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Ausgabe:

1952 Nr. 11

Spalte:

697-699

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schrey, Heinz Horst

Titel/Untertitel:

Die schwedische Theologie der Gegenwart 1952

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 11

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kommt1, sondern auch, weil er der Forschungsergebnisse profaner
Wissenschaften nicht entraten kann.

Verdient dann aber die praktische Theologie noch den
Namen Theologie, wenn sie bei näherem Zusehen sich in Soziologie
und Psychologie, in Pädagogik und Musikwissenschaft
aufzulösen scheint ? Ist sie dann nicht wehrlos gegen den Vorwurf
, ein unorganisches Konglomerat heterogenster Bestandteile
zu sein ? Ist dann nicht die Kompilation fremder Forschungsergebnisse
und die Nutzbarmachung dieser Forschungsergebnisse
für die eigentliche Theologie ihre einzige Aufgabe ?
Auf diese Fragen ließe sich zuerst einmal antworten: Ist es bei
den Medizinern etwa anders, die Physik und Chemie, Botanik
und Pharmakologie studieren (Wissenschaften, die an sich sehr
wenig miteinander zu tun haben), weil sie alle diese Kenntnisse
brauchen, um gute Ärzte zu werden ? Die ganze Theologie
ist eine „positive", keine „reine" Wissenschaft. Aber
diese Antwort genügt nicht. Sie wird ergänzt durch die bessere
Antwort: Alle oben genannten Hilfswissenschaften zieht der
praktische Theologe nur zu Rate, weil und soweit es sein Forschungsgegenstand
erfordert. Aber dieser Forschungsgegenstand
— die Kirche der Gegenwart — macht ihn zum Theologen
, weil und sofern er die Kirche nicht nur von außen beobachtet
, sondern in ihr steht, an ihrem Leben Anteil hat,
Glied am geheimnisvollen Leibe Christi, am aüfia Xqiotov ist.

Die Beobachtung des kirchlichen Lebens ist selbstverständlich
auch dem unkirchlichen Soziologen und Psychologen
möglich. Dieser kann sich auch wissenschaftlich ernsthaft mit
allen Äußerungen des kirchlichen Lebens beschäftigen und die
christliche Kirche vorurteilslos würdigen als einen wichtigen
Faktor des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens
, als eine eigenartige rechtliche Organisation usw. Aber
solche wissenschaftliche Bemühung hat mit Theologie nichts
zu tun. (Auch für den Theologen ist es gut, wenn er sich immer
wieder auf diesen untheologischen Standpunkt zu stellen und
das untheologische Urteil des Außenstehenden über die Kirche
zu verstehen sucht!)

Praktische Theologie ist Selbsterkenntnis der Kirche im
Lichte des Evangeliums: die Kirche ist nicht nur Forschungsobjekt
, sondern auch forschendes Subjekt. Wer die Kirche nur
von außen kennt, macht sich ein falsches Bild von ihr. Deshalb
sagt Luther: „abscondita ecclesia; latent sancti2." Dieses Lu-
therwort ist für den praktischen Theologen von grundlegender
Bedeutung. Es hat für seine wissenschaftliche Methode Konsequenzen
: die dialektische Methode, die einen Gegenstand
von verschiedenen Standpunkten aus ins Auge faßt, um zu be-

') Übrigens läßt sich manches Argument dafür beibringen, daß die seit
Schleiermacher übliche Studienanordnung, die das Studium der praktischen
Theologie ausschließlich in die letzten Semester verlegt, nicht die einzig mögliche
Regelung ist.

») WA 18, 652

friedigenden Forschungsergebnissen zu kommen, die dialektische
Methode ist als Ergänzung der normalerweise anzuwendenden
logischen Methode für den Theologen, besonders aber
für den praktischen Theologen, unentbehrlich, allerdings nur
in einem genau bestimmbaren Umfang1.

Was vermag die praktische Theologie wissenschaftlich zu
leisten ? Weniger und mehr, als man herkömmlicherweise von
ihr erwartet.

Weniger! Sie kann keine „technischen Anweisungen"
geben, die morgen wie heute und gestern, die hier wie dort anwendbar
sind: das kirchliche Leben wandelt sich, wie alles
Leben, unaufhaltsam und ist durch die Konfession, die Nation
und die Tradition verschieden bestimmt und geformt.

Weniger! Sie kann dem Studenten der Theologie nicht die
Übung im Predigen und Unterrichten mitgeben, die er in der
Gemeindearbeit braucht. Diese Aufgabe muß dem Predigerseminar
und dem Lehrvikariat zugewiesen werden.

Mehr! Die praktische Theologie kann den Theologen davor
bewahren, daß er ein Dilettant (im üblen Süine des Wortes
) bleibt auf vielen Gebieten, die zu seiner Domäne gehören.
Sie kann dafür sorgen, daß er kein „Praktiker" wird, der
munter darauflos „experimentiert", nachdem er die ganze an
der Universität erworbene Gelehrsamkeit unmutig als Ballast
über Bord geworfen hat. (Und wie viele unserer Theologen
sind im Amt dilettantische „Praktiker" geworden, die jahraus
, jahrein die schlimmsten liturgischen, pädagogischen und
seelsorgerlichen Fehler machen, ohne es je zu merken, weil
ihnen die primitivsten Fachkenntnisse fehlen! Wie viele haben
eine Theologie mit doppeltem Boden, ohne sich ihrer Scharlatanerie
zu schämen!)

