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Ausgabe:

1952 Nr. 1

Spalte:

620-622

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Fraenkel, Ernst

Titel/Untertitel:

Sprachliche, besonders syntaktische Untersuchung des kalvinistischen litauischen Katechismus des Malcher Pietkiewicz von 1598 1952

Rezensent:

Koschmieder, Erwin

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Iii!)

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 10

(120

reits erasmisch!). Es handelt sich um Erneuerung der ursprünglich
gut geschaffenen menschlichen Natur durch das Mittel der
uns von Christus geschenkten Philosophie, um das von der
humanistischen Bildungsform erfaßte und auf seine ethischen
Normen beschränkte Evangelium, in dem das „solus Christus"
gilt, Christus aber immer nur verstanden im Sinne seiner doc-
trina bzw. philosophia. — Es wird sodann nachgewiesen, daß
Zwingli in seiner humanistischen Phase, die die Jahre 1516 bis
1520 umfaßt (der humanistischen Phase geht eine scholastische
Phase voran, auf die aber nicht einzugehen ist), gänzlich dem
humanistischen Evangelium des Erasmus angehangen hat. Das
wirkt sich aus bis hin zu den bevorzugten Bibelbüchern (Evangelien
! Dort vor allem Bergpredigt!) und Exegeten (Origenes!)
usw.

Der zweite Teil des Buches handelt von Zwingiis Begegnung
mit Martin Luther und ihrer Bedeutung. Darüber ist
nichts mehr zu sagen. Der dritte und wichtigste Teil heißt ,,Die
frühreformatorische Phase in Zwingiis Lehrentwicklung" und
bezieht sich auf die Jahre 1520 bis 1522. Vornehmlich sind es
Randglossen Zwingiis zum „Psalterium quadruplex" des Hieronymus
, von Zwingli in Vorbereitung von Predigten/Vorlesungen
über den Psalter angefertigt, die nach Verf.s Meinung
wertvollste Auf Schlüsse geben. Sie sind Niederschlag einer ganz
starken Beschäftigung mit Augustin und insbesondere eines
gründlichen Studiums von Augusthis „Enarrationes in psal-
mos". So kommt Verf. zu dem Ergebnis, daß nicht Einfluß
Luthers, sondern unmittelbares Studium Augustins (mit folgerichtiger
Umorientierung auch des Schriftstudiums) aus dem
Humanisten den Reformator Zwingli hat werden lassen. —
Auf die eigentlich reformatorische Phase bei Zwingli und auf
die Zeit, da dann vielleicht erneut humanistisches Bildungsgut
sich des reformatorischen Denkens stark bemächtigt, wird
nicht mehr eingegangen, sondern höchstens gelegentlich in
Fußnoten hingewiesen.

Das Ergebnis der von Walter Gut angeregten Arbeit, die
nur ein Teilstück einer größeren Untersuchung über Zwingiis
Lehre von Gesetz und Evangelium darbieten will und als Dissertation
der Züricher theologischen Fakultät erfolgreich vorgelegt
worden ist, ist interessant und fruchtbar. Es wird verständlich
— der Verfasser der Arbeit geht dem auch nach —,
daß Zwingli auf der einen Seite einen Durchbruch vom Gesetz
zum Evangelium erlebt, auf der anderen Seite aber dem Evangelium
, wie es der Reformator Zwingli verkündet, unablösbar
ein gesetzlicher Zug anhaftet. Augustinisch ausgedrückt: Das
bloße Gesetz bzw. der Buchstabe ist die unerfüllbare Forderung
, das Evangelium bzw. der Geist ist die Forderung samt
der Kraft der Erfüllung.

Eine bedeutsame Einzelheit: Rieh wendet sich u. a. gegen die Behauptung
Walther Köhlers, daß Zwingli durch die Leipziger Disputation vom
Papste innerlich frei geworden sei (S. 91). Und doch ist vielleicht die Leipziger
Disputation nicht ohne Einfluß auf die Wendung bei Zwingli gewesen. In Leipzig
haben (vgl. S. 146) Eck und Karlstadt über die Willensfreiheit gestritten.
Karlstadt ist nach einer neuen Veröffentlichung — Ernst Kahler: Karlstadt
und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu
Augustins Schrift De spiritu et litera. Einführung und Text. Halle (Saale) 1952
—■ auch als einer derer anzusehen, die durch selbständiges Augustinstudium
ihre neue Theologie bekommen haben. Mit dem Hinweis scheint mir auf das
Wichtigste hingedeutet. Es gibt eine Augustin-Renaissance in der Reformationszeit
, die uns gerade in wenigen Vertretern bekannt ist (vgl. die eben angezogene
Arbeit von Kahler, S. 2*). Daß Zwingli zu den unmittelbaren Augu-
stinschülern des 16. Jahrhunderts gehört (und, das darf hinzugefügt werden,
zu denen, die in geringerem Maße als Luther Augustins Oedanken selbständig
in eine eigene, neue theologische Erkenntnis eingeschmolzen haben), kann aus
der Richschen Arbeit mit Interesse zur Kenntnis genommen werden.

