acta), ist unweigerlich,
wie Schreiner6 andeutet, Missionspredigt. Es liegt im Bereich
der Möglichkeiten, daß die in Frage stehende neutesta-
mentliche Verkündigung uns gar nichts über die Predigt sagt,
die innerhalb der Gemeinde stattfand. C.H.Doddscheint einen
deutlichen Unterschied zu machen zwischen Kerygma und Di-
dache. Die Lehre, Didache, baut auf dem Kerygma auf und wird
Gemeindegliedern gegeben und solchen, die auf dem Wege sind,
es zu werden. DasKerygma dagegen würde die Missionsbotschaft
selber sein,die öff entlicheProklamation, the public proclamation
of Christianity to the non-Christian world7. Es ist überraschend,
daß Dodd, der im ganzen Neuen Testament den Niederschlag eines

') Erschien zuerst in: „Ny kyrklig tidskrift", 20., 1951, 167—175: „Kerygma
och kerygmatisk. Om tvetydiga termer, urkyrkans predikan — och
vir", übersetzt von Albrecht Winter.

J) Olle Nystedt, Predikan och Guds Ord. Prästmötesavhandiing. Stockholm
1951. 130 S. Schw. Kr. 6.—.
t *) a.a.O. S. 40.

4) Gustaf Wingren, Predikan. En principieil Studie. Lund 1949 (Glee-
rups). XVI + 319 S. Schw. Kr. 12.50.

» •) C. H. Dodd, The Apostolic Preaching and its Developments. 2nd ed.
London 1944 (Hodder* Stoughton. 96 S. 6/—.

•) H. Schreiner, Die Verkündigung des Wortes Oottes, 2. Aufl., 1936.
S. 129.

') a.a.O. S. 7.

und desselben ständig wiederholten Kerygma sieht, für Augenblicke
in eine solche Unterscheidung verfallen kann. Die Briefe,
die das Kerygma am deutlichsten predigen, sind z. B. 1. Petr.
und andere ähnliche, gerichtet an christliche Gemeinden in
der Bedrängnis. Alle vier Evangelien verkünden durch ihre
Anlage und Disposition, daß der Tod und die Auferstehung
Mittelpunkt der Christustat sind. Man kann natürlich sagen,
daß das Neue Testament als Ganzheit eine Missionsschrift ist,
ebenso wie die Kirche Mission ist. Aber dann muß auch die
Neigung zu mechanischen Unterscheidungen weichen, dann
muß man sowohl das angefangene und das fortgesetzte Christenleben
als ein Leben aus dem Wort betrachten, als ein ununterbrochenes
Zurückkehren zu dem einen Evangelium, dem
Wort von Christus. Es ist ein falscher Intellektualismus, die
in die Gemeinde Eingefügten vom Missionskerygma zu trennen.
In Wirklichkeit hat die Botschaft von Christi Tod und Auferstehung
ihr äußerstes Ziel darin, daß wir, die wir sie hören,
sterben und auferstehen, und da unser eigener Wille sich diesem
Lebensprozeß nicht unterwerfen will, wird das Wort von
Christus immer etwas Neues, Unerwartetes, Gesundes bis zu
unserem Todestag" 1.

Nun scheint indessen Dodds Unterscheidung nicht nur
ein augenblickliches Ubersehen zu sein. Sie ist klarer gefaßt, als
Wingrens Darstellung sie an die Hand gibt. Dodd würde nämlich
niemals sagen können, daß 1. Petr. das Kerygma am deutlichsten
predigt. Er sagt im Gegenteil von der Briefliteratur im
Neuen Testament (eigentlich von den Paulusbriefen, aber offenbar
gilt dies von den Briefen im allgemeinen): „es ist indessen
schwer, die apostolische Predigt in den Paulusbriefen zu entdecken
. Zunächst einmal sind die Briefe natürlich ihrer Natur
nach kein Kerygma. Sie sind alle an Leser gerichtet, die schon
Christen sind, und sie behandeln theologische und ethische
Probleme, die entstehen, wenn man versucht, in einer nichtchristlichen
Welt in Leben und Denken dem christlichen Weg
zu folgen. Sie sind ihrem Charakter nach das, was die älteste
Kirche .Unterweisung' oder .Ermahnung' nannte. Sie setzen
die Predigt voraus. Sie entwickeln und verteidigen eher die
Bedeutung des Evangeliums, als daß sie es proklamieren"2-
Das Kerygma wird also hier als Hintergrund aufgefaßt,
eine Beobachtung, die sich leicht beweisen läßt. Das Kerygma
wird durchgehend mit Verben der Mitteilung in der Vergangenheit
erwähnt: „ich teilte euch ja mit...". Das ist bedeutungsvoll
für das gesamte Verständnis der Auffassung der
Urkirche von der Funktion des Wortes und dem Wesen der
Kirche. Im Bewußtsein, vom Tod zum Leben hinübergegangen
zu sein, finster gewesen und nun Licht zu sein, verlegt das
seligmachende Proklamieren des Kerygma die Taufe an den
Anfang. Der Inhalt des Kerygma ist mit der Handlung der Taufe
verknüpft, ja, die Taufe ist der systematische und liturgische
Ort beider. Rom. G ist hier wesentlich. Pauli Verkündigung i'1
der Präsensform, d.h. seine Botschaft zu diesem Punkt im
Römerbrief ist eine ethische Ermahnung, motiviert im Faktuni
des Kerygma. Sie geschieht im Schutze des Imperfekts des
Kerygma, oder besser gesagt, im Perfekt.

Wenn wir zum X. Petr., auf den sich Wingren beruft, übergehen
, so ergibt sich, daß seine Absicht nicht die Predigt des
Kerygma ist, sondern: „Ich habe dies nun in Kürze geschrieben
, um euch zu ermahnen und um euch Zeugnis zu
geben, daß die Gnade, in der ihr steht, die rechte Gnade Gottes
ist" (5, 12). Es handelt sich also um Ermahnung und Bekräftigung
der Richtigkeit und Gültigkeit des schon empfangenen
Kerygma.

Es ist richtig, daß Dodd aus 1. Petr. Teile des Kerygma
heraushört, aber die Art des Briefes und seine Verwendung ü*ese^,
Teile kann nicht als ein Predigen des Kerygma bezeichnet we '
den. Wenn z.B. das mit zentralen Heilsgedanken gesättigt
Motiv von Jes. 53 aufgenommen und auf Christus angewaima
wird, so nicht darum, um zum Heil einzuladen oder es etw<
darzustellen, sondern als ein mahnendes Beispiel zur GcdU
(2, 21, vgl. 3, 18 u.a.). Von diesem 1. Petr. sagt nun P°r '
„Im 1. Petr. begegnet dem Leser eine Atmosphäre, die d
jenigen der ersten Kirche mehr gleicht, als sie sich hinter d
früheren Kapiteln der Apostelgeschichte ahnen läßt, ja, als

') a.a.O. S. 9f.
J) a.a.O. S. 9.