Mehr! Die praktische Theologie kann dem Studenten und
dem Pfarrer die Augen schärfen dafür, daß die Wirklichkeit
der Kirche ganz anders ist, als es die Sonntagsblattschreiber
oft wahrhaben wollen: viel kläglicher, kümmerlicher, jämmerlicher
. (Und wie viele Theologen leben noch von ihren Illusionen
!) Die praktische Theologie kann den Theologen davor
bewahren, daß er wohl die Botschaft kennt, die er auszurichten
hat, aber nicht den Menschen, der die Botschaft hören soll,
nicht die Welt, in der sie gesagt werden muß. (Und wie viele
weltfremde Stubengelehrte unter den Pfarrern sind beinahe
stolz darauf, daß ihre Predigt über die Köpfe der Bauern hinweggeht
!)

Mehr! Die praktische Theologie kann dem Theologen immer
wieder Mut machen zu seinem schönen und (im buchstäblichen
Sinne des Worts) notwendigen Dienst: Mit, in und
unter dieser Kirche, die so menschlich und unvollkommen ist,
haben wir den, der in Knechtsgestalt herniederstieg — propter
nos et propter nostram salutem —, cujus regni non erit finis.

') Hierüber habe ich 1948 in meiner (ungedruckten) Antrittsvorlesung
mit einiger Ausführlichkeit gesprochen.

THEOLOGISCHE ARBEITEN IN MIKROKOPIE

Schrey, Heinz Horst: Die schwedische Theologie der Gegenwart. Mittei-

stelle für M k'okrpie, Göttingen, Postschließfach 77. 1951. XXIV, 142 S.

Mikrokopie DM 10.—.

Die Arbeit hat sich zur Aufgabe gesetzt, eine Übersicht über die theologische
Arbeit in Schweden seit der Jahrhundertwende zu geben. Sie setzt ein
bei der theologischen Arbeit Nathan Söderbloms, die vor allem um ein neues
Verständnis der Offenbarung bemüht war. Für ihn, wie für einen großen Teil
der schwedischen Theologie ist die Verbindung von wissenschaftlicher Theologie
und kirchlicher Praxis bezeichnend. Neben Söderblom ist einer der bedeutendsten
Theologen jener Generation Einar Billing. Seine Konzeption von
dem dynamisch-dramatischen Charakter der Verkündigung Jesu hat das Verständnis
des christlichen Kerygmas bis in die Gegenwart hinein bestimmt. In
der sog. jungkirchlichen Bewegung bekommen diese Gedanken von der gegenwärtig
sich vollziehenden Gottesgeschichte eine praktische Gestalt. Unter Bischof
Eklund und Manfred Björkquist tritt die junge Generation um 1909
unter dem Losungswort „Schwedens Volk — ein Volk Gottes" zum Kreuzzug an.

Im 2. Kapitel wird die in den zwanziger Jahren sich vollziehende Wendung
der Theologie zur ideen- und motivgeschichtlichen Forschung, wie sie
mit den Namen Gustaf Aulen und Anders Nygren verbunden ist, beschrieben.
Die sog. Lunder Theologie entsteht aus der apologetischen Frontstellung gegen
den Positivismus, für den es die Wissenschaft nicht mit Werten zu tun hat,
sondern mit raum-zeitlichen Wirklichkeiten. So ist das Wissenschaftsgebiet der
Theologie die christliche Ideengeschichte, nicht das religiöse Erlebnis oder das
kirchliche Bekenntnis. — Der Systematiker in Uppsala, Torsten Bohlin, setzt
sich mit Kierkegaard auseinander, der im übrigen eine nur geringe Wirkung auf

die schwedische Theologie hatte. Runestam, Schüler und Nachfolger Einar
Billings, ist besonders durch seine ethischen und psychologischen Arbeiten hervorgetreten
, die einen stark seelsorgerlichen Zug tragen.

Das 4. Kapitel ist der Luther-Renaissance in der neueren schwedischen
Theologie gewidmet. Diese beginnt mit den grundlegenden Arbeiten vonAul£n,
Ljunggren u.a. Aulen hebt besonders hervor, daß sich Luthers Denken in
Gegensätzen bewegt. Der Gegensatz zwischen dem verborgenen und dem offenbaren
Gott ist die Grundantinomie in Luthers religiösem Denken. Ljunggren
leistet in seinen Untersuchungen über „Sünde und Schuld in Luthers Theologie
" (1928) einen wichtigen Beitrag zur Anthropologie Luthers, indem er zeigt,
daß die Begriffe Geist und Fleisch nicht mit den Begriffen Geist und Materie
zusammenfallen, sondern den Menschen meinen, sofern er Sein vor Gott oder
Sein bei sich selbst ist. Besonders stark betont auch der Lunder Lutherforscher
Ragnar Bring den Dualismusgedanken in der Theologie Luthers. Schließlich
verweist dieser Grundgegensatz, der allenthalben bei Luther auftaucht, sei es
in den anthropologischen Begriffen Fleisch — Geist, Sünde — Gnade, neuer —
alter Mensch, innerer — äußerer Mensch, freier — unfreier Wille, oder in den
theologischen Zentralbegriffen Gesetz —■ Evangelium, Glaube — Unglaube,
Gott — Teufel, auf die Auflösung des Dualismus in Versöhnung und Rechtfertigung
. Einen wichtigen Beitrag zu der viel diskutierten Frage, ob eine Lehre
vom tertius usus legis sich mit der grundsätzlichen Stellung der lutherischen
Theologie vereinbaren lasse, stellt die Studie dar „Gesetz und Evangelium und
der dritte Gebrauch des Gesetzes". Sie ist nach Bring mit der Anschauung
Luthers unvereinbar, weil sie dessen grundlegende Scheidung von Gesetz und
Evangelium zerbricht und den Gegensatz des neuen = wiedergeborenen und