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Ausgabe:

1952 Nr. 10

Spalte:

622

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kupisch, Karl

Titel/Untertitel:

Coligny 1952

Rezensent:

Chambon, Joseph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 10

622

des Artikels wegen eine sehr große Rolle z. B. im Dt., Engl., Frz. und den
anderen romanischen Sprachen, im Nordischen, im Bulgarischen und vor allem
auch im Arabischen spielt, längst nicht das letzte Wort gesprochen zu sein.

Von besonderem Interesse ist das reiche Material zur Syntax des Verbums
S. 86—117, wo zunächst die reflexiven Verben und ihre Funktionen, das
umschriebene Passiv, Transitivierung intransitiver Verben, periphrastische
Redeweise im Aktiv, der Modus-, Partizipial- und Infinitivgebrauch und
schließlich (S. 105—117) die Aspekte und Aktionsarten ausführlich besprochen
werden. Die ganze Besprechung des Materials beruht hier wie auch in den vorangehenden
Teilen vor allem auf der Gegenüberstellung des litauischen Textes
und des polnischen Originals, unter Heranziehung anderer litauischer Texte,
vor allem der PunlUay• sakimu Szyrwids. Wo es dem Verf. angebracht erscheint
, wird natürlich auch das heutige Lit. herangezogen, so daß die richtige
Einordnung gewährleistet ist. Ob nicht hier und da das intern litauische
Historische mehr in den Vordergrund gerückt hätte werden können, ist eine
diskutable Frage, über die man aber mit dem Verf. nicht rechten sollte. Ich
persönlich, wie zweifellos alle an der Aspekttheorie Interessierten, bin ihm
für sein reiches Material auf diesem Gebiete zu größtem Dank verpflichtet.

Einen Begriff vom Aspektsystem des Slawischen kann man sich leicht
auf folgende Weise bilden. Wenn man sich den Gegensatz Aorist n Imperfektum
des Griechischen so umgestaltet denkt, daß dem Aorist ein ganzes Verbum
mit (fast) allen Formkategorien (perfektiv), dem Imperfektum ein anderes
von gleicher Bedeutung (imperfektiv) entspricht, dann erhalten wir das
Prinzip des Aspektsystems in den slawischen Sprachen. Der Gebrauch der
Korrelation ist so, daß in bestimmten Fällen das Perfektive unvertauschbar,
in anderen das Imperfektive unvertauschbar, in wieder anderen beides vertauschbar
ist. Will man unter „Aspekt" im Litauischen dasselbe verstehen wie
im Slawischen, dann ist es unbedingt erforderlich, daß, wenn überhaupt
dieses System formell ganz oder teilweise mit dem Litauischen übereinstimmt,
auch der Gebrauch der Korrelation derselbe sein müßte wie im Slawischen. Das
aber ist hier morphologisch und syntaktisch in großem Umfange nicht der
Fall, syntaktisch ebensowenig wie oben in der Frage des „bestimmten" und
„unbestimmten" Adjektivums trotz der da doch ganz gleichen morphologischen
Bildemittel.

