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Ausgabe:

1952 Nr. 11

Spalte:

688-694

Autor/Hrsg.:

Hölscher, Gustav

Titel/Untertitel:

Jesaja 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 11

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Nicht anders als Arnos hat auch Hosea geurteilt. Was
Arnos die Gerechtigkeit nennt, heißt bei ihm Güte und Gottes-
erkenntnis. Israel hat, seit es den Boden Kanaans betrat, Jahve
und sein Gebot treulos verlassen, hat sich den Baalen, seinen
Buhlen, preisgegeben. Das war Anfang und Ursache aller Not,
die jetzt das Volk zerrüttet: Gewaltherrschaft der Reichen,
Ausschweifung und Verbrechen, blutiges Regiment der Könige,
Empörung und Streit der Parteien. Der Untergang ist unvermeidlich
.

Von seinen Vorgängern aus versteht man Jesaja. Was
Arnos, der Hirt aus Tekoa, und Hosea, der Bauer aus Benjamin
, verkünden, das wiederholt Jesaja, der Städter aus Jerusalem
, und mit ihm Micha, ein Mann aus dem Süden Judas,
der wie er am Tempel der Hauptstadt wirkt. Jesaja lehnt sich
auch literarisch an Arnos und Hosea an; auch er redet vom
Tage Jahves, er beschreibt, wie Arnos, die Stufenfolge der
göttlichen Strafen bis zum letzten Gericht, und wie Hosea gibt
auch er seinen drei Kindern symbolisch weissagende Namen.

Wie die Propheten von jeher, lebt auch Jesaja im prophetischen
Kreise des Heiligtums; auch seine Frau ist Prophetin,
und eine Schar prophetischer Schüler umgibt ihn. Am Tempel
schaut er im Jahre 740 jene Vision, durch die er zum Verkünder
der kommenden Vernichtung bestellt wird.

Im Todesjahr des Königs Ussia sah ich den Herrn, sitzend'auf hohem
und ragendem Thron, und seine Schleppen füllten die Halle. Sarafen
standen vor ihm, ein jeder mit sechs Flügeln; mit zweien deckte er sein
Gesicht, mit zweien deckte er seine Füße und mit zweien flog er. Und
einer rief dem andern zu und sprach:

Heilig, heilig, heilig ist Jahve der Heere,
alles Land ist seiner Herrlichkeit voll!
Da schwankten die Simse der Schwellen von der Stimme des Rufenden,
und das Haus füllte sich mit Rauch.

Ich aber sprach: Weh mir, ich vergehe! denn ein Mann unreiner Lippen
bin ich, denn den König Jahve der Heere haben meine Augen gesehen. Da
flog einer der Sarafen zu mir, in der Hand eine glühende Kohle, die er
mit der Zange vom Altar nahm. Und er berührte mit ihr meinen Mund
und sprach: Sieh, diese hat deine Lippen berührt; nun weicht deine Schuld
und deine Sünde wird bedeckt.

Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sprach: Wen soll ich senden
und wer soll uns gehen? und ich sprach: Hier bin ich, sende mich! Er
aber sprach: Geh und sage zu diesem Volk:
Hört und begreifet nicht,

seht und verstehet nicht!
Mach dieses Volkes Herz verstockt,

seine Ohren taub, seine Augen blind,
daß es mit den Augen nicht sehe, mit den Ohren nicht höre,
sein Herz nicht begreife, und keiner es heilt!
Ich sprach: Bis wie lange, Herr? Er sprach:

Bis die Städte verwüstet ohne Bewohner,
und die Häuser ohne Menschen,
und das Land als Wüste übrigbleibt.
Die Darstellung ist von archaischer Sachlichkeit, ohne
persönliche Note, ohne eine Andeutung innerer Teilnahme an
dem Ungeheuren des Auftrags. Es ist das kein Zeichen von
Gleichgültigkeit des Propheten, es ist nur die Unfähigkeit der
alten Zeit, Persönliches zum Ausdruck zu bringen.

Eine Reihe von Spuichen scheint dieser Frühzeit Jesajas
anzugehören. Mit starkem Pathos kündigt er den Tag Jahves
an:

Verkriecht euch im Fels

und verbergt euch im'Staub
vor Jahves Schrecken,

seiner stolzen Pracht!
Denn einen Tag hat Jahve der Heere

über alles Stolze und Hohe,
über alle Zedern Libanons

und alle Eichen Basans,
über alle hohen Berge

und alle ragenden Hügel,
über jede steile Burg

und Jede feste Mauer,
über alle Schiffe von Tarschisch,

über alles köstliche Schauwerk,
daß sich beuge der Menschen Hoheit,

sich bücke der Männer Stolz,
und Jahve allein erhaben sei

und alle Götzen verschwinden.
In markanten Strichen zeichnet der Prophet die kommende
Revolution, in der alle Stützen der Gesellschaft zerbrechen
:

Da drängt sich das Volk Mann'gegenjMann,

einer gegen den andern;
der Junge stürmt gegen den Alten,

der Lump gegen den Ehrenmann.

