Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 11

Spalte:

673-678

Autor/Hrsg.:

Preisker, Herbert

Titel/Untertitel:

Jüdische Apokalyptik und hellenistischer Synkretismus 1952

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

673

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 11

674

lösung, die sich nicht aufhalten läßt. Shakespeare hat das in
das barocke Spaßwort eines tiefen Narrenhumors gekleidet.
In der Komödie der Irrungen (IV, 2) fängt der geistig muntere
schwarze Diener Dromio von Syrakus von einer Uhr an zu
reden, die er umgekehrt (erst zwei, dann eins) schlagen hört.
Darauf entwickelt sich folgendes Gespräch:

Adriana: „Gehn jetzt die Stunden rückwärts? Ei, hört mir doch den Gecken!
Dromio: Ja, wenn die Stunde Häscher sieht, so kehrt sie um vor Schrecken.
Adriana: Als ob die Zeit verschuldet war'! Wie das nun ganz verkehrt ist!
Dromio: Zeit ist bankrott und schuldet mehr dem Augenblick, als sie wert ist!

Dann ist die Zeit ein Dieb auch, habt auf den Spruch nur acht,

Die Zeit stiehlt sich von dannen, bei Tage wie bei Nacht.

Wenn sie nun stiehlt und Schulden hat, und ein Häscher läßt sich

sehn,

hat sie nicht recht, eine Stunde jeden Tag zurückzugehn ?"

Wenn das auch Narrheit ist, so ist es doch eine der wahrsten
Narrheiten. Tatsächlich ist es ja auch gerade gar nicht
,,ganz verkehrt", sondern ,,ganz richtig", daß die Zeit verschuldet
ist, und erst recht, daß sich ein Häscher sehen läßt.
Aber eben nur, weil das beides der Fall ist, ist der Gang der
Zeit immer weiter zum Ende der vermeintliche Lebenswider-
sinn, der wie drohende Auflösung aussieht. Dann verwirren
sich in der Vorstellung des Menschen von selbst die Zeitfolgen,
und die Unaufhaltsamkeit des Zeitverlaufs macht ihn erst
recht unsicher.

Aber nun hat ja — wir lassen die Komödie hinter uns und
wenden uns dem Evangelium wieder zu — Gott in Christi
Kreuz und Tod die Schuld durchstrichen, die des einzelnen
sowohl wie die gemeinsame Verstricktheit darein. Dadurch ist
auch unser geschichtliches und persönliches Dasein wieder mit
der Zeitspanne, die ihm zugemessen ist, gleichsam in Einklang.
Daß sie ihr Ende hat, oder auch abbricht, ist kein Widersinn,
da Gegenwart, Vergangenheit, und Zukunft in ihrer Ausrichtung
auf das hineingerufene Heute Gottes in Christus dem Auferstandenen
wieder zusammengehören, eine wiedergewonnene
Einmaligkeit, die als Ewigkeitsangeld verstanden werden darf.
Der Tod ist nicht mehr der Garaus, sondern ist in den Sieg hineingenommen
.

Ewigkeit also, um damit nun abzuschließen, muß, wenn

anders sie nicht bloß der Anspruch diesseitigen Lebens oder
Bestehens darauf ist nicht abzutreten, jedenfalls auch mit
Zeitlichem zu tun haben. Sonst könnten wir zeitlichen Wesen
kaum auf sie zu reden kommen. Dann wird sie aber an die
Stelle dessen, was bloß einmal ist und vergeht, das setzen, was
deshalb einmalig ist, weil es nicht vergeht. Die rechte Einmaligkeit
ist das Ein für allemal.

Einmaligkeit im Sinne der einmaligen Bedeutung, auch
das Wirkliche in seiner Einmaligkeit, gibt es nur angesichts
des ewigen Gottes. Christus ist „einmal für allemal ins Heiligtum
gegangen", sagt der Hebräerbrief (9, 12 vgl. 7, 27; 10, 10),
gemeint ist Christi Sterben — und „hat eine ewige Erlösung
gefunden". Wir denken wieder an das vorher Besprochene
zurück, an das Wort vom Heute und vom Paradies, also von
der Ewigkeit, das Jesus dem Schacher sagt, oder an das zweimalige
Heute für Zacchäus (Luk. 19,5 und 9), oder wir denken
auch an das: „Euch ist heute der Heiland geboren" (Luk2,11),
und dürfen dann sagen: Wo wirklich die Gegenwart der Vergangenheit
gegenübertritt, sie überschauen, ihr aber nicht
mehr erliegen kann, da ist auch die Zukunft, trotz der Unbestimmtheit
dessen, was eintreten wird, kein Hinterhalt mehr,
in den die Vergangenheit sich einnisten und aus dem heraus
sie die Jagd der Vergänglichkeit erneuern könnte. Vielmehr
ist die Zukunft der Hinweis auf die Stelle, von der aus das
Leben, wie alle zeitliche Wirklichkeit, allein wirklich überschaubar
wird, nämlich auf den durch Christus zugänglich
gewordenen und zugänglich bleibenden Gott, den selber ewigen
Schöpfer. So ist ja auch für den christlichen Glauben die Uberschau
über das Leben und über alle zeitliche Wirklichkeit,
samt dem Abschluß, den solche Uberschau voraussetzt, mit
dem Gedanken an ein Gericht verbunden, das nur dort und
von daher erfolgen kann, von wo alle Zeitlichkeit nicht sowohl
ihre Flüchtigkeit, als vielmehr gerade ihr Dasein und ihre
Wirklichkeit erhält. Ende und Anfang gehören zusammen. Daher
reden wir auch von dem ewigen Schöpfer. Aber eben jenem
Gericht ist das Evangelium entgegengestellt, das uns Gottes
Gegenwart in der Zeit kündet, des Gottes, der dem Glaubenden
nicht der Richter bleiben, sondern der als der Schöpfer
von Ewigkeit her uns seine Gemeinschaft schenken will.