Die Bedeutungsdubletten, die im Slawischen in vier verschiedenen morphologischen
Typen auftreten, fehlen im Litauischen bis auf einen Typ:
dar'yti II padaryti, so daß vom morphologischen Gesichtspunkt schon nicht
die volle Übereinstimmung zwischen Litauisch und Slawisch vorliegt wie oben
beim Adjektivum. Über die Funktionen aber hat bisher wenig Einigkeit geherrscht
, vor allem wohl, weil die des slawischen Aspekts immer noch viel
diskutiert und verschieden verstanden werden. Ich habe mich dahin ausgesprochen
, daß die geringen mit dem Slawischen übereinstimmenden Elemente
des Aspekts im Litauischen aus baltisch-slawischer Zeit stammen, in
der das ganze Aspektsystem dieser Sprachen die ersten Entwicklungsschritte
gemacht hat. Während dann in urslawischer Zeit nach der Trennung der
beiden Sprachgruppen das slawische System erst voll ausgebaut worden ist,
ist das litauische im großen und ganzen auf dem embryonalen Zustande mit
ganz geringer Eigenentwicklung verharrt und schließlich unter späten sekundären
Einfluß des Slawischen geraten, so daß man im Litauischen angesichts
der Existenz des Typs dar'yti 11 padaryti — an ihm für die Fülle der anderen
Möglichkeiten in weitestem Umfang ein Verstehen aus dem Zusammenhange
übt. Interessant aber ist jedenfalls der Umstand, daß die Funktionsunklarheiten
des Adjektivs nicht allein dastehen, sondern solche im Verbum neben
sich haben, denn das Material, das Fraenkel bei Pietkiewicz gesammelt hat,
weist nicht nur eine Fülle von Beispielen für Abweichungen vom polnischen
Original auf, sondern auch darunter zahlreiche Fälle, die einer normalen
Aspektverwendung logisch stracks zuwiderlaufen (so wie viele Fälle der Verwendung
des bestimmten Adjektivs der Definition der Determination zuwiderlaufen
). Wie man diese Fälle zu diagnostizieren hat, wird noch eine interessante
Frage für die Lituanistik werden. Sicher ist jedenfalls heute, daß
Fraenkel viele solche Fälle als alt erwiesen hat. Das entscheidet schon viel.
Seine Darstellung gibt überall nur unbestreitbares Tatsachenmaterial der Textentsprechungen
, ohne sich auf eine so weitgehende Theoretisierung einzulassen
wie die gewissenhaft von ihm zitierte Literatur. Ja, er ist nicht einmal
so weit gegangen, was für den Theoretiker schon eine bestimmte Bedeutung
gehabt hätte, rein äußerlich die Fälle zusammenzustellen, in denen die Wahl
eines Aspekts nötig gewesen wäre, im Gegensatz zu denen, in welchen weitgehende
Vertauschung möglich war — auch im Polnischen. Die Entsprechung
und Abweichung vom polnischen Text ist ihm die Hauptsache. Es zeigt sich
an der Fülle von verschiedenartigen Beispielen, daß sich die Beobachtungen
des polnischen Sprachvergleichers Jan Safarewicz durchaus bestätigen:
wenn vom Verbalaspekt im Litauischen die Rede ist, so kann sich das außerhalb
des Typs dar'yti II padaryti mit großer Reserve nur auf Präteritum und
Futurum beziehen, und auch dort nur mit Vorbehalt.

Eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Es könnten wieder einige
einen Versuch machen, auf dem Litauischen erneut die Behauptung zu basieren,
die Präfigierung, das einzige morphologische Mittel des Litauischen in diesem
Bereich, sei eben doch das Wesentliche überhaupt für den Begriff des Aspekts.
Dem möchte ich hier zweierlei entgegenhalten. 1. Das mit der Präfigierung erreichte
Dublettenpaar des Simplex ist eben im Litauischen nicht ein volles
Aspektsystem, da die Fülle der Komposita fehlt; 2. wenn man schon dem
Griechischen nicht glauben will, in dem beide Aspekte (Aoriststamm 11 Präsensstamm
) durchgängig von allen Simplizia und Komposita gebildet werden,
so wird man doch zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Aspektkorrelation

formell mit aller Konsequenz auch in Sprachen zum Ausdruck gebracht
wird, in denen es überhaupt keine Verbalkomposita gibt wie im Türkischen
. Eine Untersuchung, die ich darüber geschrieben habe, wird hoffentlich
in Kürze erscheinen.

Eine Rechnung mit Kleinigkeiten dem verdienten Verf. zu präsentieren,
halte ich für unschicklich, zumal an diesem Ort. Wenn ich hier überhaupt mit
ein paar kleinen Zusätzen bzw. Berichtigungen komme, so nur, weil ich weiß,
daß sich der Verf. nicht gekränkt fühlen, sondern Interesse dafür haben wird.
Zur Frage der Etymologie von polnischen cmentarz (S. 55) würde ich noch
zitieren Haiina Datkowa (Safarewiczowa): Polskie cmentarz (Jezyk Polski
XV 1930, S. 69—77) und zur Biographie von Vajänoras (S. 50) Wilhelm
Witte: Der Übersetzer Simon Waischnoras der Ae. — Breslau (Phil. Diss.)
1931, VII, 207 S. 8°. Zu berichtigen ist der Lapsus S. 63 „Dzieje grzechöw"
anstatt „Dzieje grzechu", wie der berühmte Roman Zeromskis wirklich
heißt.