Wenn dann einer den andern anpackt,

in dessen Vaterhaus noch ein Kleid:
Wohlan, sei du unser Gebieter

und diese Trümmer dir Untertan!
Dann wird der andre rufen:

ich mag nicht Wundarzt sein,
hab daheim nicht Brot noch Kleid,

macht nicht mich zum Volksgebieter!
Denn Jerusalem wird straucheln,

Juda wird untergehn,
well gegen Jahve ihr Raten und Taten,

seinen hehren Augen zu Trotz.
Ihre Parteilichkeit klagt sie an,

frech tun sie kund ihre Sünde;
meines Volkes Zwingherrn sind Quäler,

Wuchrer, die über sie herrschen.
Aber Jahve steht auf zu streiten,

tritt ein für das Recht seines'Volkes;
Jahve geht ins Gericht

mit seines Volkes Ältesten und Fürsten:
Ihr seid's, die den Weinberg abweiden,

in euren Häusern ist Raub des Armen!
Warum zerschlagt ihr mein Volk,
zermalmt der Armen Gesicht?
Und auch die Frauen der Stadt werden bedroht:
Weil hochfahrenden Sinns

die Töchter Zions,
den Hals gereckt stolzieren,

mit ihren Augen schielend,
beständig trippelnden Gangs

und mit den Spangen klirrend,
macht grindig der Herr ihren Scheitel,

entblößt Jahve ihre Scham.
Statt Balsamdufts ist Moder

und statt der Schärpe der Strick,
statt Haargekräuseis Glatze,

statt des Mantels Sackumgürtung! •
Jenes Tages werden sieben Frauen
an einen Mann sich klammern:
Unser eigen Brot wolln wir essen,
in eigen Gewand uns kleiden,
nur deinen Namen laß uns,
nimm unsre Schande weg!
Wichtig ist ein eigentümliches Dokument aus den Jahren
734/2. Damaskus und Samaria haben sich gegen Assyrien verbündet
und wollen auch Juda zwingen, der Koalition beizutreten
. Ängstlich besichtigt König Alias die Wasserleitung der
Davidsstadt. Da tritt üim Jesaja entgegen, begleitet von seinem
Sohne Schearjaschub, „Ein-Rest-kehrt-um"; seine geheime
Hoffnung für Juda hat der Prophet in (diesem Namen des
Kindes ausgedrückt. Er mahnt den König, von aller eigenmächtigen
Gegenwehr abzustehen; aber der kann sich nicht
entschließen und traut dem Wunderbeweis nicht, den der Prophet
ihm anbietet. Jesaja braust auf: nun wird Jahve von sich
aus dem König ein Zeichen der Rettung geben: ,, Siehe, das
Weib ist schwanger und gebiert einen Sohn und nennt seinen
Namen Immanuel, ,Gott mit uns'; denn ehe der Knabe lernen
wird, Böses zu verwerfen und Gutes zu wählen, wird das
Land verödet sein, vor dessen beiden Königen dir graut." Und
der Prophet wiederholt seine Verheißung: auf eine Tafel
sehreibt er vor Zeugen den Rätselnamen Maherschalal-Chasch-
baz „Raübebald-Eilebeute"; auch als sein Weib, die Prophetin
, gebiert, nennt er das Kind mit demselben Namen; „denn
ehe der Knabe lernen wird, Vater und Mutter zu rufen, wird
man von dannen tragen das Vermögen von Damaskus und die
Beute Samarias vor dem König von Assur". Aber Ahas bleibt
harthörig, und es ergeht nun auch über Juda die Drohung:
Weil dies Volk verschmäht Siloahs Wasser, fl{ *«j

die leise und seicht hinrinnen,
läßt der Herr nun steigen die Wasser des Stroms,

die starken und großen;
daß er steigt über all seine Betten,

tritt über all seine Ufer,
dringt ein in Juda, flutet

und überschwemmt esjbis'an den Hals.

Und weiter:

Nennt nicht Empörung alles,

was dies Volk Empörung nennt,
und vor dem, was es fürchtet,

fürchtet und schrecket nicht!
Jahve der Heere,

ihn nennt Verschwörer,
er sei eure Furcht,

er euer Schrecken!