Jüdische Apokalyptik und hellenistischer Synkretismus

im Johannes-Evangelium, dargelegt an dem Begriff „LICHT"

Von Herbert Preisker, Hal!e/S.

Karl Heussi zum 75. Geburtstag

Die alte Problemstellung mit der Frage nach dem Verfasser
des 4. Evangeliums ist längst der Problematik gewichen,
die nach der geistigen Atmosphäre, in die das Evangelium gehört
, fragt. Heute ist erkannt, daß nicht abendländisch-griechischer
Geist — so denkt und urteilt noch Bacon in The
Gospel of the Hellenists —, sondern orientalisch bestimmter
Geist die Welt ist, aus der und in die das Evangelium sein Wort
spricht. Freilich wie weit synkretistische Gnosis und Mystik
oder jüdisch-palästinensische Apokalyptik, wieweit babylonische
, ägyptische, iranische Elemente bestimmend sind, bleibt
eine noch sehr umstrittene Sache. Hier kann das Problem natürlich
nicht im ganzen Umfang aufgerollt und erörtert werden
; aber an einem der johanneischen Hauptbegriffe soll es
kurz durchgeführt und beantwortet werden.

Stellen wir also zunächst fest, was ojcö; im Johannes-Evangelium
besagt. Zweifellos variiert der Begriff in mannigfaltiger
Weise. In 1,4 wird gesagt, daß das Licht die Welt erhellt und
so die Möglichkeit des Sehens gibt. Es geht hier nicht darum,
daß dem Menschen „die rechte religiös-sittliche Erleuchtung"
gebracht wird1, sondern zunächst nur darum, daß den Menschen
die Voraussetzung geschaffen wird, sich in der irdischen
Situation zurechtzufinden2. Hier wird also mehr vom Licht
gesprochen, so weit es als wirksam erkannt ist3. Weit kennzeichnender
für Johannes ist 3,19—21: hier ist jene in Jesus
gegebene eschatologische Tatsache, die xgt'öij bringt, d.h.
eine Entscheidung, in der das Ziel des letzten Wollens und
Strebens enthüllt wird, in der Aufrichtigkeit oder Verwerflichkeit
des menschlichen Tuns sich kundmacht. In diesem Licht
gibt es kein Verhüllen und Sich-Verstecken; hier bringt das
Licht Scheidung und zwingt zur Entscheidung. Auf den Anfang
„Das ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen

') Feine, Theologie des NT.s, 8. Aufl., 1951, 347.

2) Vgl. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (= Meyers krit.-
exeg. Kommentar über das NT, 12. Aufl.), 1952, 22f.

s) Percy, E., Untersuchungen über den Ursprung der johanneischen
Theologie, Lutid, 1939, 52.

ist" heißt es weiter: „und die Menschen liebten die Finsternis
mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse." Die Finsternis
, das Böse enthüllt sich jetzt: eben erst als das, was es ist:
als das Böse, als die Finsternis. Wenn v. 20 fortfährt: „Denn
jeder, der das Böse tut, haßt das Licht und kommt nicht zum
Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber
die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Werke
offenbar werden", so ist offenkundig, daß das Licht und die
religiös-sittliche Sphäre zusammengehören. Der Einbruch der
Welt des Lichts zwingt den Menschen zur Entscheidung, ob
er der Welt des Bösen, der Finsternis, des Todes oder der Welt
des Guten, des Lichts, des göttlichen Lebens zugehören will.

In 8,12 läßt das Bild deutlich an die Sonne denken: wie
die Sonne die Welt erleuchtet und Leben.weckt und fördert,
so ist Jesus für alle, die ihm nachfolgen, die an ihn glauben, die
Leben spendende, befreiende Macht1. Hier ist schon deutlich,
daß <pä>s weder nur sinnlich noch nur vergeistigt zu verstehen
ist. Bild und Wirklichkeit liegen ineinander. Das Bild ist nicht
nur Bild, sondern redet von einer Wirklichkeit, und die Wirklichkeit
ist transparent, darum ist die Bildsprache benötigt.
So ist „Licht" eben Ausdruck für die sittlich-religiöse Reinheit
wie für das Sonnenhafte der göttlichen Welt2. Ähnlich ist auch
9,5 zu verstehen. Schließlich ist noch i2,35f. zu berücksichtigen
. Zunächst wird hier die Bildvorstellung mit aller Anschaulichkeit
durchgeführt. Aber dann geht der Evangelist
zur geistigen Deutung über; das Bild vermittelt auf anschauliche
Weise die geistige, sittlich-religiöse Wirklichkeit. Auch
schillert der Begriff <pwg in jenem Doppelsinn vom Sonnenlicht
zur geistigen, göttlichen Macht. Aber der Imperativ legt

J) Kap. 11, 9f. ist hier nicht heranzuziehen. Diese v.v. reden davon,
daß nachts kein Licht leuchtet, die Lage für den Menschen also gefährlich]ist.
Jesu Lage ist aber noch nicht gefährdet. Mehr sagen die v.v. nicht, vor allem
nichts vom inneren, göttlichen Licht; vgl. Strathmann, Das Evangelium des
Joh. (= NT deutsch), 1951, 175.

2) Vgl. dazu v. Loewenich, Johanneisches Denken (= Theol. Blätter,
15. Jahrg.), 1936, 270.