Zu S. 60 § 60: nes 'nera kita warda po dangum . . . kaip Jezus. „Hier entsprechen
sich Genitiv im negativen Satze, Nominativ im positiven Vergleiche
." Diese Konstruktion ist im Polnischen weit verbreitet, ja in den
meisten Fällen die einzig mögliche. Xiemasz innego miana .. . nad to imie Jezus
— ist natürlich möglich, aber. . . jak Jezus allgemein verbreitet: Na pra-
gnienie niema jak woda, Niema to jak w^gierskie wino! usw. Das
wird auch normalerweise im Litauischen nicht anders sein.

München Erwin Koschmieder

Kupisch, Karl: Coligny. Eine historische Studie. 2., veränd. Aufl. Berlin:
Lettner-Verlag [1951], 257 S., 1 Taf. 8°. Lw. DM 9.60.

Das Buch Dr. Kupischs über Coligny erscheint hier in
zweiter, veränderter Ausgabe, geschmückt mit einem trefflichen
Bild des Admirals und ergänzt durch ein reiches Literaturverzeichnis
zum Weiterstudium. Die Darstellung des
Themas ist sorgsam, verständnisvoll, abgewogen, ja elastisch
in Ablehnung bekannter Schemata, wie „History repeats it-
self". Gelegentlich zieht der Verfasser auch eine feste Linie,
wie: „Jede christliche Bewegung beweist die in ihr lebendige
Kraft in der Grundbeachtung des Herrnwortes: ,Mehi Reich
ist nicht von dieser Welt!'" Uberwiegend ist aber die Rankesche
Reserve, „daß wir die Gesetze, nach denen die Geschichte
das Band der Geschehnisse laufen läßt, nicht kennen".
In Verbindung damit tritt in einzelnen Teilen des Buchs eine
mehr konglomerative Darstellung (etwa nach der Art Manou-
ry's) in den Vordergrund. Außer einer überaus schönen und
tiefen Skizzierung Luthers enthält die Arbeit Kupischs — in
erfreulicher Abstandnahme von einer gewissen modernen Tendenzliteratur
über Calvin — eine m. E. gute Darstellung
des Genfer Reformators als christlicher Charakter und Politiker
, samt einer wohltuenden Gesamtkonzeption seiner Lehre
(diese Abschnitte scheinen mir auch zum Vorlesen in ernsthaftem
Kreise besonders geeignet). Gleichermaßen sind die
Kennzeichnung Franz des Ersten, die Beschreibung der Frühgemeinde
in Meaux und ihres Verhältnisses zum Humanismus
, sowie die Porträtierung Katharinas als Regentin besondere
Gaben des Verfassers an seine Leser. Nur gelegentlich
fühlt man heraus, daß Kupisch — wohl infolge seines begreiflichen
natürlichen Abstandes von calvinistischer Glaubenseinstellung
, hugenottischer Art und französischer Mentalität seinem
Stoffe nicht ganz kongenial ist; so in dem mindestens
mißverständlichen Satz, daß die Konversion des sprungfedergängigen
Heinrichs IV. „kein leichtfertiger Schritt gewesen
sei", oder in dem offenbaren Fehlurteil, da!3 „Colignys einziges
Ziel die sichtbare (von K. gesperrt!) Anerkennung der Ehre
Gottes in Frankreich gewesen sei". Im Schlußteil (6 V) fällt
das Buch leider ab, sowohl in der unsachlichen Bemerkung
über die Camisardenkriege als in dem unbegreiflichen Ubergehen
der Restaurationsperiode unter Antoine Court; eine
Rektifizierung dieses Endabschnittes in einer dritten Auflage
wäre für den Verfasser eine geringe Mühe und für das vorzügliche
Werk ein Gewinn.

Zürich Joseph Chambon

LITUR GIE WISSENSCHAFT

Archiv für Liturgiewissenschaft. In Verb. m. Prof. Dr. Anton L. Mayer
und Dr. Odilo Heiming OSB hrsg. v. Dr. Hilarius Emonds OSB. Bd. I.
Regensburg: Pustet 1950. XII, 508 S. gr. 8° = Abt-Herwegen-Institut
für liturg. u. monastische Forschung, Abtei Maria Laach. Kart. DM 32.—;
Lw. DM 35.—.

Odo Casel (f 1948) hat das „Jahrbuch für Liturgiewissenschaft
" (15 Bände von 1921—1941) tatsächlich zu einem
Archiv der Liturgiewissenschaft ausgestaltet, das seinesgleichen
nicht hat. Da nun die Männer um Casel darangehen,
das „Jahrbuch" neu erstehen zu lassen, nennen sie die „Neue