Die schwachen Stellen der Arbeit sind leicht sichtbar. Der Verfasser wird
selber um sie wissen. Die Randglossen zum Psalterium quadruplex sind eine
etwas sehr schmale Basis für eine These, die die Gesamtinterpretation Zwingiis
betrifft (bis dahin gehend, daß der Prädestinationsgedanke Zwingiis nicht von
der Schrift De Providentia von 1530 her, also nicht philosophisch-deterministisch
verstanden werden darf, sondern augustinisch-religiös verstanden werden
muß). Die Datierung der Randglossen und ihr Bezug auf die ins Auge gefaßten
Psalmvorträge sind Vermutung, wenn auch solche mit sehr hohem
Wahrscheinlichkeitsgrad. Daß der Briefwechsel des Jahres 1521 keine sehr
reiche Ausbeute bietet, sagt Verfasser selber ausdrücklich. Auch sonst an mehreren
Stellen des Buches hängt die Richtigkeit von Aussagen des Verfassers ab
von der Richtigkeit zeitlicher Ansetzung und sachlichen Verständnisses einiger
wichtiger Zwinglibriefe.

Nach dieser Arbeit, die in glücklicher Weise und mit großem
Geschick in ihrem wesentlichen Inhalt einer Anregung
Walther Köhlers nachgeht (vgl. H. Z., 1943, S. 71 f.) und diese
als hilfreich und fruchtbar erweist, kann man nur in angenehmer
Hoffnung dem Fortgang der Studien über Zwingiis Lehre
von Gesetz und Evangelium entgegensehen.

Markkleeberg/Leipzig Franz Lau

Fraenkel, Emst: Sprachliche, besonders syntaktische Untersuchung
des kalvinistischen litauischen Katechismus des Malcher Pietkle-
wiez von 1598. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1947. 140 S. gr. 8°.=
Ergänzungshefte zur Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem
Gebiet der indogermanischen Sprachen Nr. 14. DM 10.—.

Der Leser der Theologischen Literaturzeitung wird in
erster Linie etwas über das Theologische und Philologische des
Inhalts und sein Verhältnis zum Vorbild, vielleicht auch etwas
über die Verbreitung dieses kalvinistischen Katechismus in
Litauen u. ä. erfahren wollen. Darüber bietet die Arbeit Fraen-
kels nichts. Sie ist vielmehr rein sprachwissenschaftlich eingestellt
und gilt vollkommen dem Litauischen des i6.Jhs.
Auch die philologischen Fragen, die den Ubersetzer usw. betreffen
, interessieren daher natürlich den Verfasser nicht —
nur die Sprache. Diese aber ist mit einer minuziösen Akribie
und der stupenden Belesenheit des Verfassers behandelt, die
wir aus seinem sonstigen reichen Schaffen recht genau kennen.

Das ganze Denkmal, das schon 1890 von Alexander
Brückner im Archiv für slav. Phil. Bd. 13 eingehend behandelt
worden ist, wurde 1939 von J.Balcikonis u. d. T.: 1598
metu Merkelio Petkeviciaus katekizmas. 2--s leidimas —
in Kowno (XVI, 252 S.) auf photographischem Wege auf
Grund des einzig erhaltenen Exemplars in der damaligen
Stadtbibliothek zu Danzig herausgegeben. Es ist aus dem
Polnischen übersetzt worden und gilt mit Recht als eines der
wichtigsten altlitauischen Sprachdenkmäler. Die Sprache zeigt
deutliche Berührungen mit dem Litauischen von Wilna, wenn
auch viele spezifisch ostlitauische Merkmale vollständig fehlen.

Die ganze philologische Vorarbeit ist von Balcikonis
a.a.O. I—XVI besprochen. Ich muß hier darauf verzichten,
das zu wiederholen.

Es sei mir aber verstattet, mit ein paar Worten auf die
Ausführungen Fraenkels über die Sprache unseres Katechismus
einzugehen. Seine Untersuchungen erstrecken sich auf
Fragen der Formenlehre, des Wortschatzes und, was sehr erfreulich
ist, auch auf Fragen der Syntax. Inhaltlich ist die
Auswahl dieser Fragen bestimmt durch die Untersuchungen,
die bisher über die Sprache Malcher Pietkiewiczs erschienen
sind; denn was da schon erfolgreich besprochen wurde, hat
Fraenkel hier übergehen können. Man wird ihm in den Ergebnissen
seiner sprachlichen Erwägungen sehr weitgehend recht
geben müssen, denn er formuliert sie stets mit größter Vorsicht
ohne jede Neigung zu vorschneller Theoretisierung oder zu
heftiger Polemik. Wenn ich im folgenden ein paar Einzelheiten
aufgreife, so tue ich das, um damit zu zeigen, eine wie große
Bedeutung die gründlichen Untersuchungen Fraenkels am
Katechismus des Pietkiewicz haben.

Besonders beachtenswert sind die Ausführungen über das Adjektivum
S. 15ff., wo nicht nur wichtige Einzelheiten über die Geschichte der Flexion
behandelt werden, sondern auch die sehr schwierige Frage der Verwendung der
sog. „bestimmten" und „unbestimmten" Form des Adjektivums erörtert
wird. Das litauische Adjektivum tritt nämlich in zwei Formen auf: 1. gerat
,gut' „unbestimmt", flektiert mit Ausnahmen weniger Kasus wie ein Substantiv
, und 2. geräiit ,gut(er)' „bestimmt" flektiert den ersten Teil (j/Zrai)
wie oben 1. und den zweiten Teil (j)is wie das Pronomen jfs. Auf diese Weise
entsteht die Opposition l.geras vyras I 2. geräsis vyras, ein (der) guter Mann'.
Indem man in 2. die Determination wiedererkannte, die andere Sprachen
durch den Artikel ausdrücken, kam man auf die Bezeichnung „unbestimmt" I
„bestimmt". Nun hat man aber schon früh bemerkt, daß dieser Gebrauch
durchaus nicht konsequent gehandhabt wird. U.a. auch Senn hat in seiner
litauischen Sprachlehre (Heidelberg; Groos 1929) darauf hingewiesen, daß 2)
oft „emphatisch" gebraucht werde und die Verwendung von 1. II 2. in weitem
Umfange dem subjektiven Empfinden des Sprechers anheimgegeben sei.
Gleiche Feststellungen macht nun Fraenkel an der Sprache Pietkiewiczs.
Er schlägt daher vor, die Form 2. die „emphatische" zu nennen. Ich möchte
hierin dem verehrten Verf. nicht folgen. Erstens ist hier für Emphase ebensowenig
Konsequenz nachgewiesen wie für Determination, auch eine Definition
nicht so leicht zu geben, und es erscheint wie ein Schreckgespenst die berüchtigte
Bezeichnung der „emphatischen Laute" im Arabischen mit ihrer Sinnlosigkeit
; zweitens aber ist hier vielleicht aus Zweckmäßigkeitsgründen eine
Benennung nach der Funktion überhaupt zu vermeiden. Dieselbe Opposition
1.11 2. tritt ja bekanntlich auch im Slawischen auf, und dem lit. bäsat 11 batätis,
.barfuß', entspricht ganz genau serbisch bös n bösi, russ. bos n bosöj (entstanden
aus urslaw. borh(t) + jb(i)- Im Serbischen aber ist die Funktion:
„nicht determiniert" 11 „determiniert", im Russischen dagegen: „prädikativ"
„attributiv". Hier haben wir den peinlichen Fall, daß in drei Sprachen einwandfrei
die regelmäßigen Kontinuanten eines und desselben morphologischen
Kategorienpaares erhalten sind, jedoch in jeder mit anderen Funktionen.
Es wäre vielleicht nicht unzweckmäßig, die Bezeichnung für alle drei Sprachen
gleichmäßig nicht nach der grammatischen Funktion, sondern nach
der Bildungsweise zu geben, und zu der schon bekannten Terminologie „einfach
" (batai), und „zusammengesetzt" (ba»ae + zurückzukehren. Im
übrigen »cheint mir über den Begriff der Determination, der außerdem noch